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RBOG 1994 Nr. 18

Bindung des Anwalts an das durch das Gericht festgesetzte Honorar; Bestätigung der Rechtsprechung


§§ 1 ff. AnwT, § 75 Abs. 1 ZPO


1. Der Berufungsbeklagte vertrat als Rechtsanwalt die Berufungsklägerin im Scheidungsprozess. Strittig ist die Höhe der ihm für diese Mandatsführung zustehenden Entschädigung. Zur Diskussion steht insbesondere, ob ein Rechtsanwalt gegenüber seiner Klientschaft nachträglich ein höheres Entgelt fordern darf als jenes, welches er im Gerichtsverfahren mittels Kostennote geltend gemacht hatte und durch das Gericht als tarifgerecht beurteilt worden war.

2. Der ständigen Rechtsprechung des Obergerichts des Kantons Thurgau zur Frage des Eintretens auf Moderationsbeschwerden lässt sich entnehmen, dass eine nachträgliche höhere Rechnungstellung nur dann als zulässig erachtet wird, wenn sie auf einer Vereinbarung zwischen dem Anwalt und dem Klienten beruht. Bei fehlendem Nachweis einer solchen Abmachung tritt das Obergericht auf Moderationsbeschwerden nicht ein, wenn über die Kostennote des Anwalts bereits gerichtlich befunden wurde (vgl. RBOG 1983 Nr. 53).

Die Rekurskommission des Obergerichts schloss sich in ihrem Rückweisungsentscheid, welcher in der vorliegenden Streitsache erging, dieser Rechtsprechung an. Sie hielt fest, für das Zivilgericht gelte dasselbe wie für die Moderationsbehörde: Wie im Strafprozess entscheide auch im Zivilprozess der Zivilrichter über die Parteikosten - unter Vorbehalt des Wettschlagens - abschliessend. Für eine Zusatzhonorarforderung des Rechtsanwalts bestehe damit nur dann Raum, wenn hierüber eine Vereinbarung zwischen Anwalt und Klient abgeschlossen worden sei.

3. Die Vorinstanz hält diese Rechtsprechung für nicht haltbar.

a) Zunächst führt die Vorinstanz aus, der Anwalt als Rechtsvertreter der obsiegenden Partei stehe im Verfahren, in welchem die Parteientschädigung zu beurteilen sei, in keinem Verhältnis zur Gegenpartei. Es bestehe nur ein Rechtsverhältnis zur eigenen Klientschaft, welches jedoch nicht Gegenstand des Prozesses sei. Es sei deshalb ausgeschlossen, dass mit dem Entscheid über die Parteientschädigung auch über den Honoraranspruch des Rechtsvertreters derjenigen Partei befunden werde, der eine Entschädigung zugesprochen werde.

Schon der Ansatz dieser Schlussfolgerung erweist sich als nicht zutreffend: Wie sich aus § 75 Abs. 1 ZPO ergibt, umfasst die Parteientschädigung alle durch die Gegenpartei verursachten notwendigen Kosten und Umtriebe. Dazu gehören auch die durch den Prozess hervorgerufenen Auslagen für den eigenen Anwalt, bestehend aus dessen Ansprüchen auf das Honorar und den Ersatz der Baraufwendungen. Bei der Festsetzung der Höhe der Parteientschädigung muss daher zwangsläufig auch über das Ausmass dieser Ansprüche des Anwalts entschieden werden, auch wenn diese nicht den Hauptgegenstand des Prozesses bilden.

b) Als nächstes bemängelt die Vorinstanz, der Rechtsvertreter der obsiegenden Partei sei, wenn er mit dem Entscheid des Gerichts über die Parteientschädigung bzw. über seinen Honoraranspruch nicht einverstanden sei, nicht in der Lage, seinen Standpunkt auf dem Rechtsweg geltend zu machen, weil er das Urteil mit dem missliebigen Kostenspruch nicht im eigenen Namen weiterziehen könne.

Ein Rechtsanwalt hat indessen bei Anwendung der von ihm zu erwartenden beruflichen Sorgfalt durchaus die Möglichkeit, auf die bestehende Rechtslage Rücksicht zu nehmen: So hat er bei der Erstellung der Kostennote darauf zu achten, dass die von ihm geltend gemachte Entschädigung für die eigene Tätigkeit mit den Ansprüchen übereinstimmt, die er, soweit es um die Bemühungen im betreffenden Prozess geht, seinem Klienten gegenüber in Rechnung stellen würde. Auf diese Weise wird der Anwalt sowohl seinen eigenen Interessen als auch denjenigen seiner Klientschaft, die ja im Fall des vollständigen Obsiegens nicht nur eine teilweise, sondern eine vollständige Entschädigung seitens der Gegenpartei erwartet, gerecht. Sollte es - einmal abgesehen vom Vorliegen einer diesbezüglichen klaren Honorarvereinbarung zwischen Anwalt und Klient - ausnahmsweise aus bestimmten Gründen als notwendig oder opportun erscheinen, vor Gericht eine gegenüber den effektiven Vergütungsansprüchen des Rechtsanwalts reduzierte Anwaltsentschädigung zu fordern, muss der Rechtsanwalt seinen Klienten vor der Gerichtsverhandlung unter Angabe der Gründe darüber orientieren und sich durch diese Abmahnung die Mehrforderung im internen Auftragsverhältnis ausdrücklich vorbehalten. Ist der Klient nicht einverstanden, hat der Anwalt nach seinen Weisungen vorzugehen; ist er aber einverstanden, liegt darin eine entsprechende Vereinbarung.

c) Im weiteren unterscheidet die Vorinstanz zwischen der Parteientschädigung nach § 75 ZPO als einem auf öffentlichrechtlicher Basis, d.h. auf Prozessrecht beruhenden Anspruch einerseits und dem Honoraranspruch des Anwalts als auftragsrechtlichem Anspruch mit privatrechtlicher Grundlage andererseits. Der Anwalt reiche deshalb - bei sorgfältiger Terminologie - keine Honorarnote, sondern eine Kostennote ein, in welcher die Gebühr gemäss Anwaltstarif lediglich einen Anhaltspunkt für die Bemessung der Parteientschädigung darstelle.

Die Ausführungen der Vorinstanz zur unterschiedlichen Rechtsnatur der Parteientschädigung und des Vergütungsanspruchs des Rechtsanwalts sowie zur begrifflichen Unterscheidung in Honorarnote und Kostennote treffen zwar zu, doch vermögen diese Unterschiede betreffend Rechtsnatur und Bezeichnung nichts daran zu ändern, dass einem Anwalt im Normalfall schon nach Treu und Glauben die Obliegenheit zukommt, wenn er dem Gericht eine Kostenrechnung vorlegt, darin betragsmässig jene Anwaltskosten geltend zu machen, die er auch von seinem Klienten verlangen will.

d) Schliesslich erwägt die Vorinstanz, im Unterschied zur Honorarbemessung im internen Verhältnis zwischen Parteivertreter und Klient sei die Festlegung der Parteientschädigung nur eine grobe Beurteilung.

Diese Argumentation übersieht zunächst, dass die auf den Anwaltstarif gestützte Festlegung eines Anwaltshonorars in keinem Fall ohne Ermessensentscheid auskommt, wie beispielsweise § 2 Abs. 2 des Anwaltstarifs vom 9. Juli 1991, wonach sich die Grundgebühr innerhalb des tarifarischen Rahmens nach dem notwendigen Zeitaufwand, nach der Bedeutung und der Schwierigkeit der Sache bemisst, deutlich macht. Diese Kriterien hat zudem das Gericht, welches eine Parteientschädigung festsetzt, genauso gewissenhaft zu berücksichtigen wie die Moderationsbehörde oder der ordentliche Zivilrichter, der über die Honorarforderung eines Anwalts befindet; in allen diesen Verfahren haben die Beteiligten - die (entschädigungspflichtige) Gegenpartei des Hauptprozesses ebenso wie der Anwalt und seine Klientschaft - einen Anspruch auf eine sorgfältige Beurteilung. Deshalb kann nicht davon gesprochen werden, bei der Bemessung im Rahmen des Entscheids über die Parteientschädigung finde eine Grobbeurteilung statt und in den anderen Fällen eine differenzierte Beurteilung. Dem Gericht, welches die Parteientschädigung festsetzt, stehen im übrigen die wichtigsten Unterlagen, die Aufschluss über die Anwaltstätigkeit geben können, nämlich die Prozessakten, zur Verfügung. Daraus lassen sich in der Regel weitgehende, für die Honorarbemessung genügende Kenntnisse entnehmen. In den übrigen Fällen steht es einem Rechtsanwalt frei, entweder in seiner Kostennote zusätzliche Hinweise anzubringen oder im Rahmen der Eingaben oder Parteivorträge die in der Kostenrechnung aufgeführten Positionen näher zu begründen. Sollte dies ausnahmsweise nicht möglich oder aus prozesstaktischen Ueberlegungen nicht angezeigt sein, so kann der Anwalt von der bereits erwähnten Möglichkeit der vorgängigen Orientierung des Klienten Gebrauch machen.

e) Die von der Vorinstanz angeführten Gründe für ein Abweichen von der Rechtsprechung gemäss RBOG 1983 Nr. 53 vermögen, wie zusammenfassend festzuhalten ist, nicht zu überzeugen.

f) Die Hinweise des Berufungsbeklagten auf anderslautende Gebührenregelungen in anderen Kantonen sowie auf Meinungsäusserungen von Kommissionsmitgliedern im Zusammenhang mit der Ueberarbeitung des Thurgauischen Anwaltstarifs sind nicht geeignet, an diesem Ergebnis etwas zu ändern. Das Obergericht ging als zuständiger Verordnungsgeber weder anlässlich der Schaffung des Anwaltstarifs vom 9. Juli 1991 noch beim Erlass des vorher geltenden Gebührentarifs vom 7. September 1982 davon aus, eine gerichtlich überprüfte Kostenrechnung sei für das Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Klient nicht verbindlich. Für diese Lösung sprechen im übrigen Gründe der Rechtssicherheit und der Prozessökonomie: Die anwaltlich vertretene Partei darf im Normalfall schon nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass die von ihrem Vertreter dem Gericht vorgelegte Rechnung die Anwaltskosten vollständig abdeckt, und die Gerichte - Moderationsbehörde oder ordentlicher Zivilrichter - sollten nicht in jedem Falle bemüht werden können, in welchem schon ein (anderes) Gericht eine Kostennote auf ihre Uebereinstimmung mit dem Anwaltstarif überprüft hat.

4. Ob das Honorar, das der Berufungsbeklagte mit seiner strittigen Rechnung geltend macht, tarifkonform ist, kann vorliegend somit nur dann geprüft werden, wenn die Parteien eine besondere Honorarvereinbarung abgeschlossen hatten, oder wenn der Berufungsbeklagte die Berufungsklägerin vorgängig der Scheidungsverhandlung vor Bezirksgericht darüber orientierte, dass und aus welchen Gründen er dem Gericht eine Kostenrechnung mit einem geringeren Honorar einreichen werde.

Rekurskommission, 8. August 1994, ZB 94 15

Eine dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde wies das Bundesgericht am 23. Juni 1995 ab.


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