Skip to main content

RBOG 1998 Nr. 2

Das Fehlen eines Teilungsplans des Willensvollstreckers steht einer richterlichen Entscheidung über eine strittige Testamentsklausel betreffend den Anrechnungswert einer Liegenschaft nicht entgegen


Art. 518 ZGB, Art. 604 ZGB, § 110 ZPO


1. Der Erblasser E hinterliess als gesetzliche Erben den Sohn X sowie die Töchter A, B und C. In seinem Testament hatte E angeordnet, falls ein Nachkomme das Mehrfamilienhaus übernehmen wolle, sei es ihm zum "steuerlichen Ertragswert" zuzuweisen. Dabei stehe X in erster Linie der Anspruch auf Übernahme zu, doch betrage für ihn der Übernahmepreis Fr. 10'000.-- mehr als für die übrigen Nachkommen. Im weiteren hatte E Rechtsanwalt R zum Testamentsvollstrecker bestimmt. X ersuchte den Willensvollstrecker um rasche Durchführung der Erbteilung und teilte mit, er sei gewillt, das ihm gemäss Testament zustehende Vorzugsrecht auf Übernahme der Liegenschaft zum "steuerlichen Ertragswert" zuzüglich Fr. 10'000.-- auszuüben. A, B und C waren bereit, X die Liegenschaft zum Steuerwert im Zeitpunkt des Ablebens von E zu überlassen. Da sich die Erben daraufhin nicht auf einen Übernahmewert einigen konnten, stellte sich der Willensvollstrecker auf den Standpunkt, hierüber müsse, bevor die Teilung vorgenommen werden könne, der Richter entscheiden. In der Folge leitete X die Erbteilungsklage ein, wobei er die Zuweisung der Liegenschaft zu Alleineigentum verlangte. A, B und C beantragten, auf die Klage sei nicht einzutreten. Die Vorinstanz stellte durch Teilurteil fest, X sei die Liegenschaft zum Anrechnungswert von Fr. 563'000.-- zu Alleineigentum zuzuweisen. Im übrigen bleibe das Verfahren sistiert. A, B und C erhoben Berufung.

2. a) Streitig ist, ob die Vorinstanz auf die Erbteilungsklage von X habe eintreten dürfen, obwohl sie grundsätzlich davon ausging, dass eine Teilungsklage eines Erben nicht zulässig sei, bevor der Willensvollstrecker einen Teilungsplan erstellt habe, welcher von den Erben nicht angenommen worden sei. Die Berufungsklägerinnen rügen insbesondere auch, dass trotz Vorliegens einer Gestaltungsklage des Berufungsbeklagten und ohne entsprechendes Rechtsbegehren ein Feststellungsurteil gefällt und das Verfahren im übrigen sistiert worden sei.

b) aa) Wenn durch vorgängige Erledigung einer Vorfrage oder Einrede wahrscheinlich erheblicher Aufwand an Zeit oder Kosten vermieden wird, kann sie auf Antrag einer Partei oder von Amtes wegen zum Gegenstand eines Vorentscheids gemacht werden (§ 110 Abs. 1 ZPO). Das Gericht ist somit berechtigt, mit Zwischenurteil zu einzelnen materiellen Streitpunkten Stellung zu nehmen, sofern von der Ausfällung eines solchen eine Vereinfachung des Verfahrens zu erwarten ist; insbesondere können durch Zwischenurteil einzelne materielle Einreden oder Einwendungen des Beklagten verworfen oder einzelne vom Kläger geltend gemachte rechtsbegründende Rechtsverhältnisse bejaht werden. Umfasst die Klage mehrere Ansprüche, so kann durch ein Teilurteil über einen einzelnen Anspruch vorweg entschieden werden (RBOG 1991 Nr. 27).

bb) Die Dispositionsmaxime bedeutet, dass die Parteien befugt sind, über den Streitgegenstand zu bestimmen, das heisst ob, wann, in welchem Umfang und wie lange sie als Kläger materielle Rechte gerichtlich geltend machen bzw. ob sie als Beklagte die eingeklagten Ansprüche durchfechten oder anerkennen wollen. Die Dispositionsmaxime verkörpert sich in den prozessualen Anträgen der Parteien auf allen Stufen des Verfahrens. Die Geltung der Dispositionsmaxime wird ausschliesslich vom kantonalen Prozessrecht geregelt. Das Rechtsbegehren ist nach seinem Sinngehalt und dem Grundsatz von Treu und Glauben auszulegen. Zwar darf der Richter nichts anderes zusprechen, als der Kläger verlangt hat, doch steht es dem Richter frei, den eingeklagten Anspruch - je nach dem Ergebnis seiner Prüfung - allenfalls nur teilweise zu schützen (Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3.A., § 54 N 14 ff.).

cc) Die erbrechtliche Teilungsklage stellt zwar grundsätzlich eine Gestaltungsklage dar, doch können im Teilungsprozess eine Vielzahl von Rechtsproblemen gelöst werden, und es gibt keinen einheitlichen Streitgegenstand, wobei der Richter in deren Rahmen - sei es als Vorfrage, sei es zur Hauptsache - über materiell-rechtliche, für die Teilung präjudizielle Fragen wie Durchsetzung der erblasserischen Teilungsvorschriften entscheiden kann (Schaufelberger, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Schweizerisches Zivilgesetzbuch II, Basel/Frankfurt a. M. 1998, Art. 604 N 2 ff.). Ein Feststellungsbegehren muss demzufolge im vorliegenden Fall in sinngemässer Anwendung des Prinzips "in maiore minus" als im Teilungsantrag mit enthalten betrachtet werden, ohne dass darin eine Verletzung der Dispositionsmaxime gesehen werden könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind erbrechtliche Klagen, welche auf Teilungshandlungen gerichtet sind, soweit irgendwie möglich als Gestaltungsklagen einzugeben. Das vom Bundesrecht umschriebene Feststellungsinteresse kann tatsächlicher oder rechtlicher Art sein und ist als Prozessvoraussetzung, soweit es den Sachverhalt betrifft, vom Kläger nachzuweisen. Es fehlt in der Regel, wenn eine Leistungsklage zur Verfügung steht, mit der ein vollstreckbares Urteil erwirkt werden kann; diesfalls ist auf die Feststellungsklage nicht einzutreten. Ein schutzwürdiges Interesse an ihrer Behandlung wird hingegen bejaht, wenn die Ungewissheit der Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien durch die richterliche Feststellung behoben werden kann und die Fortdauer der Ungewissheit für den Kläger unzumutbar ist. Im Zusammenhang mit der Erbteilungsklage geltend gemachte Ansprüche müssen deshalb nicht in jedem Fall als Leistungsbegehren gestellt werden. Bei Vorliegen eines von Amtes wegen zu prüfenden Feststellungsinteresses wäre es in solchen Fällen nicht zweckmässig, wenn der Richter ein Feststellungsinteresse verneinen und sich die endgültige Teilung vorbehalten würde. Das widerspräche nicht nur dem Grundsatz der Prozessökonomie, sondern würde auch die Dispositionsmaxime verletzen. Aus den gleichen Gründen wäre eine bloss auf Feststellung zielende Ausgleichungsklage zulässig, wenn die Erbengemeinschaft fortgesetzt werden soll, weil diesfalls notwendigerweise nicht geteilt wird (BGE 123 III 49 ff., 96 II 325, 84 II 685 ff.).

dd) Entgegen der Auffassung der Berufungsklägerinnen liegt mit dem vorinstanzlichen "Teilurteil" schon vom Grundsatz her kein Verstoss gegen das Dispositionsprinzip vor. Zwar stellt die von X eingereichte Erbteilungsklage eine Gestaltungsklage dar. Dies ändert indessen nichts daran, dass - wie es gerade im Erbteilungsprozess der Fall sein kann - die richterliche Rechtsgestaltung auf mehreren richterlichen Feststellungen oder Anordnungen aufbaut. Sie können, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, als Teilurteile im Sinn von § 110 Abs. 2 ZPO ergehen, wie etwa die Zuweisung einer Liegenschaft oder der Anspruch hierauf, worüber sinnvollerweise vorweg entschieden wird (Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3.A., S. 243, 212 Anm. 26; Frank/Sträuli/Messmer, § 189 ZPO N 3; Druey, Grundriss des Erbrechts, 3.A., § 16 N 80; RBOG 1979 Nr. 3).

c) Die Vorinstanz ist auf die Erbteilungsklage des Berufungsbeklagten - trotz Fehlens eines Teilungsplans - unter Berufung auf Art. 604 ZGB, wonach jeder Erbe jederzeit das Recht hat, die Teilung zu verlangen, und zur Vermeidung einer "absurden Situation" eingetreten. Die Berufungsklägerinnen vertreten demgegenüber die Ansicht, das Vorliegen eines Teilungsplans und dessen Nichtannahme durch die Erben stelle eine zwingende Voraussetzung des Erbteilungsprozesses dar.

aa) Mit dieser Auffassung wird übersehen, dass, bevor im vorliegenden Fall ein Teilungsplan erstellt werden kann, in Auslegung des Testaments bzw. des Begriffs "steuerlicher Ertragswert" der Wert der fraglichen Liegenschaft festgestellt werden muss. Hiebei handelt es sich um eine klassische Zivilsache, welche allein der Richter zu entscheiden hat. Eine Beschwerde wegen verzögerter Nachlassabwicklung durch den Willensvollstrecker brächte daher die bezüglich des Werts der Liegenschaft uneinigen Erben keinen Schritt weiter bzw. näher (Weber, Gerichtliche Vorkehren bei der Nachlassabwicklung, in: AJP 1997 S. 561; Druey, § 16 N 33; Wetzel, Interessenkonflikte des Willensvollstreckers, Diss. Zürich 1985, N 61 f.). Weil somit dem Willensvollstrecker bei der Vorbereitung der Teilung, bei welcher Kompetenz er sich von der Tätigkeit des blossen Erbschaftsverwalters unterscheidet (vgl. ZR 94, 1995, Nr. 8 S. 28), keinerlei richterliche Funktion zusteht, kann vom Willensvollstrecker auch nicht richterliche Unparteilichkeit verlangt werden. Gemäss Art. 518 Abs. 2 ZGB hat der Willensvollstrecker den Willen des Erblassers zu vertreten. Wo der Erblasser eine letztwillige Verfügung hinterlassen hat, die einzelne Erben gegenüber anderen gesetzlichen Erben bevorzugt oder benachteiligt, ist "Unparteilichkeit" des Willensvollstreckers im Verhältnis zu den verschiedenen Erben wegen des Willens des Erblassers ausgeschlossen. Ein gewisser Anschein der Befangenheit ist ferner in solchen Fällen immer dann gegeben, wenn der Willensvollstrecker zuvor den Erblasser im Zusammenhang mit dessen Testament beraten hat, was angesichts der ausdrücklichen Namensnennung des Willensvollstreckers im Testament von E sowie des Ausstellungsorts für die "Instruktionen an den Testamentsvollstrekker" jedenfalls alles andere als auszuschliessen ist. Über die Wirksamkeit des Willens des Erblassers hat somit der Richter und nicht der Willensvollstrecker zu entscheiden. Bei der Losbildung bleibt demgegenüber kaum Raum, dass sich die Parteilichkeit des Willensvollstreckers überhaupt auswirken kann. Eine wirkliche Kompetenz, für die Erben verbindlich zu teilen, steht dem Willensvollstrecker aber ebenfalls nicht zu: Dies ist Sache der Erben bzw. des Richters (vgl. Karrer, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Schweizerisches Zivilgesetzbuch II, Basel/Frankfurt a. M. 1998, Art. 518 N 52). Ebensowenig bleibt auch bei der Verwaltung des Nachlasses Raum dafür, dass sich allfällige Parteilichkeit des Willensvollstreckers auswirken könnte (ZBGR 1994 S. 143 = ZR 89, 1990, Nr. 104 S. 268).

bb) Somit steht im vorliegenden Fall das Fehlen eines Teilungsplans des Willensvollstreckers einer richterlichen Entscheidung über die strittige Testamentsklausel bzw. den Wert der Liegenschaft nicht entgegen, da ein von ihm erstellter hypothetischer Teilungsplan, sei es auf Basis des "Verkehrswerts" oder des "Steuerwerts", vor der richterlichen Festlegung des Werts der Liegenschaft eine gänzlich zwecklose Vorkehr und einen rein kostenvermehrenden Aufwand darstellen würde. Angesichts des Rechtsstreits über die Auslegung des Testaments hätte ein allfälliger, vom Willensvollstrecker vorgelegter Teilungsplan als Vorbereitung der Erbteilung, wie von diesem selbst mehrfach dargelegt wurde, zum vornherein blosse Makulatur gebildet (vgl. ZR 91/92, 1992/93, Nr. 46 S. 178). Dies muss umso mehr gelten, als der Berufungsbeklagte von seinem Übernahmewahlrecht ja nur bedingt Gebrauch machen will, wenn nämlich der von ihm akzeptierte Steuerwert nicht überschritten wird. Der vorgelegte Teilungsplan würde somit stets von einer Seite nicht akzeptiert. Nach zwei gescheiterten Versuchen wäre sodann der Willensvollstrecker ohnehin berechtigt zuzuwarten, bis einer der Erben die Teilungsklage anhebt (vgl. Karrer, Art. 518 ZGB N 62). Lediglich der Vollständigkeit halber ist schliesslich darauf hinzuweisen, dass dem Willensvollstrecker beim Streit über die Auslegung des Testaments auch keine Parteistellung zukommt, analog zum Fehlen seiner Parteistellung bei Prozessen über die Gültigkeit des Testaments (vgl. Bracher, Der Willensvollstrecker, Diss. Zürich 1965, S. 118; Karrer, Art. 518 ZGB N 81). Dass die Vorinstanz im vorliegenden Fall ein Teilurteil im Sinne von § 110 Abs. 2 ZPO fällte, wenn es auch erwartungsgemäss zu einem Rechtsmittelverfahren führte, ist somit nicht zu beanstanden, denn ohne Festlegung des Werts der Liegenschaft, welche das Hauptaktivum im Nachlass von E darstellt, und welcher nur durch Auslegung des Testaments ermittelt werden kann, sind alle weiteren Erbteilungsschritte nicht möglich bzw. jedenfalls nicht sinnvoll.

cc) Aus prozessökonomischen Gründen wurde der Erbstreit im übrigen durch die Vorinstanz - nach richterlichem Entscheid über die strittige Auslegungsfrage - sistiert, damit der Willensvollstrecker, nachdem ihm die Bahn für seine Tätigkeit zur Erstellung eines Teilungsplans frei gemacht wurde, nun aktiv werde. Jedenfalls ist nicht von vornherein auszuschliessen, dass nach rechtskräftiger Festlegung des Anrechnungswerts der Liegenschaft der Erbteilungsstreit durch einen entsprechenden Teilungsvorschlag des Willensvollstreckers erledigt werden kann. Nur so lassen sich die Verfahrenssistierung gemäss Ziff. 2 des vorinstanzlichen Dispositivs wie auch die endgültige Kostenverteilung verstehen (Frank/Sträuli/Messmer, § 71 ZPO N 1), indem das Gericht im vom Willensvollstrecker nicht zu lösenden Problem lediglich festlegte, welcher Wert gelten solle, die Durchführung der Teilung aber weiterhin den Beteiligten bzw. dem Willensvollstrecker überliess (Guldener, S. 212 Anm. 26).

Obergericht, 3. September 1998, ZB 98 35


JavaScript errors detected

Please note, these errors can depend on your browser setup.

If this problem persists, please contact our support.