Skip to main content

RBOG 1998 Nr. 22

Mangelnde Vollstreckbarkeit des Entscheids als Kriterium für die Aussichtslosigkeit des Prozesses


§ 80 Abs. 1 ZPO


1. Der Prozess ist in rechtlicher Hinsicht unbestrittenermassen nicht aussichtslos. Nach Auffassung der Vorinstanz ist indessen bei der Frage der Aussichtslosigkeit auch zu prüfen, ob überhaupt die Möglichkeit bestehe, dass das erstrittene Urteil vollstreckt werden könne. Sei dies aufgrund der fehlenden Zahlungsfähigkeit der Gegenpartei im Hauptprozess eher zu verneinen, müsse die unentgeltliche Prozessführung mit Offizialanwalt verweigert werden, weil auch eine vermögende Partei in einem solchen Fall keinen Prozess anstrengen würde.

2. a) Bereits der Wortlaut des Gesetzes spricht eher gegen die von der Vorinstanz vertretene Auffassung: § 80 Abs. 1 ZPO hält ausdrücklich fest, dass "der Prozess nicht aussichtslos" erscheinen darf. Leuch/Marbach/Kellerhals (Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 4.A., Art. 77 N 3b) und Ries (Die unentgeltliche Rechtspflege nach der aargauischen Zivilprozessordnung vom 18. Dezember 1984, Diss. Zürich 1990, S. 109) halten denn auch ausdrücklich fest, wegen voraussichtlicher Uneinbringlichkeit der eingeklagten Forderung dürfe die unentgeltliche Prozessführung nicht verweigert werden. Als Begründung wird auf die verjährungsunterbrechende Wirkung einer Klage sowie darauf hingewiesen, dass mit dem Urteil der Betreibungsweg erfolgreich beschritten und im schlimmsten Fall davon profitiert werden kann, dass aus dem vollstreckten Verfahren ein Verlustschein resultiert und die Forderung damit unverjährbar wird. Erwähnt wird zudem die Verschlechterung oder der Verlust von Beweismitteln (vgl. Zöller, Zivilprozessordnung, 15.A., § 114 N 39). Auch das Bundesgericht scheint - soweit überblickbar - im Zusammenhang mit der Prüfung der Aussichtslosigkeit eines Verfahrens nicht auf die Vollstreckbarkeit des Urteils abzustellen. So wurde entschieden, die unentgeltliche Prozessführung könne nicht mit der Begründung verweigert werden, das Vaterschaftsurteil gegen einen Algerier würde in Algerien nicht anerkannt und könnte dort nicht vollstreckt werden (BGE 100 Ia 114 f.).

Die gegenteilige Ansicht vertritt Düggelin (Das zivilprozessuale Armenrecht im Kanton Luzern, Zürich 1986, S. 106) mit dem auch von der Vorinstanz betonten Argument, eine vermögende Partei würde bei vernünftiger Überlegung gegen einen zahlungsunfähigen Beklagten keinen Prozess anstrengen.

b) Zwar ist die Auffassung der Vorinstanz grundsätzlich zutreffend, dass es zur Unterbrechung der Verjährung keines Prozesses bedarf; es genügt beispielsweise die Anhebung der Betreibung (Art. 135 Ziff. 2 OR). Ebenso verjähren die in einem Verlustschein verurkundeten Forderungen seit der Revision des SchKG 20 Jahre nach Ausstellung des Verlustscheins (Art. 149a SchKG). Zutreffen mag auch, dass das Risiko des Beweisverlustes mit ungleich kleinerem Aufwand als mit einem Prozess im ordentlichen Verfahren abgewendet werden kann (summarisches Verfahren betreffend Beweissicherung; §§ 170 f. ZPO). Das letztgenannte Argument dürfte aber gerade beim Beweismittel der Zeugen- und/oder Parteiaussage nicht zwingend sein, weil der persönliche Eindruck bei einer Aussage wesentlich sein kann und die Zeugen daher grundsätzlich von dem - im ordentlichen Verfahren zuständigen - Gesamtgericht oder einer Abordnung davon einzuvernehmen sind (§ 213 Abs. 1 ZPO).

Gegen die Berücksichtigung der Vollstreckungsaussichten sprechen denn auch nicht nur Gründe wie die Unterbrechung der Verjährung, die erhebliche Verlängerung der Verjährungsfristen sowie Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Beweismassnahmen, sondern insbesondere auch das Problem der Beurteilung der Vollstreckungsaussichten an sich. Für die Beurteilung der Aussichtslosigkeit des Verfahrens sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Stellung des Gesuchs um Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung massgebend (BGE 101 Ia 37). In jenem Zeitpunkt lässt sich in der Regel nicht abschliessend feststellen, ob sich in naher oder ferner Zukunft - wobei angesichts der Verjährung von Verlustscheinsforderungen von einem Zeitraum von etwa 20 Jahren auszugehen wäre - die beklagte, zur Zeit insolvente Partei nicht doch noch finanziell erholen könnte. Insbesondere bei natürlichen Personen kann in der Regel nicht mit genügender Sicherheit abgeschätzt werden, ob in dieser Zeitspanne nicht Vermögen anfallen kann. Fragen liesse sich höchstens, ob etwa bei juristischen Personen sowie Kollektiv- und Kommanditgesellschaften, welche durch eine Konkurseröffnung aufgelöst werden und nach dem Konkurs untergehen (vgl. Amonn/Gasser, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6.A., § 48 N 31), die Aussichtslosigkeit eines Verfahrens zu bejahen wäre, wenn mit grosser Wahrscheinlichkeit die Vollstreckung der eingeklagten Forderung zu einem Konkursverfahren ohne Dividende führen würde. Diese Frage braucht aber im vorliegenden Fall nicht abschliessend entschieden zu werden.

c) Zusammenfassend kann somit zwar im Einzelfall ausnahmsweise die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung wegen mangelnder Vollstreckbarkeit des Urteils verweigert werden, wenn eine Zwangsvollstreckung auf lange Zeit als völlig aussichtslos gelten muss (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 47.A., § 114 N 7C S. 335); allerdings ist dabei grösste Zurückhaltung zu üben (vgl. Zöller, § 114 N 39). In der Regel kann aber bei der Prüfung der Aussichtslosigkeit nicht auf die Vollstreckbarkeit des Entscheids abgestellt werden, weil es immerhin denkbar ist, dass sich die Gegenpartei finanziell erholt.

Rekurskommission, 18. Mai 1998, ZR 98 29


JavaScript errors detected

Please note, these errors can depend on your browser setup.

If this problem persists, please contact our support.