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RBOG 2003 Nr. 1

Rechtliches Gehör des Gesuchstellers mit Bezug auf Akten des Gesuchsgegners


Art. 29 BV, § 149 ZPO, § 149 ZPO, § 162 ZPO


1. Der Rekurrent hatte im erstinstanzlichen Verfahren zusammen mit seiner Gesuchsantwort fünf Aktenstücke eingereicht. Der Rekursgegnerin waren diese Unterlagen nie zugestellt worden.

2. Die Parteien haben grundsätzlich das Recht, die Beweise vor Fällung des Entscheids zu würdigen (§ 149 ZPO; Art. 29 Abs. 2 BV); bei den Akten liegende oder beim Richter angemeldete, bestimmt bezeichnete Beweismittel können von beiden Parteien benutzt werden (§ 182 Satz 1 ZPO), und der Beweisführer kann ohne Zustimmung der Gegenpartei darauf nicht verzichten (§ 182 Satz 2 ZPO). Insofern rügt die Rekursgegnerin an sich zu Recht, sie habe nie Einsicht in diese erstinstanzlich noch im Recht liegenden Aktenstücke nehmen können. Dadurch verletzte die Vorinstanz ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (zur Heilung dieses Mangels im Rekursverfahren vgl. RBOG 1992 Nr. 35; Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, Bern 2000, Rechtsmittel, Allgemeines N 13 mit Hinweisen, § 162 N 5). Die Rekursinstanz kann eine Partei zur Edition zweitinstanzlich nicht mehr eingereichter Akten nur mit der Androhung zwingen, andernfalls werde auf die Vorbringen der Gegenpartei abgestellt; eine solche Androhung ist zwecklos, wenn die betroffene Partei nicht nur auf die Wiedereinreichung dieser Akten verzichtet, sondern auch gleich die mit diesen Akten verbundene Argumentation hier die Verrechnungseinrede - fallen lässt. Es entspricht im summarischen Verfahren gestützt auf § 25 der Verordnung des Obergerichts über die Organisation und die Geschäftsführung der unteren gerichtlichen Behörden steter Praxis, dass die gesuchstellende Partei dann, wenn nur ein Schriftenwechsel durchgeführt wird (vgl. § 162 Abs. 1 ZPO), von den Vorbringen der Gegenseite sowie von den von ihr eingereichten Unterlagen erst zusammen mit dem Entscheid Kenntnis erhält, und dass die von den Parteien eingereichten Akten diesen nach Beendigung des erstinstanzlichen Verfahrens wieder retourniert werden. Die Parteien werden deshalb im Rekursverfahren jeweils aufgefordert, die vor Vorinstanz ins Recht gelegten Akten erneut einzureichen (Merz, § 238 ZPO N 5). Dieses Vorgehen darf jedoch nicht zur Folge haben, dass der Gesuchsteller die vom Gesuchsgegner vorgelegten Unterlagen nicht kennt. Deshalb müssen die Gerichtspräsidien im summarischen Verfahren gewährleisten, dass die gesuchstellende Partei von den vom Gesuchsgegner eingereichten Dokumenten spätestens zusammen mit dem Entscheid Kenntnis erhält, sei dies mittels Zusendung vor der Retournierung dieser Parteiakten, sei dies durch Zustellung von entsprechenden Kopien.

Obergericht, 8. September 2003, BR.2003.68


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