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RBOG 2011 Nr. 20

Rechtsmittel gegen den Entscheid betreffend Feststellung neuen Vermögens, Voraussetzungen; Bestätigung von RBOG 1998 Nr. 14


Art. 265 a Abs. 1 SchKG


1. Erhebt der Schuldner Rechtsvorschlag mit der Begründung, er sei nicht zu neuem Vermögen gekommen, legt das Betreibungsamt den Rechtsvorschlag dem Richter des Betreibungsorts vor. Dieser hört die Parteien an und entscheidet; gegen den Entscheid ist kein Rechtsmittel zulässig[1]. Die bis Ende 2010 geltende Fassung von Art. 265a Abs. 1 Satz 1 SchKG stimmte mit diesem Wortlaut überein. In Satz 2 fehlte damals der Zusatz, es sei kein Rechtsmittel zulässig; der Entscheid wurde lediglich als endgültig bezeichnet.

2. a) In RBOG 1998 Nr. 14 wurde unter Hinweis auf RBOG 1997 Nr. 20 und Nr. 22 festgehalten, mit Bezug auf die Feststellung neuen Vermögens bestehe keine Rechtsmittelmöglichkeit. Dies gelte aber nur für jene Fälle, in welchen der Summarrichter entweder im Sinn von Art. 265a Abs. 2 SchKG den Rechtsvorschlag bewilligt oder ihn nicht bewilligt habe. Wenn der Richter mangels formeller Voraussetzungen zur Geltendmachung der Einrede des fehlenden neuen Vermögens eine Abschreibungsverfügung ohne Anspruchsprüfung (Nichteintreten, Gegenstandslosigkeit, Anerkennung oder Rückzug) erlassen habe, sei hingegen das Rechtsmittel des Rekurses gegen den erstinstanzlichen Entscheid zulässig. Gleiches gelte, wenn der Entscheid lediglich mit Bezug auf die Kosten- und Entschädigungsregelung angefochten werde[2].

Nach der Rechtsprechung des Obergerichts Zürich gab es kein kantonales Rechtsmittel, wenn ein materieller Entscheid erging, der in der Folge mit der Klage auf Feststellung neuen Vermögens gemäss Art. 265a Abs. 4 SchKG angefochten werden konnte; gegen Abschreibungsverfügungen ohne Anspruchsprüfung und soweit Kosten- und Entschädigungsfolgen angefochten wurden, war hingegen die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde zulässig[3]. Gestützt auf den Artikel von Gut/Rajower/Sonnenmoser entschied im gleichen Sinn das Obergericht Obwalden und öffnete gegen Nichteintretensentscheide die kantonale Kassationsbeschwerde[4]. Das Kantonsgericht Schwyz kam zum selben Schluss: Wenn Art. 265a Abs. 1 SchKG von der Endgültigkeit des Entscheids spreche, könne diese Endgültigkeit nur den Entscheid in der Sache, d.h. die Nichtbewilligung oder die Bewilligung des mit fehlendem neuen Vermögen begründeten Rechtsvorschlags, betreffen; werde das Verfahren hingegen nicht durch einen Entscheid in der Sache, sondern gestützt auf das kantonale Verfahrensrecht mit einem Nichteintretensentscheid erledigt, finde die kantonale Rechtsmittelordnung uneingeschränkt Anwendung, und es sei der Rekurs zulässig[5]. Auch der Kanton Neuenburg liess einen Rekurs gegen einen im Zusammenhang mit Art. 265a SchKG gefällten Nichteintretensentscheid zu[6].

Diese kantonale Rechtsprechung führte dazu, dass Bauer im Ergänzungsband zum Basler Kommentar[7] festhielt, der Entscheid, den der Richter gemäss Art. 265a Abs. 1 Satz 2 "endgültig" fälle, beziehe sich nur auf die Frage des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins von neuem Vermögen. Für andere Fragen schliesse Satz 2 den Weiterzug an eine obere kantonale Instanz nicht aus. Dies gelte insbesondere hinsichtlich der formellen Voraussetzungen für die Einrede des fehlenden neuen Vermögens.

b) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung führt die Regelung in Art. 265a Abs. 1 SchKG zu einem Ausschluss sämtlicher ordentlicher und ausserordentlicher Rechtsmittel des kantonalen Rechts; indes beschneidet sie den Rechtsschutz der Parteien nicht, da diese das ordentliche Verfahren gemäss Art. 265a Abs. 4 SchKG einleiten können[8]. Das Bundesgericht betonte in BGE 134 III 524 ff., die Lehre betrachte das zweite ordentliche Verfahren als eine Art Fortsetzung des Summarverfahrens oder als zweite Stufe desselben Verfahrens, in welcher der Richter die Funktion einer zweiten Instanz übernehme; im Ergebnis diene die Klage auf Bestreitung oder Feststellung neuen Vermögens somit als Rechtsbehelf zur Überprüfung des Entscheids über die Bewilligung oder Nichtbewilligung des Rechtsvorschlags und erfülle im Verhältnis zum vorausgegangenen Summarentscheid über den Rechtsvorschlag die Funktion eines Rechtsmittels[9]. Soweit eine bestimmte Rüge durch den Entscheid im ordentlichen Verfahren nach Art. 265a Abs. 4 SchKG behandelt und ein allfälliger Mangel behoben werden könne, sei die gesonderte Anfechtung des Summarentscheids mit der Voraussetzung der Letztinstanzlichkeit unvereinbar; dies gelte indessen nicht für die Rüge von Verletzungen des rechtlichen Gehörs, könne doch die Klage auf Feststellung neuen Vermögens nach Art. 265a Abs. 4 SchKG in einem nunmehr abgeschlossenen Verfahren begangene Gehörsverletzungen nicht heilen[10]. Damit steht fest, dass in den Fällen, in welchen es aufgrund des erstinstanzlichen Entscheids ein zweites Verfahren gar nicht geben kann, die Verfassungsbeschwerde zur Verfügung stehen muss.

3. Der Wortlaut von Art. 265a Abs. 1 SchKG wurde per 1. Januar 2011 geändert. In der früheren Fassung war davon die Rede, der Richter höre die Parteien an und entscheide endgültig; aktuell wird festgehalten, gegen den Entscheid, in welchem über das Vorhandensein von neuem Vermögen befunden worden sei, sei kein Rechtsmittel zulässig. Aufgrund des geänderten Wortlauts allein kann nicht geschlossen werden, die bisherige Praxis, in eingeschränktem Umfang – gegen Abschreibungsentscheide ohne Anspruchsprüfung und zur Anfechtung der Kosten- und Entschädigungsregelung – ein kantonales Rechtsmittel gegen den erstinstanzlichen Entscheid zuzulassen, habe keine Geltung mehr. Den Materialien zur Änderung von Art. 265a SchKG lässt sich nicht entnehmen, dass tatsächlich eine materielle Änderung bezweckt wurde; vielmehr lassen diese Materialien (beziehungsweise deren Fehlen) eher den Schluss zu, es habe sich um eine blosse redaktionelle Änderung gehandelt, deren genauer Sinn allerdings im Dunkeln bleibt[11].

Denkbar ist immerhin, dass der Grund für die redaktionelle Änderung von Art. 265a SchKG in der Verwendung des Wortes "endgültig" in der ZPO lag: Dieses Wort kommt in der ZPO im Zusammenhang mit Rechtsmitteln nur zweimal vor, nämlich in Art. 149 und in Art. 390. In beiden Fällen wird grundsätzlich - allerdings wohl von gewissen Ausnahmen abgesehen - auch die Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht ausgeschlossen[12]. Da eine Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht bei Art. 265a SchKG gerade nicht ausgeschlossen werden wollte, könnte dies erklären, weshalb das "endgültig" in Art. 265a SchKG bewusst durch einen anderen Wortlaut ersetzt wurde.

Jedenfalls lässt auch der geänderte Wortlaut von Art. 265a Abs. 1 SchKG nach wie vor ohne weiteres den Schluss zu, mit "entscheidet" sei in dieser Bestimmung nur der Entscheid in der Sache, d.h. die Nichtbewilligung oder die Bewilligung des mit fehlendem neuen Vermögen begründeten Rechtsvorschlags, gemeint, und in den übrigen Fällen, wenn das Verfahren nicht durch einen Entscheid in der Sache erledigt werde, bestehe eine Beschwerdemöglichkeit.

Huber weist im Basler Kommentar[13] einzig darauf hin, Art. 265a Abs. 1 SchKG schliesse ausserordentliche Rechtsmittel des kantonalen Rechts und damit auch eine Beschwerde nach ZPO aus; angesichts der Möglichkeit beider Parteien, den Entscheid in der Klage gemäss Abs. 4 umzustossen, die den gleichen Prozessgegenstand habe, sei dieser Ausschluss gerechtfertigt. Zur auf Abschreibungsentscheiden ohne Anspruchsprüfung und auf die Kosten- und Entschädigungsfrage eingeschränkten Rechtsmittelmöglichkeit nimmt er nicht Stellung; er setzt sich weder mit der von seiner Auffassung abweichenden bisherigen Praxis einzelner Kantone noch mit der 2005 im Ergänzungsband zum Basler Kommentar geäusserten Meinung auseinander.

Gründe, eine Änderung der Rechtsprechung herbeizuführen, bestehen nicht. Die Problematik ist nach wie vor – trotz leicht veränderten Wortlauts von Art. 265a SchKG – dieselbe, so dass es sich rechtfertigt, nach wie vor im Bereich von Art. 265a Abs. 1 SchKG eine Beschwerde an das Obergericht zuzulassen, wenn der erstinstanzliche Richter mangels formeller Voraussetzungen zur Geltendmachung der Einrede des fehlenden neuen Vermögens einen Abschreibungsentscheid ohne Anspruchsprüfung (Nichteintreten, Gegenstandslosigkeit, Anerkennung oder Rückzug) erlässt, oder wenn sein Entscheid lediglich mit Bezug auf die Kosten- und Entschädigungsregelung angefochten wird. Das gilt insbesondere auch, da es kaum sinnvoll ist, in solchen Fällen als einziges Rechtsmittel die Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht zur Verfügung zu stellen, zumal der allfällige Gegenstand eines solchen Rechtsmittelverfahrens im Regelfall erfahrungsgemäss als Bagatelle gelten muss.

4. Damit ist die Beschwerde nach Art. 319 ff. ZPO zulässig.

Obergericht, 1. Abteilung, 31. August 2011, ZR.2011.56


[1] Art. 265a Abs. 1 SchKG, in Kraft seit 1. Januar 2011

[2] RBOG 1998 Nr. 14 S. 118 Abs. 2, mit Hinweis auf Gut/Rajower/Sonnenmoser, Rechtsvorschlag mangels neuen Vermögens, in: AJP 1998 S. 535, sowie Walder/Jent-Sørensen, Tafeln zum Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, 6.A., S. 102

[3] ZR 103, 2004, Nr. 7 S. 23

[4] AbR 1998/99 Nr. 36

[5] EGV-SZ 1999 Nr. 39, bestätigt in EGV-SZ 2007 A.6.4

[6] Entscheid des Kantonsgerichts Neuenburg vom 25. Januar 2011, CCC.2010.120, Erw. 3; a.M. AGVE 2008 Nr. 1 S. 27 sowie Gasser, Nachlassverfahren, Insolvenzerklärung und Feststellung des neuen Vermögens nach rev.SchKG, in: ZBJV 132, 1996, S. 19

[7] Basel 2005, Art. 265a SchKG, ad N 31

[8] Pra 95, 2006, Nr. 68 S. 492

[9] BGE 131 I 29 f.

[10] BGE 126 III 112

[11] Die Änderung wurde schon im Vorentwurf zur ZPO vorgeschlagen, doch weder dem Bericht zum Vorentwurf noch der Botschaft des Bundesrates lässt sich entnehmen, weshalb diese Änderung beantragt wurde. In den parlamentarischen Beratungen fiel dazu kein Votum.

[12] Gasser/Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung, Zürich/St. Gallen 2010, Art. 149 N 2; Jenny, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Gehri/Kramer), Zürich 2010, Art. 149 N 2; Merz, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Brunner/Gasser/Schwander), Zürich/St. Gallen 2011, Art. 149 N 6; differenzierend Gozzi, Basler Kommentar, Art. 149 ZPO N 10 ff.; Gasser/Rickli, Art. 390 ZPO N 2; Gehri, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Gehri/Kramer), Zürich 2010, Art. 390 N 1; Rohner/Lazopoulos, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Brunner/Gasser/Schwander), Zürich/St. Gallen 2011, Art. 390 N 3; Mráz, Basler Kommentar, Art. 390 ZPO N 18

[13] 2.A., Art. 265a SchKG N 31

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