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RBOG 2011 Nr. 29

Keine Beschwerdelegitimation von Reflexgeschädigten


Art. 104 f StPO, Art. 115 StPO, Art. 382 Abs. 1 StPO, Art. 30 e Abs. 1 USG, Art. 61 Abs. 1 lit. g USG


1. Gemäss Art. 310 StPO verfügt die Staatsanwaltschaft die Nichtanhandnahme, sobald aufgrund der Strafanzeige oder des Polizeirapports feststeht, dass die fraglichen Straftatbestände oder die Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind, Verfahrenshindernisse bestehen oder aus den in Art. 8 StPO genannten Gründen auf eine Strafverfolgung zu verzichten ist.

Die Nichtanhandnahmeverfügung kann mit Beschwerde angefochten werden[1].

2. a) Nach Art. 382 Abs. 1 StPO kann jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheids hat, ein Rechtsmittel ergreifen.

b) aa) Parteien sind nach Art. 104 StPO die beschuldigte Person, die Privatklägerschaft, im Haupt- und Rechtsmittelverfahren die Staatsanwaltschaft sowie Behörden, die öffentliche Interessen zu wahren haben und denen das Bundesrecht oder das kantonale Recht volle oder beschränkte Parteirechte einräumt. Art. 105 Abs. 1 StPO nennt als "andere Verfahrensbeteiligte" die geschädigte Person, die Person, die Anzeige erstattet, die Zeugin oder den Zeugen, die Auskunftsperson, die oder den Sachverständigen sowie die durch Verfahrenshandlungen beschwerten Dritten. Werden diese Verfahrensbeteiligten in ihren Rechten unmittelbar betroffen, so stehen ihnen gestützt auf Art. 105 Art. 2 StPO die zur Wahrung ihrer Interessen erforderlichen Verfahrensrechte einer Partei zu.

bb) Jede Person ist berechtigt, Straftaten bei einer Strafverfolgungsbehörde schriftlich oder mündlich anzuzeigen[2]. Wurde die Person, die Anzeige erstattet, durch die angezeigte Straftat in ihren Rechten unmittelbar verletzt, so ist sie geschädigte Person im Sinn von Art. 115 Abs. 1 StPO. Erklärt die geschädigte Person ausdrücklich, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin zu beteiligen, ist sie Privatklägerin im Sinn von Art. 118 StPO und kann als solche Parteirechte geltend machen. Andernfalls ist sie bloss Verfahrensbeteiligte, und es stehen ihr Verfahrensrechte nur zu, wenn sie durch das Strafverfahren in besonderer Weise betroffen wird, wie etwa, wenn sie Eigentümerin beschlagnahmter Beweismittel ist[3]. Gemäss Art. 301 Abs. 2 StPO hat die Strafverfolgungsbehörde der anzeigenden Person auf deren Anfrage allerdings mitzuteilen, ob ein Strafverfahren eingeleitet und wie es erledigt wurde. Die Tatsache allein, dass eine Person Anzeige erstattet hat, verschafft somit keine besondere Rechtsposition, was Art. 301 Abs. 3 StPO der Klarheit halber festhält[4]. Der blosse Anzeigeerstatter bleibt also stets Verfahrensbeteiligter ohne Parteirechte, ist mithin auch von der Beschwerdeführung ausgeschlossen.

c) aa) Der Beschwerdeführer leitet seine Beschwerdelegitimation aus der ihm vom Beschwerdegegner angeblich zugefügten Schädigung ab. Also kommt es entscheidend darauf an, ob der Beschwerdeführer im Sinn von Art. 115 Abs. 1 StPO durch die vermeintliche Straftat des Beschwerdegegners in seinen Rechten unmittelbar verletzt wurde.

bb) Die Voraussetzung der unmittelbaren Rechtsverletzung knüpft an den Rechtsgutsbegriff an. Unmittelbar verletzt ist nach herrschender Auffassung der Träger des durch die verletzte Strafnorm (mit)geschützten Rechtsguts, wer also unter den Schutzbereich der verletzten Strafnorm fällt[5].

cc) Wenn eine Strafnorm in erster Linie allgemeine Interessen schützt, so gilt ebenfalls als geschädigte Person diejenige, deren private Interessen unmittelbar (mit)beeinträchtigt werden[6]. Eine Beeinträchtigung von bloss allgemeinen Interessen genügt nicht, um die Geschädigteneigenschaft zu begründen. In diesem Sinn reicht somit das verbreitete (und an sich berechtigte) Interesse der Bürger, dass strafrechtliche Verstösse verfolgt und Straftäter bestraft werden, damit die soziale Geltung der verletzten Norm bestätigt wird, nicht aus. Der Kreis der Geschädigten würde sonst ins Endlose wachsen, da im Prinzip alle Bürger irgendwie am Ausgang jedes Strafverfahrens interessiert sein können. Nicht geschädigt im Sinn von Art. 115 Abs. 1 StPO sind aber bereits auch Personen, denen aus dem Strafverfahren bloss indirekt materielle oder immaterielle Vorteile erwachsen können, deren Rechtsposition jedoch nicht in den Schutzbereich der verletzten Strafnorm miteinbezogen ist[7]. Bloss mittelbar verletzt sind Dritte, die durch die Straftat nur deshalb wirtschaftlich beeinträchtigt sind, weil sie in einer besonderen Beziehung zum Träger des verletzten Rechtsguts stehen (sogenannte Reflexgeschädigte)[8]. Diesfalls ist der Nachteil nicht unmittelbar, das heisst, er ergibt sich nicht aus der tatbestandsmässigen Handlung selbst, sondern erst aus vermittelnden Faktoren, wie dies etwa bei Schadenersatzpflichten (von Versicherungen) aus Gesetz oder Vertrag der Fall ist[9].

d) aa) Art. 30e Abs. 1 USG schreibt vor, dass Abfälle nur auf Deponien abgelagert werden dürfen. Abfälle im Sinn des USG sind bewegliche Sachen, deren sich der Inhaber entledigt oder deren Entsorgung im öffentlichen Interesse geboten ist[10]. Als Ablagerung gilt das endgültige Unterbringen von Abfällen in nicht mehr geringfügigem Umfang. Dies ist gegeben, sobald bewegliche Sachen in einer Weise abgestellt oder zurückgelassen werden, welche nach den Umständen und den Verkehrsanschauungen erkennen lässt, dass die Sachen sich selber überlassen bleiben sollen. Als Ablagern lässt sich eine Handlung nur qualifizieren, wenn Gegenstände so platziert, gestapelt oder angehäuft werden, dass im Ergebnis von einem Lager oder Depot gesprochen werden kann[11]. Wer vorsätzlich Abfälle ausserhalb von bewilligten Deponien ablagert, wird gestützt auf Art. 61 Abs. 1 lit. g USG mit Busse bis zu Fr. 20'000.00 bestraft; handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Busse[12].

bb) Zweck des USG ist der Schutz von Menschen, Tieren und Pflanzen, ihren Lebensgemeinschaften und Lebensräumen gegen schädliche oder lästige Einwirkungen sowie der dauerhafte Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere der biologischen Vielfalt und der Fruchtbarkeit des Bodens[13]. Das Umweltstrafrecht schützt die vom Umweltrecht geschützten Rechtsgüter[14], wobei die Strafbestimmungen des USG als Nebenstrafrecht eine Vielzahl von Verhaltensnormen des USG in Ergänzung zum Verwaltungszwang strafrechtlich absichern. Nicht Angriffe auf einzelne geschützte Rechtsgüter oder auf die Biosphäre insgesamt werden mit Strafe bedroht, sondern die Verletzung der mit Strafe bewehrten Verhaltensnormen des USG[15].

cc) Bei Umweltdelikten sind die einzelnen Bürger in ihren Rechten – wenn überhaupt – nur mittelbar verletzt und können daher nicht als geschädigte Personen anerkannt werden[16]. Ziel der Strafnorm von Art. 61 Abs. 1 lit. g USG, welche mit der blossen Tätigkeit, der Ablagerung des Abfalls auf der nicht bewilligten Deponie erfüllt ist, ist die Verhinderung der irgendwo in der Landschaft entstehender "wilden" Müllhaufen. Es geht darum, die Bewilligungspflicht und somit die kantonale Planung für Deponien zu schützen, dadurch, dass der Benutzer der unbewilligten Deponie der Strafdrohung unterliegt[17]. Damit schützt die zum Schutz von Universalrechtsgütern bestimmte Strafnorm Individualinteressen nicht einmal nebenbei[18].

e) aa) Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers fällt das Interesse einer Person, nicht neben einer unbewilligten Deponie beziehungsweise neben abgelagerten Abfällen wohnen zu müssen, somit nicht unter den Schutzbereich von Art. 61 Abs. 1 lit. g USG. Das Interesse des Beschwerdeführers an der Entfernung der Gegenstände geht deshalb unter dem Gesichtspunkt des Umweltstrafrechts nicht über dasjenige der Allgemeinheit hinaus. Zwar hat der Beschwerdeführer als Mieter der Liegenschaft allenfalls einen obligatorischen Anspruch auf Beseitigung des Materials auf dem vermieteten Grundstück (oder auch der angrenzenden Liegenschaft), wenn dieses Material die von Art. 256 Abs. 1 OR geforderte Gebrauchstauglichkeit der Mietsache beeinträchtigt[19]; damit aber liegt kein unmittelbarer, von der Strafnorm geschützter Nachteil vor, der sich aus der tatbestandsmässigen Handlung selbst ergäbe.

bb) Es ist allenfalls denkbar, dass demjenigen, welcher durch ein Umweltdelikt in schwere Gefahr gebracht wurde, eine Parteistellung zuzuerkennen ist[20]. Wie es sich damit verhält, ist hier aber nicht zu prüfen, denn von einer solchen Gefährdung ist nicht auszugehen, zumal das Amt für Umwelt festhielt, aus den vorgefundenen Bauabfällen könne keine Umweltverschmutzung entstehen und auf eine sofortige Räumung könne deshalb verzichtet werden.

f) Zusammenfassend ist auf die Beschwerde somit mangels Legitimation nicht einzutreten.

Obergericht, 2. Abteilung (Einzelrichter), 24. November 2011, SW.2011.137


[1] Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO; Omlin, Basler Kommentar, Art. 310 StPO N 26

[2] Art. 301 Abs. 1 StPO

[3] Riedo/Falkner, Basler Kommentar, Art. 301 StPO N 22; Küffer, Basler Kommentar, Art. 105 StPO N 12

[4] Riedo/Falkner, Art. 301 StPO N 23

[5] Mazzucchelli/Postizzi, Basler Kommentar, Art. 115 StPO N 21

[6] Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, Zürich/St. Gallen 2009, Art. 115 N 3; Beispiele bei Schmid, Strafprozessrecht, 4.A., N 508

[7] Mazzucchelli/Postizzi, Art. 115 StPO N 25

[8] Mazzucchelli/Postizzi, Art. 115 StPO N 28

[9] Hauser/Schweri/Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6.A., § 38 N 3; Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2.A., N 583; Droese, Die Akteneinsicht des Geschädigten in der Strafuntersuchung vor dem Hintergrund zivilprozessualer Informationsinteressen, Diss. Zürich 2008, S. 11 f.

[10] Art. 7 Abs. 6 USG

[11] Tschannen, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, 2.A., Art. 30e N 9

[12] Art. 61 Abs. 2 USG

[13] Art. 1 Abs. 1 USG

[14] Ettler, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, 2.A., Vorbemerkungen zu Art. 60-62 N 1

[15] Ettler, Vorbemerkungen zu Art. 60-62 USG N 6

[16] Mazzucchelli/Postizzi, Art. 115 StPO N 92

[17] Vgl. Alkalay, Umweltstrafrecht im Geltungsbereich des USG, Zürich 1992, S. 134 ff.

[18] Vgl. analog bezüglich einfacher Verkehrsregelverletzung (Art. 90 Ziff. 1 SVG) SGGVP 2001 Nr. 73 sowie ZR 73, 1974, Nr. 53

[19] Higi, Zürcher Kommentar, Art. 256 OR N 37

[20] Vgl. Mazzuchelli/Postizzi, Art. 115 StPO N 92

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