ZR.2025.16 (zur Publikation im RBOG 2025 vorgesehen)
Berechnung des notwendigen Zeitaufwands für eine angemessene Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsvertretung
Art. 122 Abs. 1 lit. a ZPO § 1 Abs. 2 aAnwT (Stand vom 01.01.2011) § 13 Abs. 1 aAnwT (Stand vom 01.01.2011)
Zusammenfassung des Sachverhalts:
1.
Die Ehegatten reichten ein gemeinsames Scheidungsbegehren ein. Gleichzeitig ersuchte die Ehefrau um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege mit Rechtsverbeiständung ab 6. Dezember 2024. Nachdem der Ehemann das gemeinsame Scheidungsbegehren zurückgezogen hatte, reichte die Rechtsvertreterin der Ehefrau dem Bezirksgericht ihre Honorarnote in der Höhe von Fr. 4'809.15 ein und erläuterte diese mit ergänzenden Ausführungen.
2.
Das Bezirksgericht schützte das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege mit Rechtsverbeiständung und setzte die Rechtsvertreterin der Ehefrau ab 6. Dezember 2024 als Offizialanwältin ein. Es entschädigte sie mit Fr. 2'428.95, einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer.
3.
Die Rechtsvertreterin der Ehefrau gelangte an das Obergericht und beantragte, sie sei für ihre Aufwendungen vor Vorinstanz mit Fr. 4'809.15 zu entschädigen.
Aus den Erwägungen:
[…]
3.
3.1.
3.1.1.
Prozesskosten sind gemäss Art. 95 Abs. 1 ZPO die Gerichtskosten und die Parteientschädigung. Als Parteientschädigung gilt gemäss Art. 95 Abs. 3 ZPO der Ersatz notwendiger Auslagen (lit. a), die Kosten einer berufsmässigen Vertretung (lit. b) und in begründeten Fällen eine angemessene Umtriebsentschädigung, wenn eine Partei nicht berufsmässig vertreten ist (lit. c). Unnötige Prozesskosten hat dabei gemäss Art. 108 ZPO zu bezahlen, wer sie verursacht hat.
Hat eine Person gemäss Art. 117 ZPO Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, umfasst diese die Befreiung von Vorschuss- und Sicherheitsleistungen (lit. a), die Befreiung von den Gerichtskosten (lit. b) und die gerichtliche Bestellung einer Rechtsbeiständin oder eines Rechtsbeistands, wenn dies zur Wahrung der Rechte notwendig ist, insbesondere wenn die Gegenpartei anwaltlich vertreten ist, wobei die Rechtsbeiständin oder der Rechtsbeistand bereits zur Vorbereitung des Prozesses bestellt werden kann[1]. Art. 122 Abs. 1 lit. a ZPO sieht die angemessene Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin oder des unentgeltlichen Rechtsbeistands vor. Was als angemessen gilt, ist gesetzlich nicht umschrieben und wird durch die Kantone bestimmt[2]. Damit ist hinzunehmen, dass gerichtlich bestellte Rechtsvertretungen in den einen Kantonen nach dem Anwaltsgebührentarif voll entschädigt werden, während es andere Kantone bei reduzierten Entschädigungen bewenden lassen[3].
3.1.2.
Im Kanton Thurgau regelt die Verordnung des Obergerichts über den Anwaltstarif für Zivil- und Strafsachen[4] die Gebühren der Rechtsanwälte für die Parteivertretung in Zivil- und Strafsachen vor den staatlichen Gerichten und den Strafverfolgungsbehörden[5]. Für die vor dem 1. Januar 2025 hängigen Verfahren gelten die bisherigen Bestimmungen bis zum Abschluss vor der betroffenen Instanz[6]. Innerhalb des tarifarischen Rahmens bemisst sich die Gebühr gemäss § 1 Abs. 2 aAnwT nach dem notwendigen Zeitaufwand, der Bedeutung und der Schwierigkeit der Sache. Wo nicht ohne Weiteres auf den Streitwert abgestellt oder dieser nicht leicht ermittelt werden kann, ist nach § 11 aAnwT bei der Festlegung der Gebühr vom Aufwand und üblichen Ansätzen auszugehen. Der Offizialanwalt beziehungsweise die Offizialanwältin in Zivilsachen wird mit 80% der ordentlichen Ansätze entschädigt, sofern nicht die Verfahrensleitung bei Erteilung des Mandats bestimmt, dass die Entschädigung nach dem notwendigen Aufwand erfolgt[7]. Diesfalls beträgt der Honoraransatz Fr. 200.00[8].
3.1.3.
Unentgeltlichen Rechtsbeiständen ist nur derjenige Aufwand angemessen zu entschädigen, der mit der eigentlichen Interessenwahrung im Rahmen einer konkreten Streitigkeit zusammenhängt sowie notwendig und verhältnismässig ist[9]. Hierzu gehört auch der Aufwand für die Nachbearbeitung wie namentlich das Studium des Hauptsachenentscheids und dessen Besprechung mit der Klientschaft[10]. Es geht dabei um rechtliche und nicht um persönliche Betreuung[11]. Nicht ersetzt werden deshalb Aufwendungen, bei denen zum vornherein klar ist, dass sie in keinem Zusammenhang mit der Führung des Verfahrens stehen wie moralische Unterstützung, allgemeine Lebenshilfe, psychologische Betreuung der vertretenen Partei oder Übersetzungsarbeiten[12]. Der unentgeltliche Rechtsbeistand hat in seiner Kostennote den Stundenaufwand und seine Auslagen anzugeben. Zweifelt das Gericht an den Angaben, ist dem unentgeltliche Rechtsbeistand Gelegenheit zur eingehenden, detaillierten Begründung seines Aufwands zu geben, bevor allenfalls die Kostennote mit kurzer Begründung gekürzt wird[13]. Eine Kürzung der Honorarnote hat das Gericht zu erläutern, indem es kurz, aber bestimmt ausweist, welche der Aufwandpositionen inwiefern ungerechtfertigt sind und daher ausser Betracht bleiben müssen[14]. Bei der Bemessung der Entschädigung nach dem jeweiligen kantonalen Tarif sind Art, Wichtigkeit und Schwierigkeit der Streitsache, Umfang der Arbeitsleistung und Zeitaufwand massgebend. Daneben sind die nötigen Auslagen und die Mehrwertsteuer zu ersetzen. Das Honorar ist dabei stets so festzusetzen, dass die unentgeltliche Rechtsvertretung über den Handlungsspielraum verfügt, den sie zur wirksamen Ausübung des Mandats benötigt[15].
[…]
3.2.
Zur Rüge der Beschwerdeführerin, die Vorinstanz wende mit dem Leitfaden für amtliche Mandate der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom 1. Januar 2016 eine Regelung an, welche nicht die ausreichende Normstufe habe und keine ausreichende Grundlage für eine Kürzung der amtlichen Entschädigung darstelle, ist zunächst festzuhalten, dass die Vorinstanz diesen Leitfaden dem Entscheid nicht als anwendbares Recht zugrunde legt, sondern ihn nur vergleichsweise beizieht, um den notwendigen Aufwand vom nicht notwendigen und nicht zu entschädigenden Aufwand abzugrenzen und ihn deshalb auch nur vergleichsweise und als mögliches Beispiel in einer Fussnote aufführt. In der Folge benennt die Vorinstanz dann konkrete Positionen, welche sie aus unterschiedlichen, klar deklarierten und begründeten Überlegungen kürzt.
Dieses Vorgehen ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Jedoch ist zu beachten, dass sich der Zürcher Leitfaden an Anwender im strafrechtlichen Bereich wendet, in welchem die Oberstaatsanwaltschaft gegenüber den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten weisungsbefugt ist, wogegen vorliegend der notwendige anwaltliche Aufwand in einem Ehescheidungsverfahren zu beurteilen ist. Weiter stützt sich der Zürcher Leitfaden unter anderem auf die Anwaltsgebührenverordnung des Kantons Zürich, welche anders ausgestaltet und jedenfalls im Kanton Thurgau aufgrund des Territorialitätsprinzips nicht anwendbar ist. Im Ergebnis verbietet sich eine strikte Anwendung dieses Leitfadens im Sinn einer anwendbaren Verordnung, jedoch spricht – mangels vergleichbarer Richtlinie im Kanton Thurgau – aktuell nichts dagegen, diesen Leitfaden – genauso wie andere Richtlinien anderer Kantone – zur Meinungsbildung in Bezug auf einzelne Punkte beratend beizuziehen. Es ist aber – wie ausgeführt – hinzunehmen, dass gerichtlich bestellte unentgeltliche Rechtsvertretungen in den verschiedenen Kantonen unter Anwendung des jeweils geltenden Anwaltsgebührentarifs unterschiedlich entschädigt werden.
3.3.
Die Vorinstanz setzte die Beschwerdeführerin mit angefochtenem Entscheid antragsgemäss ab 6. Dezember 2024 als Offizialanwältin ein und forderte die Rechtsvertreter beider Parteien am 23. April 2025 auf, ihre etwaigen detaillierten Honorarnoten einzureichen, was die Beschwerdeführerin am 5. Mai 2025 tat. Es war somit sowohl der Vorinstanz als auch den beiden unentgeltlichen Rechtsvertretern klar, dass in Anwendung von § 11 aAnwT von einer Entschädigung nach Aufwand und damit der Anwendung der üblichen Ansätze auszugehen war. Die Gebührenlogik gemäss § 4 aAnwT für personen- und familienrechtliche Prozesse fand damit keine Anwendung und es hatte – unbestrittenermassen – eine Entschädigung für den notwendigen Aufwand zu einem Honoraransatz von Fr. 200.00 zu erfolgen.
3.4.
Gemäss Art. 119 Abs. 4 ZPO kann die unentgeltliche Rechtspflege ausnahmsweise rückwirkend bewilligt werden. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass ihre Wirkungen grundsätzlich erst ab Einreichung des Gesuchs eintreten[16].
Die Vorinstanz hat die Beschwerdeführerin, wie von ihr beantragt, ab dem 6. Dezember 2024 als Offizialanwältin eingesetzt. Eine Rückwirkung war nicht vorgesehen. Die beiden in der Honorarnote der Beschwerdeführerin enthaltenen Aufwendungen vom 1. November 2024 von insgesamt 40 Minuten sind somit zeitlich von der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung nicht erfasst und daher nicht zu entschädigen. Dies akzeptiert die Beschwerdeführerin ausdrücklich, auch wenn sie im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nochmals dieselbe Honorarrechnung geltend macht und dasselbe Honorar beantragt, wie sie dies vor Vorinstanz tat.
3.5.
3.5.1.
Nach dem klaren Wortlaut von § 13 Abs. 1 aAnwT wird zudem der notwendige Zeitaufwand entschädigt. Bezogen auf die Notwendigkeit ist der anwaltliche Aufwand gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung indessen stets nur insoweit von Belang, als er vernünftigerweise zur pflichtgemässen Erfüllung der Aufgabe erforderlich gewesen ist. Ein übertriebener Aufwand sowie unnötige oder offensichtlich aussichtslose Bemühungen begründen keinen Anspruch auf Entschädigung, auch wenn der anwaltlichen Vertretung aufgrund ihrer Verantwortung für eine sorgfältige Auftragserfüllung ein gewisser eigener Beurteilungsspielraum in Bezug auf die Art ihrer Mandatsführung zugestanden wird[17].
Die Honorarnote weist verschiedene Positionen aus, die sich einerseits auf die Ausübung des Besuchsrechts und andererseits auf ein Strafverfahren betreffend Drohungen beziehen. Es ist zu prüfen, in wieweit diese Positionen im Rahmen des vorliegenden Scheidungsverfahrens in Rechnung gestellt werden können.
3.5.2.
3.5.2.1.
Hat das Gericht, das für die Ehescheidung oder den Schutz der ehelichen Gemeinschaft zuständig ist, die Beziehungen der Eltern zu den Kindern zu gestalten, so trifft es gemäss Art. 315a Abs. 1 ZGB auch die nötigen Kindesschutzmassnahmen und betraut die Kindesschutzbehörde mit dem Vollzug. Die Kindesschutzbehörde bleibt jedoch befugt, ein vor dem gerichtlichen Verfahren eingeleitetes Kindesschutzverfahren weiterzuführen und die zum Schutz des Kindes sofort notwendigen Massnahmen anzuordnen, wenn sie das Gericht voraussichtlich nicht rechtzeitig treffen kann[18].
3.5.2.2.
Die Eheleute einigten sich am 18. September 2024 im Rahmen des Eheschutzverfahrens über die Folgen des Getrenntlebens; der Einzelrichter des Bezirksgerichts genehmigte diese Vereinbarung mit Entscheid vom 9. Oktober 2024.
Bereits am 22. Oktober 2024 stellte die Mandantin der Beschwerdeführerin mit Hilfe einer Beratungsstelle bei der zuständigen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde einen Antrag auf Errichtung einer Beistandschaft. Sie schilderte, dass der Vater sich nicht an das vereinbarte Besuchsrecht halte und es immer wieder zu Eskalationen komme, welche sie und die Kinder belasteten. In der Folge klärte die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde die Situation der Mutter und der Kinder ab, holte von beiden Elternteilen Betreibungsregisterauszüge sowie den Veranlagungsentscheid betreffend die Steuern 2023 ein und erhielt von der Kantonspolizei Thurgau eine Übersicht über die polizeilich registrierten Vorfälle der Eltern. Die Sozialen Dienste bestätigten, dass die Mandantin der Beschwerdeführerin bei ihnen in Beratung sei, worauf die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde sie anhörte.
3.5.2.3.
Die Zuständigkeit für alle Vorkehrungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Besuchsrechts war somit bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, bei welcher das entsprechende Verfahren trotz Einreichung des gemeinsamen Scheidungsbegehrens bis und mit 14. Februar 2025 weiterlief. In diesem Verfahren wurde die Mandantin der Beschwerdeführerin von Dritten unterstützt und war in der Lage, die Situation ihrer Kinder und ihre eigenen Bedürfnisse gegenüber der Behörde detailliert und strukturiert darzulegen.
Ob die Mandantin der Beschwerdeführerin in diesem Verfahren tatsächlich auf anwaltliche Unterstützung angewiesen war, kann vorliegend offenbleiben. Jedenfalls sind sämtliche Aufwendungen der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit der Umsetzung des bereits gerichtlich festgelegten Besuchsrechts, soweit diese entschädigungsfähig sind, im Verfahren bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde geltend zu machen. Sie können nicht – im Sinn einer Auffangmöglichkeit – als notwendiger Aufwand für das Scheidungsverfahren vor Bezirksgericht eingebracht und geltend gemacht werden. Allerdings sind gerade im Hinblick auf eine gerichtliche Einigungsverhandlung in einem Scheidungsverfahren Kenntnisse der aktuellen Situation im Verfahren bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, insbesondere was die gemeinsamen Kinder betrifft, unerlässlich, weshalb beispielsweise die am 4. April 2025 im Hinblick auf die ursprünglich auf den 9. April 2025 terminierte Einigungsverhandlung aufgeführte Position "Studium KESB Akten" auch im Scheidungsverfahren – wie bereits von der Vorinstanz anerkannt – als notwendiger und damit zu entschädigender Aufwand gilt.
3.5.3.
3.5.3.1.
Aus der Übersicht der Kantonspolizei Thurgau ergibt sich, dass die Mandantin der Beschwerdeführerin offenbar zwei Mal von ihrem Mann bedroht wurde. Weitere Unterlagen zu einem strafrechtlichen Verfahren wegen mutmasslicher Drohung sind nicht in den Akten.
3.5.3.2.
Was die Aufwendungen der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit den Drohungen gegenüber ihrer Mandantin und dem Verhalten ihres Ehemannes, welches zu Polizeieinsätzen führte, betrifft, gilt das oben betreffend das Verfahren vor der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Gesagte. Aufwendungen auf Seiten eines Opfers strafrechtlich relevanter Vorgänge sind im betreffenden Strafverfahren geltend zu machen und müssten von der Beschwerdeführerin dort, nicht jedoch im Rahmen des dannzumal noch einvernehmlichen Verfahrens um Ehescheidung eingebracht werden.
Die entsprechenden Aufwendungen sind somit nicht als notwendiger Aufwand des Scheidungsverfahrens zu betrachten und entsprechend nicht zu entschädigen.
Allerdings gilt das oben betreffend Kenntnisse der aktuellen Situation im Verfahren bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Gesagte punktuell auch im Zusammenhang mit einem Strafverfahren. Gerade, wenn der strafrechtliche Vorwurf den mutmasslichen Tatbestand der Drohung betrifft, ist es im Hinblick auf eine gerichtliche Einigungsverhandlung in einem Scheidungsverfahren unerlässlich, abschätzen zu können, inwieweit möglicherweise häusliche Gewalt mit im Spiel sein könnte. Deshalb gelten beispielsweise die am 4. April 2025 und am 9. April 2025 im Hinblick auf die ursprünglich auf den 9. April 2025 terminierte Einigungsverhandlung aufgeführten Positionen "Studium Schreiben Rechtsdienst Kantonspolizei" und "Verhalten von E. A. / Polizeieinsatz" auch im Scheidungsverfahren – wie ebenfalls bereits von der Vorinstanz anerkannt – als notwendiger und damit zu entschädigender Aufwand.
[…]
3.5.5.
Das Schreiben vom 23. Dezember 2024 an das Bezirksgericht enthielt die Vertretungsanzeigen, den Hinweis auf die Teilvereinbarung betreffend Ehescheidung sowie den Antrag auf unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung mit Hinweis auf die Akten des Eheschutzverfahrens. In der Honorarnote der Beschwerdeführerin findet sich der Aufwand für dieses Schreiben in den zwei Positionen vom 20. Dezember 2024 und vom 23. Dezember 2024, einmal im Zusammenhang mit einem E-Mail an die Klientin und einmal mit einem solchen von der Klientin. Die durch die Vorinstanz für dieses Schreiben und die damit verbundenen E-Mails vorgenommene Kürzung von 35 Minuten auf 20 Minuten kann somit nicht damit begründet werden, dass es sich dabei um ein Kurzschreiben handle und der Aufwand der zweiten Aufwandposition bereits in der ersten enthalten sei, musste die Beschwerdeführerin doch die Antwort-E-Mail ihrer Klientin noch in die Eingabe an das Gericht einarbeiten.
Dieser Aufwand ist deshalb notwendig und ungekürzt zu vergüten.
3.5.6.
Der von der Beschwerdeführerin am 3. Februar 2025 geltend gemachte Aufwand für "Absprache Verhandlungstermin" von 15 Minuten wurde durch die Vorinstanz ohne Begründung und lediglich mit dem Hinweis gestrichen, dass Terminabsprachen nicht entschädigungspflichtig seien.
Die Beschwerdeführerin macht diesbezüglich zu Recht geltend, dass sie als Rechtsvertreterin selber unter Beizug ihrer – persönlichen und beruflichen – Terminkalender sowie unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit der Mandantschaft Abklärungen treffen und eine Rückmeldung vornehmen müsse. Die Verantwortung für das Funktionieren von Terminabsprachen liegt bei der Beschwerdeführerin und lässt sich nicht vollständig (an das Sekretariat) delegieren.
Der geltend gemachte Aufwand von 15 Minuten ist daher notwendig und zu vergüten.
3.5.7.
Die Parteien reichten am 23. Dezember 2024 eine Teilvereinbarung betreffend Ehescheidung und Getrenntleben ein und hielten in Ziffer 4 fest, dass die Nebenfolgen durch die Vorinstanz zu regeln seien.
Im Rahmen einer Ehescheidung werden die Nebenfolgen der Auflösung der Ehe geregelt, wobei für die güterrechtliche Auseinandersetzung und den nachehelichen Unterhalt gemäss Art. 277 Abs. 1 ZPO der Verhandlungsgrundsatz gilt. Die Vorinstanz lud die Parteien am 5. Februar 2025 respektive am 11. April 2025 auf den 9. April 2025 respektive 25. April 2025 zur Einigungsverhandlung vor. Im Hinblick auf diese Einigungsverhandlung, in welcher das Gericht versuchte, gestützt auf Art. 291 Abs. 2 ZPO eine Einigung über die Scheidungsfolgen herbeizuführen, waren die Parteien nicht nur aufgefordert, der Vorinstanz die von ihr einverlangten Unterlagen einzureichen, sondern in der Verantwortung, für eine sorgfältige Auftragserfüllung auch die aus ihrer Sicht erforderlichen Dokumente für die massgebenden Punkte der Nebenfolgen der Ehescheidung zu beschaffen und zu sichten. Auch wenn von der Vorinstanz nicht ausdrücklich angefordert, entspricht es mit Blick auf die güterrechtliche Auseinandersetzung der anwaltlichen Sorgfalt, insbesondere bei unübersichtlicher Schuldenlage, von der Gegenseite und nötigenfalls auch von der eigenen Klientschaft einen aktuellen Betreibungsregisterauszug und Auskunft über offene Rechnungen einzuverlangen. Auch wenn nicht alle Schulden in Betreibung gesetzt sein dürften, so ergibt sich daraus – zusammen mit einer aktuellen Steuerveranlagung und der Auskunft über offene Rechnungen – doch ein nachvollziehbarer Einblick in die aufzuteilenden Schulden.
Der damit verbundene Aufwand vom 13. Januar und 21. März 2024 im Umfang von insgesamt 45 Minuten ist notwendig und zu vergüten. Zwar hätte die Beschwerdeführerin auch die Betreibungsregisterauszüge aus den Akten des Verfahrens vor der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde einreichen können, die nur wenige Monate zuvor eingeholt worden waren. Hingegen ist nicht zu beanstanden, dass sie aktuelle Auszüge einreichte.
3.5.8.
Ebenfalls von Relevanz für die eigene Position betreffend nachehelichen Unterhalt sind die aktuellen (und künftigen) Einkommensverhältnisse der Mandantschaft. In diesem Zusammenhang erscheint die Durchsicht einer von der eigenen Mandantin erhaltenen Kündigung und des betreffenden Arbeitsvertrags notwendig, um im Scheidungsverfahren die eigene Position betreffend nachehelichen Unterhalt substantiieren zu können.
Somit ist der von der Vorinstanz mit der Begründung, die Kündigung hänge nicht mit dem Ehescheidungsverfahren zusammen, gestrichene Aufwand vom 28. März 2025 im Umfang von 30 Minuten nachvollziehbar notwendig und zu vergüten.
3.5.9.
3.5.9.1.
Die Vorinstanz kürzte die in den übrigen Aufwandpositionen geltend gemachte Korrespondenz von mindestens zehn Stunden auf zwei Stunden und begründete dies damit, dass maximal dieser Umfang angemessen sei und die Beschwerdeführerin gegenüber dem Gericht keine nennenswerten Eingaben zur Sache eingereicht habe, wozu sie auch nicht aufgefordert worden sei.
3.5.9.2.
Die Beschwerdeführerin hält dazu unter dem Titel "soziale Betreuungszeit" zusammengefasst fest, dass sie einerseits in allen aufgeführten Leistungen immer notiert habe, was die Thematik der entsprechenden Korrespondenz gewesen sei, bei der es sich um klassische Anwaltstätigkeit gehandelt habe und es andererseits um die Gewährung gleich langer Spiesse für mittellose Personen gehe. Werde die Korrespondenz mit der eigenen Mandantschaft derart zusammengestrichen, werde unter Umständen nicht unentgeltlich verbeiständeten Parteien mehr Korrespondenzzeit mit ihren Anwälten eingeräumt, was gegen das Rechtsgleichheitsgebot verstosse. Klienten, die auf Basis unentgeltlicher Rechtspflege prozessierten, sollten nicht per se schlechter gestellt werden oder im Hinblick auf die Kosten auf Korrespondenz mit ihrer Rechtsvertretung verzichten müssen.
3.5.9.3.
In Bezug auf die Abgrenzung der sozialen Betreuungszeit einerseits von der notwendigen Korrespondenz andererseits, ist festzustellen, dass die Kommunikation zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer Klientin eher ausführlich und extensiv geführt worden zu sein scheint, insbesondere vor dem Hintergrund des Engagements der Beratungsstelle und den Fähigkeiten der Klientin der Beschwerdeführerin, selbst in ihrem Sinn vor der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde und der Polizei zu handeln. Aufgrund der besprochenen Themengebiete und Problempunkte ist der höhere Kommunikationsbedarf jedoch, gerade auch im Hinblick auf die Einigungsverhandlung, nachvollziehbar notwendig und zu vergüten.
3.5.10.
Im Ergebnis sind vom geltend gemachten Aufwand gemäss Honorarnote über insgesamt 21 Stunden und 45 Minuten deren 5 Stunden und 10 Minuten abzuziehen, sodass ein notwendiger, zu vergütender Aufwand von 16 Stunden und 35 Minuten verbleibt.
[…]
3.7.
Somit ist die Beschwerdeführerin für das vorinstanzliche Verfahren mit insgesamt Fr. 3'685.85, einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer, zu entschädigen[19]. Sie obsiegt im Beschwerdeverfahren somit rund zur Hälfte; entsprechend wird die Beschwerde teilweise geschützt.
[…]
Obergericht, 1. Abteilung, 8. Juli 2025, ZR.2025.16
Dieser Entscheid ist nicht rechtskräftig.
[1] Art. 118 Abs. 1 ZPO
[2] BGE 132 I 201 E. 7 f.; Urteil des Bundesgerichts 5P.298/2006 vom 16. Januar 2007 E. 5.1
[3] Jent-Sørensen, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Kurzkommentar (Hrsg.: Oberhammer/Domej/ Haas), 3.A., Art. 122 N. 1
[4] AnwT, RB 176.31
[5] § 1 Abs. 1 aAnwT (Stand 1. Januar 2011)
[6] § 17 AnwT
[7] § 13 Abs. 1 aAnwT
[8] § 13 Abs. 1 i.V.m. § 13 Abs. 2 aAnwT
[9] Rüegg/Rüegg, Basler Kommentar, 4.A., Art. 122 ZPO N. 7
[10] Urteil des Bundesgerichts 9C_387/2012 vom 26. September 2012 E. 4
[11] Emmel, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Lötscher/Leuenberger/Seiler), 4.A., Art. 118 N. 5
[12] Rüegg/Rüegg, Art. 122 ZPO N. 7; vgl. auch BGE 109 Ia 107 E. 3b (= Pra 1983 Nr. 282)
[13] Emmel, Art. 122 ZPO N 6 f.
[14] Urteil des Bundesgerichts 5A_157/2015 vom 12. November 2015 E. 3.3.3
[15] Rüegg/Rüegg, Art. 122 ZPO N. 7
[16] Rüegg/Rüegg, Art. 119 ZPO N. 4
[17] Rüegg/Rüegg, Art. 122 ZPO N. 7; Urteil des Bundesgerichts 6B_528/2010 vom 16. September 2010 E. 2.5.1; Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft 460 21 210 vom 23. August 2022 E. 14.1.b.bb
[18] Art. 315a Abs. 3 ZGB
[19] Fr. 200.00 x 16,583 Std. = Fr. 3'316.67 + Fr. 93.00 = Fr. 3'409.67 x 108,1% = Fr. 3'685.85