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TVR 2000 Nr. 11

Zuständigkeitsfragen in der Zusatzversicherung


Art. 12 Abs. 3 KVG, § 69 a Abs. 1 Ziff. 2 VRG


Streitigkeiten aus Zusatzversicherung zwischen Leistungserbringern und Versicherern oder Versicherten sind analog den anderen Streitigkeiten aus Zusatzversicherung zwischen Versicherten und Versicherern oder unter Versicherern durch das Versicherungsgericht zu beurteilen. Das Versicherungsgericht urteilt als einzige Instanz auf Klage hin.


Mit Eingabe vom 23. September 1999 erhebt die Krankenkasse M gegen die (private) Klinik O Klage mit dem Antrag, es sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin aufgrund der bisher überprüften Rechnungen der Behandlungsjahre 1996 und 1997 einen Betrag von Fr. 98’372.55 inklusive 5% Zins seit 18. Oktober 1998 zu bezahlen. Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass im Rahmen der detaillierten Rechnungsprüfung verschiedene ungerechtfertigte Rechnungspositionen gefunden worden seien, die zur eingeklagten Rückforderung führten. Mit Schreiben des Präsidenten des Verwaltungsgerichts vom 30. September 1999 wurde die Klinik O darauf hingewiesen, dass die M Forderungen aus Zusatzversicherungen geltend mache, so dass nach deren Auffassung nicht das Schiedsgericht, sondern gemäss thurgauischem Recht das Versicherungsgericht zuständig sei. Die Klinik werde gebeten, auch zu dieser Frage Stellung zu nehmen.
In der Klageantwort beantragt die Klinik, es sei auf die Klage nicht einzutreten, eventuell sei diese abzuweisen. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass Zusatzversicherungen uneingeschränkt dem Privatrecht unterstünden, somit die zivilen Gerichte zuständig seien. Parteien eines Versicherungsvertrages seien der Versicherer und der Versicherte. Die M und die Klinik seien aber nicht Parteien eines solchen Versicherungsvertrages. Die Klinik sei Leistungserbringerin gegenüber den Patienten, wobei diese Leistungen im Rahmen eines privatrechtlichen Auftragsverhältnisses erbracht würden. Die Rechnungsstellung erfolge dementsprechend auch an die Patienten. Schliesslich wird auch materiell die Abweisung der Klage begründet.
Zur Frage der Zuständigkeit wurde der M nochmals Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Sie machte geltend, dass für die vorliegende Streitsache auf keinen Fall das Schiedsgericht zuständig sei. Sie sei verpflichtet, gestützt auf die Versicherungsverträge zwischen den Versicherten und der Klinik an die entsprechenden Leistungserbringer zu bezahlen. Dabei handle es sich um Verträge zugunsten Dritter. Sie sei lediglich Honorarschuldnerin der Klinik, jedoch gestützt auf einen Vertrag mit den Versicherten. Dabei handle es sich ausschliesslich um Leistungen aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung. Solche seien grundsätzlich in einem bestimmten, vom üblichen zivilen Prozessweg, der für alle anderen privatrechtlichen Streitigkeiten zwischen Privatversicherungen oder zwischen solchen und Versicherten gelte (Art. 47 Abs. 1 VAG), abweichenden Verfahren zu beurteilen (Art. 47 Abs. 2 VAG). Zusatzversicherungen hätten für sich allein keinen Bestand, sondern existierten nur im Zusammenhang mit der Grundversicherung. Das kantonale Verfahren der Krankenversicherung als Sozialversicherung solle unabhängig von der Ausgestaltung als Grund- oder Zusatzversicherung das gleiche sein. Die Krankenkassen hätten den Versicherten in Tariffragen auf eigene Kosten gegenüber dem Leistungserbringer zu vertreten. Den Versicherten sei es nicht zumutbar, von der Krankenkasse gekürzte Rechnungen von Privatkliniken selber gegenüber dem Leistungserbringer geltend machen zu müssen. Im vorliegenden Fall gehe es um die Korrektheit der Rechnungsstellung, um die richtige Auslegung des Spitalleistungskataloges, die nicht vom Zivilrichter, sondern vom Versicherungsgericht zu beurteilen sei. Das Versicherungsgericht erklärt sich für die Behandlung der eingereichten Klage zuständig.

Aus den Erwägungen:

1. a) Zu beurteilen ist eine Rückforderungsklage eines Versicherers aus Zusatzversicherung gegenüber einem Leistungserbringer, weil angeblich falsche Tarifpositionen angewandt worden sein sollen. Der Rückforderung stellt die Leistungserbringerin eine eigene Forderung zur Verrechnung entgegen. Es fragt sich vorerst, ob das angerufene Versicherungsgericht zur Beurteilung dieser Klage zuständig ist. Lässt sich durch vorgängige Erledigung einer Vorfrage wahrscheinlich erheblicher Aufwand an Zeit und Kosten vermeiden, kann sie auf Antrag eines Beteiligten oder von Amtes wegen zum Gegenstand eines Vorentscheides gemacht werden. Unter denselben Voraussetzungen kann ein Teilentscheid gefällt werden (§ 15a VRG). Die Frage der Zuständigkeit kann damit ohne weiteres zu einem Teil- oder (verfahrensleitenden) Zwischenentscheid gemacht werden.

b) Die Parteien sind sich darin einig, dass das kantonale Schiedsgericht für Streitigkeiten gemäss Art. 89 KVG nicht zuständig ist. Diese Auffassung ist richtig, denn das Schiedsgericht ist nur zuständig, soweit die Streitigkeit in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gemäss KVG (soziale Krankenversicherung) wurzelt. Diese Zuständigkeit ist dann nicht gegeben, wenn es um eine Streitigkeit aus Zusatzversicherung geht, da Zusatzversicherungen dem VVG unterliegen (Art. 12 Abs. 3 KVG). Dieses Gesetz ist Spezialgesetz gegenüber dem Obligationenrecht (vgl. Art. 100 VVG). Für Streitigkeiten aus dem Versicherungsvertrag enthält das VVG keine Zuständigkeitsregelung. Eine Regelung enthält jedoch Art. 47 VAG. Danach entscheidet der Richter privatrechtliche Streitigkeiten zwischen Versicherungseinrichtungen oder zwischen solchen und den Versicherten.
Die Prozesswege für die KVG-Versicherung und für die VVG-Zusatzversicherung sind demnach getrennt. Daraus können sich Nachteile ergeben, wenn zwei verschiedene Prozesse geführt werden müssten, nämlich für die KVG-Versicherung vor dem Versicherungsgericht und für die Zusatzversicherung vor dem Zivilrichter (wobei für beide Verfahren bundesrechtliche Minimalvorschriften zu beachten sind, nämlich einerseits Art. 87 KVG, andererseits Art. 47 VAG). Im Ständerat wurde deshalb vorgeschlagen, dass die Kantone das gleiche Gericht für die KVG- und die Zusatzversicherungsprozesse bestimmen sollten. Das wurde aber nicht Gesetz (vgl. Maurer, Das neue Krankenversicherungsrecht, Basel und Frankfurt am Main 1996, S. 136). Dieser unerfreulichen Situation Rechnung tragend erliess der Kanton Thurgau mit Gesetz zur Änderung des VRG vom 18. Dezember 1996 (in Kraft gesetzt auf den 1. September 1997) folgende Bestimmung:

§ 69a Zuständigkeit

1Das Verwaltungsgericht beurteilt als einzige kantonale Instanz:
1. …
2. Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung;
3. …

Rein vordergründig betrachtet könnte daraus der Schluss gezogen werden, alle Streitigkeiten aus Zusatzversicherung seien durch das Versicherungsgericht zu beurteilen. Aufgrund Art. 47 Abs. 1 im Verhältnis zu Abs. 2 VAG fragt sich jedoch, ob das Versicherungsgericht auch zuständig ist für privatrechtliche Streitigkeiten nicht unter den Versicherungsvertragsparteien (Versicherer und Versicherte), sondern unter Versicherern und Leistungserbringern (wie im vorliegenden Fall), zwischen denen ja kein Versicherungsvertrag besteht.
Zur Frage, ob Art. 47 Abs. 2 VAG auch auf privatrechtliche Streitigkeiten zwischen Versicherern und Leistungserbringern anwendbar ist, schweigt sich das Gesetz aus. Ginge es um eine Streitigkeit aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, wäre für eine Streitigkeit zwischen Versicherer und Leistungserbringer klarerweise das Kantonale Schiedsgericht zuständig (Art. 89 Abs. 1 KVG, im Kanton Thurgau das Versicherungsgericht [§ 69a Abs. 1 Ziff. 1 VRG], ergänzt um je einen Vertreter der Beteiligten, Art. 89 Abs. 4 2. Satz KVG). Nachdem aber das KVG die Zuständigkeit des Schiedsgerichts abschliessend regelt, kann dieses nicht auch für privatrechtliche Streitigkeiten aus der Zusatzversicherung zuständig sein. Das sehen auch die Parteien so. Die sich aus Art. 47 Abs. 1 VAG unvermeidlich stellende Frage der Zuständigkeit des Versicherungsgerichts für privatrechtliche Streitigkeiten zwischen Versicherern und Leistungserbringern offenbart nun aber mit Bezug auf § 69a Abs. 1 Ziff. 2 VRG eine echte Gesetzeslücke. Eine echte Lücke liegt deshalb vor, weil zwar das Gesetz einen Rechtssatz aufgestellt hat, aber nicht alles sagt, was zu ihm gehört (vgl. statt vieler Rhinow/Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel 1990, Nr. 23 B.I.a). Diese echte Lücke ist nun aber in dem Sinne zu füllen, als das Versicherungsgericht auch für derartige Streitigkeiten wie im vorliegenden Fall zuständig ist.
Dies drängt sich aus Praktikabilitätsgründen auf. Es ist nicht einzusehen, weshalb für diesen (schmalen) Bereich (Streitigkeiten zwischen Versicherern und Leistungserbringern) der Zivilrichter zuständig sein soll, während sonst in allen KVG- und Zusatzversicherungen ausnahmslos das Versicherungsbeziehungsweise das Schiedsgericht zuständig ist. Dafür spricht sich im Grunde genommen auch Maurer aus, wenn er sagt, der Gesetzgeber habe die Zusatzversicherungen in die Nähe der Sozialversicherung gerückt (a.a.O., S. 138; vgl. auch das instruktive Beispiel auf S. 172 f.). Die Klägerin weist zu Recht darauf hin, dass Zusatzversicherungen je für sich allein keinen Bestand haben, sondern nur im Zusammenhang mit der Grundversicherung als deren Ergänzung.

c) Damit wird eine Spaltung des Rechtswegs auf kantonaler Ebene ausgeschlossen. Auf Bundesebene ist diese nach wie vor vorhanden, da im Bereiche der obligatorischen Krankenpflegeversicherung das Eidgenössische Versicherungsgericht in Luzern, im Bereiche der Zusatzversicherung aber das Bundesgericht in Lausanne zuständig ist. Auf dieser Ebene sind daher widersprüchliche Urteile nicht ausgeschlossen (vgl. Maurer a.a.O., S. 136).

d) Ist die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts als Versicherungsgericht zur Beurteilung der vorliegenden privatrechtlichen Streitigkeit gegeben, ist demnach der Klägerin Frist zur allfälligen Replik zu setzen.

Zwischenentscheid vom 22. März 2000

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