TVR 2000 Nr. 19
Kinderbetreuungskosten als Gewinnungskosten («allgemeine Aufwendungen»)?
Kosten für die Kinderbetreuung können nicht als Gewinnungskosten vom steuerbaren Einkommen im Sinne von § 29 Ziff. 3 StG in Abzug gebracht werden.
Das Ehepaar N wurde ab Erwerbsaufnahme durch die Ehefrau mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 91 500.– veranlagt. Die ab Erwerbsaufnahme geltend gemachten Abzüge für Kinderbetreuung in den Jahren 1997 und 1998 wurden von der Veranlagungsbehörde nicht zugelassen. Erfolglos erhob das Ehepaar zunächst Einsprache und hernach Rekurs. In der Beschwerde gegen den Entscheid der Steuerrekurskommission wird das Begehren gestellt, die Kinderbetreuungskosten als «Allgemeine Aufwendungen» im Sinne von § 29 Ziff. 3 StG zum Abzug zuzulassen. Das Verwaltungsgericht weist ab.
Aus den Erwägungen:
2. b) Die Steuerrekurskommission hat die Kosten für die Kinderbetreuung unter Verweis auf die herrschende Lehre und Rechtsprechung als grundsätzlich nicht abzugsfähige private Lebenshaltungskosten qualifiziert. Die Beschwerdeführer halten dem entgegen, es bestehe zwischen den Auslagen für die Kinderbetreuung und ihren beruflichen Tätigkeiten ein qualifiziert enger und wesentlicher Zusammenhang, weshalb die Kosten nicht als private Lebenshaltungskosten qualifiziert werden dürften. Ausserdem seien die «übrigen zur Ausübung des Berufes erforderlichen Kosten» im Gesetz nicht näher konkretisiert worden. Die enge Auslegung dieses Begriffes durch die Vorinstanz sei unbegründet. Zudem dürfe die zu dieser Problematik ergangene Literatur nicht unbesehen auf den konkreten Fall angewendet werden. Schliesslich verletze die Streichung der deklarierten Abzüge den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
c) Gemäss § 29 Ziff. 3 StG werden für die übrigen, zur Ausübung des Berufes erforderlichen Kosten grundsätzlich ein Betrag von zehn Prozent des ausgewiesenen Nettoeinkommens, mindestens Fr. 600.– und höchstens Fr. 1 700.–, als Berufskosten abgezogen. Der Nachweis höherer Kosten steht dem Steuerpflichtigen offen.
Herkömmlicherweise gelten als solche Gewinnungskosten die «Aufwendungen zur Erzielung des Einkommens» beziehungsweise die «Kosten, die unmittelbar aufgewendet werden, um die steuerbaren Einkünfte zu erzielen» (Höhn/Waldburger, Steuerrecht, Band I, 8. Aufl., Bern 1997, S. 343). In der neueren Lehre und Rechtsprechung können Gewinnungskosten demgegenüber auch Aufwendungen sein, die nicht zum Zwecke der Einkommenserzielung gemacht werden, sondern Folge der beruflichen Tätigkeit sind. Als «erforderlich» haben somit diejenigen Vermögensabgänge (Auslagen oder Kosten) zu gelten, die wesentlich durch die Erzielung von Einkommen verursacht werden (ASA 68, S. 377 und 67, S. 480).
Im angefochtenen Entscheid hat die Vorinstanz zutreffenderweise auf den weiter gefassten Begriff nach neuerer Lehre und Rechtsprechung abgestellt und unter Verweis auf StRE Nr. 223/1999 festgehalten, dass nicht jede Ausgabe als berufsnotwendig gilt, welche im weiteren Sinn ihren Grund im Arbeitsverhältnis hat. «Verlangt wird darüber hinaus ein qualifiziert enger, das heisst rechtlich erheblicher (wesentlicher) Zusammenhang zwischen Art, Grund und Zweck der Ausgabe einerseits und Natur der beruflichen Tätigkeit anderseits» (ASA 68, S. 378). Zudem wird ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Einkommen und den dieses schmälernde Aufwendungen verlangt (Funk, Der Begriff der Gewinnungskosten nach schweizerischem Einkommenssteuerrecht, Diss., Grüsch 1989, S. 42 f.). Eine Berücksichtigung von Gewinnungskosten geht nicht an, wenn die entsprechenden Einkünfte erst in einer späteren Periode zufliessen, das heisst das Periodizitätsprinzip ist auch bei den Gewinnungskosten zu beachten (ASA 68, S. 379 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Hinsichtlich der Kinderbetreuungskosten wird heute allgemein anerkannt, dass diesen steuerlich Rechnung zu tragen ist, um die verminderte subjektive Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Einigkeit herrscht auch darüber, dass die Lösung dieses Problems nicht darin liegen kann, den Gewinnungskostenbegriff über Gebühr zu strapazieren. Nach herrschender Lehre liegt hier vielmehr ein Anwendungsfall für die Schaffung eines anorganischen Abzuges vor, der gewissen Lebenshaltungskosten aufgrund einer speziellen gesetzlichen Grundlage bis zu einer bestimmten Höhe Rechnung trägt. Dem steuerpolitisch berechtigten Anliegen einer Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten würde damit sachgerecht Rechnung getragen. In diese Richtung gehen im Übrigen auch die Vorschläge im Bericht der Kommission Familienbesteuerung (ASA 68, S. 382). Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass gemäss herrschender Lehre und konstanter Rechtsprechung die Kosten für die Betreuung der Kinder keine Gewinnungskosten darstellen (Baur/Klöti-Weber/Koch/Meier/Ursprung, Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, Muri-Bern 1991, § 24 N. 91; Funk, a.a.O., S. 123, 247 ff.; ASA 68, S. 379 ff.; BGE 81 I 70; VGE V 15 vom 26. Januar 2000). Die Kindererziehung und -betreuung gehören zur Privatsphäre; das heisst, die damit verbundenen Kosten stellen nicht abzugsfähige Lebenshaltungskosten dar (Baur/Klöti-Weber/Koch/Meier/Ursprung, a.a.O., § 24 N. 91). Dieser Grundsatz gilt im übrigen selbst für alleinstehende erwerbstätige Elternteile (ZBl 84/1983, S. 83).
Der Kanton Thurgau trägt den erhöhten Lebenshaltungskosten in Doppelverdienerehen mit dem sogenannten Zweitverdienerabzug gemäss § 34 Abs. 2 StG Rechnung. Darunter fallen auch die Auslagen für die Kinderbetreuung. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass dieser Abzug im Betrage von höchstens Fr. 4 500.– die tatsächlichen Kosten in aller Regel nicht zu decken vermag. Er entspricht jedoch geltendem Recht; das Verwaltungsgericht ist daran gebunden. Dieses steuerpolitische Problem kann nicht auf dem Weg der Rechtsprechung gelöst werden; vielmehr hat allenfalls der Gesetzgeber tätig zu werden. Im übrigen widerspräche die Bejahung der Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten dem StHG, das am 1. Januar 1993 in Kraft getreten ist und dem die Kantone ihre Steuergesetze bis 1. Januar 2001 anzupassen haben (Zweifel/Athanas, Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden, Basel 1997, Art. 9 N. 14 und 71, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Das sogenannte Entharmonisierungsverbot verbietet eine dem StHG widersprechende kantonale Gesetzgebung während der achtjährigen Anpassungsfrist (Zweifel/Athanas, a.a.O., Art. 72 N. 3 ff.). Dasselbe muss sinngemäss auch für die Auslegung gelten. So ist während der Anpassungsfrist eine Praxisänderung in der Anwendung der kantonalen Steuergesetze in jenen Fällen unzulässig, in denen damit ein Widerspruch zum StHG entstünde, der im Zeitpunkt des Inkrafttretens des StHG noch nicht bestanden hat.
d) Den Ausführungen der Beschwerdeführer, es dürfe nicht «einfach einem Kommentator ‘nachgebetet’ werden», ist entgegenzuhalten, dass gerade das Abstellen auf die einschlägige Literatur sowie die Rechtsprechung in ähnlich gelagerten Fällen eine einheitliche Entscheidfindung gewährleistet. Die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Einwände der Beschwerdeführer sind somit unbegründet.
e) Der von den Beschwerdeführern angeführte Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besagt, dass jeder Bürger «im Verhältnis der ihm zur Verfügung stehenden Mittel und der seine Leistungsfähigkeit beeinflussenden persönlichen Verhältnisse zur Deckung des staatlichen Finanzbedarfs beitragen soll» (BGE 114 Ia 225).
Vorliegend machen die Beschwerdeführer geltend, dass mit dem Nettolohn der Ehefrau nach Deckung sämtlicher Kosten lediglich noch ein äusserst geringer Überschuss verbleibe; damit werde der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in krasser Weise verletzt. Dem ist entgegenzuhalten, dass die im Zusammenhang mit der Kinderbetreuung anfallenden Auslagen – wie bereits erwähnt – als Lebenshaltungskosten qualifiziert und damit dem steuerlich unbeachtlichen Bereich der Einkommensverwendung zugeordnet werden (ASA 53, S. 12, 21). Deren Berücksichtigung im Rahmen der «die Leistungsfähigkeit beeinflussenden persönlichen Verhältnisse» fällt somit ausser Betracht.
Entscheid vom 1. November 2000