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TVR 2000 Nr. 23

Übergangsregelung für ausserordentliche Einkünfte in der Bemessungslücke


§ 232 Abs. 4 StG


1. Ausserordentliche Einkünfte in der Bemessungslücke beim Übergang von der zweijährigen Vergangenheitsbemessung zur einjährigen Gegenwartsbemessung: Die Frage, wann ungewöhnlich hohe Dividenden der Jahressteuer zu unterwerfen sind, beurteilt sich anhand der bisher geführten Dividendenpolitik.

2. Bei Wahrung der Methoden-Kontinuität (höhere Dividende bei höherem Reingewinn) kommt eine separate Jahressteuer nicht in Frage.


L ist Alleinaktionär der V AG. Ab Geschäftsjahr 1992 wurden ihm folgende Dividenden ausgeschüttet:

Geschäftsjahr

Gewinn dieses Geschäftsjahres

Ausschüttungsjahr

Dividendenausschüttung

1991

Fr. 284'790.--

1992

keine

1992

Fr. 325'600.--

1993

Fr. 140'000.--

1993

Fr. 5'700.--

1994

Fr. 80'000.--

1994

Fr. 573'500.--

1995

Fr. 100'000.--

1995

Fr. 474'100.--

1996

Fr. 100'000.--

1996

Fr. 444'700.--

1997*

Fr. 100'000.--

1997

Fr. 632'200.--

1998*

Fr. 180'000.--

1998

Fr. 1'176'000.--

1999

Fr. 180'000.--

* 1997 und 1998 = Bemessungslücke

Gemäss Darstellung der Steuerverwaltung wurden dem Pflichtigen in den Jahren 1993 bis 1996 durchschnittlich Fr. 105 000.– ausbezahlt. Da die im Jahre 1998 ausbezahlte Dividende diesen Durchschnittswert um Fr. 75 000.– überstieg, qualifizierte die Steuerverwaltung den Betrag von Fr. 75 000.– als im Vergleich mit den Vorjahren ungewöhnlich hoch im Sinne von § 232 Abs. 4 StG und unterwarf ihn einer separaten Jahressteuer. L gelangte an die Steuerrekurskommission. Diese kam mit Entscheid vom 3. Juni 2000 zum Schluss, die Dividendenerhöhung 1998 sei durchaus vertretbar und wirtschaftlich beziehungsweise unternehmerisch begründbar. Die Dividendenausschüttung sei nur gerade von22.5 % auf 28.5 % erhöht worden, was nicht als (missbräuchliche) Änderung der Dividendenpolitik betrachtet werden könne, sondern auf die Gewinnentwicklung zurückzuführen sei. Dagegen erhob die Steuerverwaltung Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Dieses weist ab.

Aus den Erwägungen:

2. a) Der Kanton Thurgau hat – wie einige andere Kantone auch – unter anderem für natürliche Personen per 1. Januar 1999 das bisherige System der zweijährigen Steuerperiode durch die auf das Kalenderjahr beschränkte Steuerperiode abgelöst und – vereinfacht gesagt – die zweijährige Vergangenheitsbemessung durch die einjährige Gegenwartsbemessung ersetzt. Dadurch fallen die Einkünfte der Jahre 1997 und 1998 in eine sogenannte Bemessungslücke. Um den Wechsel der zeitlichen Bemessung meistern zu können, beziehungsweise um die erwähnte Bemessungslücke zu schliessen, ist (per 1. Januar 1999) unter anderem § 232 StG eingefügt worden. Nach dessen Abs. 4 gelten als ausserordentliche Einkünfte insbesondere Kapitalabfindungen für wiederkehrende Leistungen sowie aperiodische Vermögenserträge … wie im Vergleich zu den Vorjahren ungewöhnlich hohe Dividenden.

b) Die Steuerverwaltung erklärt, streitig sei, was unter einer «im Vergleich der Vorjahre ungewöhnlich hohen Dividende» zu verstehen sei. Während sie die Auffassung vertrete, es sei auf die absolute Höhe abzustellen, sei die Steuerrekurskommission der Meinung, es sei auf die Dividendenpolitik beziehungsweise das Verhältnis zwischen ausgewiesenem Gewinn und ausgeschütteten Dividenden abzustellen. Der Wortlaut von § 232 Abs. 4 StG sei eindeutig und klar; massgebend seien allein die absoluten Beträge. Es sei Intention des Gesetzgebers gewesen, das Verfahren möglichst einfach zu gestalten und den Begriff des ausserordentlichen Einkommens weit zu fassen. Müsste auf das Verhältnis der Dividendenausschüttung zur Gewinnentwicklung abgestellt werden, würde die Besteuerung solcher Einkünfte unnötig erschwert. Auch ein Vergleich mit § 233StG (Übergangsregelung betreffend juristische Personen) weise daraufhin, dass die Auslegung des Begriffs der ungewöhnlich hohen Dividende autonom erfolgen solle, das heisse, ohne Rücksicht auf die Verhältnisse der betreffenden juristischen Person. Die von der Steuerrekurskommission vergleichsweise herangezogene Praxis der Zürcher und St. Galler Behörden scheitere schon daran, dass diese Kantone keine § 232 Abs. 4 StG entsprechende Bestimmung kennen würden. Wenn die Pflichtigen auch auf die Nachfolgejahre verwiesen, so sei das mit dem Wortlaut von § 232 Abs. 4 StG nicht vereinbar.

c) Dem hält der Verfahrensbeteiligte L entgegen, dass der Schematismus der Steuerverwaltung dem Sinn und Zweck von § 232 Abs. 4 StG nicht gerecht werde. Das Gesetz verlange, dass die Dividendeneinkünfte im Vergleich mit den Vorjahren ungewöhnlich hoch ausfielen, nicht, dass sie im Vergleich der Vorjahre höher seien. Die von der Steuerverwaltung geübte Praxis sei rigid und schiesse über den Zweck der Gesetzesbestimmung hinaus. Ausserordentlich sei nicht schon das was höher sei, sondern nur das, was ungewöhnlich hoch sei. Immerhin sei schon 1993 – bei einem Gewinn von bloss Fr. 325 600.– – eine Dividende von Fr. 140 000.– ausgeschüttet worden. Der Gesetzgeber habe das Wort «ungewöhnlich» deshalb gewählt, weil er damit eine missbräuchliche Dividendenpolitik in Lückenjahren verhindern wollte, also gewissermassen eine Steuerumgehung. Die von der V AG ihrem Aktionär 1998 ausgeschüttete Dividende sei im historischen Vergleich mit den Vor- und Nachjahren völlig normal, zumal auch der Gewinn um etwa die Hälfte zugenommen habe. Aber auch das Argument, dass für die Frage der «ungewöhnlichen Höhe» einer Dividende die Gewinnverhältnisse bei der ausschüttenden Gesellschaft keinerlei Rolle spielen dürften, sei nicht haltbar. Die für natürliche und juristische Personen separate Übergangsbestimmung habe ihren Grund darin, dass aufgrund unterschiedlicher Verhältnisse teilweise ein abweichender Regelungsbedarf bestanden habe. Auch das Argument, die Berücksichtigung der Gewinnverhältnisse würde einer einheitlichen und rechtsgleichen Behandlung einer Vielzahl von Fällen entgegenstehen, erscheine als nicht stichhaltig. Dass es sich bei der Bestimmung von § 232 Abs. 4 StG um eine Antimissbrauchsbestimmung handle, gehe auch aus der Botschaft des Regierungsrates zu dieser Gesetzesnovelle hervor. Der von der Steuerverwaltung im vorliegenden Fall als ausserordentlich taxierte Betrag von Fr. 75 000.– relativiere sich im übrigen stark, wenn man den Blick auf die gesamte Bemessungslücke (1997 und 1998) richte. Dadurch reduziere sich der ominöse Überschuss auf Fr. 35 000.–. Schliesslich vertrage sich die von der Steuerverwaltung geübte Vierjahres-Durchschnittsberechnung nicht mit Art. 69 Abs. 3 StHG. Gemäss Paschoud in ASA 2000, S. 618, heisse es, dass eine bestimmte Einkunft nicht schon allein deshalb als ausserordentlich angesehen werden dürfe, weil sie betragsmässig die in den Vorjahren eingenommenen gleichartigen Einkünfte um einen bestimmten Prozentsatz übersteige. Schliesslich weist der Verfahrensbeteiligte L daraufhin, das st. gallische Steuerrecht stimme weitgehend mit dem thurgauischen überein. Im St. Galler Steuerbuch werde die Kontinuität der Dividendenpolitik als entscheidendes Kriterium genannt. Auch die zürcherische Bestimmung unterwerfe Dividenden im Lückenjahr nur dann der Besteuerung, wenn die Voraussetzungen einer Steuerumgehung erfüllt seien.

3. a) Der Steuerverwaltung kann von vornherein darin nicht gefolgt werden, massgebend seien allein die absoluten Beträge, also ein quantitatives Kriterium. Das ergibt sich aus dem Wortlaut gerade klarerweise nicht. Vielmehr verlangt ja der klare Wortlaut des Gesetzes einen Vergleich zu den Vorjahren (Mehrzahl), ohne zu sagen zu wievielen Vorjahren. Ein Vergleich ist schon deshalb relativ, je nachdem wie viele Vorjahre herangezogen werden. Hätte der Gesetzgeber das von der Steuerverwaltung bevorzugte Resultat gewollt, so hätte es in der Tat heissen müssen, aussergewöhnliche Einkünfte der Jahre 1997 und 1998 seien auch jene Dividenden, die höher als in den beiden Vorjahren (1995 und 1996) ausgefallen seien. Dem Verfahrensbeteiligten ist weiter beizupflichten, dass dabei aber nicht nur höhere, sondern nur ungewöhnlich hohe Dividenden (im Vergleich zu den Vorjahren) der Jahressteuer unterworfen werden können. Die absolute Methode ist also nicht massgebend beziehungsweise ein bloss quantitatives Kriterium genügt nicht (vgl. Weidmann/Grossmann/Zigerlig, Wegweiser durch das st. gallische Steuerrecht, 6. Aufl., Muri-Bern 1999, S. 190). Diese Methode kann auch deshalb nicht massgebend sein, weil das Gesetz ja auch nicht sagt, was denn ungewöhnlich hoch ist, also weder einen Frankenbetrag noch eine Prozentzahl enthält.

b) Es kommt hinzu, dass das Gesetz auch nicht sagt, ob die ausserordentlichen Einkünfte der Jahre 1997 und 1998 zusammenzuzählen und durch zwei zu dividieren sind, um alsdann in Relation zu den Vorjahren (welchen?) gesetzt zu werden. Wäre so zu verfahren, könnte mit den Verfahrensbeteiligten wohl auch kaum gesagt werden, der Differenzbetrag von Fr. 35 000.– sei im Vergleich zu den Vorjahren ungewöhnlich hoch.

c) Dividenden dürfen nur aus dem Bilanzgewinn und hierfür gebildeten Reserven ausgerichtet werden (Art. 675 Abs. 2 OR). Schon daraus ergibt sich, dass die von der Steuerverwaltung ins Feld geführte «autonome Begriffsauslegung» bei § 232 Abs. 4 StG, das heisst «ohne Rücksicht auf die Verhältnisse bei der betreffenden juristischen Person», so autonom auch wieder nicht sein kann. Der Verfahrensbeteiligte weist vielmehr mit Recht daraufhin, dass es dem Regierungsrat um die Vorbeugung von Missbräuchen ging (Botschaft vom 27. Mai 1997, S. 38). Da bekanntlich die Dividende durch die Generalversammlung festgesetzt wird, macht es bei einer Einmann AG durchaus Sinn, dass die Dividendenpolitik der Gesellschaft letztlich aufzeigt, ob im Vergleich zum Bilanzgewinn ungewöhnlich hohe Dividenden ausgeschüttet werden (der Alleinaktionär bestimmt ja die Dividende). Dieser Vergleich für den vorliegenden Fall zeigt, dass die Dividendenpolitik als relativ ausgeglichen bezeichnet werden kann, machten die Dividenden 1995 doch 17 %, 1996 21%, 1997 22% und 1998 28 % des Geschäftsgewinns aus. Die 1998er Dividenden waren demnach keineswegs «ungewöhnlich hoch» im Vergleich zu den Vorjahren. Sie waren auch keine sogenannten Substanzdividenden, was allseits unbestritten ist.

d) Auch mit Blick auf die Nachbarkantone Zürich und St. Gallen, die durchaus vergleichbare Regelungen enthalten, zeigt sich die Unhaltbarkeit der Optik der Steuerverwaltung. Zwar trifft zu, dass sowohl das zürcherische als auch das st. gallische Steuergesetz eine Abs. 4 von § 232 StG absolut entsprechende Regelung nicht kennen. Im Kern sind sie jedoch vergleichbar, geht es doch letztlich um die Frage der Ausserordentlichkeit der Einkünfte und dies auch bei Dividenden (was die Steuerverwaltung zu vergessen scheint). Hinsichtlich der Regelung im Kanton Zürich sei auf Richner/Frei/Kaufmann, Kommentar zum harmonisierten Zürcher Steuergesetz, Zürich 1999, § 275 N. 30, verwiesen. Ergänzend soll vor allem auf Eichenberger/Gehriger, Der Übergang zur Gegenwartsbemessung im neuen Zürcher Steuergesetz, Zürich 2000, Rz 187 hingewiesen werden. Diese Autoren erklären, dass bei Wahrung der Methoden-Kontinuität (höhere Dividende bei höherem Reingewinn) eine Besteuerung als aperiodischer Vermögensertrag nicht in Frage komme. Bei Änderung der Dividendenpolitik allerdings komme die Jahressteuer zum Zug (a.a.O., Rz 196). Dem ist nichts beizufügen.

e) Auch mit Blick auf den am 1. Januar 1999 geänderten Art. 69 StHG lässt sich eine Besteuerung – wie sie die Steuerverwaltung vertritt - nicht vertreten. Die Steuerverwaltung beruft sich denn auch zu Recht nicht darauf.

Entscheid vom 8. November 2000

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