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TVR 2000 Nr. 29

Massgebender Auftragswert. Bekanntgabe der Vergabekriterien. Schadenersatz


§ 9 Abs. 2 aVöB, § 22 Abs. 2 Ziff. 9 aVöB, § 6 GöB


1. Wird der Schwellenwert nach IVöB nicht erreicht, so ist für die Ermittlung der anwendbaren Verfahrensart der Auftragswert des Einzelauftrags massgebend (E. 2).

2. Auch im Einladungsverfahren müssen die Vergabekriterien von vornherein vollständig bekannt gegeben werden (E. 3a-c).

3. Im Beschwerdeverfahren können nur die Kosten für Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Vergabe- und Rechtsmittelverfahren (Kosten für Offertberechnung, ausserrechtliche Entschädigung etc.) geltend gemacht werden. Schadenspositionen wie entgangener Gewinn etc. können nicht beurteilt werden (E. 4a–b).


Die Schulgemeinde R plant den Neubau eines Einzelkindergartens. Die Kostenvoranschlagsumme für diesen Bau, für welchen Teilaufträge vergeben wurden, belief sich laut Offertvergleich/Vergabespiegel auf rund Fr. 830'000.–. Obwohl das Bauvorhaben nicht im Amtsblatt publiziert wurde, erhielt die Firma G AG (mit Sitz im Kanton St. Gallen) durch die Baugesuchspublikation Kenntnis von diesem Vorhaben und bewarb sich bei der Schulgemeinde darum, eine Offerte einreichen zu können. Mit Schreiben vom 17. Februar 2000 wurde sie zur Offertstellung eingeladen und erhielt die Ausschreibungsunterlagen, worunter sich auch ein Eingabeformular für den Teilauftrag Holzrahmenbau/Holzbau und die «Allgemeinen Bedingungen zur Offertstellung und späteren Arbeitsausführung» befanden. Letztere halten unter dem Titel «4. Abgebotsrunde» fest, dass keine Abgebotsrunde stattfinde und der Zuschlag an den Unternehmer erfolge, der die günstigste Offerte einreiche. In der Folge reichte die G AG ihre detaillierte Offerte über Fr. 199'669.45 (netto, inkl. MwSt) beziehungsweise – als Alternative dazu – ein Pauschalangebot über Fr. 195'000.– (netto, inkl. MwSt) ein. Mit Zuschlagsentscheid vom 14. März 2000 wurde der G AG mitgeteilt, dass der Zuschlag an die Firma L, Holzbau, erfolgt sei. Der Entscheid erwähnt weiter als tiefstes Angebot die Summe von Fr. 199'669.45. Daraufhin erhob die G AG am 22. März 2000 Beschwerde beim Verwaltungsgericht: Sie verlangt die Überprüfung des Zuschlagsentscheids, Entschädigung für die Offertausarbeitung und entgangenen Gewinn. Das Verwaltungsgericht heisst im Wesentlichen gut.

Aus den Erwägungen:

2. Zunächst ist zu prüfen, nach welchem Verfahren die Vergabe abzulaufen hatte beziehungsweise abgelaufen ist.
Die Bausumme für den Kindergarten, welche den Ausgangspunkt für das anwendbare Recht bildet (Schwellenwert), beträgt gemäss Kostenvoranschlag rund Fr. 830'000.–. Gemäss Anhang 1 Ziff. I.2.c zur VöB beträgt der Schwellenwert für die Anwendung der IVöB im Baugewerbe Fr. 9'575'000.–. Daraus folgt, dass vorliegend lediglich kantonales Recht (GöB, VöB) anwendbar ist. Während die IVöB bei der Vergabe mehrerer Aufträge für ein Bauwerk – unter Vorbehalt einer Bagatellklausel - grundsätzlich auf den Gesamtwert abstellt (Art. 7 Abs. 2 IVöB), weicht die kantonale VöB in § 9 Abs. 2 von der IVöB ab, indem sie bei Binnenvergaben den Auftragswert pro Einzelauftrag für massgebend erklärt. Mit Blick auf den selbständigen kantonalen Regelungsspielraum ausserhalb des Anwendungsbereiches der IVöB ist diese Abweichung der VöB trotz der klaren Norm in der IVöB als nicht unzulässig zu erachten. Für Bauaufträge unter Fr. 500'000.– ist das Einladungsverfahren zulässig (§ 12 Abs. 2 VöB). Der interne Kostenvoranschlag der Beschwerdegegnerin führt für den Teilauftrag betreffend Holzbau einen Betrag von Fr. 215'000.– auf. Demzufolge hat die Beschwerdegegnerin für die Vergabe des Holzbauauftrags zu Recht den Weg des Einladungsverfahrens beschritten.

3. Es wäre der Beschwerdegegnerin freigestanden, der Beschwerdeführerin keine Einladung zur Offertstellung zukommen zu lassen, da es sich vorliegend um ein Einladungsverfahren handelt. Nachdem sie die Beschwerdeführerin jedoch auf deren Begehren hin zur Offertstellung eingeladen hat, muss sie sich bei der Einhaltung der Bestimmungen über das Submissionsrecht behaften lassen. Zu prüfen ist daher, ob der Zuschlagsentscheid vom 14. März 2000 in rechtsgültiger Weise erfolgt ist (vgl. Art. 18 Abs. 2 IVöB).

a) Das Bundesgericht hat als für alle Auftraggeber im Submissionsrecht geltende Verpflichtung festgehalten, dass von vornherein sämtliche Zuschlagskriterien zu nennen und entweder entsprechend ihrer Wichtigkeit der Reihe nach oder unter Angabe der relativen Bedeutung (Gewichtung) aufzuzählen sind. Auf diese Weise wird das Verfahren transparent, was wiederum dem Verfahrensablauf und der Rechtsanwendungskontrolle dient. Weiter wird den Anbietern dadurch ermöglicht, Offerten einzureichen, welche die massgebenden Zuschlagskriterien berücksichtigen (vgl. BGE 125 II 100 ff.). Auch mit Blick auf den Vertrauensschutz sollen sich die Anbieter auf die ihnen bekannt gegebenen Kriterien verlassen können. Gemäss § 22 Abs. 1 Ziff. 9 VöB sind die Zuschlagskriterien in den Ausschreibungsunterlagen anzugeben.

b) In den «Allgemeinen Bedingungen zur Offertstellung und späteren Arbeitsausführung» wird unter dem Titel «4. Abgebotsrunde» – wie bereits erwähnt – Folgendes festgehalten: «…, der Zuschlag erfolgt an den Unternehmer, der die günstigste Offerte einreicht.»
Erst in der Beschwerdeantwort nennt die Beschwerdegegnerin zusätzliche «Vergabekriterien». Sie will den «günstigsten Anbieter» als einen differenzierten Begriff definieren und führt dazu vier Kriterien auf: Berücksichtigung der Arbeitswege aus Umweltgründen (Energiebilanz), Kontrollen der Arbeitsvorbereitungen und der Produktion, was bei einer im Kanton St. Gallen ansässigen Firma erschwert und mit zusätzlichen Kosten verbunden wäre, bei langen Arbeitswegen wären Regiearbeiten mit hohen Spesen und Kosten verbunden, Übernahme von 250 m3 Sturmholz aus dem Bürgerwald R und teilweise Verwendung für den Neubau des Kindergartens (durch die Firma, welche den Zuschlag erhalten hat).

c) In den Ausschreibungsunterlagen wird nur das günstigste Angebot als Kriterium angegeben. Andere Kriterien finden sich darin nirgends und werden von der Beschwerdegegnerin auch nicht aufgeführt. Der Beschwerdeführerin ist deshalb zuzustimmen, wenn sie erklärt, dass sie aufgrund des Fehlens jeglicher weiterer Vergabekriterien im Vorfeld der Zuschlagsvergabe davon ausgehen durfte, dass der preislich günstigste Anbieter den Auftrag erhalte.
Bezüglich der in der Beschwerdeantwort aufgezählten Vergabekriterien ist Folgendes festzuhalten: Wenn die Beschwerdegegnerin der Meinung gewesen ist, aus ökologischen Gründen komme nur ein Unternehmen aus der näheren Umgebung in Frage, so hätte sie im Rahmen des Einladungsverfahrens der Beschwerdeführerin gar keine Einladung zur Offertstellung zusenden dürfen. Weiter steht in den Ausschreibungsunterlagen nichts davon, dass der Auftraggeber die Produktion überwachen will. Auch ist aufgrund der Ausschreibungsunterlagen nicht davon auszugehen, dass ein auswärtiger Unternehmer hohe Spesen für lange Autofahrten in Rechnung stellen kann. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang zudem, dass die Beschwerdeführerin ein alternatives Pauschalangebot unterbreitet hat. Was schliesslich die Berücksichtigung der Übernahme und Verwendung von Sturmholz aus dem Bürgerwald betrifft, so hätte die Beschwerdegegnerin dies als Auflage beziehungsweise Zuschlagskriterium in der Ausschreibung festlegen müssen.
Ob die in der Beschwerdeantwort aufgezählten Vergabekriterien im Rahmen eines Einladungsverfahrens zur Anwendung gelangen können, ist fraglich. Auf jeden Fall hätte die Beschwerdegegnerin sie aber von vornherein in den Ausschreibungsunterlagen entweder entsprechend ihrer Wichtigkeit der Reihe nach oder unter Angabe der relativen Bedeutung aufzählen müssen, was sie nicht getan hat. Die Beschwerdegegnerin kann daher diese Vergabekriterien nicht nachträglich noch zur Anwendung bringen, um den preislich günstigsten Anbieter nicht berücksichtigen zu müssen. Somit ist festzustellen, dass der Zuschlag an die einheimische Firma L in rechtswidriger Weise erfolgte. So wie die Ausschreibung in guten Treuen zu verstehen war, hätte allein der preislich günstigste Anbieter berücksichtigt werden dürfen, was offensichtlich die Beschwerdeführerin war.

4. a) Aufgrund des ausdrücklichen Verzichts der Beschwerdeführerin auf ein Gesuch um aufschiebende Wirkung ist der – rechtswidrige – Zuschlagsentscheid rechtskräftig geworden, so dass für dessen Aufhebung und damit verbundenem eigenen Entscheid in der Sache beziehungsweise damit verbundener Rückweisung an die Beschwerdegegnerin kein Raum bleibt (vgl. Art. 18 Abs. 1 IVöB).

b) Auftraggeber haften gemäss § 6 Abs. 1 GöB für den Schaden, den sie durch einen Entscheid verursacht haben, dessen Rechtswidrigkeit vom Verwaltungsgericht festgestellt worden ist. Diese Haftung beschränkt sich auf Aufwendungen, die den Anbietern in Zusammenhang mit dem Vergabe- und Rechtsmittelverfahren erwachsen sind (§ 6 Abs. 2 GöB).

aa) Die Beschwerdeführerin verlangt die Rückerstattung der Kosten für die Ausarbeitung ihres Angebots, welche sich auf acht Stunden à Fr. 135.—, also auf eine Summe von Fr. 1'080.– belaufen sollen. Weiter macht sie eine Entschädigung für entgangenen Gewinn von Fr. 8'400.– (4% von Fr. 185'000.–) geltend, ohne nähere Erklärungen zu dieser Summe abzugeben. Die Beschwerdegegnerin weigert sich, auf diese Forderungen einzugehen und stellt ihrerseits Gegenforderungen für Aufwendungen von insgesamt Fr. 3'700.–, welche durch die Beschwerdeerhebung entstanden seien.

bb) Aufgrund der festgestellten Rechtswidrigkeit des Zuschlagsentscheides vom 14. März 2000 und mangels betragsmässiger Bestreitung ist der Beschwerdeführerin die Summe von Fr. 1'080.– für Aufwendungen im Zusammenhang mit der Offertstellung ohne weiteres zuzusprechen. Zudem hat die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin den Aufwand für das Beschwerdeverfahren zu vergüten, welcher auf Fr. 200.– festzusetzen ist (§ 80 VRG).

cc) Zur Begründung ihres Anspruches auf eine Entschädigung für entgangenen Gewinn führt die Beschwerdeführerin sinngemäss «culpa in contrahendo» an. Die Beschwerdegegnerin habe ihre Offerte lediglich zu Vergleichszwecken eingeholt. Sie habe gar nie eine echte Chance gehabt, den Auftrag zu erhalten. Dem ist entgegenzuhalten, dass es die Beschwerdeführerin war, welche um eine Einladung zur Offertstellung ersuchte. Allerdings ist einzuräumen, dass die Beschwerdegegnerin konsequenterweise eine Einladung hätte verweigern sollen mit der Begründung, sie berücksichtige von vornherein nur Anbieter der näheren Umgebung. Wie sich anhand des erwähnten § 6 GöB zeigt, besteht im weiteren für eine eigentliche Schadenersatzforderung aus «culpa in contrahendo» im Submissionsverfahren keine Rechtsgrundlage. Ersatzansprüche, welche über § 6 GöB hinaus gehen, müsste die Beschwerdeführerin gestützt auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit in einem separaten Verfahren gegen die Beschwerdegegnerin geltend machen. Auf die weitergehenden Forderungen für entgangenen Gewinn ist daher nicht einzutreten.

dd) Für die Gegenforderungen der Beschwerdegegnerin besteht unter keinem Titel ein Rechtsanspruch, so dass diesen nicht zu entsprechen ist. Zusammenfassend hat die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführerin demnach mit Fr. 1'280.– für deren Aufwendungen für Offertstellung und Beschwerdeverfahren zu entschädigen.

Entscheid vom 7. Juni 2000

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