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TVR 2000 Nr. 32

Entbindung vom Arztgeheimnis


§ 18 Abs. 2 aGG


Schwere Vorwürfe innerhalb der Familie können ein Interesse an der Öffnung der Krankengeschichte eines durch Suizid Verstorbenen begründen. Dem können die Interessen Lebender, in den Akten genannter Dritter entgegenstehen. Der Interessenkonflikt kann unter Umständen dadurch gelöst werden, dass das Gericht Einsicht in die Krankengeschichte nimmt und hernach konkret gestellte Fragen beantwortet.


B beging im Juni 1993 Selbstmord. Bereits 1987 hatte er versucht, sich das Leben zu nehmen. Er wurde jedoch rechtzeitig gefunden und im Kantonsspital hospitalisiert.

Im Februar 2000 stellte seine Tochter beim Chefarzt des Kantonsspitals ein Gesuch um Einblick in die Krankengeschichte ihres Vaters, weil insbesondere ihre Mutter ihr vorwerfe, für den Tod des Vaters verantwortlich zu sein, da sie ihn im Oktober 1987 unbefugt und gegen den Willen der Ärzte abgeholt habe. Das DJS als für die Entbindung vom Berufsgeheimnis zuständige Behörde wies das Gesuch der Tochter ab. Gegen diesen Entscheid erhob sie Beschwerde beim Verwaltungsgericht, welches diese insofern teilweise gutheisst, als das Gericht nach Einsichtnahme in die Krankengeschichte des Vaters konkret formulierte Fragen beantwortet.

Aus den Erwägungen:

2. a) Wie bereits von der Vorinstanz richtig dargelegt, ist das sogenannte Arztgeheimnis (heute wird teilweise auch von Patientengeheimnis gesprochen) in § 18 GG festgelegt. Zudem wird die Verletzung des Berufsgeheimnisses auch strafrechtlich geahndet (Art. 321 StGB). In Lehre und Rechtsprechung unbestritten ist, dass dieses Arzt-/Patientengeheimnis auch über den Tod des Patienten hinaus zu beachten ist. Soll ein Geheimnisherr von seiner Geheimnispflicht entbunden werden, so kann dies nur geschehen, wenn eine Prüfung sämtlicher auf dem Spiel stehender Interessen ergibt, dass sich eine solche Befreiung unter den gegebenen Umständen rechtfertigt (TVR 1998 Nr. 29). Ebenso wie die Praxis anerkennt, dass der Schutz des Arzt-/Patientengeheimnisses über den Tod des Patienten hinaus wirkt, anerkennt sie auch den Anspruch der Angehörigen, Einsicht in diese Akten zu erhalten, wenn ein schutzwürdiges Interesse ihrerseits vorliegt. Allerdings besteht in der Regel kein uneingeschränkter Anspruch auf Akteneinsicht, sondern nur soweit, als dies durch die Interessen der Angehörigen gerechtfertigt ist (ZBl 1990, S, 346 ff.).

b) Das Interesse der Beschwerdeführerin an einer Öffnung der Krankengeschichte ihres Vaters in Bezug auf den Vorfall von 1987 ist grundsätzlich sicher vorhanden. Wenn innerhalb einer Familie Schuldzuweisungen vorgenommen werden, die sogar so weit gehen, dass jemand für den Suizid des Vaters verantwortlich gemacht wird, so sind dies ganz gravierende Vorwürfe. Einem Offenbarungsinteresse stehen jedoch in aller Regel andere Interessen gegenüber. Hier ist zum einen der Schutz des Verstorbenen an einer Aufrechterhaltung des Geheimnisses gegenüber zu stellen. Weiter wurde im präsidialen Schreiben vom 3. Juli 2000 an die Beschwerdeführerin angedeutet, dass vorliegend auch Interessen weiterer lebender Personen betroffen sein könnten. Dass der Beschwerdeführerin nicht bekannt gegeben werden darf, wer diese Personen sind, ergibt sich daraus, dass dadurch bereits ein Teil der zu schützenden Tatsachen bekanntgegeben würde. Entgegen der Vermutung der Beschwerdeführerin ist jedoch den Akten nicht zu entnehmen, dass ausser den behandelnden Ärzten und den an diesem Verfahren beteiligten Personen (Chefarzt, Kantonsarzt, DFS, Verwaltungsgericht) noch andere Personen Einsicht in die Akten des Vaters hatten.

c ) Im bereits zitierten Fall ZBl 1990, S. 346 ff., war darüber zu entscheiden, ob Erben Einsicht in die Akten ihrer verstorbenen Mutter erteilt werden könne, weil diese einen Erbprozess sowie einen Prozess gegen den behandelnden Arzt in Erwägung zogen. Das urteilende Gericht hat in jenem Entscheid folgendes ausgeführt: «Der Konflikt zwischen Einsichtsinteresse und Geheimhaltungsinteresse kann dadurch gelöst werden, indem die verlangte Einsicht in eine Krankengeschichte einem Arzt gewährt wird, den die Gesuchsteller bestimmen. Dieser darf den Gesuchstellern nur soweit über den Inhalt der Krankengeschichte unterrichten, als es das Einsichtsinteresse gebietet.» Diese Lösung entspricht zweifelsfrei dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit, wonach ein allfälliges Geheimnis nur soweit zu lüften ist, als dies unbedingt erforderlich ist und zudem soweit als möglich Schutzmassnahmen zu treffen sind. Der Präsident des Verwaltungsgerichtes hat der Beschwerdeführerin denn auch eine entsprechende Lösung angeboten, zu welcher die Beschwerdeführerin ihr Einverständnis gegeben hat. Dementsprechend beantwortet das Gericht die von der Beschwerdeführerin gestellten Fragen.

Entscheid vom 8. November 2000

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