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TVR 2000 Nr. 37

Klage aus überobligatorischer beruflicher Vorsorge. Auszahlung eines Todesfallkapitals mit befreiender Wirkung


Art. 73 BVG, Art. 398 Abs. 2 OR


1. Im überobligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge rechtfertigt es sich, die Frage, ob die Vorsorgeeinrichtung mit befreiender Wirkung geleistet hat, in Anwendung der auftragsrechtlichen Grundsätze zu beantworten. Massgebend ist dabei, ob sich die Vorsorgeeinrichtung eine Sorgfaltspflichtverletzung vorwerfen lassen muss (E. 2).

2. Eine Klage gegen eine Vorsorgeeinrichtung auf Leistung von Todesfallkapital ist innert angemessener Frist einzureichen. Ein Zuwarten während fünf Jahren widerspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben, was zur Folge hat, dass der Kläger sein Klagerecht verwirkt (E. 3).


Der 1963 geborene L J verstarb 1994 bei einem Unfall. Bis dahin arbeitete er für die X AG und war als ihr Mitarbeiter bei der Personalvorsorgestiftung der Firma unter anderem gegen das Risiko Tod versichert. Im Oktober 1994 verlangte seine Witwe, A J, die Auszahlung der ihr zustehenden Todesfallleistungen. Hierzu wurde der Personalvorsorgestiftung ein schweizerischer Todesschein sowie eine in Serbien ausgestellte Heiratsurkunde vorgelegt. In der Folge zahlte die Personalvorsorgestiftung unter anderem auch den bis dahin geäufneten Sparbetrag gemäss Art. 11 ihres damals gültigen Reglements aus. Im Dezember 1994 meldeten sich dann die Eltern von L J bei der Personalstiftung und machten geltend, im Zeitpunkt seines Ablebens sei ihr Sohn nicht mehr verheiratet gewesen, was mit dem beigelegten Urteil des zuständigen Amtsgerichts in Serbien vom 13. Dezember 1993 bewiesen werden könne. Das Sparkapital sei daher an sie auszuzahlen. Es folgte ein Schriftenwechsel zwischen der Rechtsvertreterin der Eltern J und der Personalvorsorgestiftung, wobei ein letztes Dokument vom 29. März 1995 datiert. Danach liessen sich die Eltern J vorerst nicht mehr vernehmen. Am 25. Juni 1999 reichten sie dann aber Klage beim Versicherungsgericht des Kantons Thurgau ein und stellten das Begehren, es sei die Personalvorsorgestiftung der X AG zu verpflichten, ihnen das Sparguthaben nach Art. 11 des Reglements der Personalvorsorgestiftung auszubezahlen, da sie und nicht A J die Berechtigten seien. Das Versicherungsgericht weist die Klage ab.

Aus den Erwägungen:

2. Laut Art. 7 des Reglements der Personalstiftung der Arbeitgeberfirma leisten die Firma und die Mitglieder Beiträge zur Äufnung der Sparkapitalien, die auf einem individuellen Sparkonto gutgeschrieben werden. Stirbt ein Mitarbeiter vor Erreichen des Rücktrittsalters, so haben unter Vorbehalt allfälliger aufsichtsbeziehungsweise steuerrechtlicher Einschränkungen sein Ehegatte, seine Nachkommen, Eltern und Geschwister – in dieser Reihenfolge – Anspruch auf das bis zum Zeitpunkt des Ablebens aus seinen eigenen Beiträgen verzinslich angesammelte Sparkapital. Weitere Erben haben keinen Anspruch (Art. 11 des Reglements).

a) Weder das BVG, noch die dazu gehörigen Verordnungen, noch das Reglement selbst geben eine Antwort auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Vorsorgeeinrichtung berechtigt und verpflichtet ist, allfällige Leistungen auszubezahlen. Insbesondere wird nirgends gesagt, welche Dokumente beigebracht werden müssen, damit mit befreiender Wirkung geleistet werden kann und muss. Auch in anderen Sozialversicherungsgesetzen findet sich diesbezüglich kein Hinweis. Im obligatorischen Versicherungsbereich der beruflichen Vorsorge ist dies in der Regel auch kein Problem, da allfällige Destinatäre im Versicherungsfall immer einen eigenen gesetzlichen Anspruch haben. Einen «Kaskadeneintritt», wie ihn Art. 11 des Reglements vorsieht, gibt es im obligatorischen Versicherungsbereich nicht. Das Reglement selbst enthält in Art. 21 Ziff. 3 eine Bestimmung, wonach der Stiftungsrat gehalten ist, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen und nach pflichtgemässem Ermessen eine dem Sinn und Zweck der Stiftung und des BVG entsprechende Regelung zu treffen, wenn das Reglement selbst keine Vorschriften enthält. Da aber – wie bereits gesagt – selbst das BVG und andere sozialversicherungsrechtliche Bestimmungen keine Vorschriften bezüglich des sich hier stellenden Problems enthalten, bietet es sich vorliegend an, zur Auslegung hilfsweise die Bestimmungen des Obligationenrechts heranzuziehen. Dies aus zwei Gründen: Zum einen handelt es sich um einen Anspruch aus dem überobligatorischen Bereich, der grundsätzlich einen gewissen Gestaltungsraum für autonome Regelungen offen lässt. Zum anderen wurde das Sparkapital des verstorbenen L J auf einem individuellen Konto verwaltet, wie dies etwa auf einer Bank geschieht.

b) Die Führung eines Kontos stellt ein Dauerschuldverhältnis dar und die Abwicklung des Geschäftsverkehrs hat sich daher auch analog den auftragsrechtlichen Grundsätzen (im Speziellen analog den Bestimmungen von Art. 398 Abs. 2 OR) zu richten. Gemäss dieser Bestimmung haftet der Beauftragte für eine getreue und sorgfältige Ausführung des ihm übertragenen Geschäfts. Das Mass der Sorgfalt bestimmt sich nach objektiven Kriterien. Erforderlich ist die Sorgfalt, welche ein gewissenhafter Beauftragter in der gleichen Lage bei Besorgung der ihm übertragenen Geschäfte anzuwenden pflegt (ZR 97 Nr. 90). Die Klage wäre daher (unter Vorbehalt anderer Abweisungsgründe; vgl. dazu E. 3) dann gutzuheissen, wenn der Beklagten eine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen wäre. Von dieser Rechtsauslegung gehen offensichtlich auch die Parteien aus, dreht sich der Streit und vor allem ihre Argumentation in den Rechtsschriften besonders um die Frage, ob der Beklagten eine solche Pflichtverletzung vorzuwerfen ist.

c) Im Gegensatz zu einem Bankverhältnis mit Kontoführung besteht in casu das Problem, dass es keinen «Auftraggeber» mehr gibt, da dieser verstorben ist. Im normalen Geschäftsverkehr wäre dies insofern kein Problem, als das Konto einfach in die Erbmasse fallen würde und im Rahmen der Erbteilung aufzuteilen wäre. Das passiert hier aber nicht, da die Auszahlung des geäufneten Sparkapitals durch die Vorsorgeeinrichtung an die Hinterlassenen in ihrer Eigenschaft als Destinatäre als Leistungen aus einem Vertrag zugunsten Dritter gemäss Art. 112 OR zu bezeichnen ist. Der Anspruch der Destinatäre fällt somit nicht in die Erbmasse (SZS 1983, S. 40; Stauffer, Die berufliche Vorsorge, Zürich 1996, S. 20). Der Vorsorgeeinrichtung und Beklagten blieb daher vorerst nichts anderes übrig, als zu warten, bis sich ein Ansprecher meldet. A J hat dies im Oktober 1994 getan und gleichzeitig den Todesschein sowie einen aktuellen Auszug aus dem Zivilstandsregister aus ihrer Heimat vorgelegt (Datum: 26. Juli 1994), aus welchem hervorging, dass sie mit L J verheiratet ist. Nicht daraus hervor ging, dass die Parteien geschieden sein sollen, was gemäss der Erklärung der Kläger daran liegen soll, dass die Scheidung vom Dezember 1993 erst im August 1994 dem Zivilstandsregister mitgeteilt wurde. Die Kläger bringen nun aber vor, dass die Beklagte von der Scheidung hätte wissen müssen, da L J ab dem 3. Juni 1993 bei seiner Arbeitgeberin eine Wohnung gemietet habe. Dem hält die Beklagte entgegen, dass die Wohnungsmiete lediglich zwei Monate gedauert habe, nämlich während der Zeit, während der L J der Führerausweis entzogen war. Diese Ausführungen sind durchaus glaubhaft. Zudem ist zu beachten, dass, selbst wenn die Arbeitgeberfirma von einem allfälligen Um- oder Auszug von L J von seiner Ehefrau etwas gewusst hätte, dies noch lange nicht bedeutete, dass auch die Beklagte davon Kenntnis haben musste, handelt es sich doch um zwei unterschiedliche Rechtspersonen. Auch wäre die Fürsorgebehörde kaum als Vertreterin von A J in dieser Sache aufgetreten, wenn sie den Verdacht gehegt hätte, die Eheleute lebten in Scheidung oder seien bereits geschieden. Das Gericht gelangt daher zur Ansicht, dass sich die Beklagte auf den Totenschein und den Auszug aus dem jugoslawischen Zivilstandsregister vom 26. Juli 1994 verlassen durfte, dies umso mehr, als selbst nach Angaben der Kläger ein Eintrag bezüglich der Scheidung erst später erfolgt ist. Auch der Umstand der Wohnungsmiete durch L J kann nicht zu Ungunsten der Beklagten ausgelegt werden. Sie hat somit ihre Sorgfaltspflicht nicht verletzt, weshalb sie das geäufnete Sparkapital nebst dem Todesfallkapital an A J mit befreiender Wirkung ausrichten durfte. Dementsprechend ist die Klage abzuweisen.

3. Selbst wenn eine Sorgfaltspflichtverletzung angenommen würde, so müsste die Klage aus einem anderen Grund abgewiesen werden. Im Gegensatz zu anderen Sozialversicherungszweigen schreibt das BVG nicht vor, dass vor der Ausrichtung von Leistungen eine anfechtbare Verfügung erlassen werden müsse. Dennoch ergehen, um den Bedürfnissen der Versicherten nach Sicherheit Rechnung zu tragen, die Leistungsentscheide der Vorsorgeeinrichtungen regelmässig in schriftlicher Form (Schnyder, Verfahrensfragen in der Sozialversicherung, St. Gallen 1996, S. 139). Aufgrund der eingereichten Akten ist aber nicht klar, ob der schriftliche Entscheid auch den Klägern zugestellt wurde. Dies ist jedoch unerheblich, da zweifelsfrei feststeht, dass sie von diesem Entscheid bereits 1994 Kenntnis hatten. Hiezu ist auf den Grundsatz von Treu und Glauben hinzuweisen, welcher selbstverständlich auch im Recht der beruflichen Vorsorge gilt und an den sich sämtliche Beteiligten zu halten haben. Dies bedeutet unter anderem, dass von einem Versicherten, der die Mangelhaftigkeit eines Leistungsentscheids kennt, erwartet werden kann, sich innert nützlicher Frist darauf zu berufen. Trägt der Versicherte seine Klage verspätet vor, muss diese abschlägig beurteilt werden, obwohl sie aufgrund der materiellrechtlichen Grundlagen eigentlich durchdringen müsste (Schnyder, a.a.O., S. 146 ff.; BGE 102 V 15). Wie erwähnt hatten die Kläger bereits 1994 Kenntnis vom Entscheid der Beklagten, welche das vorhandene Sparkapital an A J ausbezahlt hatte. Auch waren die Kläger bereits damals anwaltlich vertreten. Weshalb sie unter diesen Umständen dennoch fünf Jahre zuwarteten, bis sie ihren Anspruch geltend machten, ist unverständlich. In Anbetracht der zitierten Lehre und Praxis muss das Verhalten der Kläger als Verstoss gegen Treu und Glauben gewertet werden, zumal auch die Beklagte davon ausgehen durfte, die Sache sei erledigt, nachdem die Kläger 1994 beziehungsweise 1995 keine Klage eingereicht hatten.

Entscheid vom 15. März 2000

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