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TVR 2000 Nr. 38

Rückerstattung für Mehrkosten infolge ausserkantonaler Hospitalisation. Sachliche Zuständigkeit im Beschwerdeverfahren. Legitimation. Geltungsbereich der Untersuchungsmaxime


Art. 41 Abs. 3 KVG, § 14 Abs. 4 TG KVV, § 16 Abs. 2 TG KVV, § 54 VRG


1. Zur Beurteilung von Ansprüchen nach Art. 41 Abs. 3 KVG ist das Verwaltungs- und nicht das Versicherungsgericht zuständig (E. 1a).

2. Der Krankenversicherer ist zur Geltendmachung von Ansprüchen nach Art. 41 Abs. 3 KVG legitimiert (E. 1b).

3. Bei der Vorschrift von § 14 Abs. 4 TG KVV, wonach die Kostengutsprache bei Spitaleintritt vorliegen muss, handelt es sich um eine Ordnungsvorschrift, deren Nichtbeachtung nicht den Untergang des Rückerstattungsanspruchs nach Art. 41 Abs. 3 KVG zur Folge hat. Dasselbe gilt für die Vorschrift von § 16 Abs. 2 TG KVV, wenn die Anzeige erst nach der siebentägigen Frist erfolgt (E. 2a–c).

4. Auch der Kantonsarzt ist bei der Prüfung von Rückerstattungsansprüchen nach Art. 41 Abs. 3 KVG dem im Sozialversicherungsrecht geltenden Grundsatz der Untersuchungsmaxime unterworfen (E. 2d).


Die E Krankenversicherung stellte am 27. Januar 1997 beim Gesundheitsamt des Kantons Thurgau mehrere Begehren um Ausrichtung des Kantonsbeitrags nach Art. 41 Abs. 3 KVG. Das Gesundheitsamt des Kantons Thurgau antwortete daraufhin, dass Direktzahlungen an die Krankenversicherer nur nach bewilligter Kostengutsprache ausgerichtet würden. Die eingereichten Rechnungen wurden zurückgesandt. Mit Schreiben vom 14. Februar 1997 ersuchte die E das Gesundheitsamt um Wiedererwägung, da es nicht angehen könne, dass der Krankenversicherer die Verantwortung für Versäumnisse der Leistungserbringer tragen müsse. Die medizinische Indikation für den ausserkantonalen Spitalaufenthalt sei bei den eingereichten Fällen unbestritten. Der Kanton Thurgau sei daher verpflichtet, die Differenz zwischen den in Rechnung gestellten Kosten und den Tarifen des betreffenden Spitals für Kantonseinwohner zu übernehmen. Nach einem weiteren Schriftenwechsel teilte das Gesundheitsamt mit, dass der Kanton gestützt auf die TG KVV die Behandlungskosten nur übernehme, wenn er Kostengutsprache geleistet habe. Für Notfälle sei keine Kostengutsprache notwendig, doch müssten diese innerhalb von sieben Tagen dem Kantonsarzt gemeldet werden. In der Folge verfügte der Kantonsarzt, die Voraussetzungen für die Übernahme der Kosten seien bei allen Begehren der E nicht gegeben. Den dagegen erhobenen Rekurs wies das DFS ab. Die E erhebt Beschwerde beim Verwaltungsgericht, welches im wesentlichen gutheisst und die Sache zwecks ergänzenden Abklärungen und zum Neuentscheid an den Kantonsarzt zurückweist.

Aus den Erwägungen:

1. a) Es fragt sich zunächst einmal, wer zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerde zuständig ist, das Verwaltungsgericht oder das Versicherungsgericht. Es geht um einen Anspruch nach Art. 41 Abs. 3 KVG. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat in BGE 123 V 290 ff. festgehalten, dass weder das KVG noch die dazu gehörigen Verordnungen die Zuständigkeit und das Verfahren zur Geltendmachung und allenfalls gerichtlicher Durchsetzung von Ansprüchen gegen den Wohnkanton des Versicherten regeln. Die Regelung der Zuständigkeit und des Verfahrens auf kantonaler Ebene im Anwendungsbereich von Art. 41 Abs. 3 KVG sei somit grundsätzlich Sache der Kantone. Vorliegend handelt es sich weder um eine Streitigkeit zwischen Versicherung und Versichertem nach Art. 86 KVG, noch um eine Streitigkeit zwischen Versicherung und Leistungserbringer im Sinne von Art. 89 KVG. Ein Fall von § 69a Abs. 1 Ziff. 1 VRG liegt somit nicht vor. In den spezialrechtlichen kantonalen Bestimmungen der TG KVG oder der TG KVV finden sich keinerlei Verfahrensbestimmungen, die auf den vorliegenden Fall (Streitigkeit zwischen Wohnkanton und Versicherer) zutreffen. Dementsprechend gelten, auch wenn das Eidgenössische Versicherungsgericht davon ausgeht, dass es sich beim Anspruch nach Art. 41 Abs. 3 KVG um einen Anspruch sozialversicherungsrechtlicher Natur im Sinne von Art. 128 OG handelt, die allgemeinen Verfahrensbestimmungen des VRG. Es ist daher das Verwaltungsgericht und nicht das Versicherungsgericht zur Behandlung der Beschwerde zuständig.

b) (…) Honorarschuldner einer von einem Leistungserbringer erbrachten Leistung ist gemäss Art. 42 KVG grundsätzlich der Versicherte (Maurer, Das neue Krankenversicherungsrecht, Basel 1996, S. 77). In verfahrensmässiger Hinsicht wird in der noch spärlichen Literatur zum KVG indessen im Anwendungsbereich von Art. 41 Abs. 2 KVG von der primären Leistungspflicht des Krankenversicherers ausgegangen (Maurer, a.a.O., S. 74 f.). Wenn ein medizinischer Grund im Sinne von Art. 41 Abs. 2 KVG vorliege, geniesse der Versicherte für diese Leistung den vollen Tarifschutz. Der Versicherer müsse den im auswärtigen Tarif festgesetzten, meistens höheren Preis bezahlen. Der Versicherer, der wegen des höheren auswärtigen Tarifs einen Mehrpreis bezahlt habe, könne diesen dann vom Wohnsitzkanton des Versicherten zurückfordern. Somit gehe die Tarifdifferenz letztlich zu Lasten des Wohnkantons. Im Rückforderungsverfahren könne der Krankenversicherer nach der sinngemäss anwendbaren Sonderregel des Art. 121 Abs. 2 KVV die gleichen Rechtsmittel ergreifen wie die versicherte Person (vgl. hierzu das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Obwalden vom 17. November 1998 i. S. H gegen G). Die auch von Seiten der Vorinstanz unbestrittene Legitimation der Beschwerdeführerin ist somit gegeben. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

c) Da es sich vorliegend um einen Anspruch aus dem KVG handelt, ist zur Beurteilung des Falles letztinstanzlich das Eidgenössische Versicherungsgericht zuständig. Dementsprechend richtet sich die Kognition des Verwaltungsgerichtes nach § 56 Abs. 3 VRG i.V. mit Art. 132 OG.

2. a) Die Beschwerdeführerin macht gegenüber dem Kanton Thurgau einen Anspruch aus Art. 41 Abs. 3 KVG geltend. Dieser bestimmt, dass der Wohnkanton die Differenz zwischen den in Rechnung gestellten Kosten und den Tarifen des betreffenden Spitals für Einwohner und Einwohnerinnen des Kantons übernimmt, falls die versicherte Person aus medizinischen Gründen die Dienste eines ausserhalb ihres Wohnkantons öffentlich oder öffentlich subventionierten Spitals beansprucht. In den kantonalen Ausführungsvorschriften zum KVG wird das Verfahren insofern geregelt, als für ausserkantonale Hospitalisationen grundsätzlich eine Kostengutsprache des Kantonsarztes vorliegen muss, wobei das Gesuch durch die einweisende Stelle einzureichen ist (§ 14 Abs. 1 TG KVV). Die Kostengutsprache muss zudem bei Spitaleintritt vorliegen (§ 14 Abs. 4 TG KVV). Liegt keine Kostengutsprache vor, kommt der Kanton für die Behandlungskosten nicht auf (§ 15 Abs. 1 TG KVV). Keine Kostengutsprache ist notwendig, wenn ein Notfall vorliegt oder wenn die Patientinnen und Patienten von einem öffentlichen oder öffentlich subventionierten, im Kanton gelegenen Spital überwiesen werden. Diese Fälle sind allerdings dem Kantonsarzt innert sieben Tagen zu melden (§ 16 Abs. 1 und 2 TG KVV).

b) Zunächst stellt sich die Frage, ob der sich aus Art. 41 Abs. 3 KVG ergebende Anspruch auf Rückzahlung verwirkt ist, wenn die Kostengutsprache für die ausserkantonale Hospitalisation nicht rechtzeitig vorliegt. Der Sinn der Bestimmung von § 14 Abs. 4 TG KVV liegt zweifelsfrei darin, dass der Kanton noch rechtzeitig vor dem ausserkantonalen Spitaleintritt prüfen kann, ob für diesen Aufenthalt eine medizinische Notwendigkeit gegeben ist. In ähnlichem Sinne ist auch die Bestimmung von § 16 Abs. 2 TG KVV zu verstehen, wonach in Fällen, in denen eine Kostengutsprache nicht notwendig ist, diese innert sieben Tagen dem Kantonsarzt zu melden sind. Grundsätzlich geht es in beiden Fällen darum, dass die Begründung für die ausserkantonale Hospitalisation überprüft werden kann. Da es sich beim Anspruch aus Art. 41 Abs. 3 KVG um einen bundesrechtlichen Anspruch handelt, darf dieser durch kantonales Recht weder erschwert, noch verunmöglicht werden. Die E verweist hierzu auf das bereits erwähnte Urteil des Verwaltungsgerichtes des Kantons Obwalden, wonach es sich bei solchen Vorschriften lediglich um Ordnungsvorschriften handle, deren Nichtbeachtung nicht den Untergang des Anspruchs zur Folge haben könne. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Bei den Bestimmungen von § 14 ff. TG KVV handelt es sich um kantonales Ausführungsrecht. Das Verwaltungsgericht hat in einem Fall betreffend Sonderschuleintritt in TVR 1995 Nr. 12 E. 2c entschieden, dass es sich bei der Pflicht, vorgängig eine Kostengutsprache einzuholen, um eine Obliegenheit handelt. Die Verletzung dieser Obliegenheit könne aber nicht bewirken, dass allein aus diesem Grund eine Kostenbeteiligung verweigert werden könne. Dies muss im vorliegenden Fall umso mehr gelten, als die Beschwerdeführerin in der Regel beim Spitaleintritt eines ihrer Versicherten noch keine Kenntnis vom Fall hat und somit nicht selbst das Kostengutsprachegesuch stellen kann. Auch gegenüber den Leistungserbringern (ausserkantonale Spitäler) fehlt in der Regel die Möglichkeit, diese zur Einreichung eines Kostengutsprachegesuchs anzuhalten. Es darf nicht vergessen werden, dass sowohl nach der TG KVV als auch gemäss dem Formular zur Einholung der Kostengutsprache grundsätzlich entweder der behandelnde Arzt oder das behandelnde Spital dafür zuständig ist. Es würde nun aber dem Sinn von Art. 41 Abs. 3 KVG widersprechen, wenn der Versicherer die Folgen eines Versäumnisses zu tragen hätte, das nicht in seinem Verantwortlichkeitsbereich liegt. Im übrigen sei darauf hingewiesen, dass laut § 16 Abs. 1 TG KVV für Notfälle und für Hospitalisation von Patienten, die von einem öffentlichen oder öffentlich subventionierten, im Kanton gelegenen Spital überwiesen werden, gerade keine Pflicht zur Einreichung eines Kostengutsprachegesuchs besteht. Hier besteht lediglich eine Anzeigepflicht innert sieben Tagen. Auch die Missachtung dieser Frist kann selbstredend nicht den Untergang des Anspruchs des Versicherers zur Folge haben. Dementsprechend kann als Zwischenergebnis festgehalten werden, dass der Anspruch der Beschwerdeführerin auf Rückerstattung, trotz offensichtlich noch nicht eingereichter Kostengutsprachegesuche beziehungsweise verspäteter Anzeigen, nicht untergegangen ist.

c) Auch wenn es sich bei den Vorschriften von § 14 Abs. 4 und § 16 Abs. 2 TG KVV lediglich um Ordnungsbestimmungen handelt, so bedeutet dies noch nicht, dass deren Nichtbeachtung keinerlei Rechtsfolgen hätte. Für die Fälle von § 16 TG KVV hat die Missachtung der Anzeigepflicht zur Folge, dass der Kanton nicht für die Kosten aufzukommen hat, sofern eine Verlegung im Sinne von § 16 Abs. 3 TG KVV möglich gewesen wäre. Die Verletzung der Pflicht, vorgängig eine Kostengutsprache einzuholen, kann etwa dann Folgen zeitigen, wenn das verspätet gestellte Gesuch zur Folge hat, dass die Notwendigkeit der ausserkantonalen Hospitalisation nicht mehr beurteilt werden kann. Nicht zu prüfen ist an dieser Stelle, wer die Kosten zu übernehmen hätte, wenn der Kanton in den genannten Fällen die Erstattung seines Beitrags zu Recht verweigert.

d) Im Sozialversicherungsrecht allgemein und somit auch in der Krankenversicherung gilt der Untersuchungsgrundsatz: Der Versicherer und im Streitfall der Richter hat den für die Entscheidung massgebenden Sachverhalt von Amtes wegen zu ermitteln und dadurch für die Beschaffung der notwendigen Beweisunterlagen zu sorgen. Art. 87 lit. c KVG hält diesen Grundsatz nur für die kantonalen Versicherungsgerichte fest, er gilt jedoch sinngemäss auch für die Versicherer und die Verwaltung, wenn sie Entscheidungen zu treffen haben (Maurer, a.a.O., S. 164). Die Beurteilung der von der Beschwerdeführerin aus Art. 41 Abs. 3 KVG abgeleiteten Ansprüche ist erstinstanzlich Sache des Kantonsarztes. Damit ist auch er im Hinblick auf seinen Entscheid an die Untersuchungsmaxime gebunden, das heisst, er hat von Amtes wegen sämtliche Beweismittel zu erheben, damit er einen Entscheid treffen kann. Als die Beschwerdeführerin am 27. Januar 1997 das Gesuch um Rückerstattung der Differenzbeträge stellte, hätte dieses vom Gesundheitsamt zunächst einmal wegen der Vorschrift von § 5 Abs. 3 VRG an den Kantonsarzt weitergeleitet werden müssen. Dieser wäre dann aufgrund der Untersuchungsmaxime verpflichtet gewesen, den Sachverhalt von sich aus soweit abzuklären, dass er einen Entscheid hätte fällen können. Bereits aus dem Formular der Sanitätsdirektorenkonferenz wird klar, dass dieses nicht von der Versicherung, sondern von den einweisenden beziehungsweise behandelnden Stellen auszufüllen ist. Anstatt formalistisch darauf zu beharren, die E habe diese Formulare vorzulegen, hätte der Kantonsarzt von sich aus bei diesen Stellen die entsprechenden Unterlagen verlangen müssen, um die Gesuche beurteilen zu können. Dies ist jedoch bis heute nicht geschehen. Es ist daher nicht möglich, über die von der Beschwerdeführerin gestellten Ansprüche zu urteilen. Die Sache ist daher an den Kantonsarzt zurückzuweisen, damit er die entsprechenden Unterlagen bei den ausserkantonalen Spitälern einholt, um dann über die Ansprüche zu entscheiden. Die Rückweisung rechtfertigt sich umso mehr, als der Kantonsarzt die Gesuche als Fachperson beurteilen kann, währenddem das Verwaltungsgericht eine solche Fachperson beiziehen müsste. Die Beschwerde kann daher – verglichen mit den gestellten Anträgen – nur teilweise gutgeheissen werden.

Entscheid vom 8. November 2000

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