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TVR 2000 Nr. 4

Ausweisung, Verhältnismässigkeitsprüfung


Art. 10 Abs. 1 lit. a und b ANAG, Art. 11 Abs. 3 ANAG


Bei einem mehrfach vorbestraften Drogendealer besteht ein grosses öffentliches Interesse an der Ausweisung/Fernhaltung aus der Schweiz. An der Zulässigkeit der Ausweisung würde auch eine Heirat mit einer Schweizer Bürgerin nichts ändern, wenn die drohende Ausweisung beim Entschluss zur Heirat bereits bekannt sein musste.


E, geboren am 1. Februar 1979, reiste 1988 im Rahmen des Familiennachzugs aus Mazedonien in die Schweiz ein, wo er bei seinen Eltern wohnte. Er absolvierte hier die Primar- und die Realschule und arbeitete anschliessend bis November 1998. Seither ist er arbeitslos. Da er die Kontrollvorschriften der Arbeitslosenversicherung nicht einhielt und zu Kontrollgesprächen im Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) mehrmals unentschuldigt nicht erschien, wurde er von der Arbeitsvermittlung abgemeldet. E ist im Besitze einer Niederlassungsbewilligung C für den Kanton Thurgau.
Am 20. August 1999 verfügte die Fremdenpolizei des Kantons Thurgau gegen ihn die Ausweisung für die Dauer von fünf Jahren, da er aus folgenden Gründen zu schweren Klagen Anlass gegeben habe: Strafverfügung wegen Besitz und Konsum von Haschisch und Heroin; Strafverfügung wegen mehrfachen Kaufs und Konsums von Haschisch, Heroin und Kokain, Verkauf von Heroin; Strafverfügung wegen unberechtigten Verwendens eines Fahrrades; Verurteilung durch das Bezirksgericht wegen mehrfacher, teilweiser schwerer Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz (Vermittlung und Konsum von Heroin und Kokain) zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 12 Monaten (Probezeit drei Jahre) und einer Busse von Fr. 400.–; Strafverfügung wegen Führens eines Fahrrades ohne Licht; Strafverfügung wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das Transportgesetz (Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrausweis). Weiter wurde in der Verfügung auf die zurzeit laufende Strafuntersuchung wegen Vermittlung und Verkauf von Betäubungsmitteln hingewiesen. E sei geständig, Betäubungsmittel zum Teil selbst an Schulkinder abgegeben zu haben.
Gegen diesen Entscheid erhob E erfolglos Rekurs beim DJS, hernach Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Dieses weist ab.

Aus den Erwägungen:

2. Der Beschwerdeführer bestreitet den dargestellten Sachverhalt beziehungsweise die ihm vorgeworfenen Delikte nicht, führt jedoch zur Begründung seiner Beschwerde an, dass er einerseits heute keine harten Drogen mehr konsumiere und sich darum bemühe, sich in der Schweiz zu integrieren. Er unternehme alle Anstrengungen, um endgültig von den Drogen wegzukommen. Im Übrigen stelle die Tatsache, dass er gerichtlich bestraft worden sei, alleine noch keinen Ausweisungsgrund nach Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG dar. Andererseits wolle er sich mit der Schweizerin B verehelichen. Es treffe nicht zu, dass sein Bruder bei der Gemeinde angerufen und erklärt habe, er (E) wolle mit B eine Scheinehe eingehen.

3. a) Laut Art. 10 Abs. 1 ANAG kann der Ausländer aus der Schweiz oder aus einem Kanton ausgewiesen werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich bestraft wurde (lit. a) oder wenn sein Verhalten im allgemeinen und seine Haltung darauf schliessen lassen, dass er nicht gewillt oder nicht fähig ist, sich in die im Gaststaat geltende Ordnung einzufügen (lit. b). Die Ausweisung kann nach Art. 10 Abs. 1 lit. b ANAG namentlich als begründet erscheinen bei schweren oder wiederholten Verstössen gegen gesetzliche Vorschriften oder behördliche Verfügungen (Art. 16 Abs. 2 ANAV). Die Ausweisung soll nur verfügt werden, wenn sie nach den gesamten Umständen angemessen erscheint (Art. 11 Abs. 3 ANAG). Für die Beurteilung der Angemessenheit im Sinne von Art. 11 Abs. 3 ANAG sind namentlich wichtig: die Schwere des Verschuldens des Ausländers, die Dauer seiner Anwesenheit in der Schweiz, die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile. Die Verhältnismässigkeitsprüfung hat gestützt auf die gesamten wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu erfolgen (BGE 122 II 433 f.).

b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat er den Ausweisungsgrund nach Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG, nämlich die gerichtliche Verurteilung wegen eines Verbrechens oder Vergehens, zweifelsfrei erfüllt. Fraglich ist höchstens, ob die ausgesprochene Ausweisung verhältnismässig ist.

c) Auch der Ausweisungsgrund nach Art. 10 Abs. 1 lit. b ANAG i.V. mit Art. 16 Abs. 2 ANAV ist zweifelsfrei erfüllt. Dem Beschwerdeführer sind wiederholte Verstösse gegen gesetzliche Vorschriften vorzuwerfen, die er auch nicht bestreitet. Hierzu gehören insbesondere die verschiedenen durch die Strafverfügungen dokumentierten Delikte sowie die Verurteilung durch das Bezirksgericht. Auch ist er der ihm obliegenden Pflicht, an den Kontrollgesprächen des RAV teilzunehmen, mehrfach nicht nachgekommen. Konkrete Arbeitsbemühungen wurden offensichtlich erst unter dem Druck des laufenden Ausweisungsverfahrens unternommen.

d) Im Hinblick auf die Verhältnismässigkeitsprüfung ist vorerst einmal vom (unbestritten gebliebenen) Sachverhalt auszugehen, wie er sich heute präsentiert: Am 27. Februar 1999 wurde der Beschwerdeführer wegen mehrfacher, teils schwerer Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Gefängnisstrafe von 12 Monaten verurteilt. Bereits am 9. Juni 1999 wurde er wieder wegen Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz festgenommen. Anlässlich seiner polizeilichen Einvernahme vom 14. Juni 1999 hat er dann eingestanden, seit Januar verschiedentlich Personen an einen im Asylantenheim wohnhaften Drogendealer vermittelt zu haben, darunter auch ein erst fünfzehnjähriges Mädchen. Weiter hat er anlässlich dieser Einvernahme zugegeben, dass er sich in dieser Zeit bei der Realschule in I aufgehalten und dort von ca. zehn Schülern Geld entgegengenommen habe, um für sie Marihuana zu besorgen. Allerdings übergab er ihnen nicht den «marktüblichen» Gegenwert in Form des Rauschmittels, sondern behielt den grössten Teil des Geldes oder des davon gekauften Marihuanas für sich. Weiter gab er zu, nach wie vor täglich ca. einen Joint zu rauchen. Am 6. Juli 1999 gewährte die Fremdenpolizei dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör mit Bezug auf die beabsichtigte Ausweisung. In seiner Stellungnahme vom 8. Juli 1999 liess er (trotz des soeben geschilderten Sachverhalts) ausführen, er habe sich seit September 1998 stark geändert und er hoffe, dass ihm eine Chance gegeben werde, sein Leben jetzt umzustellen. Er bemühe sich um eine feste Anstellung und führe seit dem 18. Juli 1999 eine ambulante Therapie bei der Fachstelle für Suchtberatung und Prävention durch.
Es fällt auf, dass der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme an die Fremdenpolizei die zwischenzeitlich erfolgte Festnahme vom 9. Juni 1999 und die seit Anfang Jahr begangenen Straftaten nicht erwähnt. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass das RAV dem Beschwerdeführer am 13. Juli 1999 mitteilte, ihn aus der Arbeitsvermittlung abzumelden, da er seine Kontrollpflicht nicht eingehalten habe. Wie der Beschwerdeführer unter diesen Umständen behaupten kann, er habe sich geändert und wolle seine Chance nutzen, ist schlicht nicht nachvollziehbar. Dem Gericht scheint vielmehr, dass es sich bei ihm um eine Person handelt, die kaum fähig ist, sich hier einzugliedern und die auch nicht davor zurückschreckt, durch gezieltes Vorgehen Schülern Drogen zu vermitteln und zu verkaufen. Das Verhalten des Beschwerdeführers während der Untersuchungshaft im Juni 1999 lässt zudem darauf schliessen, dass er noch nicht von seiner Sucht nach harten Drogen weggekommen ist. Im Polizeirapport vom 21. Juli 1999 wird festgehalten, der Beschwerdeführer habe sich während der Befragung unkooperativ verhalten und sei der Befragerin jeweils ins Wort gefallen, hysterisch aus dem Stuhl aufgesprungen und im Büro nervös auf und ab gegangen. Weiter wird darin festgehalten: «E war entweder aggressiv und konnte in keiner normalen Lautstärke mit mir sprechen, oder fiel in sich zusammen und begann zu heulen. Es ist mir bekannt, dass sich E in mehreren Fällen bei der Drogenberatung angemeldet hatte. Zu keinem der verabredeten Termine sei er jedoch erschienen.» Auch diese Schilderung wird nicht bestritten und sie deutet darauf hin, dass der Beschwerdeführer während der Untersuchungshaft Entzugserscheinungen zeigte. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände muss von einem hohen öffentlichen Interesse an einer Fernhaltung des Beschwerdeführers von der Schweiz gesprochen werden. Dem stehen kaum Argumente entgegen, die für ihn sprechen. Einzig die relativ lange Anwesenheitsdauer kann hier ins Feld geführt werden, befindet er sich doch seit ca. 11 Jahren in der Schweiz. Es ist jedoch zu bemerken, dass er bis zu seinem 9. Lebensjahr in Mazedonien aufgewachsen ist. Er ist somit mit den dort herrschenden Sitten und Gebräuchen durchaus vertraut. Der Beschwerdeführer macht im Übrigen auch nicht geltend, ihm oder seiner Familie würden durch eine Ausweisung ernsthafte Nachteile drohen. Auch hilft der Hinweis nicht, er beabsichtige, die Schweizer Bürgerin B zu heiraten. Dazu kann vermerkt werden, dass die Heirat bis heute nicht stattgefunden hat, zumindest wurde dem Gericht bisher nichts dahingehendes mitgeteilt. Zudem drängt sich unter den gegebenen Umständen der Verdacht auf, dass die Ehe nur eingegangen würde, damit der Beschwerdeführer nicht ausreisen muss. Letztlich spielt die Frage, ob es sich um eine Scheinehe handeln würde, auch gar keine entscheidende Rolle, denn selbst eine Heirat würde den Beschwerdeführer nicht vor seiner Ausweisung schützen. Das Bundesgericht hat in konstanter Praxis bestätigt, dass wenn im Zeitpunkt des Heiratsentschlusses beiden Ehepartnern das drohende Ausweisungsverfahren bekannt ist, damit gerechnet werden muss, dass die Ehe nicht in der Schweiz gelebt werden kann. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass unter den gegebenen Umständen (wiederholte, nicht abbrechende Drogendelinquenz; gezielte Drogendealertätigkeit bei Schülern) das öffentliche Interesse an der Ausweisung derart hoch ist, dass selbst bei Nichtvorliegen einer Scheinehe und Unwissenheit der Braut bezüglich des anhängigen Ausweisungsverfahrens eine Ausweisung als gerechtfertigt erschiene (vgl. hierzu das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichtes i.S. H. vom 18. Dezember 1996).

Entscheid vom 23. Februar 2000

Das Bundesgericht ist auf eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen diesen Entscheid nicht eingetreten.

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