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TVR 2001 Nr. 10

Erteilen einer Pflegekinder-Einzelbewilligung trotz laufendem Strafverfahren gegen den Heimleiter. Unterscheidung Heimpflegebewilligung / Pflegekinder-Einzelbewilligung


Art. 4 PAVO, Art. 8 PAVO, Art. 13 PAVO, Art. 316 ZGB


1. Eine Beschwerde gegen die Verweigerung einer Pflegekinder-Einzelbewilligung kann nicht mit dem generellen Hinweis auf ein laufendes Strafverfahren abgewiesen oder sistiert werden, da im Strafverfahren teilweise völlig andere Gesichtspunkte massgeblich sind.

2. Das Erteilen einer vorläufigen Pflegekinder-Einzelbewilligung ist in Anwendung von § 11 VRG möglich (E. 2d). 3. Einer Heimpflege-Bewilligung bedarf es immer dann, wenn eine Heimeinrichtung darauf ausgerichtet ist, mehrere Unmündige gewerbsmässig zur Erziehung, Betreuung etc. aufzunehmen (E. 2e).


Die Eheleute N und R M betreiben in L eine pädagogische Wohngemeinschaft, ohne allerdings über eine entsprechende fachliche Ausbildung zu verfügen. Am 17. Juli 2000 ersuchte R M bei der Pflegekinderkommission der Gemeinde L um Erteilung einer Pflegekinder-Bewilligung für Michael ab dem 1. Oktober 2000. Im Gesuch wurde ausgeführt, Michael befinde sich seit dem 1. Juli 2000 zunächst für eine Probezeit von drei Monaten im Haus. Die Vormundschaftsbehörde L verweigerte die Bewilligung. Gegen diese Verfügung erhoben die Eheleute M beim DJS Beschwerde, welche abgewiesen wurde. In der Begründung wird ausgeführt, ein ehemaliges Pflegekind habe gegen R M Strafklage erhoben, weshalb die hängige Beschwerde gegen die Verweigerung der Pflegekinder-Bewilligung bis zum Abschluss der laufenden Strafuntersuchung aufgeschoben sei. Zudem sei nicht rechtzeitig um die Bewilligung zur Aufnahme von Michael nachgesucht worden. Die Argumentation, für die Probezeit von drei Monaten sei keine Bewilligung nötig, sei in Anbetracht der gesetzlichen Bestimmungen nicht stichhaltig. Der Hauptantrag auf Erteilung der Bewilligung müsse daher abgewiesen werden, ebenso wie der Eventualantrag auf Erteilung einer vorsorglichen Pflegekinder-Bewilligung. Die gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde heisst das Verwaltungsgericht teilweise gut.

Aus den Erwägungen:

2. a) Laut Art. 316 ZGB bedarf, wer Pflegekinder aufnimmt, einer Bewilligung der Vormundschaftsbehörde oder einer anderen vom kantonalen Recht bezeichneten Stelle seines Wohnsitzes. Zudem untersteht er der Aufsicht dieser Behörde. Wer ein Kind, das noch schulpflichtig oder nicht 15 Jahre alt ist, für mehr als drei Monate oder für unbestimmte Zeit entgeltlich oder unentgeltlich zur Pflege und Erziehung in seinen Haushalt aufnehmen will, bedarf gemäss Art. 4 PAVO einer Bewilligung der Behörde. Die Bewilligung darf nur erteilt werden, wenn die Pflegeeltern und ihre Hausgenossen nach Persönlichkeit, Gesundheit und erzieherischer Eignung sowie nach den Wohnverhältnissen für gute Pflege, Erziehung und Ausbildung des Kindes Gewähr bieten und das Wohl anderer in der Pflegefamilie lebender Kinder nicht gefährdet wird (Art. 5 Abs. 1 PAVO). Die Behörde hat die Verhältnisse in geeigneter Weise, vorab durch Hausbesuche und nötigenfalls unter Beizug von Sachverständigen, abzuklären (Art. 7 Abs. 1 PAVO). Die Pflegeeltern müssen die Bewilligung vor Aufnahme des Kindes einholen. Die Bewilligung wird ihnen für ein bestimmtes Kind erteilt; sie kann befristet und mit Auflagen und Bedingungen verbunden werden (Art. 8 Abs. 1 und 2 PAVO). Einer Bewilligung der Behörde bedarf der Betrieb von Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, mehrere Unmündige zur Erziehung, Betreuung, Ausbildung, Beobachtung oder Behandlung tags- und nachtsüber aufzunehmen (Art. 13 Abs. 1 lit. a PAVO). Laut § 3 Ziff. 14 EG ZGB ist die Vormundschaftsbehörde zuständig für die Bewilligung zur Aufnahme von einem bis vier Pflegekindern sowie für die Aufsicht über solche Pflegeverhältnisse. Das vom Regierungsrat bezeichnete Departement (das DJS) ist gemäss § 11 Ziff. 3 lit. k EG ZGB zuständig für die Erteilung von Betriebsbewilligungen an Einrichtungen, welche mehr als vier Pflegekinder aufnehmen, sowie für die Aufsicht über solche Betriebe.

b) Die Vorinstanz hat entschieden, das Pflegeverhältnis der Eheleute M mit Michael sei sofort zu beenden. Den Erwägungen dieses Entscheids lässt sich nicht entnehmen, die Vorinstanz habe damit einen allfälligen definitiven Entscheid über die Pflegekinder-Bewilligung aufgeschoben. Somit kann das Dispositiv der Vorinstanz nur dahingehend gedeutet werden, dass die von den Eheleuten M eingereichte Beschwerde abgewiesen wurde. Inwiefern daher noch ein Verfahren hängig sein soll, ist entgegen den duplicando gemachten Aussagen nicht einleuchtend. Es kann nur um die Frage gehen, ob das am 17. Juli 2000 von den Beschwerdeführern bei der Vormundschaftsbehörde L eingereichte Gesuch um Pflegekinder-Einzelbewilligung zu bewilligen ist.

c) Die Vormundschaftsbehörde L führte in ihrer Stellungnahme an das DJS sinngemäss aus, ein endgültiges Urteil über weitere Pflegekinder-Bewilligungen könne erst nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens in Sachen O (ehemaliges Pflegekind im Hause) getroffen werden. Der Beschwerdeantwort des DJS kann entnommen werden, dass dieses Verfahren bis zum Abschluss des hängigen Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer sistiert worden ist. Die PAVO unterscheidet in Art. 4 ff. die Pflegekinder-Einzelbewilligung einerseits und die Bewilligung für Heimpflege nach Art. 13 ff. andererseits. Wer im Besitze einer Heimpflege-Bewilligung ist, benötigt für die Aufnahme einzelner Pflegekinder keine weitere Bewilligung. Dies ist auch durchaus folgerichtig, da im Rahmen des Heimpflege-Bewilligungsverfahrens generell die Geeignetheit des Heims sowie der Heimleiter geprüft wird. An die Heimleiter sowie deren Mitarbeiter werden auch entsprechend strenge Voraussetzungen gestellt. Im Besitze einer solchen Heimpflege-Bewilligung nach Art. 13 ff. PAVO sind die Beschwerdeführer nicht. Sie müssen daher für jedes Pflegekind, das sie aufnehmen wollen, um eine Bewilligung nach Art. 4 ff. PAVO nachsuchen. Für solche Bewilligungen ist nach Art. 7 Abs. 1 PAVO für jedes Gesuch eine auf den Einzelfall abgestimmte Prüfung vorzunehmen. Die Vormundschaftsbehörde kann allerdings die Einzelbewilligung generell verweigern, wenn sie der Auffassung ist, bei den Pflegeeltern seien die allgemeinen Voraussetzungen nach Art. 5 PAVO nicht gegeben. Auf diese Bestimmung scheint sich denn die Vormundschaftsbehörde L bei ihrem Entscheid abgestützt zu haben. Die Beschwerdeführer haben sich aber bereits im Verfahren vor Vorinstanz gegen den Vorwurf mangelnder charakterlicher Eignung gewehrt. Das DJS ist jedoch auf die entsprechenden Argumente kaum eingegangen. Der Hinweis auf ein laufendes Strafverfahren und ein anderes, sistiertes Bewilligungsverfahren genügt bei weitem nicht. Ohnehin ist zu bemerken, dass die Rücksichtnahme auf das laufende Strafverfahren, sei es in diesem, sei es im Parallelverfahren, wenig Sinn macht. Der dem Beschwerdeführer vorgeworfene Tatbestand wird von ihm nicht bestritten. Die rechtliche Würdigung im Strafverfahren ist aber zweifelsfrei eine andere als im Verfahren, in dem es um die Bewilligung zur Aufnahme von Pflegekindern geht. Hier sind vor allem familienrechtliche Gesichtspunkte entscheidend. Dies gilt auch für die Frage, ob die vom Beschwerdeführer angewandten Züchtigungsmittel zulässig waren. Selbst wenn dies verneint wird, stellt sich die Frage, ob das einmalige Anwenden eines solchen Mittels ein Grund zur Verweigerung weiterer Pflegekinder-Einzelbewilligungen ist. Die Behörden haben auch die Möglichkeit, die Bewilligung mit Auflagen zu erteilen. Da das Verwaltungsgericht vorliegend nur mit beschränkter Kognition urteilen kann, ist die Beschwerde in dem Sinne teilweise gutzuheissen, als die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen ist, damit sie sich materiell mit den von den Beschwerdeführern vorgebrachten Argumenten auseinandersetzt und dann darüber entscheidet, ob für das Pflegekind Michael die Pflegekinder-Einzelbewilligung erteilt werden kann oder nicht.

d) Zutreffend sind die Ausführungen der Vorinstanz betreffend der Tatsache, dass im ZGB beziehungsweise in der PAVO eine vorläufige Bewilligung nicht vorgesehen ist. Auch richtig ist die Feststellung, dass grundsätzlich ein Bewilligungsgesuch vor Aufnahme eines Pflegekindes einzureichen ist. Die Beschwerdeführer scheinen dies auch eingesehen zu haben, führen sie doch hierzu aus, künftig würden die Bewilligungsgesuche vor Aufnahme eingereicht. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz wäre es dennoch möglich gewesen, über den Eventualantrag der Beschwerdeführer (Erteilen einer «provisorischen Bewilligung») positiv zu entscheiden, denn das Anordnen einer vorsorglichen Massnahme im Sinne von § 11 VRG ist alleweil möglich. Die Beschwerdeführer haben ausgeführt, dass sich Michael bei ihnen wohlfühle und dass sich sein Aufenthalt im Haus bisher positiv entwickelt habe. Diese Darstellung ist sowohl von Seiten der Vormundschaftsbehörde L als auch der Vorinstanz unbestritten geblieben. Es scheint somit nicht unverantwortbar und möglicherweise sogar sinnvoll, wenn Michael bis zum Abschluss dieses Verfahrens bei den Beschwerdeführern verbleiben kann. Dies dürfte wohl schon das richtig verstandene Kindesinteresse, welches letztlich im Zentrum einer Beurteilung stehen muss, gebieten, da es kaum angehen kann, wenn ein Kind ständig von einer Stelle zur anderen geschoben wird. Auch hierüber hat jedoch die Vorinstanz, allenfalls die Vormundschaftsbehörde L, nach eingehender Prüfung zu entscheiden und nicht das Verwaltungsgericht als zweite Rechtsmittelinstanz.

e) Es wurde bereits ausgeführt, dass die PAVO grundsätzlich zwischen der Einzelbewilligung und der Heimpflege-Bewilligung unterscheidet. Die Einzelbewilligung ist offensichtlich auf Fälle ausgelegt, in denen eine Pflegefamilie ein, allenfalls zwei Pflegekinder im Wesentlichen bis zum Erreichen der Mündigkeit aufnimmt. Demgegenüber wird immer dann eine Heimpflege-Bewilligung benötigt, wenn es sich um den Betrieb von Einrichtungen handelt, die dazu bestimmt sind, mehrere Unmündige (gewerbsmässig) zur Erziehung, Betreuung, Ausbildung, Beobachtung oder Behandlung tags- und nachtsüber aufzunehmen (Art. 13 Abs. 1 lit. a PAVO). Das Haus, welches die Beschwerdeführer betreiben, kommt dieser Umschreibung zweifelsfrei sehr nahe. Dies ergibt sich insbesondere aus den Informationen, welche der Internet-Homepage entnommen werden können. Die Beschwerdeführer berufen sich denn auch ausdrücklich darauf, durch den Entscheid der Vorinstanz würden sie in ihrer Handels- und Gewerbefreiheit eingeschränkt. Es stellt sich daher ernsthaft die Frage, ob die Beschwerdeführer nicht generell zum Betrieb ihres Hauses einer Heimpflege-Bewilligung nach Art. 13 ff. PAVO bedürften. Die Vorinstanz geht offensichtlich davon aus, dass eine solche Bewilligungspflicht auf Grund des EG ZGB erst ab der Aufnahme von mehr als vier Pflegekindern gegeben ist. Solches lässt sich jedoch den gesetzlichen Bestimmungen nicht entnehmen. Auch diesbezüglich wird daher die Vorinstanz beziehungsweise die Vormundschaftsbehörde die entsprechenden Abklärungen vorzunehmen haben.

Entscheid vom 28. März 2001

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