TVR 2001 Nr. 11
Rechtsweg bei gleichzeitigem fürsorgerischen Freiheitsentzug und damit verbundenem Obhutsentzug
Art. 397 d ZGB, Art. 420 Abs. 2 ZGB
Eine fürsorgerische Freiheitsentziehung ohne gleichzeitige Aufhebung der elterlichen Obhut ist nicht möglich, ausser die Obhut sei schon früher selbstständig aufgehoben worden. Wo indessen beides verfügt wird, ist von Bundesrechts wegen eine Gabelung des Rechtsweges nicht zulässig und damit eine Beschwerde ans DJS ausgeschlossen.
V, geboren am 12. April 1984, befand sich ab dem 12. Mai 2000 mit Unterbrüchen in stationärer Behandlung in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen. In der Folge kam es zwischen der ärztlichen Leitung und ihrem Vater zu Differenzen. Daraufhin beantragte die Psychiatrische Klinik Münsterlingen bei der Vormundschaftsbehörde B die Anordnung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Am 20. November 2000 beschloss die Vormundschaftsbehörde B die vorsorgliche Rückbehaltung von V in der Klinik. Zudem entzog sie den Eltern die Obhut über ihre Tochter. In der Rechtsmittelbelehrung führte sie aus, bezüglich der fürsorgerischen Freiheitsentziehung könne gemäss Art. 397d ZGB der Richter angerufen werden, bezüglich Obhutsentzug das DJS mit Beschwerde nach Art. 420 Abs. 2 ZGB.
Betreffend den fürsorgerischen Freiheitsentzug verlangten die Eltern von V am 27. November 2000 beim Gerichtspräsidium die gerichtliche Beurteilung. Am 21. Dezember 2000 bestätigte der Präsident des zuständigen Bezirksgerichts den Entscheid der Vormundschaftsbehörde B und damit die Zurückbehaltung von V in der Klinik. Mit Rekurs stellten die Eltern dem Obergericht des Kantons Thurgau den Antrag, es sei vom Erlass von Zwangsmassnahmen (fürsorgerische Freiheitsentziehung) und der Zurückbehaltung ihrer Tochter in der Klinik abzusehen. Am 29. Januar 2001 verfügte die Vormundschaftsbehörde B wegen des gestörten Vertrauensverhältnisses zwischen den Eltern von V und dem zuständigen Arzt der Klinik Münsterlingen die (seit dem 18. Dezember 2000 bereits vollzogene) Umplatzierung in die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Littenheid. Am 12. Februar 2001 wies das Obergericht des Kantons Thurgau den Rekurs ab. Mit Eingabe vom 28. März 2001 erhoben die Eltern Berufung beim Bundesgericht und verlangten die Aufhebung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Das Bundesgericht wies diese mit Urteil vom 7. Mai 2001 ab. Es führte unter anderem aus: «Die Berufung an das Bundesgericht ist sowohl zulässig im Fall einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung als auch seit 1. Januar 2000 im Fall der Entziehung der elterlichen Obhut. Nach bisherigem Recht war die Entziehung der elterlichen Obhut ausschliesslich im Zusammenhang mit der fürsorgerischen Freiheitsentziehung berufungsfähig. Mit dem Obhutsentzug wird nämlich den Eltern das Recht und die Pflicht zur Bestimmung des Aufenthaltsortes des Kindes behördlich entzogen, was Voraussetzung und Folge einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung ist. Eine fürsorgerische Freiheitsentziehung gemäss Art. 314a ZGB ohne gleichzeitige Aufhebung der elterlichen Obhut gemäss Art. 310 ZGB ist deshalb nicht möglich, es sei denn, die Obhut sei bereits früher selbstständig aufgehoben worden. Wo indes der Obhutsentzug mit der Einweisung in eine Anstalt (fürsorgerische Freiheitsentziehung) verbunden wird, ist bezüglich der Letzteren auf Grund von Art. 314a ZGB die gerichtliche Beurteilung gemäss Art. 397d ZGB zu verlangen, und es ist die Vormundschaftsbeschwerde durch den spezielleren Instanzenzug ausgeschlossen. Eine Gabelung des Rechtswegs ist von Bundesrechts wegen nicht zulässig, und sie ist auch aus Gründen der Praktikabilität abzulehnen. Eine getrennte Überprüfung beider Massnahmen (Art. 310 und 314a ZGB) birgt die Gefahr in sich, letztlich zu einem widersprüchlichen Resultat zu führen. (...) Obwohl die Vormundschaftsbehörde B in ihrem Beschluss vom 20. November 2000 bezüglich der fürsorgerischen Freiheitsentziehung als Rechtsmittel die Anrufung des Richters, und bezüglich des Obhutsentzugs die Beschwerde an das Departement für Justiz und Sicherheit angegeben hat, und alle diese Rechtsmittel auch ergriffen worden sind, konnten sowohl der Präsident des Bezirksgerichts als auch das Obergericht des Kantons Thurgau nicht anders, als zwar nicht ausdrücklich, aber implizit zusammen mit dem Entscheid über die fürsorgerische Freiheitsentziehung auch über die zwingend mit ihr verbundene Aufhebung des Obhutsrechts der Eltern entscheiden. Gegenstand des angefochtenen Entscheids ist deshalb nicht nur die fürsorgerische Freiheitsentziehung gemäss Art. 314a ZGB, sondern auch die Aufhebung der elterlichen Obhut gemäss Art. 310 ZGB. (...) Die Vorinstanz hat kein Bundesrecht verletzt, wenn sie zum Schluss gekommen ist, dass V zum jetzigen Zeitpunkt die notwendige persönliche Fürsorge nicht anders erwiesen werden kann als durch die Anordnung beziehungsweise Aufrechterhaltung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung und die damit verbundene Aufhebung der elterlichen Obhut.»
Die Eltern erhoben parallel dazu gegen den Entscheid der Vormundschaftsbehörde B Vormundschaftsbeschwerde beim DJS. Dessen abweisender Entscheid zogen sie mit Beschwerde ans Verwaltungsgericht weiter. Als das Verwaltungsgericht Kenntnis vom Urteil des Bundesgerichts erhielt, forderte der Präsident die Beschwerdeführer auf, mitzuteilen, ob angesichts dieses Bundesgerichtsurteils die Beschwerde zurückgezogen werde, andernfalls mit einem Nichteintretensentscheid zu rechnen sei.
Mit Schreiben vom 21. Juni 2001 teilten diese mit, dass auf Grund dieses Urteils das am Verwaltungsgericht hängige Verfahren faktisch gegenstandslos geworden sei.
Aus den Erwägungen:
1. b) Angesichts der dargelegten Ausführungen des Bundesgerichts ist eine Gabelung des Rechtsweges von Bundesrechts wegen dann unzulässig, wenn mit dem fürsorgerischen Freiheitsentzug gleichzeitig auch ein Obhutsentzug verbunden ist. Das ist hier der Fall, weshalb die Vormundschaftsbeschwerde und damit auch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gar nicht gegeben waren. Mit dem Urteil des Bundesgerichts, das hier eine Klarstellung brachte, ist damit die Beschwerde als gegenstandslos geworden am Protokoll abzuschreiben (§ 52 VRG).
Entscheid vom 27. Juni 2001