TVR 2001 Nr. 19
Koordinationsprobleme zwischen Gemeinde, Einsprechern und Kanton bei Verweigerung einer Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG
§ 106 aPBG, § 19 aPBV, Art. 25 a RPG
1. Beschwerdeberechtigung einer Gemeinde bejaht gegen eine Verfügung des DBU betreffend Verfahren zur Koordination von Entscheiden im Zusammenhang mit Art. 24 RPG.
2. Die Gemeinden haben Verweigerungen von Ausnahmebewilligungen des ARP zusammen mit ihrer Verweigerung der Bewilligung und ihrem Entscheid über allfällige Einsprachen dem Bauherrn zu eröffnen. Sie können sich die Anfechtung der Verweigerung der Ausnahmebewilligung vorbehalten.
Die B reichte am 27. Februar 2001 ein Baugesuch für eine «Natel-Antennenanlage» auf Parzelle Nr. 4 in R ein. Der Antennenmast aus Stahl (Farbe grün) soll 35 m hoch sein und (neu) drei Betreibern dienen. Das Baugesuch lag vom 2. bis 21. März 2001 öffentlich auf. Während der Auflagefrist gingen acht Einsprachen und eine Petition bei der Gemeinde ein. Deren Baukommission leitete alle diese Eingaben mit Schreiben vom 22. März 2001 an das ARP weiter. Das ARP entschied am 8. Mai 2001, dass das Bauvorhaben weder dem Zweck der Landschaftsschutzzone entspreche noch die Voraussetzungen von Art. 24 RPG erfülle. Gestützt auf § 20 Abs. 3 PBV werde somit die Ausnahmebewilligung verweigert. Die Erstellung einer 35 m hohen Antenne an derart exponierter Lage sei mit den Zielen der Landschaftsschutzzone nicht vereinbar. Dieser Entscheid hielt folgendes Vorgehen fest:
Mitteilung an:
– | Gesuchsteller (Zustellung durch die Gemeindebehörde) |
– | Gemeindebehörde |
– | Intern ... |
Weiter heisst es, dass die Gemeinde die eingegangenen Einsprachen dem ARP zur Kenntnis gebracht hätte. Gemäss Rundschreiben des DBU vom 16. Juni 1999 habe die zuständige Gemeindebehörde über die Einsprachen zu entscheiden. Mit Eingabe vom 5. Juni 2001 erhob die Politische Gemeinde R Rekurs gegen den Entscheid des ARP vom 8. Mai 2001 und beantragte Bewilligung der Antenne gemäss Art. 24 RPG. Am 13. Juli 2001 verfügte das DBU folgendes: «1. Die Politische Gemeinde R wird angewiesen, den Entscheid des Amtes für Raumplanung vom 8. Mai 2001 der Baugesuchstellerin und den Einsprechern zu eröffnen. 2. Der Rekurs der Politischen Gemeinde R vom 5. Juni 2001 wird sistiert. Eine Wiederaufnahme erfolgt nach Ablauf der durch die Eröffnung des Entscheides des ARP vom 8. Mai 2001 ausgelösten Rekursfrist.» Zur Begründung führte es unter anderem aus, die Gemeinde habe den Entscheid des ARP entgegen anderer Aufforderung den Parteien nicht eröffnet, um – wie sie selber sage – die Legitimation nicht zu verlieren. Solches Vorgehen sei nicht rechtens; § 19 Abs. 4 PBV verlange koordinierte Entscheide, die durch die Gemeinde den Gesuchstellern zu eröffnen seien. Solange ein Entscheid nicht eröffnet sei, könne sich die Baugesuchstellerin nicht am Verfahren beteiligen. Auch die Einsprecher könnten so lange nicht rekurrieren, als der Entscheid nicht eröffnet sei. Das dagegen mit Beschwerde angerufene Verwaltungsgericht weist ab.
Aus den Erwägungen:
1. b) Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich einerseits um eine departementale Anweisung an die Gemeinde betreffend Verfahren in einer Baubewilligungsangelegenheit und andererseits um eine Sistierung des Rekurses der Gemeinde (wobei ein innerer Zusammenhang besteht). Damit handelt es sich um einen verfahrensleitenden Entscheid, der nur dann selbstständig anfechtbar ist, sofern er für die Gemeinde einen Nachteil zur Folge hätte, der sich später vermutlich nicht mehr beheben lässt (§ 35 Abs. 2 i.V. mit § 62 VRG). Solches macht die Gemeinde sinngemäss geltend. Die Beschwerde ist somit zulässig.
c) Das Beschwerderecht steht der Gemeinde für Bewilligungen im Sinne von Art. 24 RPG von Gesetzes wegen zu (Art. 34 Abs. 2 RPG; vgl. auch § 44 Ziff. 2 VRG). Die überwiegende Lehrmeinung und die Rechtsprechung des Bundesgerichts befreien Gemeinden (und Kantone) vom Nachweis, «wie Private» berührt zu sein. Es wird von einer abstrakten Beschwerdeberechtigung gesprochen (vgl. Bandli, Bauen ausserhalb der Bauzonen, Grüsch 1989, Rz 180). Die Gemeinde R macht in dem Sinne ein eigenes Planungsinteresse geltend, als sie vorbringt, das ARP verweigere gegen ihren Willen eine (Ausnahme-)Bewilligung ausserhalb der Bauzone. Sie befürchtet nämlich auf Grund von Abklärungen bei der Baugesuchstellerin, dass diese einen negativen Entscheid des ARP nicht weiterziehen würde. Es fragt sich deshalb, ob sich die Gemeinde gewissermassen stellvertretend für einen Bauherrn für die Verwirklichung eines Bauvorhabens ausserhalb der Bauzone einsetzen kann. Die Verwaltungsgerichte der Kantone Zürich und Bern verneinen diesfalls ein Beschwerderecht, da die Bauverweigerung durch die Nichtanfechtung des Bauherrn rechtskräftig und damit das Verfahren gegenstandslos werde (ZBl 1982, S. 216 ff; vgl. Bandli, a.a.O., Rz 180). Irgendwie sieht das die Gemeindebehörde auch so, will sie doch «ihre Legitimation nicht verlieren». Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau hat sich dazu bisher nicht äussern müssen. Wie es sich damit verhält, kann hier offen gelassen werden, da sich diese Frage noch nicht stellt. Sie stellt sich aber im kommenden Rekursverfahren, wie das DBU richtig erkannt hat. Im angefochtenen Entscheid steht jedoch entgegen der Aussage der Beschwerdeführerin nichts davon, das DBU werde «auf jeden Fall» den Rekurs materiell behandeln. Aus Art. 34 Abs. 2 RPG ergibt sich aber für die vorliegende Streitigkeit betreffend Verfahrensleitung die Beschwerdeberechtigung der Gemeinde. Diese ergibt sich auch daraus, dass mit der Verfahrensanweisung in ihre Verfahrenshoheit eingegriffen wird (vgl. auch TVR 1997 Nr. 5). Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
2. a) Das Bauvorhaben widerspricht unbestrittenermassen dem Zweck der Nutzungszone (Landschaftsschutzzone). Da der geplante Standort ausserhalb der Bauzone liegt, bedarf das Vorhaben einer Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG. Bei allen Bauvorhaben ausserhalb der Bauzone hat jedoch eine kantonale Behörde darüber zu entscheiden, ob eine solche Ausnahmebewilligung erteilt werden kann (Art. 25 Abs. 2 RPG in der Fassung vom 20. März 1998, in Kraft seit 1. September 2000). Zuständige kantonale Behörde ist gemäss § 20 Abs. 3 PBV das ARP. Dieses hat - wie erwähnt - die Ausnahmebewilligung nicht erteilt, und zwar entgegen dem ausdrücklichen Gesuch der Gemeindebehörde. Erfordert die Errichtung oder Änderung einer Baute oder Anlage Verfügungen mehrerer Behörden, so ist eine Behörde zu bezeichnen, die für eine ausreichende Koordination sorgt (Art. 25a Abs. 1 RPG). Aufgabe der Koordinationsbehörde ist unter anderem, für eine inhaltliche Abstimmung der Verfügungen sowie möglichst für eine gemeinsame oder gleichzeitige Eröffnung der Verfügungen zu sorgen (Art. 25a Abs. 2 lit. d RPG). Die Verfügungen dürfen allerdings keine Widersprüche enthalten (Art. 25a Abs. 3 RPG).
b) Für das vorliegende Bauvorhaben ist unbestrittenermassen zumindest die (kantonale) Ausnahmebewilligung sowie die (kommunale) Baubewilligung erforderlich. Liegen öffentlich-rechtliche Einsprachen vor, ist darüber gleichzeitig mit der Baubewilligung zu entscheiden (§ 90 Abs. 3 PBG). Die bundesrechtlichen Koordinationsvorschriften hat der thurgauische Gesetzgeber insoweit aufgenommen, als er das Koordinationsgebot wiederholt (§ 106 Abs. 1, 1. Satz PBG), aber den Regierungsrat zum Erlass der Verfahrensvorschriften ermächtigt (§ 106 Abs. 2 PBG). Davon hat er mit dem Erlass von § 19 PBV Gebrauch gemacht. Für die Anfechtung von Verfügungen kantonaler Behörden, auf welche Art. 25a Abs. 1 RPG Anwendung findet, sind einheitliche Rechtsmittelinstanzen vorzusehen (Art. 33 Abs. 4 RPG). Die entsprechende kantonale Regelung findet sich in § 106 Abs. 3 und 4 PBG. Eine vom Kanton eingesetzte Koordinationsbehörde im Sinne von Art. 25a Abs. 1 RPG im Verhältnis zwischen Kanton und Gemeinden findet sich aber nirgends, weder im PBG noch in der PBV. Eine Koordinationsbehörde ist nur für die Koordination kantonaler Stellungnahmen oder Entscheide (§ 19 Abs. 2 PBV) bezeichnet.
Im vorliegenden Fall scheint der Widerspruch zwischen dem ARP und der Gemeinde zumindest für den Standort 1 klar auf dem Tisch zu liegen. Bei Widersprüchen hat sich die Koordinationsbehörde darum zu bemühen, diese zu bereinigen. Allenfalls kann für derartige Fälle ein besonderes Schlichtungsverfahren geschaffen werden. Soweit den einzelnen beteiligten Behörden eine selbstständige Entscheidungskompetenz zukommt (was hier der Fall ist), kann gemäss Marti (Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Zürich 1999, Art. 25a N. 41) jedoch ohne besondere – von den Kantonen zu schaffende – Rechtsgrundlage weder die Koordinationsbehörde noch eine andere Instanz einen verbindlichen Abstimmungsentscheid treffen. Ebenso nicht zum Entscheid berufen ist seiner Meinung nach die gemeinsame Oberbehörde. Es verbleibe (mit Verweis auf BBl 1994 III 1088) vielmehr lediglich die Möglichkeit, den negativen Entscheid vorweg zu eröffnen. Ob das in der Tat der richtige Weg ist, kann hier offen gelassen werden. Der vermeintliche Widerspruch ist jedoch dann nicht gegeben, wenn die Baubewilligung der Gemeindebehörde die Frage der Zonenkonformität oder der Ausnahmebewilligung nicht behandelt, weil sie dafür auch gar nicht zuständig ist (vgl. Art. 25 Abs. 2 RPG). Kein Widerspruch liegt nämlich dann vor, wenn ein Vorhaben nach dem einen Gesetz bewilligungsfähig, nach dem anderen hingegen unzulässig ist (BBl 1994 III 1088). Die Anfechtung der Ausnahmebewilligung des ARP ist der Gemeinde gewährleistet (siehe vorn E. 1). Bei dieser Ausnahmebewilligung handelt es sich entgegen der Auffassung des DBU weder um einen Teil-, noch um einen Zwischenentscheid, sondern schlicht und einfach um einen (anfechtbaren) Entscheid (der allerdings durch die Gemeinde zu eröffnen ist).
c) Für den vorliegenden Fall ist daraus zu folgern, dass das DBU von der Gemeinde zu Recht die Eröffnung der Verweigerung der Ausnahmebewilligung des ARP verlangt, dass aber andererseits die Gemeindebehörde gleichzeitig ihre Baubewilligung zu eröffnen hat (vgl. Art. 25a Abs. 2 lit. d RPG sowie § 19 Abs. 4 PBV), sofern das Bauvorhaben mit Ausnahme der Zonenkonformität oder der Ausnahmebewilligung mit Beantwortung der Standortgebundenheit und entgegenstehenden überwiegenden Interessen den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht (§ 93 Abs. 1 PBG i.V. mit Art. 24 Abs. 2 RPG). Um sich nicht dem Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens auszusetzen, kann sie in einer derartig auf ihren Kompetenzbereich beschränkten Baubewilligung durchaus anfügen, sie behalte sich die Anfechtung der negativen Ausnahmebewilligung, gestützt auf Art. 34 Abs. 2 RPG, ausdrücklich vor. Das DBU hat die gleichzeitige Eröffnung der Baubewilligung allerdings nicht verlangt. Das aber ist - wie gesagt - gesetzlich gefordert. Ebenso gefordert ist aber, dass auch über die Einsprachen entschieden wird, denn nur so ist letztlich gewährleistet, dass die «einheitlichen Rechtsmittelinstanzen» (vgl. Art. 25 Abs. 2 RPG) sich umfassend mit dem umstrittenen Bauvorhaben auseinandersetzen können. Das hat das DBU zwar richtig erkannt, doch kein entsprechendes Handeln verlangt. Eine blosse Beteiligung der Einsprecher am Rekursverfahren gemäss § 8 VRG, wie das die Beschwerdeführerin vorschlug, kommt deswegen nicht in Betracht, weil das Gesetz ausdrücklich eine gleichzeitige und damit auch koordinierte Entscheidung über Baubewilligung und Einsprachen verlangt. Damit wird den Einsprechern auch das Anfechtungsobjekt gegeben (vgl. § 35 Abs. 1 VRG).
Ganz so einfach ist der Entscheid über die Einsprachen aber nicht. Das ARP hat die an das Amt weitergeleiteten Einsprachen in Anwendung von § 19 Abs. 2 RPG «zur Kenntnis» genommen, mit dem Hinweis, dass die zuständige Gemeindebehörde gemäss dem Rundschreiben des DBU vom 16. Juni 1999 über diese zu entscheiden habe. In diesem Rundschreiben heisst es zusammengefasst: «Die dargelegte Praxisänderung führt dazu, dass die Gemeindebehörden bei Bauten ausserhalb der Bauzone auch über die Rügen betreffend die Zonenkonformität beziehungsweise die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG materiell entscheiden müssen. Dabei kann selbstverständlich jeweils die Argumentation in der Verfügung des Amtes für Raumplanung herangezogen werden.»
Wie da die Gemeinde angesichts ihres Standpunkts eine materielle Prüfung vornehmen soll, ist schleierhaft.
Die Lösung könnte darin bestehen, dass die Gemeinde in der vorliegenden Konstellation folgende Entscheide treffen beziehungsweise folgendes Vorgehen einschlagen würde:
– | Nichterteilung der Baubewilligung nur wegen der Verweigerung der Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG (also keine materielle Beurteilung). Im Übrigen aber Feststellung, dass das Vorhaben den anderen Gemeindevorschriften entspricht. Vorbehalt der Anfechtung der Verweigerung der Ausnahmebewilligung durch die Gemeinde. |
– | Abweisung der Einsprachen ohne materielle Prüfung der Voraussetzungen gemäss Art. 24 RPG mit blossem Verweis auf den Entscheid des ARP. Im Übrigen Entscheid über die Einsprachen, soweit es um die Gemeindevorschriften anderen Inhalts geht. Vorbehalt der Anfechtung der Verweigerung der Ausnahmebewilligung durch die Gemeinde. |
– | Gleichzeitige Eröffnung dieser Entscheide gegenüber Bauherrin und Einsprechern zusammen mit der Verweigerung der Ausnahmebewilligung und den anderen kantonalen Entscheiden. |
– | Ein Ausweg läge für das DBU wohl in der Aufnahme von Koordinationsbemühungen, die diesen Namen verdienen. Die Bemühungen der Gemeindebehörde zur Koordination zwischen den Anlagebetreibern sind jedenfalls nicht von der Hand zu weisen und lassen sich nicht einfach mit «landschaftlichem Vorranggebiet» (das der gesetzlichen Grundlage entbehrt) wegwischen. |
Entscheid vom 21. November 2001