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TVR 2001 Nr. 32

Unzulässiger Widerruf einer Verfügung; Rückzahlung zu Unrecht bevorschusster Kinderunterhaltsbeiträge


§ 14 Abs. 1 SHG, § 19 Abs. 2 SHG, § 23 Abs. 1 VRG


1. Eine Verfügung kann nur widerrufen und damit in Wiedererwägung gezogen werden, sofern sie überhaupt rückgängig gemacht werden kann. Das ist bei Verfügungen betreffend Bevorschussung von Kinderunterhaltsbeiträgen regelmässig nicht der Fall (E. 3a).

2. § 14 Abs. 1 SHG bezieht sich nur auf unmündige Kinder. Werden Kinderunterhaltsbeiträge über die Mündigkeit hinaus bevorschusst, so erfolgte die Bevorschussung zu Unrecht und die Beträge sind zurückzuerstatten (E.3b und c).


Gemäss Trennungsurteil des Bezirksgerichtes I war der Vater von U (geboren am 21. Oktober 1977) und D (geboren am 1. November 1978) verpflichtet, für seine beiden Kinder ab 1993 je Fr. 450.– und ab 1999 Fr. 550.– Unterhaltsbeiträge bis zum Abschluss ihrer Ausbildung zu bezahlen. Am 30. Juni 1998 stellte D bei der Fürsorgekommission M das Gesuch um Bevorschussung der Kinderalimente. Am 21. Juli 1998 stellte U ein gleichlautendes Gesuch. Beide Gesuche wurden mit Verfügung vom 20. August 1998 bewilligt. Am 15. Juli 1999 erliess die Fürsorgekommission M je eine weitere Verfügung, gemäss welcher D die ausbezahlten Gelder seit November 1998 und U sämtliche Leistungen seit August 1998 zurückzuerstatten hätten. U sei im Zeitpunkt der Gesuchstellung bereits 20 Jahre alt gewesen, D habe dieses Alter am 1. November 1998 erreicht. Gegen diesen Entscheid erhoben U und D erfolglos Rekurs beim DFS und danach Beschwerde beim Verwaltungsgericht, welches nach Vereinigung der Verfahren ebenfalls abweist.

Aus den Erwägungen:

2. Die Vorinstanz begründet ihre Entscheide im Wesentlichen damit, Unterhaltsbeiträge für Kinder könnten nur bevorschusst werden, wenn der Unterhaltsbeitrag in einem rechtskräftigen Entscheid oder in einem von der Vormundschaftsbehörde genehmigten Vertrag festgelegt worden sei (§ 14 Abs. 1 SHG). Die Sozialhilfegesetzgebung des Kantons Thurgau kenne lediglich eine Bevorschussung von Unterhaltsbeiträgen für Kinder. Dies bedeute, dass ab Erreichen der Volljährigkeit keine Unterhaltsansprüche bevorschusst würden. Eine Ausnahme gelte mit Bezug auf die Unterhaltstitel, die vor der Herabsetzung des Mündigkeitsalters auf 18 Jahre, also vor dem 1. Januar 1996, ergangen seien. Die Unterhaltsbeiträge ergäben sich letztlich aus dem Scheidungsurteil vom 18. Januar 1999, welches das Trennungsurteil vom 2. April 1993 ersetzt habe. Die übergangsrechtlichen Bestimmungen für einen Anspruch auf Bevorschussung über das Mündigkeitsalter hinaus fänden vorliegend keine Anwendung, weshalb der Alimentenbevorschussungsanspruch der Rekurrentinnen mit Erreichen des 18. Altersjahres erloschen sei. Voraussetzung zur Rückerstattungspflicht sei allein, ob die Leistungen zu Unrecht bezogen worden seien. Dies bedeute, dass allein eine objektive Betrachtung angebracht sei, so dass die von den Rekurrentinnen vorgebrachte subjektive Sicht nicht entscheidend sei. Dementsprechend müsse von der grundsätzlichen Rückerstattungspflicht ausgegangen werden, doch habe die Vorinstanz zu prüfen, ob den Rekurrentinnen allenfalls Fürsorgeleistungen zugestanden hätten. In diesem Fall seien die entsprechenden Leistungen von den Rückerstattungsbeträgen abzuziehen. Dem halten die Beschwerdeführerinnen entgegen, bei den Entscheiden der Fürsorgebehörde M vom 15. Juli 1999, mit welchen die Rückzahlung verfügt worden sei, handle es sich um den Widerruf der Verfügungen vom 20. August 1998. Ein solcher sei jedoch nur bei überwiegendem öffentlichen Interesse zulässig. Vorliegend hätten die Beschwerdeführerinnen das Geld gutgläubig empfangen und für ihren Lebensunterhalt verbraucht. Eine Rückerstattung sei nicht zumutbar und widerspreche Treu und Glauben.

3. a) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen handelt es sich bei der Verfügung der Fürsorgebehörde M nicht um den Widerruf der Verfügung vom 20. August 1998. Der Widerruf einer Verfügung ist nur zulässig, sofern öffentliche Interessen dies erfordern oder sich die Verhältnisse wesentlich geändert haben. Vorbehalten bleiben jedoch Entscheide, die gemäss ausdrücklicher Vorschrift oder nach der Natur der Sache nicht zurückgenommen werden können (§ 23 Abs. 1 VRG). Das ist bei Verfügungen über die Alimentenbevorschussung nach § 14 Abs. 1 SHG insoweit der Fall, als die Leistungen bereits erbracht worden sind. In dem Moment, in dem der Vorschuss ausbezahlt wird, ist die Verfügung mit Bezug auf diesen Teil nicht mehr rückgängig zu machen. Vorliegend stützt sich der Rückerstattungsanspruch auf eine eigene Norm, nämlich auf § 19 SHG. Nach § 19 Abs. 1 SHG sind zu Unrecht bezogene Leistungen immer, zu Recht bezogene Leistungen bei Zumutbarkeit zurückzuerstatten (§ 19 Abs. 2 SHG). Dementsprechend ist zunächst der Frage nachzugehen, ob die Beschwerdeführerinnen die Unterhaltsbevorschussungen zu Recht oder zu Unrecht bezogen haben.

b) § 14 Abs. 1 SHG lautet wie folgt: «Gehen laufende elterliche Unterhaltsbeiträge für Kinder nicht rechtzeitig ein, kann bei der Fürsorgebehörde ein Vorschuss verlangt werden. Der Unterhaltsbeitrag muss in einem rechtskräftigen Entscheid oder in einem von der Vormundschaftsbehörde genehmigten Vertrag festgesetzt sein.»
Die Fürsorgekommission M, die Vorinstanz sowie die Beschwerdeführerinnen selber gehen beim Begriff «Kind» davon aus, dass dieser im Sinne von unmündigen Kindern zu verstehen ist. Von dieser Interpretation geht auch der Leitfaden des Fürsorgeamtes betreffend Bevorschussung von Unterhaltsbeiträgen aus. Dem Gericht ist jedoch bekannt, dass es auch Kantone und Städte gibt, die Unterhaltsbeiträge bevorschussen, wenn das Kind bereits mündig, aber auf Grund einer Ausbildung noch unterhaltsberechtigt ist. Es stellt sich daher die Frage, wie der Begriff «Kind» im Sinne von § 14 Abs. 1 SHG zu verstehen ist. Die Botschaft des Regierungsrates zum SHG vom 9. Juni 1981 spricht mit Bezug auf § 13 nur vom unmündigen Kind, das einen Anspruch auf Bevorschussung hat. Vom mündigen Kind ist in der ganzen Botschaft nicht die Rede. Auch in den Protokollen der vorberatenden Kommission sowie in den Beratungen des Grossen Rates wurde das Thema Bevorschussung für das mündige Kind mit keinem Wort gestreift. Somit ergibt sich, dass im Kanton Thurgau die Bevorschussung nach § 14 Abs. 1 SHG nur für das unmündige Kind anwendbar ist. Es steht daher fest, dass U von Anfang an und D nach ihrem 20. Altersjahr zu Unrecht Unterhaltsbeiträge bevorschusst erhalten haben. Diese Auslegung rechtfertigt sich umso mehr, als nach Eintritt der Mündigkeit einem Unterhaltsberechtigten ein selbstständiger Anspruch auf Fürsorgeleistungen zusteht.

c) Die Rückerstattung der zu Unrecht bezogenen Leistungen richtet sich somit nach § 19 Abs. 1 SHG, also nach rein objektiven Kriterien. Die subjektiven Kriterien, wie etwa die Zumutbarkeit der Rückerstattung, könnten nur dann berücksichtigt werden, wenn die Beiträge zu Recht bezogen worden wären. Allerdings muss auch bei der Rückerstattung nach § 19 Abs. 1 SHG der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gewahrt bleiben. Dem hat das Verwaltungsgericht bereits in seinem Entscheid TVR 1996 Nr. 27 Rechnung getragen, indem es darin ausführte, es sei in jedem Fall zu prüfen, ob anstelle der bevorschussten Unterhaltsbeiträge Fürsorgeleistungen hätten ausbezahlt werden müssen. Sei dies der Fall, so könnten die ausbezahlten Vorschüsse mit allfällig möglichen Fürsorgeleistungen verrechnet werden. Zu Recht hat daher die Vorinstanz angeordnet, dass die Sache zur entsprechenden Prüfung an die Fürsorgekommission M zurückzuweisen ist. Die vorinstanzlichen Entscheide erweisen sich somit in allen Belangen als richtig. Es ist Sache der Fürsorgekommission zu prüfen und zu entscheiden, ob und in welchem Umfang in Berücksichtigung des Anspruchs auf Fürsorgeleistungen für die Beschwerdeführerinnen noch Rückerstattungsansprüche gemäss § 19 SHG bestehen.

Entscheid vom 10. Januar 2001

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