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TVR 2001 Nr. 36

Anspruch auf Unparteilichkeit des Schiedsrichters


Art. 30 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 89 KVG


1. Über ein Rekusationsbegehren gegen einen im Schiedsgerichtsverfahren nach KVG von einer Partei ernannten Schiedsrichter entscheidet das noch nicht durch die Schiedsrichter ergänzte Versicherungsgericht (E. 1a).

2. Hat ein von einer Partei im Verfahren nach Art. 89 KVG benannter Schiedsrichter Einsitz in einem ihrer Organe, so ist grundsätzlich von Befangenheit auszugehen, selbst wenn es sich beim Organ lediglich um ein konsultatives Gremium handelt (E. 2b).


Mit Eingabe vom 22. November 2000 erhob die Leistungserbringerin X AG beim Versicherungsgericht Klage gegen die W-Krankenkasse. Verlangt wird die Bezahlung von Fr. 1 116.45 sowie die Aufhebung des Rechtsvorschlags. Mit Präsidialschreiben wurden die Parteien aufgefordert, im Sinne von Art. 89 Abs. 4 Satz 3 KVG je ihren Schiedsrichter zu bezeichnen. Die X AG nominierte RA O als Schiedsrichter. Dieser Eingabe war ein Schreiben des Nominierten an die X AG beigelegt, in welchem er seine Bereitschaft, als Schiedsrichter zu amten, erklärte. Weiter ist darin festgehalten: «Als eine von verschiedenen Nebentätigkeiten bin ich externe Fachperson im Beirat der X AG. Dieser Beirat ist ein konsultatives Gremium mit allein beratender Funktion, das zudem bisher kaum beansprucht wurde. Ich stehe meines Erachtens deshalb in keiner für Ausstandsgründe relevanten Beziehung zur X AG.» In der Folge beantragte die W, es sei RA O als Schiedsrichter abzulehnen; die X AG hielt an der Nomination des von ihr benannten Schiedsrichters fest. Das Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht heisst das Rekusationsbegehren gut.

Aus den Erwägungen:

1. a) (...) Streitig ist die Ernennung von RA O durch die Klägerin als Schiedsrichter. Über dieses Rekusationsbegehren hat praxisgemäss das noch nicht ergänzte Versicherungsgericht zu entscheiden (VGE 146/1997). Darüber ist in Form eines Vorentscheides (oder Zwischenentscheides) zu befinden, denn durch die vorgängige Erledigung dieser Vorfrage kann alsdann erheblicher Aufwand an Zeit und Kosten vermieden werden, wenn die Zusammensetzung des Gerichtes nicht erst hinterher in Frage gestellt wird (vgl. § 15a und § 35 Abs. 2 VRG).

2. a) aa) Aus dem Grundsatz der richtigen Besetzung des Gerichtes gemäss Art. 58 BV (neu: Art. 30 BV) hat das Bundesgericht allgemein den Anspruch des Betroffenen auf Beurteilung seiner Streitsache durch einen unabhängigen und unparteiischen Richter abgeleitet. Eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit liegt dann vor, wenn bei objektiver Betrachtung der Sachlage der Anschein einer – wenn auch vielleicht gar nicht vorhandenen – Voreingenommenheit des Richters erweckt wird (Kölz in Kommentar zur Schweizerischen Bundesverfassung, Basel/Zürich/Bern 1990, Rz 16 und 18 zu Art. 58).
Durch Art. 6 Ziff. 1 EMRK wird zudem gewährleistet, dass jedermann Anspruch darauf hat, dass seine Sache von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhendem Gericht entschieden wird. Nachdem das Gesetz (Art. 89 KVG) dieses Sondergericht statuiert, geht es vorliegend allein darum zu entscheiden, ob die Ablehnung von RA O zu Recht geltend gemacht wird.

bb) Ein Richter gilt als befangen, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen in seine Unparteilichkeit zu erwecken. Die richterliche Befangenheit hat eine tatsächliche (subjektive) und eine objektive Seite. Da die innere (tatsächliche) Befangenheit eines Richters nur schwer nachzuweisen ist, und dessen Unparteilichkeit gar vermutet wird, genügen bereits objektiv begründete Umstände, welche den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen, um Art. 58 BV anzurufen (BGE 112 Ia 293, 113 Ia 63, 114 Ia 55, 115 Ia 175). An den Nachweis objektiver Befangenheit dürfen nicht allzu strenge Anforderungen gestellt werden; allerdings besteht auch keine Regel, wonach im Zweifelsfalle stets auf Befangenheit zu erkennen ist. Das Gebot der Unparteilichkeit gilt für den Vorsitzenden und die übrigen Richter in gleichem Mass (BGE 115 V 261).
Diese im Allgemeinen gültigen Grundsätze sind gemäss Eidgenössischem Versicherungsgericht auch in Bezug auf die Besetzung der Schiedsgerichte nach altem Recht anwendbar. Diese Spezialbesetzung ist praktisch genau gleich ins neue KVG übernommen worden, so dass die alte Rechtsprechung nach wie vor ihre Gültigkeit hat.

b) Vorliegend macht die W geltend, bereits die Tatsache, dass der von der X AG ernannte Schiedsrichter bei ihr eine Tätigkeit ausübe beziehungsweise in einem Organ von ihr Einsitz habe, genüge, um ihn als Schiedsrichter abzulehnen. RA O ist Mitglied des Beirates der X AG. Gemäss der Botschaft des Regierungsrates des Kantons Thurgau an den Grossen Rat zu einem Gesetz über den Verbund der kantonalen Krankenanstalten (Spitalverbund) und zu einem Beschluss des Grossen Rates über die Verselbstständigung der IV-Betriebe Münsterlingen vom 23. Juni 1998 ist der Beirat ein wichtiges Organ der X AG mit beratender Funktion, primär für den Verwaltungsrat und bei Bedarf auch für die Geschäftsleitung (S. 10 der Botschaft). Zwar ist der Beirat lediglich ein konsultatives Gremium der X AG, doch handelt es sich bei ihm um ein offizielles Organ der Klägerin. Auch wenn die zu ernennenden Schiedsrichter erfahrungsgemäss kaum je völlig unabhängig von der von ihr benannten Partei sind, so wird im Lichte der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichtes in denjenigen Fällen, in denen ein benannter Schiedsrichter in einem Organ der einen oder anderen Partei Einsitz nimmt, grundsätzlich von Befangenheit auszugehen sein (BGE 124 V 22). Dies muss umso mehr gelten, als eben der Anschein von Befangenheit grundsätzlich zur Annahme derselben genügen muss. Dementsprechend muss der von der X AG benannte Schiedsrichter abgelehnt werden.

Entscheid vom 21. Februar 2001

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