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TVR 2001 Nr. 40

Kürzung der Entschädigung bei grobfahrlässiger Verursachung eines Schadens


§ 10 FSG, § 12 GebG, § 32 Abs. 2 GebG


1. Wer Lackbitumen lagert, hat die entsprechenden baulichen Massnahmen zu treffen. Ebenso hat er dies (explizit) der Gebäudeversicherung unverzüglich zu melden. Er kann sich in der Regel nicht darauf berufen, die Behörden der Gemeinde und des Kantons hätten den Betrieb inspiziert und daher von der Gefahr gewusst.

2. Zieht die Gebäudeversicherung wegen unterlassener baulicher Massnahmen und Meldung eine Kürzung der Entschädigung in Betracht, ist sie nicht an die strafrechtliche Beurteilung gebunden. Solche Unterlassungen sind als grobfahrlässig zu werten, weshalb eine Kürzung zulässig ist.


Die C AG ist Eigentümerin einer Lagerhalle in der thurgauischen Gemeinde W. Am 7. Oktober 1998 brach in der Lagerhalle ein Brand aus, was zu einem Schaden von insgesamt rund 800 000 Franken führte. Die Brandursachenabklärung der Polizei ergab, dass in der Halle Lackbitumen gelagert und umgefüllt wurde. Wahrscheinlichste Ursache der explosionsartigen Entstehung des Brandes war eine Entzündung von brennbaren Dämpfen beim Abfüllen von Lackbitumen durch einen elektrostatischen Entladungsfunken. Mit Verfügung vom 5. Juli 2000 kürzte die Gebäudeversicherung die Versicherungsleistung um 10 %, d.h. um Fr. 80 000.– mit der Begründung, die C AG habe die elementarsten feuerschutztechnischen Vorsichtsmassnahmen nicht ergriffen, weshalb sie grobfahrlässig gehandelt habe. Ebenso sei ihr anzulasten, dass sie die Nutzungs- und damit die Risikoänderung der Gebäudeversicherung nicht gemeldet habe. Auch verlange die entsprechende Brandschutzrichtlinie, dass die Lagerung von Lackbitumen in einem separaten, F90-abgetrennten Raum erfolge und dass Massnahmen gegen eine statische Aufladung getroffen würden. Beides sei nicht der Fall gewesen. Gegen diese Verfügung gelangte die C AG mit Rekurs an die Rekurskommission der Gebäudeversicherung und verlangte ungekürzte Leistungspflicht. Diese weist ab.

Aus den Erwägungen:

2. a) Der Brandfall entstand beim Umfüllen des Lackbitumens «SLOMEX». Die Lieferfirma umschreibt das Produkt in ihrem Sicherheitsdatenblatt unter anderem wie folgt: «3. Mögliche Gefahren: Leichtentzündlich. Kein Publikumsprodukt. 7. Handhabung und Lagerung: An einem Platz lagern, der nur berechtigten Personen zugänglich ist. Behälter dicht geschlossen an einem trockenen, kühlen und gut gelüfteten Ort aufbewahren. 9. Physikalische und chemische Eigenschaften: Flammpunkt < 21° C.»
Diese Gefahrenumschreibung indiziert einen sehr sorgfältigen Umgang. Diesbezüglich verweist die Gebäudeversicherung in ihrer Verfügung auf die §§ 9 und 10 FSG. Nach § 9 Abs. 1 und 2 FSG sind Bauten sowie Feuerungs-, Wärme- und ähnliche Anlagen feuerschutztechnisch nach den anerkannten Regeln der Baukunde zu erstellen und zu unterhalten. Bei erhöhter Feuer- oder Explosionsgefahr sind die erforderlichen Sicherheits-, Rettungs- und Löscheinrichtungen vorzusehen. Gemäss § 10 FSG kann der Regierungsrat technische Wegleitungen erlassen oder solche von öffentlichen-rechtlichen oder privaten Organisationen allgemeinverbindlich erklären. Gestützt auf § 10 FSG hat der Regierungsrat die Brandschutzrichtlinie «Brennbare Flüssigkeiten» der Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen für allgemeinverbindlich erklärt. Nach deren Ziff. 2 gehört Lackbitumen «SLOMEX» auf Grund des tiefen Flammpunktes (< 21° C) zur Gefahrenklasse F1. Ziff. 4.2 dieser Brandschutzrichtlinie verlangt für die Lagerung von Lackbitumen in Gebäuden bei einer Menge von über 450 Litern einen separaten, F90-abgetrennten Raum. Die Rekurrentin hat den Lackbitumen «SLOMEX» nicht in einem separaten Raum gelagert und abgefüllt. Damit hat sie gegen § 10 des FSG und insbesondere gegen die Brandschutzrichtlinie verstossen. Es ist ihr der Vorwurf zu machen, dass sie die feuerschutztechnischen Vorsichtsmassnahmen nicht ergriffen hat, welche notwendig gewesen wären. Die Rekurrentin anerkennt diesen Umstand, woran sie zu behaften ist.

b) Die Gebäudeversicherung stützt sich in ihrer angefochtenen Verfügung auf § 12 GebG. Danach hat der Eigentümer der Gebäudeversicherung jede bedeutende Änderung der Gefahr unverzüglich zu melden.
Die Rekurrentin beruft sich darauf, dass sie der Gebäudeversicherung die Änderung der Gefahren gemeldet habe. Zu welchem Zeitpunkt sie dies tat, wird indessen nicht explizit ausgeführt. Die Rekurrentin verweist lediglich auf mehrere Kontrollen durch diverse Amtsstellen. Durch die entsprechenden Kontrollen will die Rekurrentin geltend machen, dass die Gebäudeversicherung Kenntnis vom Umstand der Lagerung leicht entzündlicher Flüssigkeiten gehabt habe, weshalb eine explizite zusätzliche Meldung nicht notwendig gewesen sei. So sei für die Erstellung der Ölfeuerungsanlage und den Kunststoff-Heizöltank beim Gemeindefeuerschutzamt eine Bewilligung eingeholt worden. Gleichzeitig sei bei der Gebäudeversicherung ein Antrag für eine Bauversicherung für die mutmasslichen Baukosten gestellt worden. Im Nachgang zu diesem Umbau sei das Objekt 1991 und 1992 von der Gebäudeversicherung neu geschätzt worden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sei der Gebäudeversicherung die Nutzungsart vollumfänglich bekannt gewesen. 1993 sei die Lagerhalle vom Amt für Umweltschutz und Wasserwirtschaft des Kantons Thurgau inspiziert worden. Zudem sei die Lagerhalle 1995 durch einen Blitzeinschlag beschädigt worden, worauf sie durch einen Inspektor der Gebäudeversicherung besichtigt worden sei. 1997 sei die Lagerhalle erneut durch das Amt für Umweltschutz und Wasserwirtschaft inspiziert worden. Ferner sei die Lagerhalle jährlich durch den Gemeindefeuerschauer überprüft worden. Schliesslich sei zu erwähnen, dass die örtliche Feuerwehr noch wenige Monate vor dem Schadenereignis einen Einsatzplan für die Lagerhalle erstellt und sämtliche mögliche Gefahren inventiert habe.
Diese behördlichen Überprüfungen der Lagerhalle beinhalteten zu keinem Zeitpunkt den Umstand der Lagerung von «SLOMEX». (...) Es muss vielmehr festgehalten werden, dass es die Rekurrentin unterlassen hat, die Gebäudeversicherung über die Lagerung des Lackbitumens «SLOMEX» korrekt zu informieren. Damit verstiess sie gegen die in § 12 GebG stipulierte Meldepflicht.

c) Mit der Feststellung, dass die Rekurrentin die feuerschutztechnischen Vorschriften und die Meldepflicht gegenüber der Gebäudeversicherung verletzt hat, steht allerdings noch nicht fest, ob sie im Sinne von § 32 Abs. 2 GebG grobfahrlässig gehandelt hat.

3. Bezüglich der schuldhaften Schadenverursachung hält § 32 Abs. 2 GebG fest, dass die Gebäudeversicherung berechtigt ist, die Entschädigung dem Verschulden entsprechend zu kürzen, wenn der Eigentümer den Schaden grobfahrlässig verursacht hat.
Das Bundesgericht hat in BGE 103 V 34 den Begriff der Grobfahrlässigkeit wie folgt umschrieben: «Grobfahrlässig handelt nach der Rechtssprechung, wer jene elementarsten Vorsichtsgebote unbeachtet lässt, die jeder vernünftige Mensch in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen befolgen würde». Zur Unterscheidung zwischen grober und einfacher Fahrlässigkeit können auch die beiden folgenden Hilfsformeln beigezogen werden (vgl. dazu Keller, Haftpflicht im Privatrecht, 4. Aufl., S. 86): Einfache Fahrlässigkeit: noch einigermassen verständlich – kann passieren. Grobe Fahrlässigkeit: schlechthin unverständlich – darf nicht passieren.
Der Rekurrentin ist der Vorwurf zu machen, dass sie die Lagerung und Verwendung des Lackbitumens «SLOMEX» nicht gemeldet hat, obwohl ihr bewusst war, dass sie dadurch ein hohes Gefährdungspotenzial geschaffen hatte. Auf Grund des Sicherheitsdatenblattes der Lieferfirma war der Rekurrentin bekannt, dass es sich beim Lackbitumen «SLOMEX» um einen leichtentzündlichen Stoff handelt, welcher einen Flammpunkt von < 21°C hat. Hätte die Rekurrentin zumindest das Feuerschutzamt, das Amt für Umwelt oder das Arbeitsinspektorat informiert, wäre die von der Rekurrentin gehandhabte Lagerung nicht akzeptiert worden. Durch eine entsprechende Meldung hätte ein baulich korrekter Brandschutz gewährleistet werden können. Wäre das Feuer in einem vorschriftsgemässen Raum (F90-abgetrennter, separater Raum) ausgebrochen, hätte dieser einem Feuerübergriff eineinhalb Stunden Stand gehalten. In dieser Zeit hätten die Mittel der Stützpunktfeuerwehr erfolgswirksam eingesetzt und der Totalschaden abgewendet werden können. Die Meldepflicht gemäss § 12 GebG wurde gerade aus dem Grunde statuiert, damit solche baulichen Massnahmen von den Eigentümern verlangt werden können. Weil der Rekurrentin bewusst war, dass es sich beim Lackbitumen «SLOMEX» um einen leichtentzündlichen Stoff handelt, muss ihr der Vorwurf des grobfahrlässigen Handels gemacht werden. Die Rekurrentin hätte sich zumindest darüber erkundigen müssen, ob die von ihr praktizierte Lagerung des Lackbitumens korrekt war. Die Rekurrentin beruft sich bei ihrer gehandhabten Lagerung des Lackbitumens auf das Sicherheitsdatenblatt der Lieferfirma. In Ziff. 7 wird bezüglich der Lagerung festgehalten, dass der Platz nur berechtigten Personen zugänglich sein darf und die Behälter an einem trockenen, kühlen und gut gelüfteten Ort aufzubewahren sind. Vorliegend ging die Rekurrentin einfach davon aus, dass die von ihr praktizierte Lagerung diesen Angaben entsprechen würde. Dies trifft indessen nicht zu. Der Lagerplatz war nicht nur berechtigten Personen zugänglich, dies nachdem offenbar tagsüber das Eingangstor an der Nordseite des Gebäudes immer geöffnet war. Dadurch war es für unberechtigte Personen ein Leichtes, an die offen gelagerten Lackbitumen-Fässer zu gelangen. Fraglich ist zudem, ob der Lagerort genügend gekühlt und gut gelüftet war. Ohne weitere Abklärungen nahm dies die Rekurrentin offenbar einfach an. In einer grossen Lagerhalle kann zumindest im Sommer wohl nicht mehr von einer kühlen Lagerung gesprochen werden. Auch war sicher nicht gewährleistet, dass das Eingangstor tatsächlich den ganzen Tag hindurch geöffnet war. Zudem wurde dieses während der Nacht geschlossen, sodass eine ausreichende Lüftung nicht mehr gewährleistet war. Damit gibt die Rekurrentin indirekt zu, dass zumindest während der Nachtzeit die von ihr als genügend taxierte Lüftung nicht vorhanden war. Bei genügender Sorgfalt hätte sie sich bei den zuständigen Ämtern erkundigen müssen, ob die von ihr gehandhabte Lagerungsart genügend war. Da die Rekurrentin einfach annahm, die von ihr gehandhabte Lagerung sei schon in Ordnung, hat sie grobfahrlässig gehandelt.
Es ist schlechthin unverständlich, dass die Rekurrentin die Lagerung einfach nach Gutdünken vornahm, ohne dass sie sich bei den zuständigen Ämtern erkundigte. Bei einem so gefährlichen Stoff wie dem Lackbitumen «SLOMEX» darf ein solches Verhalten nicht passieren. Der Rekurrentin ist der Vorwurf zu machen, dass sie die elementarsten Vorsichtsgebote unbeachtet gelassen hat, die jeder vernünftige Mensch in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen befolgt hätte. Allein das Anbringen einer Rauchverbotstafel genügt den Vorsichtspflichten nicht.

4. Die Rekurrentin stützt sich im Weiteren auf den Umstand ab, dass das Bezirksamt verfügte, es werde keine Strafuntersuchung wegen Brandstiftung oder fahrlässiger Verursachung einer Feuersbrunst eröffnet. Daraus schliesst die Rekurrentin, dass die Gebäudeversicherung an diese Verfügung des Bezirksamtes gebunden sei und verweist diesbezüglich auf BGE 119 I b 158 ff.
In diesem Bundesgerichtsentscheid ging es um den Tatbestand des Führens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand etc. Dabei stellte sich die Frage, ob die Administrativbehörde an das Urteil des Strafrichters gebunden sei. Indessen ist festzuhalten, dass es das Bundesgericht durchaus zulässt, dass die Verwaltungsbehörde vom Strafurteil abweichen kann, wenn die dafür aufgestellten Grundsätze eingehalten sind (vgl. BGE 119 Ib 162 mit Verweis auf BGE 96 I 774).
Der vorliegende Fall liegt jedoch anders als derjenige im zitierten Bundesgerichtsentscheid.
Das Verfahren bezüglich Überprüfung der Leistungskürzung durch die Gebäudeversicherung ist kein eigentliches Verwaltungsverfahren, sondern ein dem Haftpflichtrecht angenähertes Verfahren. Diesbezüglich hält Art. 53 OR fest, dass bei der Beurteilung der Schuld oder Nichtschuld der Richter an eine Freisprechung durch das Strafgericht nicht gebunden ist. Ebenso sind die strafgerichtlichen Erkenntnisse mit Bezug auf die Beurteilung der Schuld und die Bestimmung des Schadens für den Zivilrichter nicht verbindlich.
Somit kann festgehalten werden, dass die Gebäudeversicherung grundsätzlich nicht an die Verfügung des Bezirksamtes gebunden ist. Es steht ihr frei, das Verschulden der Rekurrentin anders zu beurteilen. Dabei kommt ihr ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Allerdings wird die Gebäudeversicherung bei ihrem Entscheid nicht ohne Not vom ermittelten Sachverhalt abweichen. Dies war vorliegend denn auch nicht der Fall. Das Bezirksamt ging bei seiner Verfügung davon aus, dass höchstens eine Übertretung «konstruiert» werden könne. Sofern eine solche vorliege, sei diese indessen bereits verjährt. Die Feststellungen des Bezirksamtes bedürfen vorliegend keiner Wertung. Auf jeden Fall ist in zivilrechtlicher Hinsicht die Verjährung noch nicht eingetreten, sodass eine Leistungskürzung zufolge Grobfahrlässigkeit durchaus zulässig ist. (...) Die Leistungskürzung von 10 % erscheint unter den vorliegenden Umständen als durchaus angemessen. Auf jeden Fall sieht die Rekursinstanz keine Veranlassung, von diesen 10 % abzuweichen, zumal sich die Rekurrentin hierzu nicht geäussert und keine Anträge gestellt hat.

Entscheid vom 29. Dezember 2000/21. Mai 2001

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