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TVR 2002 Nr. 17

Widerruf einer Lehrlingsausbildungsbewilligung


Art. 10 BBG, § 10 Abs. 1 BerufsbildungsV, § 14 Abs. 1 BerufsbildungsV, § 12 Abs. 1 VRG


1. Das kantonale Ausführungsgesetz zum BBG sieht eine Bewilligung für Lehrmeister zur Ausbildung von Lehrlingen vor. Gemäss Praxis wird diese Bewilligung an Betriebe erteilt. Frage des Widerrufs einer derartigen Bewilligung und damit des Verfügungsadressaten, wenn nicht der Lehrmeister, sondern der Geschäftsführer einer AG die Gewähr für eine verständnisvolle Lehrlingsausbildung gefährdet (E. 2 d). Anspruch auf rechtliches Gehör.

2. Frage der Verhältnismässigkeit des Widerrufs: An die Lehrmeister beziehungsweise Lehrbetriebe dürfen hohe Anforderungen gestellt werden (E.3 b).Auflage zur Aufstellung eines Ausbildungsplanes als milderes Mittel.


Das Verkaufsgeschäft V AG verfügt über verschiedene Filialen und bildet seit rund 30 Jahren Lehrlinge aus. Nach dem Generationenwechsel von V sen. auf V jun. im Jahr 1993 kam es zu mehreren Vertragsauflösungen von Lehrverhältnissen. Am 10. Februar 1998 wurde dem Lehrbetrieb vom Amt für Berufsbildung und Berufsberatung (im Folgenden Amt) Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu verschiedenen Vorwürfen eingeräumt, was mit Antwortschreiben vom 12. Februar 1998 erledigt wurde. Da weitere Probleme mit Lehrverträgen folgten, teilte das Amt mit Verfügung vom 21. November 2000 der V AG mit, ihr werde die Bewilligung zur Ausbildung von Lehrlingen widerrufen. Zudem würden keine neuen Lehrverhältnisse mehr genehmigt, was den Standort O betreffe.
Den dagegen erhobenen Rekurs wies das DEK mit Entscheid vom 18. September 2001 ab. Dagegen erhebt die V AG Beschwerde beim Verwaltungsgericht, das diese teilweise gutheisst und die Sache zur Neuentscheidung nach ergänzenden Abklärungen an das DEK zurückweist.

2. a) Zu klären ist vorab, ob die V AG für ihr Geschäft in O der richtige Adressat der Entzugsverfügung ist.
Nach Art. 6 BBG vermittelt die berufliche Grundausbildung die zur Ausübung eines Berufes notwendigen Fertigkeiten und Kenntnisse. Die berufliche Grundausbildung wird unter anderem vermittelt durch die Berufslehre in einem privaten oder öffentlichen Betrieb mit gleichzeitigem Besuch der Berufsschule (Art. 7 lit. a BBG). In den dem Gesetz unterstellten Berufen dürfen Lehrlinge nur von Lehrmeistern ausgebildet werden, welche die erforderlichen beruflichen Fähigkeiten und persönlichen Eigenschaften besitzen, einen Ausbildungskurs für Lehrmeister besucht haben und Gewähr bieten für eine fachgemässe, verständnisvolle Ausbildung ohne gesundheitliche oder sittliche Gefährdung (Art. 10 Abs. 1 BBG). Als Lehrmeister gilt der Betriebsinhaber oder ein von ihm bezeichneter Mitarbeiter, der die Anforderungen erfüllt (Art. 10 Abs. 2 BBG). Wenn der Lehrmeister die Voraussetzungen nach Art. 10 Abs. 1 BBG nicht erfüllt, die gesetzlichen Pflichten schwer verletzt oder wenn sich aus den Zwischen- oder Lehrabschlussprüfungen ergibt, dass die Ausbildung ungenügend ist, so untersagt ihm die kantonale Behörde die Ausbildung von Lehrlingen (Art. 10 Abs. 4 BBG). Der Lehrmeister hat den Lehrvertrag vor Beginn der Lehre der kantonalen Behörde einzureichen, die ihn zu genehmigen hat (vgl. Art. 20 Abs. 2 BBG). Der Lehrmeister hat den Lehrling nach dem im Ausbildungsreglement festgelegten Lehrprogramm fachgemäss, systematisch und verständnisvoll auszubilden. Er hat dafür zu sorgen, dass die Ausbildung im Betrieb mit dem Unterricht in den beruflichen Fächern möglichst gut koordiniert wird (Art. 22 Abs. 1 BBG). Die kantonale Behörde überwacht die Berufslehre. Zu diesem Zweck ordnet sie, wenn nicht frühere Lehrverhältnisse Gewähr für eine vorschriftsgemässe Durchführung bieten, innert nützlicher Frist einen Betriebsbesuch an (Art. 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 BBG). Wird ein Lehrverhältnis im beidseitigen Einverständnis oder von einer Vertragspartei aus einem wichtigen Grund aufgelöst, so hat der Lehrmeister sofort die kantonale Behörde und die Berufsschule zu benachrichtigen. Die Behörde versucht nach Möglichkeit eine Verständigung zwischen den Vertragsparteien über die Wiederaufnahme des Lehrverhältnisses herbeizuführen (Art. 25 Abs. 1 BBG). Ist der Erfolg der Lehre in Frage gestellt oder besteht keine Gewähr dafür, dass die gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden, so kann die kantonale Behörde nach Anhören der Vertragsparteien und der Berufsschule das Lehrverhältnis durch Widerruf der Genehmigung aufheben (Art. 25 Abs. 2 BBG). Lehrmeister und Lehrlinge unterstehen einer speziellen strafrechtlichen Verantwortung (Art. 70 und 71 BBG). Wird eine strafbare Handlung im Betrieb einer juristischen Person (...) begangen, so sind diejenigen Personen strafbar, die für sie gehandelt haben oder hätten handeln sollen (Art. 70 Abs. 4 BBG).

b) In Ausführung und Ergänzung des BBG ordnet das (kantonale) Gesetz über die Berufsbildung vom 4. November 1985 (TG BBG) unter anderem die berufliche Grundausbildung (§ 1 Abs. 1 TG BBG). Gemäss § 6 TG BBG bedürfen Lehrmeister zur Ausbildung von Lehrlingen einer Bewilligung des Kantons. Das Amt für Berufsbildung und Berufsberatung prüft und überwacht die betrieblichen und personellen Voraussetzungen für die Ausbildung und entscheidet über Erteilung und Widerruf von Ausbildungsbewilligungen (§ 10 Abs. 1 Berufsbildungsverordnung I). Neu eröffneten Betrieben wird die Ausbildungsbewilligung in der Regel nach Ablauf eines Geschäftsjahres erteilt.

c) In den sechziger Jahren wurde offenbar V sen. für das Geschäft in O eine derartige Ausbildungsbewilligung erteilt. 1976 wurde eine solche Bewilligung auch für die Filiale in Z und im Jahre 2000 für die Filiale in G erteilt.

d) Wenn das Amt aus der kantonalen Ausführungsordnung (Gesetz und Verordnung) schliesst, dass die Ausbildungsbewilligung auch an Betriebe und damit auch an juristische Personen erteilt werden könne (und sie ihnen somit wieder entzogen werden könne), so ist das verständlich. Ob diese Ordnung allerdings bundesrechtskonform ist, ist offen. Die Frage braucht aber nicht entschieden zu werden, ist sich doch die Beschwerdeführerin genau bewusst, dass es um die Probleme betreffend verschiedene Lehrverhältnisse im Betrieb in O geht. Bei diesen Lehrverhältnissen geht es durchwegs um die Frage, ob der Geschäftsführer Gewähr bot für eine verständnisvolle Ausbildung ohne gesundheitliche oder sittliche Gefährdung, denn die Lehrmeister oder Ausbilderinnen – wie sich die Beschwerdeführerin ausdrückt – als solche blieben von derartigen Vorbehalten ausgenommen. Gerade die Frage der verständnisvollen Ausbildung ohne Gefährdung im Sinne von Art. 10 Abs. 1 BBG kann sich nichtallein an die Lehrmeister richten. Dies zu gewährleisten obliegt vielmehr dem Betrieb insgesamt und vor allem jenen, die das «Sagen» haben. Das ist ganz offensichtlich V jun. als Geschäftsführer der AG, der nach eigenen Angaben für die Personalfragen zuständig ist beziehungsweise sich seinerseits gemäss einzelnen Lehrverträgen als «verantwortlicher Ausbilder» einsetzte. Von einer blossen Oberaufsicht kann also keine Rede sein. Sein direkter Einfluss bezieht sich aber ganz offensichtlich auf den Betrieb in O. Die Berufung der Beschwerdeführerin darauf, es sei die falsche Verfügungsadressatin ausgewählt worden, ist demnach nicht zu hören. Ob damit die Voraussetzungen für einen Entzug (Widerruf) der Ausbildungsbewilligung erfüllt sind, bleibt im Folgenden zu prüfen.

3. Das Amt hat ausgeführt, dass unter der Ägide des Seniorchefs keine Probleme mit der Ausbildung von Lehrlingen bestanden hätten, dass aber seit der Übernahme durch V jun. erhebliche Probleme in Bezug auf die Ausbildung der Lehrlinge bestünden. Rund ein Drittel der Lehrverträge seien wieder aufgelöst worden. V jun. biete keine Gewähr für eine ordnungsgemässe Ausbildung, insbesondere pflege er einen schlechten Umgang mit den Lehrlingen. Es ist somit abzuklären, ob die erhobenen Vorwürfe einerseits erhärtet sind und andererseits wichtige Gründe für den Entzug der Ausbildungsbewilligung darstellen. Die vom Amt erhobenen Vorwürfe beziehen sich insbesondere auf acht Lehrverhältnisse. (Es folgen konkrete Angaben über diese Lehrverhältnisse.)
In der Stellungnahme des Amtes vom 19. November 2001 werden Probleme mit weiteren Lehrlingen vorgebracht.

a) Die Beschwerdeführerin bestätigt selbst, dass es in etwa zehn Fällen zu Klagen gekommen sei. Dabei sei es in sechs Fällen zu einem vorzeitigen Abbruch der Lehre gekommen. Davon hätten in drei Fällen Abwerbungen durch eine frühere Angestellte vorgelegen. Es sei (im Rahmen von Lehrverhältnissen) nur zu einem Gerichtsfall gekommen, wobei die Klägerin ihre Anschuldigungen vor Friedensrichteramt aber wieder zurückgezogen habe.
Es fragt sich nun, ob diese Vorfälle während der letzten Jahre die Voraussetzungen von Art. 10 Abs. 4 BBG erfüllen, ob also die Voraussetzungen nach Art. 10 Abs. 1 BBG nicht erfüllt sind beziehungsweise ob eine schwere Pflichtverletzung von Seiten des Lehrmeisters vorliegt. Aus den verschiedenen Vorfällen und den Akten ist ersichtlich, dass nicht nur V jun. für die Ausbildung der Lehrlinge zuständig ist. Die eigentlichen Lehrmeister/Lehrmeisterinnen verfügen offenbar grundsätzlich über die Fähigkeiten zur Ausbildung von Lehrlingen. In Bezug auf diese Personen liegen praktisch keine Rügen vor. Demgegenüber bestehen diverse konkrete Vorwürfe gegenüber der Person von V jun. Im Weiteren wird bemängelt, dass ein Ausbildungsreglement und ein festgelegtes Lehrprogramm fehlen würden.
Aus den Unterlagen des Amtes geht hervor, dass 1995 eine Ausbildungsplanung und im Mai 1996 ein internes Ausbildungsprogramm verlangt worden sind. Anlässlich einer Aussprache im Juli 1996 hat der Vertreter der Beschwerdeführerin, V jun., ein Arbeitsbuch und einen Beurteilungsbericht als nicht notwendig erachtet. Gemäss Angaben des Amtes wurden die verlangten Ausbildungskonzepte nie eingereicht. In der Rekapitulation der Vorhalte vom Oktober 1997 wurde festgehalten, dass sich aufgrund aller Gespräche und Reklamationen der Eindruck erhärtet habe, dass die fachgemässe Ausbildung nicht genügend sei, dass die Arbeitsbücher schlecht geführt würden, dass kein systematischer Ausbildungsplan bestehe und dass die verständnisvolle Ausbildung durch V jun. nicht gegeben sei. Im Recht liegt eine Richtigstellung der V AG vom 12. Februar 1998, worin diese die ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe grösstenteils dementiert und darlegt, es sei bereits 1995 ein Lehrplan (Ausbildungsplan) abgegeben worden.
In Bezug auf die letzten beiden Punkte läge es am Amt als Aufsichtsbehörde, den Lehrbetrieb zu verpflichten, Arbeitsbücher zu führen oder Programme aufzustellen, um den Nachweis zu erbringen, dass die Ausbildung nach diesen Konzepten vollzogen wird (vgl. § 14 Abs. 2 Berufsbildungsverordnung I). Es würde das Prinzip der Verhältnismässigkeit tatsächlich verletzt, wenn allein mit dieser Argumentation einem Lehrbetrieb die Berechtigung zur Lehrlingsausbildung entzogen würde. Hier müssten mildere Massnahmen greifen, indem diesbezüglich Weisungen erteilt und die Aufsicht entsprechend straff geführt würde. Wohl erst bei fortgesetzter Weigerung des Lehrbetriebes zur Kooperation und bei Missachtung der erteilten Weisungen käme ein Entzug der Ausbildungsbewilligung in Frage.

b) Es bleiben somit die Vorwürfe gegenüber V jun. zu untersuchen, die vor allem im menschlichen Bereich liegen. Art. 10 Abs. 1 BBG verlangt eine «fachgemässe, verständnisvolle Ausbildung», worin die menschliche Komponente klar enthalten ist. Die Beschwerdeführerin geht fehl mit ihrer Argumentation, dass V jun. nicht direkt unterweise, dass es gewissermassen nicht auf sein Verhalten ankomme. Immerhin interveniert er offenbar häufig und ist als Betriebsinhaber, Geschäftsführer und Personalverantwortlicher für die geordnete Ausbildung verantwortlich (siehe E. 2d). Wenn ihm in der Tat Vorwürfe entgegengehalten werden können, die erstellt sind und schwer wiegen, kann dies zu einem Bewilligungsentzug für den Standort O führen. Die Tatsache, dass die Bewilligung für die anderen Filialen nicht entzogen wurde, zeigt klar, dass bei diesen Betrieben der direkte Einfluss von V jun. untergeordnet ist.
Im Rahmen des Rekursverfahrens waren vom Departement keine weiteren Abklärungen getroffen worden. Der Sachbearbeiter des DEK hat einfach die Vorwürfe des Amtes entgegen genommen und dem Entscheid zugrunde gelegt. Auch wenn nicht von vornherein an der Darstellung des Amtes zu zweifeln ist, so hat die Beschwerdeführerin doch ihrerseits Argumente vorgebracht, die keine einseitige Würdigung des Falles zulassen. In der Rekurseingabe wirft die Beschwerdeführerin dem verantwortlichen Berufsinspektor vor, dass er über Jahre hinweg versuche, dem Lehrbetrieb Verstösse nachzuweisen, was nicht gelungen sei. Auch in der Beschwerdeschrift wird die Verletzung des rechtlichen Gehörs und ungenügende Abklärung geltend gemacht.
Nach § 12 Abs. 1 VRG ist der Sachverhalt von Amtes wegen zu ermitteln und sind die Beweise von Amtes wegen durch Befragung von Beteiligten und Auskunftspersonen, durch Beizug von Urkunden, Amtsberichten oder Gutachten von Sachverständigen, durch Augenschein oder auf andere geeignete Weise zu erheben. Da das DEK seinerseits keine Beweise abgenommen hat und der Entscheid des Entzuges zur Ausbildung von Lehrlingen doch sehr weitreichend ist, müssen diese Abklärungen vom DEK noch nachgeholt werden. So sind diejenigen Lehrlinge, deren Vertragsverhältnisse aufgelöst wurden, allenfalls auch deren Eltern, aber auch die Ausbildungsverantwortlichen im Betrieb der V AG anzuhören. Diesbezüglich hat die Beschwerdeführerin auch diverse Zeugen genannt, die vom DEK als solche einvernommen werden können. Selbstverständlich steht dabei der Beschwerdeführerin das Recht auf Stellungnahme zum Beweisergebnis zu. Allein auf die Häufigkeit von Klagen abzustellen, geht nicht an. Es gilt den Wahrheitsgehalt der Klagen zu prüfen (...). Es ist zwar denkbar, dass nach diesen Befragungen/Einvernahmen kein anderes Bild vorliegt. Immerhin können die erhobenen Vorwürfe dann aber als erhärtet angesehen werden. Falls nach diesen Abklärungen tatsächlich fest steht, dass keine Gewähr für eine verständnisvolle Ausbildung besteht, so wäre der Entscheid zum Entzug der Ausbildungsbewilligung gerechtfertigt, dürfen doch durchaus hohe Anforderungen an die Lehrmeister beziehungsweise -betriebe gestellt werden. Das vom DEK angesprochene Machtgefälle zwischen Lehrmeister und Lehrling verlangt dies. Andernfalls wäre eine mildere Massnahme zu treffen, indem beispielsweise klare Bedingungen an die weitere Genehmigung von Lehrverträgen geknüpft würden, wie die Führung von Arbeitsbüchern oder betreffend die Betreuungssituation. Den Vorhalten betreffend Häufigkeit des Wechsels der Ausbilderinnen und deren Unerfahrenheit ist ebenfalls nachzugehen, ansonsten die Gesamtwürdigung nicht gemacht werden kann.

Entscheid vom 22. Mai 2002

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