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TVR 2002 Nr. 20

Vorsorgliche Beschlagnahme eines Tieres


Art. 1 Abs. 1 TSchG, Art. 25 TSchG


1. Die Behörde darf nicht erst im Zeitpunkt des gesicherten Feststellens von Missständen tätig werden. Vielmehr muss sie bereits beim Vorliegen genügender Verdachtsmomente einschreiten – zum Beispiel durch vorsorgliche Beschlagnahme eines Tieres – und für die nötigen Abklärungen besorgt sein.

2. Eine völlig unrichtige Tierhaltung im Sinne von Art. 25 TSchG liegt vor, wenn die Verstösse gegen die Tierhaltungsgrundsätze das Wohlbefinden eines Tieres erheblich beeinträchtigen.

3. Die Auflagen bei Rückgabe des Tieres bedürfen der gesetzlichen Grundlagen. Diese fehlen für Auflagen mit Hauptzielrichtung eines Verhaltenstrainings des Tieres, ordnet doch das TSchG das Verhalten des Menschen gegenüber dem Tier.


Dr. med. vet. C ist Tierarzt mit eigener Praxis und Halter des Hundes «Arno». Aufgrund einer schriftlichen Anzeige kontrollierte der Kantonstierarzt am 9. Januar 2002, wie der Hund «Arno» gehalten wurde. C war ferienabwesend und der Hund in einer Boxe in einem Schopf untergebracht. Weder die Hundeboxe, in der sich «Arno» befand, noch der Schopf, in dem die Boxe stand, entsprach nach Ansicht des Kantonstierarztes den Tierschutzvorschriften. Deswegen und weil wegen einer erkennbaren Verhaltensstörung des Hundes eine nähere Untersuchung notwendig erschien, beschlagnahmte er den Hund «Arno» vorsorglich und brachte ihn in einem Hundeheim unter. Nach einem weiteren Augenschein am 14. Januar 2002 in Anwesenheit des Hundehalters erstattete der Kantonstierarzt gegen C eine Strafanzeige wegen Widerhandlung gegen das Tierschutzgesetz. Am 17. Januar 2002 bestätigte das Veterinäramt des Kantons Thurgau die vorsorgliche Beschlagnahme des Hundes «Arno» und ordnete eine tierpsychologische Abklärung an, ob und unter welchen Auflagen der Hund zurückgegeben werden könne. Es entzog einem allfälligen Rekurs die aufschiebende Wirkung.
Dagegen rekurrierte C. Das DIV wies den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rekurses am 7. Februar 2002 ab. Am 27. März 2002 wurde der dagegen erhobenen Beschwerde vom Verwaltungsgericht «ab dem Zeitpunkt des Ablaufs der Frist zur Stellungnahme zur tierpsychologischen Abklärung die aufschiebende Wirkung wieder zuerkannt», nachdem C am 13. März 2002 den gutachterlichen Bericht der Zoologin/Ethnologin B zur Stellungnahme erhalten hatte.
Am 2. April 2002 entschied das Veterinäramt, den Hund «Arno» unter nachfolgend aufgeführten Auflagen an den Halter zurückzugeben. Es auferlegte C die Verfahrenskosten und die Kosten für die Unterbringung und Begutachtung des Hundes.

«(...)
2.1 C hat durch ein gezieltes Verhaltenstraining im Sinne des Gutachtens sicherzustellen, dass sich Arno an seinem Unterbringungsort in der Scheune, im Aussenzwinger und bei Aufenthalt in einer Transportkiste im Auto ruhig und entspannt verhalten lernt.
2.2 Die Unterbringung des Hundes ist tierschutzgerecht zu gestalten und hat dem jeweiligen Stand des Verhaltenstrainings Rechnung zu tragen.
2.3 Drei bis vier Monate nach Rückgabe des Hundes findet auf Anordnung des Veterinäramtes eine Erfolgskontrolle des Verhaltenstrainings durch eine externe Fachperson statt.
2.4 Sollte C innerhalb eines Jahres nach Rückgabe des Hundes die Haltung von Arno aufgeben wollen, ist der Kantonstierarzt vorgängig zu informieren.»

Das DIV wies am 10. Juni 2002 den Rekurs gegen die vorsorgliche Beschlagnahme und die tierpsychologische Abklärung sowie gegen die Auflagen für die künftige Haltung des Hundes ab, reduzierte jedoch die Kosten auf Fr. 4’010.–. C beantragte mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht, ihm den Hund «Arno» ohne Auferlegung irgendwelcher Kosten und frei von Auflagen zu überlassen. Dieses hebt die Auflagen auf, bestätigt aber die vorsorgliche Beschlagnahme und die Kostenauferlegung.

Aus den Erwägungen:

2. c) Was die einzelnen Auflagen gemäss Verfügung des Veterinäramtes betrifft, die sich alle an den Halter richten, so ist vorab zu prüfen, ob hierfür eine gesetzliche Grundlage besteht.
Das TSchG ordnet das Verhalten des Menschen gegenüber dem Tier; es dient dem Schutz und Wohlbefinden des Tieres (Art. 1 Abs. 1 TSchG). Tiere sind so zu behandeln, dass ihren Bedürfnissen in bestmöglicher Weise Rechnung getragen wird (Art. 2 Abs. 1 TSchG). Wer mit Tieren umgeht, hat – soweit es der Verwendungszweck zulässt – für deren Wohlbefinden zu sorgen (Art. 2 Abs. 2 TSchG). Niemand darf ungerechtfertigt einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen oder es in Angst versetzen (Art. 2 Abs. 3 TSchG). Auf gleicher Gesetzessystematikstufe folgen ebenso allgemeine Tierhaltungsvorschriften, wobei hier nur Art. 3 und 4 interessieren. So muss, wer ein Tier hält oder betreut, es angemessen nähren, pflegen und ihm soweit nötig Unterkunft gewähren. Die für ein Tier notwendige Bewegungsfreiheit darf nicht dauernd oder unnötig eingeschränkt werden, wenn damit für das Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sind. In Art. 3 Abs. 3 TSchG und Art. 4 TSchG wird der Bundesrat ermächtigt, Tierhaltungsvorschriften beziehungsweise Verbote von Haltungsarten zu erlassen. Diese sind in den Art. 1 bis 7 der Tierschutzverordnung vom 27. Mai 1981 weiter detailliert und ausgeführt und im 6. Abschnitt bezüglich Hunde in den Art. 31 bis 34 konkretisiert.

aa) Betrachtet man nun die Auflagen Ziffn. 2.1 bis 2.4 näher, so ist Kernpunkt der Verfügung das Verhaltenstraining mit «Arno», damit er lernt, sich ruhig und entspannt zu verhalten. Ziel ist also die Änderung des Verhaltens des Tieres. Das aber findet in den genannten Bestimmungen keine direkte Grundlage. Zwar steht das Wohl des Tieres in Frage, doch richten sich alle Bestimmungen primär an den Halter, der mit seinem eigenen Verhalten zum Schutz des Tieres zu sorgen hat. Dass das TSchG für die direkte Beeinflussung der Verhaltensweise der Tiere selbst Grundlage sein soll, ist abwegig. Ob solches Verhaltenstraining denn auch zum Ziel führt, ist kaum überprüfbar. Beim Tierschutz gemäss TSchG steht vielmehr das Verhalten des Menschen im Vordergrund. Nicht umsonst spricht auch die Gutachterin von «Anregungen» und nicht von einer Pflicht. Wo käme der Tierschutz hin, wenn er alle Verhaltensstörungen von Tieren ebenso angehen müsste wie all die Tierhaltungen als solche? Das Ganze würde uferlos. Nicht zu leugnen ist allerdings, dass menschliches Fehlverhalten bei Tieren Verhaltensstörungen bewirken kann. Ob solches vorliegend der Halter bewirkt hat, ist möglich. Gerade bei Hunden kommt es aber sehr auf deren Jugendzeit an und darüber ist nichts bekannt. Es bleibt anzufügen, dass es sich auch nicht um eine Auflage gemäss HundeG handelt, bei dem es primär um die öffentliche Ordnung geht.

bb) Ziff. 2.2, 1. Satzhälfte der Verfügung ist derart allgemein gehalten, das ihr der Verfügungscharakter abzusprechen ist. Bezüglich 2. Satzhälfte ist auf obenstehende Ausführungen zu verweisen.

cc) Die Erfolgskontrolle nach drei bis vier Monaten ist bereits als kaum machbar bezeichnet worden. Sie entbehrt – wie das Verhaltenstraining an sich – der gesetzlichen Grundlage.

dd) Eine vorgängige Information des Kantonstierarztes vor der Rückgabe des Hundes, was wohl mit Aufgabe der Haltereigenschaft zu interpretieren ist, entbehrt ebenso der gesetzlichen Grundlage.

ee) Damit will keineswegs gesagt werden, dass im vorliegenden Fall nicht andere Auflagen hätten angebracht werden können (z.B. hinsichtlich Boxe, Lichtverhältnisse).

Entscheid vom 30. Oktober 2002

Die gegen diesen Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das Bundesgericht ab. Bezüglich vorsorglicher Beschlagnahmung führte es folgendes aus:

2. Vor Bundesgericht umstritten ist, ob der Kantonstierarzt den Hund «Arno» zu Recht vorsorglich beschlagnahmte, und ob dem Beschwerdeführer die Verfahrenskosten sowie die Kosten für die angeordnete Unterbringung und Begutachtung des Tieres auferlegt werden durften. Es ist deshalb vorab zu prüfen, ob die vorsorgliche Beschlagnahme gesetzeskonform erfolgte.

Nach den Grundsätzen von Art. 2 TSchG sind Tiere so zu behandeln, dass ihren Bedürfnissen in bestmöglicher Weise Rechnung getragen wird (Abs. 1). Wer mit Tieren umgeht, hat, soweit es der Verwendungszweck zulässt, für deren Wohlbefinden zu sorgen (Abs. 2). Niemand darf ungerechtfertigt einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen oder es in Angst versetzen. (Abs. 3).

Die Behörde schreitet nach Art. 25 Abs. 1 TSchG unverzüglich ein, wenn feststeht, dass Tiere stark vernachlässigt oder völlig unrichtig gehalten werden. Sie kann die Tiere vorsorglich beschlagnahmen und sie auf Kosten des Halters an einem geeigneten Ort unterbringen; wenn nötig lässt sie die Tiere verkaufen oder töten. Sie kann dafür die Hilfe der Polizeiorgane in Anspruch nehmen.

Die Behörde darf nicht erst im Zeitpunkt des gesicherten Feststehens von Missständen tätig werden. Vielmehr muss sie bereits beim Vorliegen gegründeter Verdachtsmomente einschreiten und für die nötigen Abklärungen besorgt sein (Antoine F. Goetschel, Kommentar zum Eidgenössischen Tierschutzgesetz, Bern/Stuttgart 1986, Art. 25 N. 2). Eine völlig unrichtige Haltung im Sinn von Art. 25 TSchG liegt vor, wenn die Verstösse gegen die Tierhaltungsgrundsätze das Wohlbefinden eines Tieres erheblich beeinträchtigen (Goetschel, a.a.O., Art. 25 N. 4). Was eine tiergerechte und angemessene Haltung ist, wird in Art. 3 TSchG umschrieben. Demnach muss, wer ein Tier hält oder betreut, es angemessen nähren, pflegen und ihm soweit nötig Unterkunft gewähren (Art. 3 Abs. 1 TSchG). Die für ein Tier notwendige Bewegungsfreiheit darf nicht dauernd oder unnötig eingeschränkt werden, wenn damit für das Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sind (Art. 3 Abs. 2 TSchG). Tiere sind so zu halten, dass ihre Körperfunktionen und ihr Verhalten nicht gestört werden und ihre Anpassungsfähigkeit nicht überfordert wird (Art. 1 Abs. 1 der Tierschutzverordnung vom 27. Mai 1981, TSchV; SR 455.1). Fütterung, Pflege und Unterkunft sind angemessen, wenn sie nach dem Stand der Erfahrung und den Erkenntnissen der Physiologie, Verhaltenskunde (Ethologie) und Hygiene den Bedürfnissen der Tiere entsprechen (Art. 1 Abs. 2 TSchV). Haustiere dürfen nicht dauernd im Dunkeln gehalten werden. Ställe, in denen sich die Tiere dauernd oder überwiegend aufhalten, müssen wenn möglich durch natürliches Tageslicht beleuchtet sein. Die Beleuchtungsstärke im Bereich der Tiere muss tagsüber mindestens 15 Lux, für Hausgeflügel mindestens 5 Lux betragen, und die Lichtphase darf nicht künstlich auf über 16 Stunden pro Tag ausgedehnt werden (Art. 14 TSchV). Hunde, die in Räumen gehalten werden, müssen sich täglich entsprechend ihrem Bedürfnis bewegen können. Wenn möglich sollen sie Auslauf im Freien haben(Art. 31 Abs. 1 TSchV).

3.1 Der Kantonstierarzt beschlagnahmte den Hund «Arno» vorläufig, nachdem er auf Grund einer Anzeige die Hundehaltung beim Beschwerdeführer während dessen Ferienabwesenheit überprüft und ein absolut überfordertes, angsterregtes, verzweifelt jaulendes Tier vorgefunden hatte. Der Hund hatte beim Versuch, aus seiner in einem dunklen Raum untergebrachten Hundeboxe zu fliehen, das Innere der Boxe teilweise zerstört und sich selbst im Kopfbereich verletzt. Es war für den Kantonstierarzt offensichtlich, dass die Hundeboxe zu klein und die Lichtverhältnisse ungenügend waren. Er konnte eine Verhaltensstörung des Hundes erkennen, nicht aber deren Ursache. Ausschlaggebend für die vorläufige Beschlagnahme war die Feststellung, dass die angetroffene Situation den Hund absolut überforderte. Dieser bellte nicht, um das Grundstück zu verteidigen, wie das der Beschwerdeführer auch behauptete, «sondern jaulte und heulte jämmerlich. Wenn wir [der Kantonstierarzt, der Gemeindeammann und ein Polizist] vor der Scheune sprachen, unterbrach Arno seine verzweifelte Kundgebung, um sie, wenn wir uns ruhig verhielten, sofort wieder fortzusetzen». Auf Grund der eingegangenen Anzeige musste der Kantonstierarzt davon ausgehen, dass die vorgefundene Situation nicht neu war und mit dem Beschwerdeführer bereits Diskussionen über diese Hundehaltung stattgefunden hatten. Deshalb bestand für ihn im damaligen Zeitpunkt keine Veranlassung, nach der telefonischen Rücksprache mit dem Beschwerdeführer die mit der Betreuung des Hundes beauftragten Personen zu befragen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers reichte es unter den gegebenen Umständen gerade nicht aus, lediglich den Hund unverzüglich aus der Innenboxe zu nehmen und zu kontrollieren. Denn für den Kantonstierarzt war offensichtlich, dass der Hund verstört und dessen Wohlbefinden erheblich beeinträchtigt war. Auf Grund der Anzeige erschien zudem unklar, ob eine tiergerechte und angemessene Haltung durch den Beschwerdeführer oder die von ihm beauftragten Betreuer gewährt werden konnte, was im Interesse des Tierschutzes die vorübergehende Beschlagnahme des Hundes gebot. Es lagen ausreichend begründete Verdachtsmomente für eine völlig unrichtige Tierhaltung vor, so dass die vorläufige Beschlagnahme zu Recht erfolgte. Dem Beschwerdeführer durften demnach auch die entsprechenden Kosten für die geeignete Unterbringung auferlegt werden (Art. 25 Abs. 1 TSchG).

3.2 Für den Kantonstierarzt war die Verhaltensstörung des Hundes «Arno», nicht aber deren Ursache erkennbar. Er selber stellte gewisse Mängel bei der Haltung (Boxengrösse, Lichtverhältnisse) fest. Die Anzeigerin hatte den Verdacht der nicht artgerechten Tierhaltung geäussert, und der Beschwerdeführer gab gegenüber dem Kantonstierarzt selber zu, dass die am 9. Januar 2002 angetroffene Situation in keiner Art und Weise ideal gewesen sei. Es habe sich um eine Extremsituation gehandelt, bedingt durch seine Ferienabwesenheit und falsches Verhalten der Betreuungspersonen. Unter diesen Umständen war es verhältnismässig, eine Abklärung durch eine externe Gutachterin anzuordnen, ob und unter welchen Auflagen eine Rückgabe des Hundes erfolgen konnte.
Ist aber weder zu beanstanden, dass der Kantonstierarzt den Hund vorläufig beschlagnahmte, noch dass er ihn zur Abklärung begutachten liess, so wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde diesbezüglich zu Recht ab. Demzufolge durfte es dem insoweit unterliegenden Beschwerdeführer auch die entsprechenden Kosten, deren Höhe im Übrigen nicht bestritten ist, auferlegen (vgl. Art. 25 Abs. 1 TSchG, Art. 63 Abs. 1 VwVG).

BGE 2 A. 618/2002 vom 12. Juni 2003

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