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TVR 2002 Nr. 36

Verursacherprinzip bei der Ausgestaltung der wiederkehrenden Grundgebühr im Abwasserbereich


§ 10 ff. EG GSchG, Art. 60 a GSchG


Eine Gemeinderegelung, die nur von der realisierten Ausnützung eines Grundstückes zur Berechnung der Grundgebühr ausgeht, ohne aber zu unterscheiden, ob das Meteorwasser der Liegenschaft der ARA zufliesst oder nicht, verstösst gegen das Verursacherprinzip. Der Regelung ist deshalb für eine an eine öffentliche Meteorwasserleitung mit Ableitung in ein Gewässer angeschlossene Liegenschaft die Anwendung zu versagen.


G ist Eigentümer einer Liegenschaft im Ausmass von 960 m2 in der Gemeinde P. Am 23. Oktober 2000 stellte ihm die Gemeinde P für die Zeit vom 1. Dezember 1999 bis 30. November 2000 wie folgt Rechnung:

Wasserverbrauch

169 m3 à Fr. 2.00

=

Fr.

338.00

Abwassergebühr

169 m3 à Fr. 1.85

=

Fr.

312.65

Grundtaxe Wasseruhr

1 à Fr. 80.00

=

Fr.

80.00

Grundtaxe Abwasser

pro m2 gew. Fläche

=

Fr.

375.00

Total

=

Fr.

1105.65

Am 14. November 2000 gelangte G an den Gemeinderat P und liess ihn wissen, dass er die Rechnung bezahle, nicht jedoch den Betrag von Fr. 375.–. In der Baubewilligung vom 18. November 1982 sei ausdrücklich verlangt worden, dass er sämtliches Dachwasser getrennt von der Schmutzwasserleitung der bestehenden Oberflächenwasserleitung zuführen müsse. Für diese Massnahme auf seinem Grundstück habe er hohe Baukosten gehabt und sei nun nicht bereit, unnötige Oberflächenwasserzuführungen in die ARA mit der Grundtaxe Abwasser mitzufinanzieren. Das widerspreche dem Verursacherprinzip. Der Gemeinderat hielt an seiner Rechnung fest, worauf G mit Rekurs an das DBU gelangte. Dieses hiess den Rekurs mit Entscheid vom 29. Oktober 2001 im Sinne der Erwägungen gut und wies die Streitsache zur Neuverlegung der Ansätze und Gebühren an den Gemeinderat zurück. In den Erwägungen hielt es unter anderem fest, auch die Meteorwasserleitungen gehörten unzweifelhaft zu den Anlagen der Siedlungsentwässerung. Meteorwasser sei allerdings ein Sonderfall hinsichtlich der Art des Entsorgungsgutes. Dieses müsse möglichst von der Kanalisation ferngehalten werden. Die Ausgestaltung der Abwasserabgaben müsse diese Entsorgungsweise – Ableitung durch Trennsystem oder Versickern lassen – berücksichtigen, beziehungsweise jene entlasten, die Meteorwasser nicht der Kanalisation zuleiteten. Die von der Gemeinde P praktizierte Gleichstellung des Trennsystems mit dem Mischsystem und dem reduzierten Mischsystem entspreche nicht dem Verursacherprinzip. Das halte auch vordem Äquivalenzprinzip nicht Stand. Die angefochtene Verfügung sei daher aufzuheben und zur neuen Festlegung der Abflussbeiwerte beziehungsweise des Ansatzes an die Gemeinde zurückzuweisen. Dabei habe die Festlegung so zu erfolgen, dass der Ansatz für das Trennsystem, welches die ARA am wenigsten belaste, am Geringsten und der Ansatz für das Mischsystem für die Dorfzone wesentlich höher als beim Trennsystem ausfalle.
Mit Beschwerde vom 15. November 2001 gelangt die Politische Gemeinde P an das Verwaltungsgericht und macht vor allem geltend, das Reglement, auf das sich die Rechnung abstütze, sei genehmigt worden und entspreche der übergeordneten Gesetzgebung sowie dem Musterreglement des Kantons Thurgau. Auch habe G gegen den Abflussbeiwert gemäss Generellem Entwässerungsplan (GEP) keine Einsprache erhoben. Die Meteorwasserleitung, in die G sein Regenwasser ableite, sei öffentlich und gehöre ebenfalls zu den Kanalisationen gemäss Gewässerschutzgesetzgebung. Die für solche Leitungen aufgewendeten Kosten müssten ebenso nach dem Verursacherprinzip auf die Verursacher überwälzt werden können. Das Verwaltungsgericht weist ab.

Aus den Erwägungen:

2. a) Die Gemeinde beruft sich vorab darauf, sie bringe nur ihre vom Kanton genehmigte «Beitrags- und Gebührenordnung (BGO)» vom 7. Dezember 1998, in Kraft seit 1. Januar 2000, zur Anwendung und verwahrt sich damit gewissermassen gegen den angefochtenen Entscheid, der diese nicht respektiert. Die Genehmigung derartiger Reglemente hat zwar eindeutig konstitutiven Charakter (vgl. TVR 1994, Nr. 23), doch schliesst das keineswegs eine vorfrageweise Normenkontrolle aus (vgl. TVR 1998, Nr. 27). Mehr als das hat das DBU nicht getan.
Das gilt gleicherweise für den im GEP aufgeführten «Abflussbeiwert», der offenbar mit dem «Abflusskoeffizient» gemäss Anhang II Ziff. 3a BGO übereinstimmt. Wohl hat G dagegen keine Einsprache erhoben, doch kann er folglich dessen Rechtmässigkeit im Anwendungsfall in Frage stellen, dies erst recht, nachdem der GEP noch gar nicht genehmigt erscheint.

b) Die Gemeinde bringt vor, die (öffentlichen) Meteorwasserleitungen gehörten ebenfalls zu den Kanalisationsleitungen gemäss § 10 Abs. 1 EG GSchG. Das entspreche der erweiterten Entwässerungsphilosophie des Gewässerschutzgesetzes und widerspiegle sich im GEP. Es käme also auch hier das Verursacherprinzip zur Anwendung.
Nach Art. 7 Abs. 2 des (neuen) GSchG, in Kraft seit 1. November 1992, ist nicht verschmutztes Abwasser nach den Anordnungen der kantonalen Behörden versickern zu lassen. Erlauben die örtlichen Verhältnisse dies – wie von der Gemeindebehörde anerkannt wird – nicht, so kann es in ein oberirdisches Gewässer eingeleitet werden. Die Kantone sorgen für eine kommunale Entwässerungsplanung (Art. 7 Abs. 3 GSchG). Von bebauten oder befestigten Flächen abfliessendes Niederschlagswasser gilt in der Regel als nicht verschmutztes Abwasser, wenn es von Dachflächen (Art. 3 Abs. 3 lit. c GSchV) oder auch von Plätzen stammt (unter bestimmten Voraussetzungen, siehe Art. 3 Abs. 3 lit. b GSchV). Dem hat der GEP Rechnung zu tragen, verlangt doch Art. 5 Abs. 2 GSchV insbesondere, dass er die Gebiete ausscheidet, in denen das von bebauten oder befestigten Flächen abfliessende Niederschlagswasser getrennt vom anderen Abwasser zu beseitigen oder zu versickern ist beziehungsweise in ein oberirdisches Gewässer einzuleiten ist (Art. 5 Abs. 2 lit. b, c und d GSchV). Die konsequente Umsetzung dieser Vorschriften erfolgt in Gebieten, in denen eine Versickerung nicht möglich ist, mit Hilfe des sogenannten Trennsystems (allenfalls des reduzierten Mischsystems). Diesfalls kann zur Erschliessung eines Gebietes neben der öffentlichen Leitung zur Abwasserbeseitigung auch eine (öffentliche) Leitung zur Ableitung des Meteorwassers in ein Gewässer gehören. Gemäss Art. 19 Abs. 2 RPG hat das kantonale Recht die Beiträge der Grundeigentümer zu regeln. Diese Regelung findet sich in den §§ 47 ff. PBG hinsichtlich der Beiträge, aber auch der Gebühren (§ 58 PBG).
Spezielle Vorschriften betreffend Finanzierung der Abwasseranlagen, die öffentlichen Zwecken dienen – und dazu gehören in Präzisierung von V 109 vom 29. Oktober 2001 i.S. Kanton Thurgau gegen Gemeinde Altnau durchaus auch (öffentliche) Meteorwasserleitungen wie sie die Gemeinde P in ihrem GEP ausweist – finden sich jedoch im GSchG, nämlich in Art. 60a.
Der Kanton Thurgau ist dem Auftrag von Art. 60a GSchG durch den Erlass der §§ 10 bis 12 des EG GSchG nachgekommen, welche die Grundsätze der Gebühren regeln. Im vorliegenden Fall geht es allein um die (jährlich) wiederkehrende Grundgebühr von Fr. 375.–. Diese stützt sich auf die BGO beziehungsweise deren Art. 22:

Bemessungsgrundlagen, Gebührenhöhe
1 Die wiederkehrenden Gebühren werden von der Gemeindeversammlung nach Massgabe des Kostendeckungs- und Verursacherprinzips unter Einbezug der Kosten für die Amortisation bzw. Werterhaltung der Anlagen festgelegt.
2 Die wiederkehrenden Gebühren setzen sich zusammen aus einer Grundgebühr sowie einem auf der Bezugsmenge bzw. der Anlagenbelastung basierenden Mengenpreis (Tarif). Die Höhe der wiederkehrenden Gebühren sind im Anhang II festgelegt.

Anhang II Ziff.3 bestimmt:
a) Grundgebühr Die Grundgebühr wird wie folgt berechnet: m2 ausgenützte Grundstücksfläche (gerundet auf 50m2) totaler Abflusskoeffizient gemäss GEP 10 Fr. 0.10/m2
b) Mengenpreis (Tarif): Fr. 1.85/m2 Wasserbezug * Gewichtsfaktor

aa) Aus den §§ 11 und 12 EG GSchG erhellt, dass bei der Ausgestaltung der Verbrauchsgebühr praktisch kein Spielraum vorhanden ist, dass aber weitgehend Freiheit bei der Ausgestaltung der Grundgebühr besteht (vgl. vorn E. 1b betreffend Rechtsmittelbefugnis der Gemeinde).

bb) Die Gemeinde macht geltend, bei der Abwasserbehandlung fielen verschiedene Kosten unabhängig davon an, ob und in welchem Mass die Kanalisation benützt wird (zum Beispiel fixe Abschreibungs- und Zinskosten). Abgesehen davon, dass die Gemeinde die Frage des «ob» selbst nicht stellen kann, weil Art. 21 BGO eine (wiederkehrende) Gebührenpflicht nur aufgrund des Bestehens eines Anschlusses auslöst (also nicht auch für die unüberbauten und erschlossenen Grundstücke im Baugebiet), so fragt sich, ob eine derart abstrakte Regelung – wie sie die Gemeinde P kennt – mit dem Verursacherprinzip gemäss Art. 3a und Art. 60a GSchG vereinbar ist, insbesondere dann, wenn das Meteorwasser nicht der Kanalisation und damit auch nicht der ARA zugeleitet wird. Das ist klar zu verneinen.
Die abstrakte Regelung der Gemeinde P begünstigt insbesondere jene nicht, die nach der neuen – von ihr ebenso propagierten – «erweiterten Entwässerungsphilosophie des Gewässerschutzgesetzes» handeln (vgl. Karlen, Die Erhebung von Abwasserabgaben aus rechtlicher Sicht, URP 1999, S. 564). Sie kommt vielmehr einer (kommunalen) Liegenschaftensteuer für angeschlossene Gebäude/Grundstücke nahe, auch wenn zuzugeben ist, dass die Gebühr allein für die Gewässerschutzanlagen dient (Art. 22 Abs. 1 BGO) und nicht einfach im allgemeinen Gemeindehaushalt verschwindet (dafür sorgt auch die öffentliche Zugänglichmachung der Berechnungsgrundlagen, wie sie Art. 60a Abs. 4 GSchG verlangt).

cc) Die Regelung der Gemeinde P ist aber auch deshalb kaum mit dem Verursacherprinzip vereinbar, weil sie sich auf einen abstrakten «Versiegelungsgrad», der sich an der Ausnützung zu orientieren scheint, beziehen dürfte. Die Versiegelung als solche ist aber sehr unterschiedlich und die Fixkosten der Anlagen können – wie gesagt – gemäss Art. 21 BGO nicht auf alle Grundeigentümer im Einzugsbereich einer Abwasserreinigungsanlage verteilt werden (vgl. zum Einbezug unüberbauter Grundstücke, Karlen, a.a.O., S. 565). Wie es sich damit verhält, kann hier offen gelassen werden, da die Regelung aufgrund der in bb) und dd) erwähnten Gründe nicht rechtens ist.

dd) Der GEP ordnet den verschiedenen Zonen je nach System (Mischsystem, reduziertes Mischsystem, Trennsystem) einen Abflussbeiwert zu. Für die der Berechnung zugrunde liegende Dorfzone beträgt dieser Abflussbeiwert nun aber immer 0.5, also unabhängig davon, ob im Misch- oder Trennsystem entwässert wird. Dafür fehlt jede Erklärung und eine solche ist auch nicht ersichtlich. Solches widerspricht klar dem Verursacherprinzip, ist doch allgemein bekannt, dass die Abwassermenge bei den Betriebskosten insbesondere der Abwasserreinigungsanlagen (eingeschlossen die Pumpwerke) eine nicht zu vernachlässigende Grösse darstellt. Auf der Hand liegt, dass auch die öffentlichen Meteorwasserleitungen finanziert werden müssen, doch ist dabei trotz einer gewissen Zulässigkeit einer Pauschalierung zu differenzieren. Das muss durch eine klare Trennung bei den Berechnungsgrundlagen bewerkstelligt werden, nämlich einerseits in Kosten für die Abwasserreinigungsanlage mit Einschluss der Pumpwerke und Kanalisationen und andererseits in Kosten der öffentlichen Meteorwasserleitungen.

ee) Wenn die Gemeinde sich weiter dagegen wehrt, weil ihr das DBU vorhält, die Kosten für die Massnahmen an den öffentlichen Gewässern könnten nicht in die Abwasserrechnung einbezogen werden, so kann ihr auch darin nicht gefolgt werden. Es mag vielleicht zutreffen, dass in einem sehr engen Bereich bei der Einleitung einer Meteorwasserleitung in ein Gewässer Mehrkosten entstehen, doch umfasst das keineswegs die «Unterhaltskosten der Bäche und des Seeufers», wovon das DBU offenbar Anlass hatte auszugehen. Dem Verwaltungsgericht jedenfalls ist diese Rechnung nicht beigelegt worden.

d) Wenn die Gemeinde schliesslich ausführt, sie habe bei der Berechnung der Gebühr nicht willkürlich gehandelt, habe sie doch den «Multiplikant» richtig wiedergegeben, so stimmt das, aber Anlass zur Verwirrung des DBU hat sie alleweil gegeben und kundenfreundlich ist solche Mathematik überhaupt nicht (so fragte sich auch der Einsprecher G, ob von «gewaschener» Fläche auszugehen sei). Fragen müsste man sich auch, warum die Formel für die Berechnung der Grundgebühr von «m2 ausgenützte Grundstücksfläche» spricht, obschon es weder auf die tatsächliche Ausnützung noch auf den Versiegelungsgrad (mit Anschluss an eine öffentliche Leitung) anzukommen scheint. Ebenso Verwirrung schafft die Verwendung des Begriffs «Abflusskoeffizient gemäss GEP», denn dort werden «Abflussbeiwerte» zugeordnet.

Entscheid vom 27. Februar 2002

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