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TVR 2002 Nr. 7

Forderungsklage aus Spitalbehandlung. Sachliche Zuständigkeit bei Leistungen gemäss Grundversicherung


§ 69 a Abs. 1 Ziff. 1 und 2 VRG


Zur Beurteilung der Forderungsklage eines Leistungserbringers gegen einen Patienten für Leistungen im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ist das Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht nicht zuständig. Solche Klagen sind beim ordentlichen Zivilrichter einzureichen.


L befand sich von Oktober bis Dezember 2000 in der Frauenklinik des Kantonsspitals Münsterlingen in ambulanter Behandlung. Es entstanden Kosten in der Höhe von Fr. 2363.40. Diese wurden L in Rechnung gestellt. Da die Rechnung nicht beglichen wurde, leitete die Spital Thurgau AG die Betreibung ein. Hiergegen erhob L Rechtsvorschlag. Die Spital Thurgau AG reichte daher beim Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht Klage ein, welches darauf jedoch nicht eintritt.

Aus den Erwägungen:

1. a) Als Erstes stellt sich die Frage der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts als Versicherungsgericht. Die Klägerin begründet die Zuständigkeit des Versicherungsgerichtes wie folgt: Aus Art. 89 KVG sei ersichtlich, dass gemäss Abs. 3 das Versicherungsgericht auch zuständig sei für Fälle, in denen die versicherte Person die Vergütung an den Leistungserbringer nach dem System des «Tiers garant» schulde. Gemäss einem Grundsatzentscheid erachte sich das Versicherungsgericht auch zuständig für Streitigkeiten aus Zusatzversicherung zwischen Versicherer und Leistungserbringer. Das Versicherungsgericht sei daher in jedem Fall einzige kantonale Instanz.

b) Grundsätzlich besteht in Fällen, in denen ein Leistungserbringer Leistungen nach KVG erbringt, mit Bezug auf die daran beteiligten Parteien ein eigentliches Dreiecksverhältnis. Hier ist zunächst einmal der Leistungserbringer, der die Leistung gegenüber dem Versicherten erbringt (unten E. 1c.cc). Dieser wiederum hat Anspruch darauf, dass ihm der Versicherer im Rahmen des KVG die vom Leistungserbringer gestellte Honorarforderung vergütet (unten E. 1c.aa). Die Höhe der Vergütung bemisst sich nach Tarifen und Preisen, welche entweder die Versicherer und die Leistungserbringer vereinbart haben oder in den vom Gesetz bestimmten Fällen von der zuständigen Behörde festgesetzt wurden und zwingend sind (Art. 43 Abs. 4 und Art. 44 Abs. 1 KVG, vgl. unten E. 1c.bb). Die Klägerin ist der Auffassung, dass für alle Streitigkeiten, die aus dem Dreiecksverhältnis «Leistungserbringer – Versicherer – Versicherter» entstehen können, das Versicherungsgericht zuständig sein soll. Dies ist zu prüfen.

c) Auszugehen ist von § 69a VRG, welcher die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts als Versicherungsgericht regelt. Er lautet, soweit es um Streitigkeiten aus dem KVG geht, in Abs. 1 wie folgt: «1. Das Verwaltungsgericht beurteilt als einzige kantonale Instanz Beschwerden gemäss Art. 86 sowie Streitigkeiten gemäss Art. 89 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung.»

aa) Das KVG ist – der Name sagt es – grundsätzlich ein Gesetz über eine Versicherung. Eine Versicherung wird regelmässig zwischen einem Versicherer und einem Versicherten abgeschlossen. Sind sich die Parteien nicht einig, inwiefern zwischen den beiden Parteien eine Leistungspflicht besteht, so sieht das KVG vor, dass der Versicherer zunächst eine Verfügung zu erlassen hat, gegen welche der Versicherte Einsprache erheben kann (Art. 80 Abs. 1 und Art. 85 Abs. 1 KVG). Gegen den Einspracheentscheid der Versicherung ist sodann die Beschwerde an das kantonale Versicherungsgericht zulässig (Art. 86 Abs. 1 KVG). Es ist unbestritten, dass vorliegend keine Streitigkeit aus der Beziehung Versicherer/Versicherter zur Diskussion steht, zumal ja die Versicherung der Beklagten ihre Versicherungsleistung (Rechnungsbetrag abzüglich Franchise und Selbstbehalt) zugegebenermassen erbracht hat. Eine Streitigkeit aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gemäss Art. 86 KVG, für welche das VRG die Zuständigkeit des Versicherungsgerichts vorsieht (§ 69a Abs. 1 Ziff. 1 VRG), liegt somit nicht vor.

bb) Für das Verhältnis Leistungserbringer/Versicherer gilt Folgendes: Muss ein Versicherter die Dienste eines Leistungserbringers in Anspruch nehmen, so ist grundsätzlich er Schuldner der zu erbringenden Vergütung. Dem obligatorisch Versicherten steht jedoch ein Anspruch auf Rückerstattung gegenüber dem Versicherer zu (Art. 42 Abs. 1 KVG, System des «Tiers garant»). Versicherer und Leistungserbringer haben zudem die Möglichkeit, eine Vereinbarung zu treffen, wonach der Versicherer die Vergütung direkt schuldet (Art. 42 Abs. 2 KVG, System des «Tiers payant»). Soweit ersichtlich, haben Versicherer und Leistungserbringer von dieser Möglichkeit praktisch ausnahmslos Gebrauch gemacht, soweit es um stationäre Spitalaufenthalte geht. Die Höhe der Vergütung, welche ein Versicherter dem Leistungserbringer zu bezahlen hat, bestimmt sich, soweit es sich um Leistungen der obligatorischen Krankenpflege handelt, nach dem bereits erwähnten Tarifvertrag gemäss Art. 46 KVG, welcher zwischen dem(n) Versicherer(n) und dem Leistungserbringer(n) vereinbart wurde.
Die vom Gesetzgeber getroffene Regelung nach Art. 42 Abs. 1 KVG hat zur Folge, dass mit der Behandlung eines Versicherten durch einen Leistungserbringer eine indirekte Wirkung auf den Versicherer entsteht, weil der Versicherte die Rechnung des Leistungserbringers regelmässig umgehend an den Versicherer weiterleitet und dieser verpflichtet ist, seine Versicherungsleistung zu erbringen. Dem Versicherer wurde daher das Recht eingeräumt, direkt gegenüber dem Leistungserbringer Einwände zu erheben, wenn er mit der Abrechnung des Leistungserbringers nicht einverstanden ist, und zwar unabhängig davon, wer Schuldner der Vergütung ist (Art. 89 Abs. 3 KVG). Für solche Fälle sieht Art. 89 Abs. 1 KVG die Anrufung des Schiedsgerichts vor («Streitigkeit zwischen Versicherern und Leistungserbringern entscheidet ein Schiedsgericht.»).
Das EVG hält zu Art. 89 KVG folgendes fest: «Gesetz und Verordnung umschreiben allerdings nicht näher, was unter Streitigkeiten im Sinne von Art. 89 Abs. 1 KVG zu verstehen ist. Die auch für diese Bestimmung massgebende, zum altrechtlichen Art. 25 Abs. 1 des KUVG ergangene Rechtsprechung und die Literatur gehen von einer weiten Begriffsumschreibung aus, indem sie die sachliche Zuständigkeit für alle Streitigkeiten zwischen Krankenversicherer und Leistungserbringer bejahen, wenn und soweit diese Rechtsbeziehungen zum Gegenstand haben, die sich aus dem KVG ergeben oder aufgrund des KVG eingegangen worden sind. In diesem Sinne muss der Streitgegenstand die besondere Stellung der Versicherer oder Leistungserbringer im Rahmen des KVG betreffen. Als Streitigkeiten fallen beispielsweise Honorar- und Tariffragen, namentlich die Überprüfung der richtigen Anwendung der Tarife beziehungsweise einer Tarifposition oder einer Klausel im Einzelfall und deren Übereinstimmung mit dem Bundesrecht, Rückforderungen der Versicherer wegen Verletzung des Effizienzgrundsatzes oder die Ablehnung von Vertrauensärzten in Betracht» (Entscheid des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 9. August 2001, Nr. K 40/01).
Daraus ergibt sich, dass es vorliegend mit Sicherheit nicht um eine Streitigkeit nach Art. 89 KVG geht, welche gemäss § 69a Abs. 1 Ziff. 1 VRG die Zuständigkeit des Versicherungsgerichtes begründen könnte. Zudem ergibt sich daraus aber auch, dass – entgegen der Auffassung der Klägerin – allein aus der Tatsache, dass die Versicherung gemäss Art. 89 Abs. 3 KVG den Versicherten zu vertreten hat, nicht bereits die Zuständigkeit des Versicherungsgerichtes angenommen werden darf, weil dies nur für Streitigkeiten im Sinne von Art. 89 Abs. 1 KVG gilt.

cc) Bleibt somit noch zu prüfen, ob sich aus dem Rechtsverhältnis zwischen Leistungserbringer und Versicherten eine Zuständigkeit des Versicherungsgerichtes ergibt.
Trägerschaft des Kantonsspitals Münsterlingen ist seit dem 1. Januar 2000 die privatrechtlich organisierte Spital Thurgau AG. Die Behandlung der Beklagten fand vom 20. Oktober bis zum 28. Dezember 2000 statt. Demnach untersteht das Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten für die Behandlungsdauer nicht mehr dem öffentlichen Recht, sondern dem Privatrecht. Aus den von der Klägerin eingereichten Unterlagen ist zu schliessen, dass es sich bei der Behandlung der Beklagten um eine ambulante Behandlung handelte. Ist dem so, so bestand zwischen der Klägerin und der Beklagten ein Auftragsverhältnis nach dem Obligationenrecht. Handelte es sich hingegen um eine stationäre Behandlung, so wäre von einem sogenannten Spital- oder Spitalaufnahmevertrag zu sprechen. Dabei handelt es sich um einen Innominatkontrakt. Beeinflusst wird der private Spitalvertrag (wie auch das Auftragsverhältnis, welches bei ambulanter Behandlung eingegangen wird) punktuell auch durch das öffentliche Gesundheits- und Spitalrecht, dessen direkte Einwirkungen zuweilen unverkennbar sind (Honsell, Handbuch des Arztrechts, Zürich 1994, S. 22 f. und 48). Der wesentlichste Einfluss des öffentlichen Rechts auf den privatrechtlichen Vertrag zwischen Versichertem und Leistungserbringer besteht darin, dass sich die Vergütung im Rahmen eines grundsätzlich zwingenden Tarifvertrags bewegt (sogenannter Tarifschutz, vgl. Art. 44 Abs. 1 KVG). Im Übrigen aber finden sich im KVG kaum Bestimmungen, welche sich direkt mit der Beziehung Leistungserbringer/Versicherten befassen. Es ist somit von einer Beziehung auszugehen, die dem Zivilrecht untersteht.

dd) Das KVG selbst hat mit Bezug auf das Rechtspflegeverfahren also vorab zwei Konstellationen geregelt, nämlich das Verhältnis zwischen dem Versicherer und dem Versicherten sowie das Verhältnis zwischen dem Versicherer und dem Leistungserbringer (Art. 86 und 89 KVG). Dem hat sich der kantonale Gesetzgeber, dem grundsätzlich die Regelung des Verfahrens obliegt (Art. 87 KVG), angeschlossen, indem er nur den Entscheid über solche Streitigkeiten in die Hände des Versicherungsgerichts legt (§ 69a Abs. 1 Ziff. 1 VRG). Für Streitigkeiten zwischen den Leistungserbringern und den Versicherten ist daher das Versicherungsgericht nicht zuständig, soweit es um Leistungen der allgemeinen Krankenpflegeversicherung geht und nicht geltend gemacht wird, es liege eine Streitigkeit im Sinne von Art. 89 KVG vor.

d) Die Klägerin beruft sich zur Begründung der Zuständigkeit des Versicherungsgerichts auf die Fälle TVR 2000 Nr. 11 und 12, in welchen das Versicherungsgericht festgestellt hatte, für Streitigkeiten zwischen Leistungserbringer einerseits und Versicherer oder Versicherten andererseits sei im Bereich der Zusatzversicherungen zum KVG (um eine solche Streitigkeit handelt es sich hier unbestrittenermassen nicht) analog Art. 89 KVG das Versicherungsgericht zuständig. Die Klägerin zieht nun den Schluss, da sich das Versicherungsgericht im Bereich der Zusatzversicherungen für sämtliche Streitigkeiten aus dem Dreiecksverhältnis «Leistungserbringer-Versicherer-Versicherter» für zuständig erklärt hatte, müsse dies auch im Bereich des KVG so sein.
Im Unterschied zu § 69a Abs. 1 Ziff. 1 VRG, welcher die Zuständigkeit des Versicherungsgerichts im Bereich des KVG regelt und sich auf zwei Fälle beschränkt (Art. 86 und 89 KVG), ist Ziff. 2 von § 69a Abs. 1 VRG offener formuliert und lautet wie folgt: «Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung werden durch das Verwaltungsgericht (als Versicherungsgericht) als einzige Instanz beurteilt.»
Es ist grundsätzlich nicht zu verkennen, dass im Bereich der Zusatzversicherungen zum KVG ein ähnliches Dreiecksverhältnis spielt wie im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Der von der Klägerin gezogene Schluss ist aber nicht zulässig weil – wie erwähnt – § 69a Abs. 1 Ziff. 2 VRG offener formuliert ist, als Ziff. 1 dieser Bestimmung, welche die Fälle, in denen das Versicherungsgericht für Streitigkeiten aus dem Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zuständig ist, abschliessend aufzählt.

e) Die Klägerin hat die Beklagte betrieben, welche gegen den Zahlungsbefehl Rechtsvorschlag erhoben hat. Da die Klägerin keinen Rechtsöffnungstitel in den Händen hält, hat sie den Weg nach Art. 79 Abs. 1 SchKG zu beschreiten. Das ist die Klage auf dem ordentlichen Prozessweg beim Zivilrichter. Den ordentlichen Prozessweg muss die Klägerin deshalb beschreiten, weil dem Schuldner in den Fällen, in denen der Gläubiger keinen Rechtsöffnungstitel in den Händen hält, grundsätzlich alle Einredemöglichkeiten gegenüber der geltend gemachten Forderung beziehungsweise dem Gläubiger offen stehen müssen. Es wäre nun denkbar, dass die Beklagte im ordentlichen Verfahren vor dem Zivilrichter vorbringt, die in Betreibung gesetzte Forderung werde zu Unrecht erhoben, da der Tarif nicht richtig angewendet worden sei. Diese Einrede steht dem Schuldner grundsätzlich offen. Es braucht an dieser Stelle nicht abschliessend geklärt zu werden, was in einem solchen Falle zu tun wäre. Denkbar wäre, dass aufgrund der Tatsache, dass der Versicherte ohne Einwände gegenüber dem Versicherer die Vergütung bezieht, angenommen wird, er habe sich grundsätzlich mit der Rechnung einverstanden erklärt. Denkbar wäre aber auch, dass unter diesen Umständen das Verfahren vor dem Bezirksgericht zu sistieren wäre und die Beteiligten aufzufordern wären, das Schiedsgerichtsverfahren beim Versicherungsgericht einzuleiten, damit dieses als für Tariffragen zwingend zuständiges Gericht über diesen (KVG-relevanten) Teileinwand entscheiden kann. Wie gesagt, die Frage braucht vorliegend nicht abschliessend geklärt zu werden. Es wird Sache des Zivilrichters sein, gegebenenfalls hierüber zu entscheiden. Solange jedoch kein Einwand erhoben wird, es sei (auch) eine Streitigkeit im Sinne von Art. 89 Abs. 1 KVG zu beurteilen, ist die Klage nach Art. 79 Abs. 1 SchKG unter Beachtung des dafür vorgesehenen Verfahrens am ordentlichen Zivilgerichtsstand der Beklagten einzureichen. Demnach ist das Versicherungsgericht für die erhobene Klage sachlich nicht zuständig.

Entscheid vom 13. November 2003

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