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TVR 2003 Nr. 11

Familienpflegebewilligung, Heimpflegebewilligung, Abgrenzung


Art. 4 PAVO, Art. 13 PAVO


1. Bis zur Aufnahme von vier Pflegekindern ist grundsätzlich von einem Familienpflegeverhältnis auszugehen. Es müssen eindeutige Indizien für eine Heimpflege vorliegen, damit auch bei weniger als fünf Kindern von einer Bewilligungspflicht im Sinne von Art. 13 PAVO auszugehen ist (E. 2b und c).

2. Bei der Familienpflege ist bei jedem einzelnen Gesuch abzuklären, ob die Pflegeeltern im konkreten Fall geeignet sind, das Kind bei sich aufzunehmen. Dieser Nachweis ist im Zweifelsfall von den Pflegeeltern zu erbringen (E. 2d).


Die Eheleute M betreiben in L das Haus «Schiff», wo sie als Pflegeltern bis zu vier Pflegekinder aufnehmen. Das Haus bietet Platz für maximal vier dauerplatzierte Jugendliche. Am 6. Juli 2001 reichten die Eheleute M bei der Vormundschaftsbehörde L ein Gesuch um Aufnahme von T ein. Die Behörde entschied, beim Haus «Schiff» handle es sich um ein Heim im Sinne der PAVO, weshalb zunächst eine Heimbewilligung einzuholen sei. Gegen die Einstufung als Heim im Sinne von Art. 13 ff. PAVO rekurrierten die Eheleute M erfolglos beim DJS. Auch das Verwaltungsgericht entschied auf Beschwerde hin, es sei eine Heimbewilligung einzuholen.
Gegen diesen Entscheid liess das Ehepaar M beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde mit Urteil vom 14. Juli 2003 gut. Zur Begründung führte es aus, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes sei die Unterscheidung zwischen Heimpflege im Sinne von Art. 13 ff. PAVO und Familienpflege im Sinne von Art. 4 ff. PAVO im Bundesrecht nicht abschliessend geregelt. Vielmehr habe der Bund lediglich Minimalvorschriften aufgestellt, welche von den Kantonen konkretisiert werden könnten. Aufgrund der kantonalrechtlichen Bestimmungen sei davon auszugehen, dass in der Regel bei maximal vier Pflegekindern von Familienpflege auszugehen sei. Im Übrigen sei das Kriterium der «intakten Familie» für die Unterscheidung zwischen «Familienpflege» und «Heimpflege» nicht tauglich. Regelmässig sei aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände (Zahl der aufgenommenen Kinder, Zahl der eigenen unmündigen Kinder, Zahl der Mitarbeiter, wirtschaftliche Grundlage) auszugehen. Heimpflege könne wesentliche Änderungen in baulicher oder organisatorischer Hinsicht erfordern, was sie von der Familienpflege unterscheide. Ferner werde die Aufnahme und Betreuung von Kindern bei der Familienpflege in der Regel nicht die Hauptbeschäftigung der Pflegeeltern darstellen, wogegen bei der Heimpflege davon auszugehen sei, dass sich beide Elternteile überwiegend oder vollzeitlich der Grossfamilie widmen. Letztlich sei das wirtschaftliche Kriterium lediglich ein Indiz, jedoch für sich allein genommen nicht überzeugend.
Das Verwaltungsgericht hatte sich demnach erneut mit der Sache auseinander zu setzen.

Aus den Erwägungen:

2. a) Laut Art. 316 ZGB bedarf, wer Pflegekinder aufnimmt, einer Bewilligung der Vormundschaftsbehörde oder einer anderen, vom kantonalen Recht bezeichneten Stelle seines Wohnsitzes. Zudem untersteht er der Aufsicht dieser Behörde. Wer ein Kind, das noch nicht schulpflichtig oder nicht 15 Jahre alt ist, für mehr als drei Monate oder für unbestimmte Zeit entgeltlich oder unentgeltlich zur Pflege und Erziehung in seinen Haushalt aufnehmen will, bedarf gemäss Art. 4 PAVO einer Bewilligung der Behörde (sogenannte Familienpflege). Die Pflegeeltern müssen die Bewilligung vor Aufnahme des Kindes einholen. Die Bewilligung wird ihnen für ein bestimmtes Kind erteilt; sie kann befristet und mit Auflagen und Bedingungen verbunden werden (Art. 8 Abs. 1 und 2 PAVO).
Einer Bewilligung der Behörde bedarf zudem der Betrieb von Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, mehrere Unmündige zur Erziehung, Betreuung, Ausbildung, Beobachtung oder Behandlung tags- oder nachtsüber aufzunehmen (Art. 13 Abs. 1 lit. a PAVO; sogenannte Heimbewilligung).
Nach § 3 Ziff. 14 EG ZGB ist die Vormundschaftsbehörde zuständig für die Bewilligung zur Aufnahme von einem bis vier Pflegekindern sowie der Aufsicht über solche Pflegeverhältnisse. Das vom Regierungsrat bezeichnete Departement ist gemäss § 11 Ziff. 3 lit. k EG ZGB zuständig für die Erteilung von Betriebsbewilligungen an Einrichtungen, welche mehr als vier Pflegekinder aufnehmen, sowie für die Aufsicht über solche Betriebe. Laut § 6a SHG ist unter einem Heim ein von einer oder mehreren Personen geleiteter Kollektivhaushalt zu verstehen, der bezweckt, mehr als vier Personen für die Dauer von mindestens fünf Tagen in der Woche, in der Regel gegen Entgelt, Unterkunft, Verpflegung, Betreuung oder weitere Dienstleistungen zu gewähren.

b) Das Bundesgericht führt in seinem Urteil vom 14. Juli 2003 zunächst aus, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts die Frage, ob Familien- oder Heimpflege vorliege, nicht ausschliesslich aufgrund der PAVO zu beurteilen sei. Vielmehr bestehe für die Kantone durchaus Raum, ergänzende Vorschriften in diesem Bereich zu erlassen. Nachdem nun der Kanton Thurgau mit Bezug auf die Aufnahme von Pflegekindern zweimal die Zahl vier nenne (in Zusammenhang mit der Zuständigkeit der Bewilligungserteilung sowie in § 6a SHG, welcher eine Heimdefinition für die kantonale Sozialhilfegesetzgebung abgibt), sei zumindest davon auszugehen, dass im kantonalen Recht eine Abgrenzung bei vier Kindern als Richtlinie anzunehmen sei. Diese Zahl gelte zwar nicht absolut, doch müsse regelmässig aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände eine Beurteilung erfolgen. Kriterien hierfür seien etwa die Zahl der aufgenommenen Kinder, die Zahl der eigenen unmündigen Kinder, die Zahl der Mitarbeiter, die wirtschaftliche Grundlage.

c) Unter Berücksichtigung der Erwägungen des Bundesgerichtes gelangt das Verwaltungsgericht zu folgender Auffassung: Entgegen seiner bisherigen Meinung ist bis zur Aufnahme von maximal vier Pflegekindern im Sinne einer Richtlinie grundsätzlich von einem Familienpflegeverhältnis auszugehen. Es müssten demnach klare Indizien für eine Heimpflege vorliegen, damit auch bei weniger als fünf Pflegekindern von einer Bewilligungspflicht im Sinne von Art. 13 PAVO ausgegangen werden müsste. Vorliegend sprechen zwar durchaus Indizien für eine Heimpflege. So sind die Beschwerdeführer grundsätzlich bereit, bis zur Zahl von vier Kindern praktisch jedes beliebige Kind aufzunehmen. Die Beschwerdeführer bestreiten auch ihren Lebensunterhalt vollständig mit den ihnen ausbezahlten Pflegegeldern. Selbst haben sie keine eigenen unmündigen Kinder. Auf der anderen Seite sind keine weiteren Mitarbeiter im Haus tätig. Das Haus wurde nicht als eigentliche Heimeinrichtung umgebaut, sondern blieb gemäss den Ausführungen der Beschwerdeführer in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht unverändert. Unter Berücksichtigung der Richtzahl von maximal vier Pflegekindern sowie der übrigen Umstände ist daher derzeit anzunehmen, es liege keine Heimpflege im Sinne von Art. 13 ff. PAVO vor. Daher ist die Beschwerde gutzuheissen.

d) Nachdem also für das Haus «Schiff» nicht von Heimpflege im Sinne von Art. 13 ff. PAVO auszugehen ist, hat sich die Bewilligung für ein Pflegekind nach den für die Familienpflege vorgesehenen Gesetzesgrundlagen von Art. 4 ff. PAVO zu richten. Laut Art. 5 Abs. 1 PAVO darf eine Bewilligung für die Aufnahme eines Pflegekindes nur erteilt werden, wenn die Pflegeeltern und ihre Hausgenossen nach Persönlichkeit, Gesundheit und erzieherischer Eignung sowie nach den Wohnverhältnissen für gute Pflege, Erziehung und Ausbildung des Kindes Gewähr bieten und das Wohl anderer in der Pflegefamilie lebender Kinder nicht gefährdet wird. Dabei hat die Behörde die Verhältnisse in geeigneter Weise, vorab durch Hausbesuche und nötigenfalls unter Beizug von Sachverständigen, abzuklären (Art. 7 Abs. 1 PAVO). Die Bewilligung ist zudem vor Aufnahme des Pflegekindes einzuholen (Art. 8 Abs. 1 PAVO) und kann befristet und mit Auflagen und Bedingungen verbunden werden (Art. 8 Abs. 2 PAVO). Im Rahmen der Erteilung einer Heimpflegebewilligung werden verschiedene Voraussetzungen bereits im Voraus geprüft. So haben der Leiter und seine Mitarbeiter ihre erzieherische Befähigung und Ausbildung nachzuweisen und es ist darzulegen, dass die Zahl der Mitarbeiter für die zu betreuenden Unmündigen genügt. Die Heimbewilligung hat denn auch festzuhalten, wie viele und was für Personen aufgenommen werden dürfen. Solche grundsätzlichen Vorgaben entfallen bei der Familienpflege. Das heisst allerdings nicht, dass die entsprechenden Kriterien nicht zu prüfen wären. Vielmehr wird bei jedem einzelnen Bewilligungsgesuch künftig abzuklären sein, ob die Beschwerdeführer überhaupt geeignet sind, das im Gesuch genannte Kind als Pflegekind bei sich aufzunehmen Der entsprechende Nachweis dafür ist von den Beschwerdeführern zu erbringen. Diese werden künftig für jede einzelne Bewilligung nachzuweisen haben, dass sowohl sie selbst als auch die Hausgenossen nach Persönlichkeit, Gesundheit und erzieherischer Eignung für gute Pflege, Erziehung und Ausbildung sorgen können. Zudem ist nachzuweisen, dass das Wohl anderer Kinder in der Pflegefamilie durch die Aufnahme eines neuen Pflegekindes nicht gefährdet wird. Gerade im Hinblick auf die erzieherische Eignung haben sich beim Beschwerdeführer in der Vergangenheit Schwierigkeiten ergeben. Der Behörde steht es daher frei, zum Beispiel entsprechende Fachgutachten zu verlangen oder einzuholen. Es ist allerdings nicht Sache des Verwaltungsgerichtes, hier die entsprechenden Vorgaben zu machen. Vielmehr hat die Vormundschaftsbehörde S die Gesuche für D und S gemäss den Vorgaben von Art. 5 PAVO ausführlich zu prüfen. Darauf wurde bereits im Entscheid V 64 vom 28. März 2001, welcher ebenfalls die hier verfahrensbeteiligten Parteien betraf, hingewiesen.

Entscheid vom 1. Oktober 2003

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