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TVR 2003 Nr. 22

Gebäudehöhe. Besitzstandsgarantie bei Erweiterungsbau


§ 81 Abs. 1 aPBG, § 8 aPBV


1. Wird eine bestehende Baute ergänzt, indem ein weiterer Block angebaut wird, so ist das früher «in zulässiger Weise gestaltete» Terrain dem «gewachsenen» Terrain im Sinne von § 8 PBV gleichzustellen (E. 3 a und b).

2. Ein Anbauprojekt, das unter Beibehaltung der Gebäudehöhe zu einer kubischen Erweiterung von 20 bis 45% führt, kann als quantitativ massvoll bezeichnet und im Sinne von § 81 Abs. 1 PBG als besitzstandwahrend bewilligt werden (E. 3 c und d).


Die «Suneschy Genossenschaft» liess 1979/80 ein Pflegeheim auf der Parzelle Nr. 2166 der Stadt R errichten. Die Parzelle steht im Eigentum der Stadt und liegt in der Zone für öffentliche Bauten. Das Gebäude verfügt über ein Erdgeschoss, zwei Obergeschosse, ein Attikageschoss und ist 36,60 m lang. Im Rahmen der Bauausführung war damals auch eine Terraingestaltung in Form einer Aufschüttung gegen Süden bewilligt worden. Die Zahl der Betten wurde im Laufe der Jahre von 48 auf 79 erweitert. Dennoch besteht ein Bedarf an zusätzlichen Betten und Gemeinschaftsräumen. Die Genossenschaft liess daher ein Projekt ausarbeiten, welches die Erweiterung des bestehenden Baus nach Süden ohne zusätzliche Terrainveränderung und unter Beibehaltung der Gebäudehöhe vorsieht. Geplant sind in den beiden Obergeschossen je 5 Pflegezimmer sowie auf allen Geschossen Essens- und Aufenthaltsräume. Der Grenzabstand zu den östlichen Nachbarn würde mindestens 18,68 m betragen und die zulässige Gebäudehöhe nach Auffassung der Stadt R um 1 m überschreiten.
Gegen das Baugesuch wurden Einsprachen erhoben, weshalb die Stadt das Baugesuch zur Beurteilung an das DBU überwies. Dieses hiess die Einsprachen gut. Das Vorhaben überschreite die nach Art. 28 des Baureglements der Stadt R zulässige maximale Gebäudehöhe von 12 m um 3,95 beziehungsweise 5,31 m. Massgebend für die Gebäudehöhe sei dabei gemäss § 8 Abs. 1 PBV das ursprünglich gewachsene Terrain als Ausgangspunkt. Zwar verwende die genannte Bestimmung den Ausdruck «in der Regel», doch bedeute dies, dass ausser bei unebenem Terrainverlauf nur noch das ursprünglich gewachsene, nicht aber das in zulässiger Weise gestaltete Terrain massgebend sei. Die Anwendung der Besitzstandsbestimmung komme nicht in Frage. Gegen diesen Entscheid liess die Genossenschaft beim Verwaltungsgericht Beschwerde erheben, das sie gutheisst.

Aus den Erwägungen:

3. a) Streitig ist, welchen Vorschriften die Erweiterung der bestehenden, vor ca. 20 Jahren in der öffentlichen Zone errichteten Pflegeheims untersteht. Die damaligen baurechtlichen Vorgänge und rechtlichen Grundlagen sind nur zum Teil aktenkundig. Die Baubewilligung ist am 12. Mai 1977 durch das Bezirksamt R für eine Baute mit einer Höhe von 16,60 m erteilt worden. Die Bestandteil der Baubewilligung bildenden Bedingungen der Gemeinde R sind allerdings nicht mehr vorhanden. Aus den Unterlagen ist nicht zu schliessen, dass damals eine Ausnahmebewilligung erforderlich gewesen wäre. Gestützt auf das damals gültige Baureglement lag der Bau in der Zone für öffentliche Bauten. § 81 aBR sah hiefür keine Höhenvorschriften vor, sondern einzig, dass gegenüber angrenzenden Zonen die entsprechenden Grenz- und Gebäudeabstände einzuhalten seien (§ 81 Abs. 3 aBR). Die Zahl der Vollgeschosse sollte «von Fall zu Fall» bestimmt werden. Unbestritten ist zudem, dass die damalige Terraingestaltung, welche vom ursprünglichen Geländeverlauf in der Umgebung abweicht, bewilligt wurde.

b) Auszugehen ist von § 8 PBV, der wie folgt lautet: «Wird die Gebäudehöhe in Metern festgelegt, ist die maximale Höhendifferenz zwischen der Schnittlinie der Dachfläche mit der Fassadenfläche und in der Regel dem gewachsenen Terrain massgebend.»
Die Vorinstanz ist der Auffassung, dass durch die Streichung beziehungsweise Weglassung des Ausdrucks «oder des gestalteten Terrains» bei der Formulierung von § 8 Abs. 1 PBV gegenüber dem früheren Recht nur noch vom natürlich gewachsenen Terrain ausgegangen werden dürfe. Tatsächlich wollte – wie die Vorinstanz richtig darlegt – bei der Neuformulierung der Bestimmungen über die Terraingestaltung eine Lockerung erreicht werden. § 69 PBG stellt grundsätzlich die Terraingestaltungen der kommunalen Regelung anheim und sieht nur noch subsidiär vor, dass sie grundsätzlich zulässig sind, sofern sie einer guten Umgebungsgestaltung dienen und dem Geländeverlauf in der Umgebung angepasst werden.
Im Zusammenhang mit Neubauten wird regelmässig auch das Terrain gestaltet. Die entsprechenden Vorhaben bilden eine Einheit und werden in der Regel gemeinsam aufgelegt und bewilligt (AGVE 1977 II Nr. 7, S. 31 ff.). Seit langem wurden mit Bezug auf die zulässige Gestaltung des Terrains Höhenvorschriften und entsprechende Messweisen unter Bezugnahme auf die in der Praxis sehr unterschiedlich gehandhabten Terrainvorschriften zur Anwendung gebracht, was nicht selten zu Auseinandersetzungen führte. In TVR 1987 Nr. 31 hat sich das Verwaltungsgericht mit dieser Problematik auseinandergesetzt und insbesondere auf die Unterschiede zwischen «gewachsenem» und «natürlichem» Terrain einerseits sowie dem Geländeverlauf in der Umgebung andererseits hingewiesen. Da auch das «gewachsene» Terrain oft schon das Resultat künstlicher Eingriffe bildet, ist die Messweise von in zulässiger Weise gestaltetem Terrain, sofern dieses auf den Geländeverlauf in der näheren Umgebung Bezug nimmt, als zulässig und in Übereinstimmung mit den Absichten des Baugesetzgebers betrachtet worden (TVR 1987, Nr. 31, E. 2b). Wird ein Bauvorhaben ergänzt, indem weitere Blöcke hinzugefügt werden, ist von der rechtskräftig bewilligten und ausgeführten Terraingestaltung der ersten Etappe als Messpunkt auszugehen, da ein Ignorieren des aktuellen Zustandes und ein Abstellen auf das ursprünglich gewachsene Terrain zu unsinnigen Ergebnissen führen kann (TVR 1987, Nr. 31, E. 2b). Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich nur bei offensichtlich rechtsmissbräuchlichem Vorgehen («Salamitaktik» zur Umgehung der Gebäudevorschriften). In anderen Kantonen wird zum Teil ausdrücklich nach 10 oder maximal 20 Jahren in jedem Fall auf das gestaltete Terrain abgestellt, da das bisherige oder gewachsene Terrain häufig nicht mehr feststellbar ist. Der Vorbehalt des Geländeverlaufs in der Umgebung ist beziehungsweise war im Kanton Thurgau spätestens seit Inkrafttreten des Baugesetzes vom 28. April 1977 (aBauG) und während mehr als 15 Jahren in den entsprechenden Regelungen betreffend zulässiger Terraingestaltung und Höhenmessweise enthalten. Wurde das gestaltete Terrain in einem förmlichen Baubewilligungs- oder Sondernutzungsplanverfahren im Sinne dieser Vorschrift bewilligt, muss dieses Terrain als gewachsenes Terrain betrachtet werden. Dies gilt umso mehr, als nach der «Deregulierung» durch das PBG die Verantwortung für die Höhenvorschriften nach wie vor mit der Wahl zwischen Gebäudehöhe in Metern und Geschosszahl bei den Gemeinden liegt. Bei der Berechnung nach der Geschosszahl wird ja bezüglich der Anrechenbarkeit der Kellergeschosse immer noch auf das zulässig gestaltete Terrain abgestellt. Dies spricht gegen die vorinstanzliche Auffassung, jedenfalls dann, wenn das Terrain früher in zulässiger Weise gestaltet wurde. In diesen Fällen ist das «gewachsene» Terrain mit dem «in zulässiger Weise gestalteten» Terrain gleichzusetzen. Anders wäre nur bei Neubauten vorzugehen, wo der Tendenz, mit «Maulwurfshügeln» (Minder-) Höhen zu schinden, durch das Abstellen auf das «gewachsene» Terrain wirksam begegnet werden soll.

c) Im Lichte dieser Ausführungen ist vorliegend von einer bestehenden Baute auszugehen, welche im Hinblick auf die zulässige Terraingestaltung die heute in der Zone für öffentliche Bauten zulässige Gebäudehöhe von 12 m um mindestens 1,2 m überschreitet. Deren Erweiterung beurteilt sich nun – entgegen der Ansicht der Vorinstanz und ihrem unzutreffenden Hinweis auf TVR 1991 Nr. 28 – nach dem früher in zulässiger Weise gestalteten und bewilligten Terrain. Früher war – entsprechend dem verfassungsmässigen Mindestanspruch (vgl. hierzu BVR 1997 223 f.) auf Besitzstandwahrung – nur der Unterhalt und die zeitgemässe Erneuerung vorschriftswidriger Bauten sowie gemäss § 108 Abs. 2 aBauG eine angemessene Erweiterungsgarantie für zonenwidrige Bauten vorgesehen. Heute lässt das kantonale Recht in § 81 Abs. 1 PBG in zulässiger Weise einen Umbau oder eine Erweiterung zu, soweit dadurch der Widerspruch zum geltenden Recht nicht wesentlich verstärkt wird. Während die Besitzstandgarantie in herkömmlicher Weise nur für Bauten gedacht war, welche durch eine nachträgliche Gesetzesänderung rechtswidrig wurden, ist die Garantie praxisgemäss auch auf Bauten ausgedehnt worden, in denen die Rechtslage keine Änderung erfahren hat (vgl. BVR 1997, S. 223 E. 5a cc). Die Erweiterungsgarantie durch das kantonale Recht findet ihre quantitative Grenze in neubauähnlichen Vorhaben (vgl. hierzu ZBl 91, S. 354 ff.) einerseits und in einer wesentlichen Verstärkung der Rechtswidrigkeit anderseits. Mit Bezug auf eine wesentliche Vergrösserung wird eine solche von 25 bis 40% toleriert (vgl. Zaugg, Kommentar zum Baurecht des Kantons Bern, 2. Aufl., Bern 1995, Art. 19/20 N. 18). Die Verstärkung der Rechtswidrigkeit bezieht sich auf Sinn und Schutzziel der verletzten Norm.

d) Im vorliegenden Fall ist entscheidend, dass die Erweiterung mit Bezug auf das über 20 Jahre früher in zulässiger Weise gestaltete und bewilligte Terrain zu keiner erweiterten Rechtsabweichung führt. Der Erweiterungsbau hält im Attikageschossbereich und somit insgesamt bei weiter nach Süden abfallendem natürlichen Geländeverlauf die gleiche Höhe ein. Die Rechtswidrigkeit wird also nicht durch eine zusätzliche Verletzung der Höhenvorschrift verstärkt, höchstens indirekt durch die Nutzungssteigerung der unter heutigen Gesichtspunkten rechtswidrigen Baute. Je nach Berechnung beträgt die kubische Erweiterung zwischen 20 und 45% und liegt somit rechnerisch (gerade) noch im angemessenen, nicht als neubauähnlich zu taxierenden Bereich (beziehungsweise knapp darüber). Aus den Plänen geht aber hervor, dass es sich tatsächlich um eine Erweiterung der Kapazitäten und nicht um einen neubauähnlichen Anbau handelt und der Anbau auch als solcher in Erscheinung treten wird. Bei dieser quantitativen und qualitativen Beeinträchtigung in Bezug auf die bereits bestehende Rechtswidrigkeit wird praxisgemäss auch auf die beteiligten Interessen Bezug genommen (Kistler/Müller, Baugesetz des Kantons Aargau, Brugg 1994, § 69 N. 5). In diesem Zusammenhang machten die Einsprecher geltend, dass sie bereits durch die wie ein Querriegel wirkenden bestehenden Bauten beeinträchtigt würden, was durch den Anbau nach Süden noch verschlimmert werde. Nr. 22 116 Gemessen an der Regelbauweise, welche gemäss Art. 28 BR einen Abstand von 5 m oder entsprechendem Mehrlängenzuschlag ein 12 m hohes und bis zu 80 m langes Gebäude erlauben würde, kann nicht von einer wesentlichen Verstärkung der Rechtswidrigkeit durch eine unangemessene Erweiterung des bestehenden Pflegeheims ausgegangen werden. Vielmehr würde eine regelkonforme Bauweise mit einer Ausdehnung gegen Osten zweifellos zu einer viel grösseren Beeinträchtigung führen. Es ist auch nachvollziehbar, dass das Grundkonzept nach einer Erweiterung nach Süden ruft, so dass die in § 80 Abs. 2 PBG bei «Änderungen» anzustrebende Anpassung an die gesetzlichen Vorschriften zwar möglich, angesichts der ausreichend substantiierten baulichen, betrieblichen und kostenmässigen Nachteile einer Erweiterung in die Breite jedoch als nicht verhältnismässig erscheint, zumal sie – wie bereits erwähnt – für die Nachbarn sicher noch ungünstiger wäre.

e) Zusammengefasst ergibt sich somit, dass sich die Beschwerdeführerin auf die Bestandesgarantie nach § 81 Abs. 2 PBG berufen kann, weshalb die Beschwerde gutzuheissen ist. Es ist allerdings zu betonen, dass bei diesem Ergebnis eine zusätzliche Erweiterung nach Osten nicht mehr bewilligungsfähig wäre, da dieser Rahmen für die zulässige Erweiterung unter Berücksichtigung der nachbarlichen Interessen jetzt ausgeschöpft wird.

Entscheid vom 20. August 2003

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