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TVR 2003 Nr. 29

Entbindung vom Berufsgeheimnis


§ 18 Abs. 2 aGG


Ein vor dem Ombudsmann der Thurgauer Ärztegesellschaft angestrengtes Verfahren genügt nicht, um eine Entbindung vom Berufsgeheimnis im Sinne von § 18 Abs. 2 GG zu rechtfertigen. Eine Entbindung kommt nur für staatliche Verfahren und nur in genau umschriebenem Umfang in Frage.


C, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, wandte sich mit Schreiben vom 1. April 2002 an den Kantonsarzt. Sie stellte ein Gesuch um Entbindung vom Arztgeheimnis betreffend ihre Patientin P, weil P beim Ombudsmann der Thurgauischen Ärztegesellschaft eine Klage gegen sie eingereicht habe. Die Patientin sei nicht bereit, sie vom Arztgeheimnis zu entbinden. Der Kantonsarzt leitete das Gesuch an das hiefür zuständige DFS, welches was folgt entschied: «C wird vom Berufsgeheimnis entbunden, um in sämtlichen von P angestrengten Verfahren ihre Rechte wahren zu können.» Gegen diesen Entscheid lässt P beim Verwaltungsgericht Beschwerde führen, das gutheisst.

Aus den Erwägungen:

3. a) Laut Art. 321 StGB werden Ärzte auf Antrag mit Gefängnis oder Busse bestraft, wenn sie ein Geheimnis offenbaren, das ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist. Gemäss Art. 321 Ziff. 2 StGB macht sich der Täter dann nicht strafbar, wenn er das Geheimnis aufgrund einer Einwilligung des Berechtigten oder einer auf Gesuch des Täters erteilten schriftlichen Bewilligung der vorgesetzten Behörde oder Aufsichtsbehörde offenbart hat.
§ 18 GG lautet wie folgt: «Wer im Gesundheitsbereich tätig ist, hat über Tatsachen Verschwiegenheit zu wahren, die ihm aufgrund seines Berufes anvertraut oder von ihm wahrgenommen worden sind. Vom Berufsgeheimnis kann der Patient, zur Wahrung schutzwürdiger Interessen auch der Vorsteher des Departements befreien.»
Diese Bestimmung lehnt sich an Art. 321 StGB an, ist aber vom Gehalt her vor allem eine Zuständigkeitsordnung (TVR 1998, Nr. 29). Die Geheimnispflicht ist grundsätzlich umfassend. Schon die Tatsache der Beziehung einer Person zum Geheimnisträger untersteht der Geheimnispflicht (Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Zürich 1989, Art. 1, Nr. 45). An der Geheimhaltung der betreffenden Tatsache muss aber ein schützenswertes Interesse bestehen (Honsell, Handbuch des Arztrechts, Zürich 1994, S. 299). Die Aufsichtsbehörde hat somit in jedem einzelnen Fall eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei sind sämtliche Faktoren im konkreten Fall zu beurteilen (TVR 1998, Nr. 29). Was den Umfang der Entbindung von der Schweigepflicht betrifft, darf sie den Patienten nicht übermässig in seiner Freiheit beschränken. Bei der Entbindung von der Schweigepflicht muss daher klargestellt werden, wen und worüber der Arzt orientieren darf (Honsell, a.a.O., S. 349).
Die in Art. 321 Ziff. 2 StGB vorgesehene Möglichkeit darf nur dann in Anspruch genommen werden, wenn einerseits ein legitimes Bedürfnis des Arztes nach Information einer Drittperson oder einer Behörde über den Zustand oder die Behandlung eines Patienten besteht, andererseits aber dessen Zustimmung zu einem entsprechenden Vorgehen nicht erhältlich ist oder nicht eingeholt werden kann und wenn dafür auch keine besondere gesetzliche Grundlage besteht. Praktisch gesehen ist namentlich an den Fall zu denken, dass der Arzt gegen einen Patienten einen Honorarprozess führen muss, ferner dass dieser ihm gegenüber Schadenersatzansprüche stellt oder gar Strafanzeige wegen fehlender Behandlung erstattet (Honsell, a.a.O., S. 352).

b) aa) Wie aus der Eingabe von Dr. L (Ombudsmann) vom 4. August 2002 ersichtlich ist, hat er das Vermittlungsmandat zwischen der Beschwerdeführerin und der Verfahrensbeteiligten C bereits abgeschlossen. Das Verfahren, für das die Entbindung vom Berufsgeheimnis angestrengt wurde, ist demnach gegenstandslos geworden. Weder die Beschwerdeführerin noch die Verfahrensbeteiligte behaupten, es sei zwischenzeitlich andernorts ein neues Verfahren eingeleitet worden. Unter diesen Umständen besteht zweifelsfrei kein aktuelles Interesse mehr an einer Entbindung vom Berufsgeheimnis.

bb) Die Beschwerdeführerin hat beim Ombudsmann der Thurgauer Ärztegesellschaft «Klage» eingereicht. Dem Verwaltungsgericht sind die Regeln des Verfahrens vor dem Ombudsmann nicht bekannt. Von einer Klage bei einer staatlichen Institution mit garantierten Verfahrensrechten kann jedenfalls nicht gesprochen werden. Vielmehr handelt es sich um ein Vermittlungsverfahren, welches durch eine private Institution (Thurgauer Ärztegesellschaft) zur Verfügung gestellt wird. Dabei ist klar, dass dieses Vermittlungsverfahren nur insoweit durchgeführt werden kann, als die Parteien mit Bezug auf den Streitgegenstand von sich aus bereit sind, die Tatsachen offen zu legen beziehungsweise der Gegenpartei die Möglichkeit geben, hierzu ohne den Druck eines strafrechtlichen Verfahrens Stellung zu nehmen. Weigert sich eine Partei, eine Entbindung vom Berufsgeheimnis zu erteilen, so kann dies nichts anderes zur Folge haben, als dass der Ombudsmann das Mandat von sich aus niederlegt und das Vermittlungsverfahren als gescheitert erklärt. Nachdem es sich aber – wie erwähnt – um ein privates Verfahren handelt, welches nur in gegenseitigem Einverständnis durchgeführt werden kann, kann von Seiten der Behörde für ein solches Verfahren keine Entbindung vom Berufsgeheimnis erteilt werden. Eine Entbindung kommt nur bei zivil-, straf- oder verwaltungsrechtlichen Verfahren in Frage. Ein solches Verfahren ist bis heute nicht eingeleitet worden. Allerdings würde allein die Tatsache, dass ein solches Verfahren eingeleitet wird, noch nicht bedeuten, dass die Entbindung vom Berufsgeheimnis zu erteilen wäre. Vielmehr wäre diesfalls unter Wahrung der Parteirechte sämtlicher Beteiligter die Interessenabwägung vorzunehmen.

cc) Die Vorinstanz hat C für sämtliche von der Beschwerdeführerin angestrengten Verfahren vom Berufsgeheimnis entbunden. Die Lehre geht jedoch davon aus, dass die Entbindung vom Berufsgeheimnis nur im genau umrissenen Rahmen zulässig ist. Das bedeutet, dass insbesondere das Verfahren, für welches die Entbindung gelten soll, genannt wird. Es kann nicht eine generelle Erlaubnis erteilt werden, da je nach Verfahren und Gegenstand die Interessen unter Umständen unterschiedlich zu gewichten sind.

Entscheid vom 19. Februar 2003

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