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TVR 2003 Nr. 41

Bemessung der Probezeit beim Sicherungsentzug und Bedingungen für Wiedererteilung des Führerausweises


Art. 17 Abs. 1bis SVG


Selbst im Falle einer Alkoholsucht mit Krankheitswert müssen ausserordentlich schwerwiegende Umstände vorliegen, um die Probezeit über das gesetzliche Minimum von einem Jahr hinaus zu verlängern. Die Kriterien für die Bemessung der Dauer von Warnungsentzügen bilden beim Festlegen der Probezeit keine sachgerechten Entscheidungsgrundlagen.


Mit Verfügung vom 29. August 2002 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons Thurgau A den Führerausweis mit Wirkung ab 6. März 2002 auf unbestimmte Zeit. Zur Begründung führte es aus, A habe am 6. März 2002 einen Personenwagen mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,50 Gewichtspromille auf der Strecke Amriswil-Weinfelden-Frauenfeld gelenkt. Abklärungen beim Institut für Rechtsmedizin hätten ergeben, dass eine Verhaltensänderung eingeleitet, aber noch nicht vollzogen und auch noch nicht stabil sei. Die Fahreignung von A könne aus charakterlichen Gründen nicht befürwortet werden. Die Probezeit werde auf zwei Jahre angesetzt. Nach dieser Frist könne eine Wiedererteilung des Führerausweises nur nach Einhaltung einer mindestens einjährigen, ärztlich kontrollierten und psychotherapeutisch betreuten Alkohol- und Drogentotalabstinenz geprüft werden.
Dagegen erhob A Rekurs mit den Anträgen, die Probezeit sei auf maximal 16 Monate herabzusetzen und die Verpflichtung zum Nachweis einer Drogentotalabstinenz sei zu streichen.
An ihrer Sitzung vom 18. November 2002 stellte die Rekurskommission für Strassenverkehrssachen fest, dass das Strassenverkehrsamt dem Rekurrenten gemäss Schreiben vom 24. September 2001 eine kontrollierte Drogenabstinenz für ein Jahr auferlegt hatte. Dabei ist er verpflichtet worden, dem Strassenverkehrsamt im März und im September 2002 Zeugnisse seines Hausarztes über die Einhaltung der Drogenabstinenz einzureichen. Mit Schreiben vom 26. November 2002 forderte die Rekursinstanz A auf, den in den Akten fehlenden hausärztlichen Bericht vom September 2002 einzureichen. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2002 hielt der Hausarzt von A fest, dass sich sein Patient bezüglich Drogenabstinenz zu 100% gehalten habe und die Urinproben negativ gewesen seien. An der Äthylfront habe man aber leider ein Problem, da sich sein Patient zwei Mal freiwillig zur Intervention in der Psychiatrischen Klinik B habe hospitalisieren lassen müssen.

Aus den Erwägungen:

3. Die angefochtene Verfügung setzt die in Art. 17 Abs. 1 bis SVG gesetzlich vorgeschriebene Probezeit auf zwei Jahre fest. Gemäss gesetzgeberischer Konzeption dient der Sicherungsentzug dazu, jene Fahrzeuglenker von der aktiven Teilnahme am Strassenverkehr fernzuhalten, welche die Voraussetzungen für die Erteilung eines Führerausweises nicht oder nicht mehr erfüllen. Fällt der Ausschlussgrund (z.B. Sucht oder charakterliche Ungeeignetheit) weg, ist der Führerausweis – allenfalls unter Auflagen – wieder zu erteilen. Insbesondere in Fällen von Suchterkrankungen oder charakterlichen Mängeln muss aber Gewähr dafür bestehen, dass der die Fahrtauglichkeit einschränkende Mangel mit gewisser Wahrscheinlichkeit dauerhaft überwunden wurde. Die obligatorische Probezeit im Falle eines Sicherungsentzuges hat somit den Charakter einer Bewährungsfrist.
Der sachangemessenen Bemessung der Probezeit kommt eine wichtige Bedeutung zu, weil diese absolute Sperrwirkung hat, d.h., dass eine Wiedererteilung des Führerausweises frühestens nach deren Ablauf in Betracht kommt, auch wenn der Ausschlussgrund bereits früher weggefallen ist. Durchwegs gilt es als selbstverständlich, dass die Probezeit so lange als nötig und so kurz als möglich anzusetzen ist. Die Mindestdauer wird durch die schwierige Prognose darüber bestimmt, welche Zeitspanne auf jeden Fall erforderlich erscheint, damit der Betroffene seine Ungeeignetheit überwinden kann (Schaffhauser, Grundriss des Schweizerischen Strassenverkehrsrechts – Band III: Die Administrativmassnahmen, Rz 2193).
Der angefochtenen Verfügung lag eine verkehrsmedizinisch-verkehrspsychologische Begutachtung des Rekurrenten zu Grunde, welche durch die Vorinstanz aufgrund des Vorfalles vom 6. März 2002, bei welchem der Rekurrent mit einer minimalen Blutalkoholkonzentration von 2,50 Gewichtspromille ein Fahrzeug von Amriswil nach Frauenfeld lenkte, zu Recht veranlasst wurde. Der entsprechende Bericht des Institutes für Rechtsmedizin am Kantonsspital St. Gallen vom 16. August 2002 kam zusammenfassend zum Schluss, dass die Fahreignung des Rekurrenten aus verkehrsmedizinisch-verkehrspsychologischer Sicht aus charakterlichen Gründen nicht befürwortet werden könne. Der Gutachter empfahl vor einer verkehrsmedizinisch-verkehrspsychologischen Neubeurteilung der Fahreignung die Durchführung einer mindestens einjährigen ärztlich kontrollierten und psychotherapeutisch betreuten Alkoholabstinenz (...) und einer mindestens einjährigen mit regelmässigen Urinproben kontrollierten und psychotherapeutisch betreuten Drogentotalabstinenz (zwei Urinproben monatlich und verkehrspsychologische Beratung). (...) Dem Gutachten vom 16. August 2002 und den im Recht liegenden Akten kann entnommen werden, dass der Rekurrent erstmals Ende der 70er-Jahre mit Cannabis in Kontakt kam und von ca. 1982–1984 in erster Linie Heroin konsumiert hat. Nach einer Langzeittherapie in der Psychiatrischen Klinik C (1984–1986) habe er sechs bis sieben Jahre drogenfrei leben können. In der Folge sei es aber zu einem Rückfall mit einem ein- bis zweijährigen Drogenkonsum gekommen. Der Rekurrent hat von Mitte der 90er-Jahre bis August 2001 ein Methadonprogramm absolviert und gibt seit vier bis fünf Jahren bis heute mindestens ein Mal monatlich eine Urinprobe ab, deren Ergebnisse mit Ausnahme einer auf Cannabis positiven Probe im August 2001 allesamt negativ ausgefallen sind. Nach einem einmonatigen Warnungsentzug im Jahre 1979 wegen Fahrens mit einem nicht betriebssicheren Fahrzeug und einem Sicherungsentzug zwischen 1983 und 1986 aus anderen Gründen musste gegenüber dem Rekurrenten bereits 1992 ein Sicherungsentzug wegen Drogensucht ausgesprochen werden, welcher bis September 1996 andauerte. Wegen eines Verstosses gegen eine am 18. November 1998 vom Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich verfügte Alkoholfahrabstinenzauflage im Mai 1999 wurde dem Rekurrenten der Führerausweis mit Verfügung vom 27. August 1999 für acht Monate entzogen. Trotz Ausweisentzug lenkte der Rekurrent am 13. September 1999 erneut unter Alkoholeinfluss (minimale Blutalkoholkonzentration von 0,35 Gewichtspromille) einen Personenwagen, so dass die Dauer des bereits ausgesprochenen Warnungsentzuges um 10 Monate bis zum 16. November 2000 verlängert wurde, wobei die Fahreignung des Rekurrenten mit verkehrspsychologischem Gutachten vom Januar 2000 befürwortet wurde.
Auf den ersten Blick erscheint die von der Vorinstanz auf zwei Jahre festgelegte Probezeit mit Blick auf den ausserordentlich stark getrübten automobilistischen Leumund des Rekurrenten und dessen langjährige Abhängigkeit von harten Drogen als gerechtfertigt. Dem Gutachten und den vorliegenden hausärztlichen Berichten kann aber entnommen werden, dass der Rekurrent zwar eine Verhaltensänderung bezüglich Suchtmittelverhalten eingeleitet hat, jedoch nicht in der Lage war, in einer am 6. März 2002 emotional stark belastenden Situation ein Abgleiten in alte Verhaltensmuster zu verhindern. Der hausärztliche Bericht vom 3. Dezember 2002 hält denn auch fest, dass es im Mai und Juni 2002 zu weiteren Alkoholproblemen gekommen ist. Dem Rekurrenten ist dabei zu Gute zu halten, dass er sich beide Male freiwillig für eine Intervention in die Psychiatrische Klinik B begab.
Bei der Bemessung der Probezeit ist zu berücksichtigen, dass der Rekurrent zu keiner Zeit einen Rückfall in seine schwere Heroinsucht erlitten hat. Die aktuellen verkehrsrelevanten Probleme stehen somit in keinem Zusammenhang mit einem Sucht- oder Konsumverhalten bezüglich Drogen, dessen Überwindung erfahrungsgemäss längere Zeit beansprucht, was eine deutlich über dem gesetzlichen Minimum liegende Probezeit rechtfertigt. Die vom Gutachter festgestellten charakterlichen Eignungsmängel stehen vielmehr im Zusammenhang mit einem beim Rekurrenten erstmals aufgetretenen zeitweise übermässigen Alkoholkonsum. Selbst im Falle einer Alkoholsucht mit Krankheitswert, welche vom Gutachter beim Rekurrenten nicht festgestellt wurde, müssen ausserordentlich schwerwiegende Umstände vorliegen, um die Probezeit über das gesetzliche Minimum hinaus zu verlängern. Erschwerende Umstände sind aber im Falle des Rekurrenten nicht ersichtlich, so dass auch der Gutachter keine Verlängerung der Probezeit empfahl. Im Übrigen ist die Vorinstanz darauf hinzuweisen, dass beim Festlegen der Probezeit die Kriterien bei der Bemessung der Dauer von Warnungsentzügen keine sachgerechte Entscheidungsgrundlage bilden können. Dass die Vorinstanz die angefochtene Verfügung unter anderem auch auf gesetzliche Bestimmungen (Art. 16 Abs. 3 lit. b und 31 Abs. 2 SVG) abgestützt hat, welche nur bei Warnungsentzügen massgebend sind, lässt vermuten, dass die dem Rekurrenten auferlegte Probezeit von zwei Jahren der mutmasslichen Dauer eines Warnungsentzuges entsprechen sollte. Eine derartige Vermischung von Warnungsentzug, der erzieherisch auf den betroffenen Fahrer einwirken soll, und Sicherungsentzug ist allerdings nicht statthaft.
Aufgrund der vorstehenden Erwägungen lässt sich im Falle des Rekurrenten eine Probezeit von zwei Jahren nicht rechtfertigen, so dass der Rekurs diesbezüglich gutzuheissen ist. Dem Rekursantrag entsprechend ist die Probezeit somit auf 16 Monate zu reduzieren. (...)
Entgegen den Ausführungen des Gutachters besteht nach Ansicht der Rekurskommission für Strassenverkehrssachen zudem keine Veranlassung mehr, vom Rekurrenten auch künftig den ärztlich kontrollierten Nachweis einer vollständigen Drogenabstinenz zu verlangen. Weder dem Gutachten noch den vorliegenden Akten sind Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass der Rekurrent einer relevanten Gefährdung unterliegt, in seine frühere Drogensucht zurückzufallen. Mit Verfügung vom 24. September 2001 auferlegte die Vorinstanz dem Rekurrenten für die Dauer eines Jahres den Nachweis einer ärztlich kontrollierten Drogenabstinenz. Dieser Auflage ist er gemäss hausärztlichem Bericht vom 3. Dezember 2002 nachgekommen. Nachdem der Rekurrent während Jahren mittels Urinproben nachgewiesen hat, dass er auf den Konsum von Drogen verzichten kann und dem Gutachten keine nachvollziehbare Begründung dafür entnommen werden kann, warum die Drogenabstinenz weiterhin unter ärztliche Kontrolle zu stellen sei, ist der Rekurs auch im zweiten Punkt gutzuheissen und die entsprechende Verpflichtung in der angefochtenen Verfügung aufzuheben. Selbstverständlich bedeutet dieser Entscheid für den Rekurrenten in keiner Art und Weise, dass seine Fahreignung künftig nicht mehr von der strikten Einhaltung einer absoluten Drogenabstinenz (inkl. Cannabis) abhängig ist. Könnte dem Rekurrenten ein Drogenkonsum nachgewiesen werden, müsste er mit grosser Wahrscheinlichkeit erneut mit einem Sicherungsentzug auf unbestimmte Zeit rechnen.

Entscheid vom 16. Dezember 2002

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