TVR 2004 Nr. 11
Rechtliches Gehör bei Allgemeinverfügungen (Verkehrsanordnungen)
Bei Allgemeinverfügungen wie Verkehrsanordnungen besteht dann ein Anspruch auf vorgängige Anhörung, wenn einzelne Personen durch die ergangene Anordnung wesentlich schwerer betroffen werden als die übrige Vielzahl der Normaladressaten.
Die Politische Gemeinde T (nachfolgend: PG T) beantragte beim Tiefbauamt des Kantons Thurgau für ein zirka 150 Meter langes Strassenstück der Säntisstrasse eine ParkverbotSignalisation. Die Strasse weise in diesem Abschnitt eine Breite von fünf Metern auf und sei kurvig und unübersichtlich. Das DBU genehmigte die Verkehrsanordnung, die, versehen mit der Rechtsmittelbelehrung, im «allgemeinen Anzeiger» publiziert wurde.
B, G, S und W gelangten mit einer als Beschwerde entgegenzunehmenden Eingabe an das Verwaltungsgericht und beantragen die Genehmigung der Signale 2.50 «Parkieren verboten» mit dem Zusatz «beidseitig» sowie 5.05 und 5.06 «Anfangsund Endtafel» gemäss Auftrag/Situationsplan vom 23. Juli 2003 sei zu widerrufen. Zur Begründung wird vorgebracht, die PG T habe es zu keinem Zeitpunkt für nötig gehalten, die Anwohner über die recht einschneidende Massnahme zu orientieren. Die Parkverbotstafeln seien auf dem Boden der Eigentümer angebracht worden, ohne dass diese vorgängig überhaupt von der Massnahme Kenntnis hätten erlangen können. Das Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde gut.
Aus den Erwägungen:
2. b) Wie sich aus den Verfahrensakten ergibt und von der PG T im Wesentlichen auch bestätigt wird, wurde die Anordnung des Parkierverbots ohne vorherige Anhörung der betroffenen Anwohner beantragt. Die Beschwerdeführer rügen nun, dass der entsprechende Entscheid nie hätte ergehen dürfen, ohne sie zuvor anzuhören.
Gegenüber Allgemeinverfügungen (zu denen ein allgemein gültiges Parkierverbot gehört), welche zwar einen konkreten Gegenstand regeln, sich aber an einen mehr oder weniger grossen, offenen oder geschlossenen Adressatenkreis richten, besteht in der Regel kein Anspruch auf individuelle Anhörung; solche Anordnungen werden diesbezüglich den Rechtssätzen gleichgestellt. Eine Ausnahme kann dann gelten, wenn einzelne Personen – als sogenannte Spezialadressaten – durch die ergangene Anordnung wesentlich schwerwiegender betroffen werden als die übrige Vielzahl der Normaladressaten; ihnen muss eine Gelegenheit zur Äusserung gewährt werden (Jaag, Die Allgemeinverfügung im Schweizerischen Recht, in ZBl 85/84 S. 448 f.; BGE 119 Ia 150). Dabei steht der Gemeinde beziehungsweise dem DBU mit Bezug auf die Frage, wie das rechtliche Gehör den besonders (schwerwiegend) Betroffenen beim Erlass einer Allgemeinverfügung zu gewähren ist, eine relativ erhebliche Ermessensfreiheit zu. Denkbar wäre, dass die Gemeinde analog Art. 30a VwVG vorgeht und das rechtliche Gehör durch Erklärung ihrer Absicht in geeigneten Publikationsorganen verbunden mit der Aufforderung an die Betroffenen, sich allfällig vorgängig zu melden, gewährt. Das rechtliche Gehör kann aber auch bereits im Rahmen eines zu erlassenden Gestaltungsplans, in dem sich die Gemeinde eine allfällige spätere Verkehrseinschränkung ausdrücklich offen hält, gewährt werden. Denkbar ist ebenso das direkte Anschreiben von betroffenen Anwohnern, in Fällen wie den vorliegenden, wo es um relativ eng begrenzte räumliche Verhältnisse geht.
Aufgrund der konkreten Verhältnisse (relativ eng begrenztes Gebiet, welches vom allgemeinen Parkierverbot betroffen ist; enge Strassenverhältnisse; bisherige Benutzung der Anwohner des öffentlichen Grundes als Parkierfläche; Gefahr der erhöhten Durchfahrtsgeschwindigkeit nach Erlass der Massnahme) ergibt sich, dass die Beschwerdeführer beziehungsweise generell die Anwohner des vom Parkierverbot betroffenen Strassenstücks der Säntisstrasse wesentlich schwerwiegender betroffen sind, als die übrige Vielzahl der Normaladressaten, insbesondere die übrigen Benutzer der Säntisstrasse. Aufgrund dieser Tatsache wäre daher die PG T verpflichtet gewesen, die betroffenen Anwohner vor Erlass des Parkierverbots in geeigneter Weise anzuhören. Allerdings ist zu bemerken, dass es dem DBU als verfügende Behörde oblegen hätte, für die Gewährung des rechtlichen Gehörs zu sorgen beziehungsweise dessen Gewährung zu überprüfen. Es ist daher zusammengefasst festzustellen, dass der Anspruch der Beschwerdeführer auf Gewährung des rechtlichen Gehörs verletzt wurde. Dies führt dazu, dass der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben ist, es sei denn, die weitere Prüfung ergibt, dass die Gewährung des rechtlichen Gehörs im Rechtsmittelverfahren geheilt werden kann. (Das Verwaltungsgericht verneint in concreto die Möglichkeit, die Verletzung des rechtlichen Gehörs im Beschwerdeverfahren zu heilen.)
Entscheid vom 21. Januar 2004