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TVR 2004 Nr. 19

Stipendien für eine Zweitausbildung einer über 25jährigen Person – Elternbeitrag als Voraussetzung?


§ 7 Abs. 2 StipG, § 13 StipV


Bei einem Stipendienbewerber, der eine Zweitausbildung anstrebt und der älter als 25 Jahre ist, kann kein Beitrag der Eltern vorausgesetzt werden, seien diese nun «in sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen» oder nicht. Massgebend sind die eigenen Einkommensverhältnisse (E. 2d).


K, geboren 4. Oktober 1972, schloss 1993 ihre Ausbildung als Lehrerin für Textiles Werken / Hauswirtschaft ab. Von 1993 bis 2000 war sie als Lehrerin für Textiles Werken tätig. Das erste Halbjahr 2001 setzte sie aus, weil sie am 25. Februar 2001 einen Sohn gebar. Ab August 2001 war sie zu 50% wiederum als Lehrerin für Textiles Werken tätig. Mit Formular vom 17. September 2002 bewarb sich K beim Amt für Mittel- und Hochschulen des Kantons Thurgau um ein Stipendium für die beabsichtigte Ausbildung zur Primarlehrerin am Seminar Kreuzlingen ab Februar 2002 bis Juli 2005 (5 Semester). Zu ihrer Situation machte sie ergänzende Angaben. Ihr von der Mutter geschiedener Vater sei Selbständigerwerbender.
Am 1. Oktober 2002 sprach ihr das Amt für Februar bis Juli 2003 ein Stipendium von Fr. 9’850.– zu. Am 3. September 2003 ersuchte K um Überweisung der Stipendien für die zweite Hälfte ihres ersten Ausbildungsjahres am Seminar Kreuzlingen. Mit Entscheid vom 19. September 2003 lehnte das Amt für Mittel- und Hochschulen die Ausrichtung von (weiteren) Stipendien ab, da der zumutbare Elternbeitrag, errechnet aus den Veranlagungsprotokollen 2002, die anerkannten Ausbildungs- und Lebenshaltungskosten decke. Mit Eingabe vom 6. Oktober 2003 an das DEK liess K Rekurs erheben und beantragen, es seien ihr weiterhin die Stipendien auszurichten, wie sie mit Verfügung vom 1. Oktober 2002 für die Zeit von Februar bis Juli 2003 zugesprochen worden seien. Sie liess insbesondere geltend machen, ihr Vater könne nicht zu Beitragszahlungen gezwungen werden, weil sie bereits über eine abgeschlossene Erstausbildung verfüge. Bliebe es beim angefochtenen Entscheid, würde sie die Ausbildungsbeiträge verlieren, auf die sie aufgrund des ersten Stipendienentscheides in guten Treuen vertraut habe. Sie erfülle die Voraussetzungen für einen Beitrag an ihre Zweitausbildung. Die Stipendienordnung sei auch verfassungswidrig, weil sie bei Eltern in sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen einen Elternbeitrag voraussetze, wenn jemand bereits über 25 Jahre alt sei und eine Zweitausbildung durchlaufe. Die Voraussetzung eines Elternbeitrages würde den Grundsatz «gleiche Chancen auf Ausbildung» geradezu in sein Gegenteil verkehren: Wer besser gestellte, aber nicht mehr zahlungswillige Eltern habe, stehe im Vergleich zu denjenigen mit weniger gut verdienenden Eltern schlechter da. Das halte vor dem Verbot rechtsungleicher Behandlung nicht Stand. Mit Entscheid vom 3. Dezember 2003 wies das DEK den Rekurs ab. Dagegen lässt K Beschwerde beim Verwaltungsgericht erheben. Dieses heisst gut.

Aus den Erwägungen:

2. a) Die Beschwerdeführerin erfüllt grundsätzlich die Voraussetzungen nach § 2 StipG, hat sie doch als Schweizer Bürgerin stipendienrechtlichen Wohnsitz im Kanton Thurgau. Nach § 4 Abs. 1 StipG berechtigen grundsätzlich Erstausbildungen nach der obligatorischen Schulpflicht zu Stipendien. Zweitausbildungen oder Umschulungen berechtigen nach § 4 Abs. 2 StipG dann zu Beiträgen, sofern die neue Ausbildung dem Wiedereinstieg ins Berufsleben dient (Ziff. 1), einen anerkannten Berufsabschluss oder eine gleichwertige berufliche Tätigkeit voraussetzt (Ziff. 2), infolge Krankheit, Arbeitslosigkeit oder aus anderen wichtigen Gründen nötig wird und keine andere Institution für die Kosten aufkommt (Ziff. 3). Das Amt für Mittel- und Hochschulen hat die Ausbildung als Zweitausbildung anerkannt und die Beschwerdeführerin grundsätzlich als stipendienberechtigt bezeichnet. Die Vorinstanz macht dahinter ein grosses Fragezeichen. Die Verweigerung von weiteren Stipendien erfolgte aber allein aufgrund der Tatsache, dass ein Elternbeitrag von Fr. 23’100.– resultierte, der zusammen mit den eigenen Einnahmen von Fr. 10’602.– die anrechenbaren Kosten von Fr. 30’250.– um Fr. 3’452.– überstieg.

b) (...) Im Zentrum der vorliegenden Beschwerde steht die Frage der Anwendung von § 7 Abs. 2 StipG, da die Beschwerdeführerin eine erste Ausbildung abgeschlossen hat und älter als 25 Jahre ist. Ein Elternbeitrag wird bei ihr nur deshalb vorausgesetzt, weil die Eltern gemäss Vorinstanz «in sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen leben». Es ist offensichtlich, dass die eigenen Einkünfte (Fr. 10’602.–) grundsätzlich zu Stipendien berechtigen würden. Zumutbare Eigenleistungen standen im Zeitpunkt des Verfügungsbeziehungsweise Rekurszeitpunktes nicht zur Diskussion, weil der Sohn erst zweieinhalbjährig war. Ob sich diese Beurteilung im Laufe der Zeit nicht verändert, ist hier nicht zu prüfen, geht es doch allein um die Stipendien für die zweite Hälfte 2003.
Die Beschwerdeführerin bestreitet die Verfassungsmässigkeit von § 7 Abs. 2 StipG, insbesondere bezeichnet sie aber dessen Umsetzung in § 13 StipV, wonach bereits ab einem Reineinkommen der Eltern von Fr. 50’000.– ein Elternbeitrag vorausgesetzt werde, als gesetzeswidrig. Dieses Einkommen entspreche nicht «sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen».

c) Gemäss Art. 276 Abs. 1 ZGB haben die Eltern für den Unterhalt des Kindes aufzukommen, inbegriffen die Kosten von Erziehung, Ausbildung und Kindesschutzmassnahmen. Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Mündigkeit des Kindes (Art. 277 Abs. 1 ZGB), mithin bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Hat es dann noch keine angemessene Ausbildung (vgl. Art. 302 Abs. 2 ZGB), so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann (Art. 277 Abs. 2 ZGB).
Was diese Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber mündigen Kindern angeht, so hat das Bundesgericht in seiner im Urteil BGE 118 II 97 E. 4a zusammengefassten Rechtsprechung stets auf deren Ausnahmecharakter hingewiesen: Unterhalt sei nur geschuldet, wenn sich der Jugendliche noch in Ausbildung befinde und diese beruflichen Charakter habe. Zweitausbildung, Weiterbildung und Zusatzausbildung würden grundsätzlich nicht darunter fallen, wohl aber eine erste eigentliche Berufsausbildung, und zwar auch dann, wenn diese erst begonnen werde, wenn der Jugendliche bereits erwerbstätig gewesen sei (BGE 127 I 207). Es besteht keine absolute Altersgrenze, also nicht beispielsweise das 25. Altersjahr. Die Geltendmachung des Anspruchs geschieht durch Klage des mündigen Kindes gegenüber den Eltern.
Leitgedanke im Stipendienwesen ist die Chancengleichheit im Ausbildungsbereich (Müller, Das Stipendienrecht des Kantons St. Gallen mit Berücksichtigung der Stipendiengesetzgebung des Bundes, St. Gallen 1987, S. 16). Stipendien erfüllen in der Schweiz die Funktion der Unterhaltsergänzung, also die Ergänzung des in quantitativer Hinsicht mangelnden familiären Unterhalts. Ausgangstatbestand für die Ausrichtung von Stipendien ist, dass die nach Privatrecht unterhaltspflichtigen Personen die Bedürfnisse des Ansprechers nicht hinreichend zu decken vermögen. Stipendien haben somit immer subsidiären Charakter (Müller, a.a.O., S. 17). Die Subsidiarität der Stipendienleistungen wird dadurch verwirklicht, dass insbesondere die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Stipendiaten und seiner Eltern angerechnet werden (vgl. §§ 1 und 7 StipG).

d) Aus der erwähnten zivilrechtlichen Rechtsprechung ergibt sich, dass für Elternbeiträge an eigentliche Zweitausbildungen (wie im vorliegenden Fall klarerweise angestrebt), seien nun die Bewerber über oder unter 25 Jahre alt, kein klagbarer Anspruch besteht. Das heisst, dass bei derartigen Bewerbern auch kein Elternbeitrag vorausgesetzt werden darf, seien diese nun in «sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen» oder nicht. Zu unterscheiden davon sind aber jene Bewerber, die «eine erste Ausbildung» im Sinne von § 7 Abs. 2 StipG abgeschlossen haben und «älter als 25 Jahre sind» und – gewissermassen darauf aufbauend – eine (höhere) Ausbildung durchlaufen wollen (z.B. eine Höhere Fachschule, womit sie sich immer noch in einer Erstausbildung befinden). Für Bewerber einer Zweitausbildung hingegen sind damit allein die eigenen Einkommensverhältnisse massgebend, geht es doch nicht um einen Anwendungsfall von § 7 Abs. 2 StipG beziehungsweise § 13 StipV. § 7 Abs. 2 StipG spricht ja ausdrücklich nicht von Zweitausbildung. Zuzugeben ist allerdings, dass auch Zweitausbildungen unter § 7 Abs. 2 StipG subsumiert werden könnten, aber angesichts der aufgezeigten Rechtsprechung beziehungsweise der Subsidiarität der Stipendienleistungen nicht dürfen. Das führt zur Gutheissung der Beschwerde, denn an den eigenen Bemessungsgrundlagen der Bewerberin hat sich für die 2. Hälfte des Jahres 2003 nichts geändert. Damit erübrigt es sich auch, zur Frage der Rechtsgleichheit Stellung zu nehmen.
Ebenfalls nichts daran ändert, dass sich das DEK mit Vernehmlassung vom 15. Januar 2004 frägt, ob diese Zweitausbildung überhaupt stipendienberechtigt ist. Das kann man sich mit Fug fragen (vgl. § 4 Abs. 2 StipG), doch müssten für diese Grundsatzfrage die Voraussetzungen für einen Widerruf gemäss § 23 VRG gegeben sein. Solche hat das DEK nicht geltend gemacht, so dass es bei der grundsätzlichen Anerkennung der Beitragsberechtigung bleibt (§ 16 Abs. 1 StipV). Vorbehalten bleibt jedoch die semesterweise Anpassung der Höhe aufgrund veränderter Verhältnisse (vgl. § 16 Abs. 2 StipV).

Entscheid vom 17. März 2004

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