TVR 2004 Nr. 26
Flachmoorschutzanordnungen und Frage der materiellen Enteignung
Art. 18 c Abs. 2 NHG, Art. 5 Abs. 2 RPG, § 18 Abs. 3 TG NHG
1. Flachmoorschutzanordnungen sind in der Regel keine relativ massiven Nutzungsbeschränkungen und demnach nicht als besonders schwerer Eingriff zu betrachten (E. 3a). Entschädigung aus materieller Enteignung verneint bei Bewirtschaftungsbehinderung wegen ungünstigerer Restparzellenform.
2. Art. 18c Abs.2 NHG sieht eine Entschädigung für Nutzungseinschränkungen zu Gunsten von Flachmooren vor, die unabhängig der Frage der Entschädigung aus materieller Enteignung ausgerichtet wird (E. 3b).
3. Die Kostenregelung gemäss § 36 EntG geht jener von § 78 Abs. 3 VRG vor (E. 4a).
A ist Eigentümer einer Parzelle, die das DBU mit Entscheid vom 3. Oktober 2001 teilweise als Pufferzone der Schutzanordnung samt Pflegeplan im Flachmoor V zuwies und dadurch in seiner Nutzung einschränkte. Ebenfalls mit Entscheid vom 3. Oktober 2001 wurde gestützt auf das TG NHG dem jeweiligen Bewirtschafter der Parzelle für die Dauer von 25 Jahren eine jährlich wiederkehrende Abgeltung von Fr. 2’509.– zugesprochen. Dieser Entscheid blieb unangefochten.
Mit Klage vom 8. März 2002 an die Enteignungskommission verlangte A eine Entschädigung wegen einer enteignungsähnlichen Eigentumsbeschränkung. Die Enteignungskommission hiess die Klage gut und verpflichtete den Kanton Thurgau mit Entscheid vom 23. Januar 2004, A eine Entschädigung von Fr. 8’000.– und eine Umtriebsentschädigung von Fr. 500.– zu bezahlen. Zudem wurde dem Kanton eine Verfahrensgebühr von Fr. 1’000.– auferlegt.
Mit Beschwerde vom 16. Februar 2004 gelangt der Kanton Thurgau an das Verwaltungsgericht und stellt die Begehren, es sei festzustellen, dass mit der Schutzanordnung samt Pflegeplan für das Grundstück von A keine enteignungsähnliche Eigentumsbeschränkung vorliegt, die zu einer Entschädigung führe. Schliesslich sei nicht ersichtlich, weshalb der Kanton Thurgau in Abweichung von der Regel gemäss § 78 Abs. 3 VRG eine Verfahrensgebühr zu bezahlen habe. Das Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde in dem Sinne teilweise gut, als es feststellt, dass keine materielle Enteignung vorliegt. Im Übrigen weist es ab.
Aus den Erwägungen:
3. Zwischen den Parteien herrscht Einigkeit, dass von As Parzelle eine Fläche von 90 Aren in einer Breite von 35 Metern rechtskräftig als Pufferzone bestimmt wurde, für welche umfangreiche Schutzanordnungen gelten. Für die Ertragseinbussen sprach das DBU mit Entscheid vom 3. Oktober 2001 gestützt auf Art. 18c Abs. 2 NHG und § 18 Abs. 3 TG NHG dem jeweiligen Bewirtschafter der Parzelle für die Dauer von 25 Jahren eine jährlich wiederkehrende Abgeltung von Fr. 2’509.– für den Ertragsausfall der Pufferzone und den Mehraufwand durch zusätzliche Zäunung zu. Die Enteignungskommission sprach A als Eigentümer der fraglichen Parzelle eine Entschädigung zu, weil der westliche Teil des Grundstücks (von der Pufferzone bis zur Gemeindestrasse) sowie eine Teilfläche entlag der Pufferzone – ein Streifen von 5 Metern – nicht mehr in der gleichen Weise ungehindert bewirtschaftet werden könne, wie dies vor der Ausscheidung der Pufferzone der Fall gewesen sei. Der Mehraufwand für diesen Bereich der Restparzelle werde durch die reduzierte Bewirtschaftungslänge und die «deutlich ungünstigere Parzellenform» erheblich höher. Zudem müsse die Schutzzone gemäss Bewirtschaftungsvorschriften beziehungsweise Nutzungsbeschränkungen gemäss Pflegeplan eingezäunt werden, wodurch ebenfalls ein Mehraufwand entstehe.
Der Kanton rügt, die Entschädigungsvoraussetzungen aufgrund materieller Enteignung seien nicht erfüllt.
a) Nach ständiger Praxis des Bundesgerichts liegt eine materielle Enteignung vor, wenn einem Eigentümer der bisherige oder ein voraussehbarer künftiger Gebrauch einer Sache untersagt oder in einer Weise eingeschränkt wird, die besonders schwer wiegt, weil dem Eigentümer eine wesentliche, aus dem Eigentum fliessende Befugnis entzogen wird. Geht der Eingriff weniger weit, so wird gleichwohl eine materielle Enteignung angenommen, falls ein einziger oder einzelne Grundeigentümer so betroffen werden, dass ihr Opfer gegenüber der Allgemeinheit unzumutbar erschiene und es mit der Rechtsgleichheit nicht vereinbar wäre, wenn hierfür keine Entschädigung geleistet würde (sog. Sonderopfer). In beiden Fällen ist die Möglichkeit einer zukünftigen besseren Nutzung der Sache nur zu berücksichtigen, wenn im massgebenden Zeitpunkt anzunehmen war, sie lasse sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft verwirklichen (BGE 125 II 431 E. 3a mit weiteren Hinweisen). Die Schwere des Eingriffs ist nach objektiven Kriterien und nicht nach dem subjektiven Empfinden des Betroffenen zu bestimmen. Abzustellen ist weniger auf die Höhe der rechnerisch ermittelten Vermögenseinbusse als auf das Ausmass der wirtschaftlichen Beeinträchtigung durch Verlust von Befugnissen, die nach der bisher geltenden Eigentumsordnung bestanden (Häfelin/Müller, a.a.O., N. 2187). Dabei sind nach ständiger Rechtsprechung selbst relativ massive Nutzungsbeschränkungen regelmässig nicht als besonders schwerer Eingriff zu betrachten, falls auf den fraglichen Liegenschaften noch eine wirtschaftlich sinnvolle und gute Nutzung möglich bleibt (BGE 123 II 481 E. 6d).
Der bundesrechtlich abschliessend geregelte und für die Kantone verbindliche Begriff der materiellen Enteignung gemäss Art. 5 Abs. 2 RPG (vgl. BGE 116 Ib 235 E. 1b) verlangt also die Prüfung der Art des Gebrauchs des Eigentumsrechts sowie der Art des Eingriffs in dieses Recht.
aa) Die Enteignungskommission bejahte eine materielle Enteignung, ohne die bisherige und eventuell zukünftige Nutzung der westlichen Fortsetzung von der ausgeschiedenen Pufferzone bis hin zur Gemeindestrasse des Grundstücks von A zu erörtern. Die Enteignungskommission führt im angefochtenen Entscheid lediglich aus, nach ihrer Überzeugung könnten der westliche Teil des Grundstücks sowie eine Teilfläche entlang der Pufferzone nicht mehr in der gleichen Weise ungehindert bewirtschaftet werden, wie dies vor der Ausscheidung der Pufferzone der Fall gewesen sei. Ohne Zweifel ergebe sich, dass A der bisherige rechtmässig ausgeübte und auch in Zukunft auszuübende Gebrauch seiner Parzelle massgeblich eingeschränkt werde und diese Beschränkung Einfluss auf den massgeblichen Verkehrswert der Parzelle habe. Der Kanton Thurgau macht in seiner Beschwerde geltend, bei Ertragsausfallberechnungen, die zur Abgeltung von Nutzungsbeschränkungen führten, werde immer von der ackerbaulichen Nutzung der Parzellen ausgegangen, was zu einer höheren Ertragsberechnung als bei einer futterbaulichen Nutzung führe. Dies sei auch bei der Parzelle von A so gehandhabt worden. Es werde aber an der ackerbaulichen Nutzung wegen der offenbar bestehenden Hochstämme gezweifelt. Zudem handle es sich beim westlichen Teil der Parzelle teilweise um Auffüllungsgelände. Im Boden seien insbesondere Abfälle der ehemaligen Mosterei, aber auch Feststoffe abgelagert beziehungsweise deponiert. Die Parzelle sei deshalb im Altlastenkataster des Kantons Thurgau aufgeführt. A stellt diese Äusserungen des Kantons Thurgau nicht in Abrede und macht keine andere Nutzung geltend. Ob überhaupt von einer ackerbaulichen Nutzung ausgegangen werden könnte, ist fraglich, kann aber offen bleiben, denn selbst bei einer vollständig ackerbaulichen Nutzung müsste nämlich das Vorliegen einer materiellen Enteignung verneint werden, wie sogleich zu zeigen ist.
bb) Einem Eigentümer kann nur eine Entschädigung zugesprochen werden, wenn ihm der gegenwärtige Gebrauch seines Grundstücks untersagt oder besonders stark eingeschränkt wird, sodass eine wirtschaftlich sinnvolle und gute Nutzung nicht mehr möglich ist, oder wenn er so betroffen wird, dass er gegenüber der Allgemeinheit als Sonderopfer angesehen werden muss. Als schwere Eingriffe gelten im Allgemeinen Bauverbote. Werden nur Teile einer Liegenschaft mit einem Bauverbot belegt, sind die Auswirkungen auf das ganze Grundstück massgebend. Keine materielle Enteignung bedeutet nach einer «Faustregel» des Bundesgerichts ein Bauverbot, das nur den dritten Teil eines Grundstückes betrifft (Häfelin/Müller, a.a.O., N. 2188 mit Hinweisen). Ein Minderwert des Grundstücks von unter 20 Prozent bewirkt noch keine Entschädigung (ZBl 1985 14 E. 7). Im Bereich der landwirtschaftlichen Nutzung hat das Bundesgericht beispielsweise Verbote, zonenkonforme Bauten zu errichten, Intensivkulturen in Plastiktunnels anzulegen, eine Baumschule zu betreiben oder Jauche auszubringen, als nicht enteignungsgleich gewertet (Riva, Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Zürich 1999, Art. 5 N. 172). Die Schwelle zur materiellen Enteignung wird regelmässig hoch angesetzt. Die Enteignungskommission verneinte einen Anspruch von A auf eine Entschädigung aus materieller Enteignung für denjenigen Parzellenteil des Grundstücks, der in der Pufferzone liegt und direkt von der Schutzanordnung betroffen ist. Für diese Nutzungsbeschränkungen der Pufferzone sei mit Entscheid des DBU vom 3. Oktober 2001 rechtskräftig eine angemessene Entschädigung gesprochen worden. Darüber hinaus habe der Augenschein der Enteignungskommission aber ergeben, dass der westliche Teil der fraglichen Parzelle von der ausgeschiedenen Pufferzone bis zur Gemeindestrasse sowie eine Teilfläche entlang der Pufferzone nicht mehr in der gleichen Weise ungehindert bewirtschaftet werden könne, wie dies vor der Ausscheidung der Pufferzone der Fall gewesen sei. Der Mehraufwand für diesen Bereich der Restparzelle werde durch die reduzierte Bewirtschaftungslänge und deutlich ungünstigere Parzellenform erheblich höher. Die Enteignungskommission führt dann aber nicht aus, worin dieser erhebliche Mehraufwand liegt. Mit Blick auf die Grösse des gesamten Grundstücks liegt aber offensichtlich nicht eine derart massive Nutzungsbeschränkung vor, dass von einer materiellen Enteignung gesprochen werden müsste. Eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung ist auf der Restparzelle ohne Weiteres möglich. Somit sind die Voraussetzungen für eine Entschädigung aus materieller Enteignung nicht erfüllt. Offensichtlich und unbestritten greift der Auffangtatbestand des Sonderopfers vorliegend nicht.
Die Vorinstanz hat demzufolge den bundesrechtlichen Begriff der materiellen Enteignung verkannt. Somit wird der Entscheid der Enteignungskommission vom 23. Januar 2003 aufgehoben.
b) Dessen ungeachtet sei erwähnt, dass Art. 18c Abs. 2 NHG und § 18 Abs. 3 TG NHG den durch eine Pufferzone in seinem Recht eingeschränkten Eigentümer beziehungsweise Bewirtschafter im Gegensatz zum Recht der materiellen Enteignung bereits schon durch den ganzen oder teilweisen Verzicht auf die «bisherige Nutzung» als abgeltungswürdig ansehen. Somit kann zu Gunsten des Naturschutzes eine Entschädigung auch dann ausgerichtet werden, wenn die Einschränkung der Nutzung nach den Grundsätzen der materiellen Enteignung entschädigungslos bleiben würde, weil die Eingriffsintensität der materiellen Enteignung nicht erreicht wird (vgl. Maurer, Kommentar NHG, Zürich 1997, Art. 18c N. 20).
Der Kanton Thurgau bringt vor, die Abgeltung von Nutzungsbeschränkungen in Pufferzonen umfasse unter anderem grundsätzlich auch den Mehraufwand für die Bewirtschaftung der Restparzelle. Das DBU sprach mit Entscheid vom 3. Oktober 2001 für die durch die angeordnete Pufferzone resultierenden Nutzungsbeschränkungen eine jährliche Entschädigung von Fr. 2’509.–. A als Eigentümer liess diesen Entscheid unangefochten in Rechtskraft erwachsen. Sein Pächter dagegen focht diesen Entscheid zwar an, brachte aber vor Verwaltungsgericht nicht vor, die angeordnete Pufferzone führe zu zusätzlichen, vom DBU nicht berücksichtigten Inkonvenienzen bei der Bewirtschaftung der Restparzelle. Somit sind mit den Fr. 2’509.– sämtliche durch die Pufferzone auf der Parzelle As entstehenden Nutzungseinschränkungen sowie auch der Mehraufwand durch zusätzliche Zäunung rechtskräftig abgegolten.
Schliesslich sei erwähnt, dass gemäss Art. 18c Abs. 4 NHG dem Kanton zur Erreichung des Schutzziels, mithin die Anordnung einer Pufferzone, subsidiär unter Wahrung der Verhältnismässigkeit auch das Enteignungsrecht zugestanden wäre. Hierfür hätte dem Eigentümer nach § 18 EntG der volle Verkehrswert des enteigneten Grundstücks vergütet werden müssen. Der Kanton Thurgau sah vorliegend aufgrund der Subsidiarität zu Recht von einer (formellen) Enteignung ab und verfügte für die 90 Aren grosse Pufferzone lediglich nutzungsbeschränkende Anordnungen. Hierfür wurde dem jeweiligen Bewirtschafter für die Dauer von (vorerst) 25 Jahren auf der Basis eines ackerbaulichen Ertrags in der Klimazone B3 bei maximaler Bodenpunktzahl und der Annahme einer gemischten Fruchtfolge sowie dem Ertrag von extensivem Futterbau auf 500 Metern über Meer eine jährlich wiederkehrende Abgeltung von Fr. 2’509.– zugesprochen. Wird von einem durchschnittlichen Zins von 3% für die nächsten 25 Jahre ausgegangen, ergeben diese periodischen Leistungen kapitalisiert einen Wert von Fr. 44’396.–, mithin Fr. 4.93 pro Quadratmeter (vgl. Stauffer/Schätzle, Barwerttafeln, 5. Aufl., Zürich 2001, Tafel 48). Ob dieser Betrag in etwa dem Verkehrswert pro Quadratmeter der ausgeschiedenen Pufferzone entspricht, kann offen gelassen werden. Jedenfalls zeigt er den Massstab, wenn lediglich eigentumsbeschränkende Massnahmen getroffen werden: Eine gleich hohe oder sogar höhere Entschädigung, als wenn der Kanton das Grundstück As enteignen würde, ist wohl kaum geschuldet.
4. a) Der Kanton Thurgau rügt schliesslich die ihm für das Verfahren vor der Enteignungskommission auferlegte Verfahrensgebühr von Fr. 1’000.–. Es seien keine Gründe für eine Abweichung von der Regel von § 78 Abs. 3 VRG ersichtlich. Nicht gerügt und somit nicht zu prüfen ist die Kostenhöhe. Nach dem klaren Wortlaut von § 36 EntG hat für die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und für alle übrigen Kosten im Zusammenhang mit der Enteignung der Enteigner aufzukommen. Hierbei handelt es sich um eine der allgemeinen Bestimmung von § 78 Abs. 3 VRG vorgehenden Spezialregelung des Gesetzgebers, die aufgrund des klaren Wortlauts auch auf den Kanton als Enteigner anzuwenden ist.
Entscheid vom 21. April 2004