TVR 2004 Nr. 28
Grenzabstand einer unterirdischen Baute
Bei einer Tiefgarage dürfen einzelne, untergeordnete Teile nach aussen in Erscheinung treten. Das gilt insbesondere für Ein- und Ausfahrten, die nicht zu der Seite hin gerichtet sind, gegenüber welcher der Grenzabstand reduziert werden soll.
Die H GmbH beabsichtigt, auf ihrer Parzelle einen Sitzplatz zu gestalten, wobei unter dem Sitzplatz eine Tiefgarage zu liegen kommen soll. Während der Auflagefrist erhob die Stockwerkeigentümergemeinschaft Bergstrasse Einsprache, die abgewiesen wurde. Gleichzeitig erteilte der Stadtrat die Baubewilligung.
Gegen diesen Entscheid erhoben A, B, C sowie D, alle vier Mitglieder der Stockwerkeigentümergemeinschaft Bergstrasse Rekurs beim DBU, den dieses guthiess. Zur Begründung wurde im Entscheid (zusammengefasst) ausgeführt, bei der projektierten Tiefgarage handle es sich nicht um eine unterirdische Baute im Sinne von Art. 43 des Baureglements der Stadt R, da sie nicht (vollständig) mit Terrain überdeckt sei. Zudem trete sie nach aussen in Erscheinung (Einfahrt in Tiefgarage von Norden), was gemäss Praxis des Verwaltungsgerichts ebenfalls zur Folge habe, dass nicht mehr von einer unterirdischen Baute gesprochen werden könne. Der reglementarische Mindestgrenzabstand von 3.0 m werde daher verletzt, betrage er doch lediglich zwischen 1.7 und 2.1 m. Gegen diesen Entscheid lässt die H GmbH beim Verwaltungsgericht Beschwerde führen, das sie gutheisst.
Aus den Erwägungen:
3. a) Vorliegend geht es im Wesentlichen um den Begriff der «unterirdischen Baute» im Sinne von Art. 43 BR, der wie folgt lautet: «Unterirdische Bauten sind solche, die unter dem zulässig gestalteten Terrain liegen.» § 81 BauG (in Kraft bis am 31. März 1996) regelte noch, dass unterirdische Bauten äusserlich nicht in Erscheinung treten dürfen. Diese Bestimmung regelte zudem, dass in solchen Fällen der Grenzabstand auf 0.5 m reduziert werden dürfe. Bei nachteiliger Einwirkungen habe dieser 3 m zu betragen. Das PBG gab jedoch die Normierung dieser Grenzabstandsregelung auf und verzichtete auf die Regelung im Sinne einer Kompetenzdelegation an die Gemeinde und einer Deregulierung. Art. 6 BR hat die alte Regelung von § 81 BauG sinngemäss und mit den gleichen Masszahlen übernommen. Nach der Bestimmung von Art. 6 Abs. 1 BR gilt für Bauten und Anlagen grundsätzlich ein Mindestgrenzabstand von 3.0 m. Für unterirdische Bauten, Erdkollektoren, Zufahrten und Abstellplätze kann dieser Mindestgrenzabstand auf minimal 0.5 m reduziert werden, sofern davon keine wesentlichen Immissionen ausgehen.
b) Die zu § 81 BauG publizierte Praxis zur Frage der unterirdischen Bauten/Tiefgaragen im Zusammenhang mit der Einhaltung von Grenzabständen – namentlich TVR 1987, Nr. 34 und TVR 1985, Nr. 9 – geht dahin, dass bei Tiefgaragen einzelne, untergeordnete Teile gegen aussen in Erscheinung treten dürfen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um Aus- und Zufahrten handelt und das «in Erscheinung treten» nicht zu der Seite hin gerichtet ist, gegenüber welcher der Grenzabstand reduziert werden soll. Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz ergibt sich eine gegenteilige Auffassung auch nicht aus VGE V 149/2002. Jener Fall lässt sich mit dem vorliegenden nicht vergleichen, da es dort um die Unterschreitung des Grenzabstandes eines Schwimmbassins ging, das gegenüber dem Nachbarn immer noch über das bewilligte Terrain hinaus und von allen Seiten her in Erscheinung trat. Das ist vorliegend nicht der Fall, da die Tiefgarage unbestrittenermassen unter das zulässig zu gestaltende Terrain zu liegen käme und nur mit Bezug auf die Einfahrt äusserlich von einer von den Verfahrensbeteiligten nicht einsehbaren Seite in Erscheinung tritt. Zu Recht weist die Stadt R darauf hin, entscheidendes Kriterium für den Grenzabstand müsse sein, ob in heiklen Nachbarschaftsbereichen Offnungen oder ungedeckte Teile sichtbar seien, welche sich nachteilig auswirken könnten. Bereits unter dem BauG waren Zufahrten, die nicht für ein grosses Verkehrsaufkommen gedacht waren, abstandsprivilegiert. Hinzu kommt, dass mit der Einführung des PBG die Regelung der Grenzabstände grundsätzlich zum Kompetenzbereich der Gemeinden gehört. Die Auslegung des Begriffs «unterirdische Baute» liegt daher ebenfalls in ihrem Kompetenzbereich, was zur Folge hat, dass sich die Vorinstanz in Anwendung von § 47 Abs. 2 VRG bei der Beurteilung des Rekurses hätte Zurückhaltung auferlegen müssen. Die Behauptung der Stadt, wonach eine solche Baute, wie sie hier geplant ist, in R praxisgemäss als unterirdische Baute gelte, wird von keiner Seite bestritten. Demnach ist festzuhalten, dass das von der Beschwerdeführerin geplante Bauprojekt als unterirdische Baute im Sinne von Art. 43 BR zu gelten hat, auf die die Abstandsprivilegierung von Art. 6 Abs. 1 BR angewendet werden darf.
c) Voraussetzung für die Anwendung von Art. 6 Abs. 1 BR beziehungsweise der darin enthaltenen möglichen Reduktion des Grenzabstandes ist allerdings, dass von der geplanten unterirdischen Baute keine wesentlichen Immissionen ausgehen. Die Verfahrensbeteiligten befürchten hier übermässigen Abfluss von Wasser bei einem Starkregen.
Aufgrund der topografischen Verhältnisse kann bei einem grösseren Unwetter ein gewisser Wasserrückfluss auf die Nachbarparzelle nicht völlig ausgeschlossen werden. Solche Vorkommnisse können aber ohnehin nie gänzlich verhindert werden. Sie dürfen daher auch nicht der Massstab sein, wenn es um die Frage geht, ob «wesentliche Immissionen» im Sinne von Art. 6 Abs. 1 BR vorliegen. Unter normalen Verhältnissen ist mit einer problemlosen Versickerung des Meteorwassers zu rechnen. Anlässlich des Augenscheins hat der Architekt der Beschwerdeführerin ausgeführt, er sei sich des Problems bewusst und werde dies bei der Realisierung entsprechend berücksichtigen. Von übermässigen Immissionen kann daher nicht gesprochen werden.
Entscheid vom 26. Mai 2004