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TVR 2004 Nr. 3

Verfahrensfragen bei ordentlichen Einbürgerungen durch ein Gemeindeparlament, abstrakte Normenkontrolle


§ 53 GemG, § 3 Abs. 2 KBüG, § 6 Abs. 2 KBüG, § 6 KBüV


1. Abstrakte Normenkontrolle eines Reglements eines Gemeindeparlamentes: Anfechtungsobjekt ist der Rechtssatz. Erweist sich der behauptete Widerspruch zum übergeordneten Recht als gegeben, wird die Norm aufgehoben (E. 1 b).

2. Beschliesst ein Gemeindeparlament über Einbürgerungen, so handelt es sich dabei um einen Verwaltungsakt, womit auch die Grundprinzipien des Verwaltungshandelns gelten. Ablehnende Einbürgerungsentscheide des Parlaments unterliegen der Begründungspflicht. Die Gesuchsteller haben Anspruch auf rechtliches Gehör (E. 2b).

3. Das KBüG gibt den Gemeinden zwar keine ausdrückliche Kompetenz zur Regelung des Verfahrens betreffend ordentliche Einbürgerungen in das Gemeindebürgerrecht. Im Gesetz geregelt ist nur das Vorverfahren, das mit dem Antrag der Exekutive an das Parlament endet. Im Sinne einer vorläufigen Regelung können die Gemeinden jedoch das Hauptverfahren regeln (E. 2d).

4. Der reglementarische Ausschluss der Diskussion über ein Einbürgerungsgesuch im Parlament ist mit der Funktion des Parlaments nicht vereinbar (E. 2e).


In der Gemeinde M ist aufgrund der Gemeindeordnung das dreissigköpfige Parlament für Einbürgerungen zuständig. An der Sitzung vom 13. Januar 2004 beschloss das Parlament ein «Reglement für den Erwerb des Bürgerrechts der Gemeinde M (Einbürgerungsreglement)». Dessen Art. 10 lautet wie folgt: Beschlussfassung durch das Stadtparlament:

«1Nach Erteilung der eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung entscheidet das Stadtparlament in der Regel an jeder Sitzung in geheimer Abstimmung über die Aufnahme ins Bürgerrecht der Stadt M.
2Mit der Einladung zur Sitzung erhalten die Mitglieder des Stadtparlaments einen Bericht sowie einen Antrag des Stadtrates. Den Medien werden diese vertraulichen Unterlagen nicht zugestellt. Die Mitglieder des Stadtparlaments sind berechtigt, im Sekretariat Einbürgerungswesen Einsicht in die Akten zu nehmen. Die Diskussion über die einzelnen Gesuche ist in den Fraktionen zu führen.
3Jedes Parlamentsmitglied hat das Recht, Antrag auf Ablehnung eines oder mehrerer Einbürgerungsgesuche zu stellen. Der Antrag ist fünf Arbeitstage im Voraus schriftlich ans Ratsbüro zu richten. Jeder Antrag ist zu begründen. Das zuständige Stadtratsmitglied kann kurz Stellung beziehen. Eine weitere Diskussion findet nicht statt. Das Gleiche gilt für Anträge auf Nichteintreten auf Einbürgerungsgesuche.
4Wird kein Antrag auf Ablehnung oder Nichteintreten gestellt, gilt die Einbürgerung als erteilt.
5Auf die Erteilung des Gemeindebürgerrechts besteht kein Rechtsanspruch.» Gegen diesen Artikel 10 erhoben zwei Parlamentsmitglieder Rekurs beim DJS und beantragten Aufhebung des Einbürgerungsreglements. Sie machten insbesondere geltend, Art. 10 des Einbürgerungsreglementes verstosse gegen § 3Abs. 2 KBüG, der wie folgt lautet: «Über Bürgerrechtsgesuche ist einzeln und geheim abzustimmen.»

Mit Entscheid vom 15. April 2004 wies das DJS den Rekurs ab. Die beiden Parlamentsmitglieder gelangen mit Beschwerde ans Verwaltungsgericht und bringen insbesondere vor, das DJS bestätige den Widerspruch zur kantonalen und kommunalen Gesetzgebung, indem keine generellen separaten und geheimen Abstimmungen vorgesehen seien. Sie bestritten jedoch den Anspruch der Begründungspflicht in keiner Weise, hingegen das Verfahren. Sie hielten ein Verfahren, das Abstimmungen im Stadtparlament nur dann zulasse, wenn bis fünf Tage vor einer Sitzung ein begründeter Ablehnungsantrag vorliege und das dann im Stadtparlament auch keine Fragestellungen und Diskussionen zulasse, als rechtsstaatlich und demokratisch bedenklich und einer städtischen Legislative für nicht würdig. Hier würden zentrale Punkte der demokratischen Willensbildung verletzt. Separate und geheime Abstimmungen und Begründungspflicht könnten in einem Stadtparlament gleichermassen praktiziert werden. Auch verfüge das Parlament nicht über eine parlamentarische Kommission, so dass keinerlei Diskussionsmöglichkeit bestehe. Schliesslich könne es nicht angehen, dass die Gemeinden rechtlich tätig würden, bevor der Kanton sein übergeordnetes Recht abgeändert habe.
Das Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde in dem Sinne teilweise gut, als es den letzten Satz von Abs. 2 und die beiden letzten Sätze von Abs. 3 aufhebt.

Aus den Erwägungen:

1. a) (...) Zur Beschwerde berichtigt ist, wer durch einen Entscheid berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat sowie jede durch ein Gesetz dazu ermächtigte Person, Organisation oder Behörde (§ 44 Ziff. 1 und 2 VRG i.V. mit § 62 VRG). § 53 GemG ermächtigt Stimmberechtigte zum Rekurs – wegen Verletzung übergeordneten Rechts – unter anderem gegen allgemein verbindliche Erlasse aller Gemeindeorgane. Darunter fallen vor allem kommunale Reglemente, mithin auch das hier umstrittene Einbürgerungsreglement des Gemeindeparlaments.
Die Stimmberechtigung der beiden Beschwerdeführer in M ist unbestritten. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen gegeben sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

b) Das GemG sieht als Spezialrecht gegenüber dem VRG – wie erwähnt – den Rekurs (und damit auch die Beschwerde) eines Stimmberechtigten gegen ein Gemeindereglement vor. Dabei handelt es sich um die sogenannte abstrakte oder prinzipale Normenkontrolle. Anfechtungsobjekt ist also der Rechtssatz selbst. Diese Normenkontrolle ist gemäss § 53 GemG darauf beschränkt, dass nur die Frage des Widerspruchs von Rechtssätzen der unteren Stufe (aller Gemeindeorgane) zu der höheren Stufe zu prüfen ist. Dies ist eine Ausnahme, können doch dem Richter im Allgemeinen Fragen betreffend die Gültigkeit von Rechtsnormen nur im Zusammenhang mit einem konkreten Streitfall zum Entscheid vorgelegt werden. Man spricht diesfalls von konkreter, akzessorischer oder vorfrageweiser Normenkontrolle.
Allerdings kann die abstrakte Normenkontrolle nicht jederzeit verlangt werden (wie z.B. in den Kantonen Aargau und Schaffhausen), sondern nur innerhalb der Rechtsmittelfrist (vgl. § 53 Abs. 2 GemG). Ähnlich gelagert ist die abstrakte Normenkontrolle durch das Bundesgericht.
Erweist sich der behauptete Widerspruch des Gemeindeerlasses zum übergeordneten Recht als gegeben, so wird die Norm aufgehoben. Bei der vorfrageweisen Überprüfung bleibt sie aber weiterhin in Kraft.

c) Die Überprüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichts beschränkt sich auf Rechtsverletzungen (§ 53 Abs. 1 GemG). Die Pflicht zur Aufhebung des Erlasses entfällt dann, wenn der Erlass einer verfassungs- und gesetzeskonformen Auslegung zugänglich ist (vgl. Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, Zürich 1998, § 68 N. 65).

2. a) Das Bürgerrecht in der Schweiz ist dreistufig, verfügt doch jeder Schweizer über ein Gemeindebürgerrecht, ein Kantonsbürgerrecht und das Schweizer Bürgerrecht. Diese drei Bürgerrechte bilden eine untrennbare Einheit. Der Bund beansprucht nicht eine abschliessende Regelung. Vielmehr lässt seine Gesetzgebung Raum für ergänzende Regelungen der Kantone und nach Massgabe des kantonalen Rechts, sogar der Gemeinden (ZBl 2004, S. 403 f.). Das Verfahren der ordentlichen Einbürgerung ist in erster Linie durch das kantonale Recht geregelt, beschränkt sich doch der Bund auf die Aufzählung der Einbürgerungsvoraussetzungen. Die Einbürgerungsverfahren in den Kantonen sind recht verschieden, doch gilt als Grundsatz, dass die Rechtsfolge – nämlich die Erteilung des Bürgerrechts – nicht von derselben Behörde angeordnet wird, welche den Tatbestand abgeklärt hat (ZBl 2004, S. 409). Das gilt auch im Kanton Thurgau. Gemäss § 6 Abs. 2 KBüG hat «die zuständige Gemeindebehörde» – in der Regel die Exekutive – die Eignung eines Bewerbers zu prüfen, aber auch die Voraussetzungen. Die Verleihung des Gemeindebürgerrechts (vgl. § 40 Abs. 5 KV) beziehungsweise Erteilung des Gemeindebürgerrechts beschliesst «die Gemeinde» in geheimer Abstimmung (§ 3 Abs. 2 KBüG). Das ist in der Regel die «Gesamtheit der Stimmberechtigten», also die Legislative, die ihren Willen in der Gemeindeversammlung äussert, soweit nicht die Urnenabstimmung vorgeschrieben ist (§ 2 Abs. 2 GemG). In wenigen Thurgauer Gemeinden ist hierfür das Gemeindeparlament (gemäss § 14 GemG) zuständig, so auch in der Politischen Gemeinde M.

b) Am 9. Juli 2003 erklärte das Bundesgericht eine Initiative, mit der Einbürgerungsgesuche in der Stadt Zürich der Urnenabstimmung unterstellt werden sollten, für ungültig (BGE 129 I 232). Gleichentags hiess es eine staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Luzern gut, der die Nichteinbürgerung der Beschwerdeführer durch die Emmener Stimmbürger an der Urne geschützt hatte (BGE 129 I 217). Das Bundesgericht ging in beiden Urteilen davon aus, dass negative Einbürgerungsentscheide nach Art. 29 Abs. 2 BV i.V. mit Art. 8 Abs. 2 BV zu begründen seien. Da dies bei Volksabstimmungen an der Urne systembedingt nicht möglich sei, sei die Urnenabstimmung über Einbürgerungsgesuche verfassungswidrig. Die Frage, ob und inwiefern Einbürgerungsbeschlüsse der Stimmberechtigten an der Gemeindeversammlung der verfassungsrechtlichen Begründungspflicht genügen können, liess es offen (BGE 129 I 232).
Diesen Urteilen liegt die Auffassung des Bundesgerichts zugrunde, dass es sich bei ordentlichen Einbürgerungsbeschlüssen um einen Verwaltungsakt handelt, egal von welcher Behörde der Entscheid ergeht. Parlament oder Gemeindeversammlung sind demnach bei Einbürgerungsentscheiden an die Grundprinzipien des Verwaltungshandelns gebunden, die auch für Verwaltungsbehörden gelten (ZBl 2004, S. 415). Ablehnende Einbürgerungsentscheide unterliegen der Begründungspflicht (BGE 129 I 232). Den Gesuchstellern kommt in diesem Verfahren Parteistellung zu: Sie haben Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs und auf eine Begründung, wenn ihr Gesuch abgewiesen wird (BGE 129 I 232, E. 3.3).

c) Diese Urteile haben schweizweit erhebliche Unsicherheit ausgelöst. Das Verwaltungsgericht hat sie seinem Entscheid betreffend einen negativen Einbürgerungsentscheid der Gemeinde O zu Grunde gelegt. Es bestätigte eine Rekursgutheissung des DJS mangels Begründung, hob aber die vom DJS angeordnete Einbürgerung in das Gemeindebürgerrecht als zu weitgehend auf (vgl. ZBl 2004, S. 432 ff.). Um allfälligen Beschwerden wegen Verletzung des Anspruchs auf Begründung vorzubeugen, hielt es das Gericht für sinnvoll, den Gemeinden, die an der Gemeindeversammlung über Einbürgerungsgesuche entscheiden, zu empfehlen, vorgängig der Beschlussfassung an der Gemeindeversammlung eine Art Einspracheverfahren durchzuführen (zum Vorgehen in einem Gemeindeparlament hat sich das Verwaltungsgericht aber ausdrücklich nicht geäussert): Anträge des vorberatenden Gremiums auf Zulassung des Gesuchs um Einbürgerung seien im Hinblick auf eine Gemeindeversammlung zu publizieren und hätten danach als durch die Gemeindeversammlung genehmigt zu gelten, wenn nicht vor der Gemeindeversammlung ein begründeter Antrag auf Ablehnung eingereicht werde. Diesfalls hätte eine Abstimmung durch die Gemeindeversammlung stattzufinden. Nr. 3 46 Werde das Einbürgerungsgesuch durch die Gemeindeversammlung abgelehnt, sei davon auszugehen, dass die Begründung für die Ablehnung diejenige des Antrags auf Ablehnung des Einbürgerungsgesuchs sei. Zu beachten sei allerdings, dass dem Einbürgerungswilligen Gelegenheit zur Anhörung gegeben werden müsse, wenn Ablehnungsgründe geltend gemacht werden, zu denen er noch nicht Stellung habe nehmen können.
Bei diesem Verfahren handelt es sich im Wesentlichen um das sogenannte Schwyzer-Modell. Zwischenzeitlich hat das Bundesgericht eine gegen dieses Modell gerichtete Stimmrechtsbeschwerde abgewiesen (ZBl 2004, S. 437 ff.). Es hielt den Regierungsrat des Kantons Schwyz für kompetent, eine (provisorische) Regelung in Form einer Vollziehungsverordnung zur verfassungskonformen Durchführung von Einbürgerungsverfahren in der Übergangszeit, bis zur förmlichen Anpassung des kantonalen Bürgerrechtsgesetzes und des Gemeindeorganisationsgesetzes im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, zu erlassen.

d) Der Regierungsrat des Kantons Thurgau hat keine ähnliche Regelung erlassen, so dass sich die Thurgauer Gemeinden den Weg selbst suchen (müssen). Eine Kompetenz der Gemeinden zur Regelung des Verfahrens betreffend ordentliche Einbürgerung in das Gemeindebürgerrecht enthält das KBüG nicht, so dass sich fragt, ob die Gemeinden überhaupt eine vorläufige Regelung zur verfassungskonformen Durchführung des Einbürgerungsverfahrens erlassen dürfen. Die Beschwerdeführer bezweifeln dies, sähen sie doch eher eine kantonale Regelung. Der Regierungsrat beansprucht für sich eine Verordnungskompetenz, auch betreffend das Verfahren zum Erwerb des Gemeindebürgerrechts (vgl. §§ 4 ff. der Verordnung des Regierungsrates zum Gesetz über das Kantonsund Gemeindebürgerrecht vom 8. Dezember 1992 [KBüV]). Geregelt ist aber nur das Vorverfahren zur Beschlussfassung in der Gemeindeversammlung/im Parlament, da sich das Hauptverfahren (bisher) nach den allgemeinen Vorschriften richtete.
Angesichts der erheblichen Auswirkungen infolge fehlender kantonaler Regelung kann zumindest den Gemeinden mit Parlament nicht abgesprochen werden, subsidiär vorläufige Regelungen für das (Haupt)Verfahren zu erlassen, und zwar mit analoger Begründung, wie sie das Bundesgericht für den Regierungsrat des Kantons Schwyz anführte. Darauf wird verwiesen (vgl. ZBl 2004, S. 444 ff.).

e) Zentral für die Prüfung der Rechtmässigkeit des angefochtenen Art. 10 des Einbürgerungsreglements sind – wie gesagt – zwei verfassungsrechtliche Parameter: der Anspruch auf rechtliches Gehör des Gesuchstellers und der Anspruch auf Begründung eines negativen Einbürgerungsbeschlusses.
Daneben geht es um die Prüfung des Art. 10 auf Übereinstimmung mit § 3 Abs. 2 KBüG (geheime Abstimmung über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts) und der demokratischen Grundordnung (Ausschluss der Diskussion).
Unbestritten ist das Vorverfahren, das durch die Stadtverwaltung beziehungsweise den Stadtrat (Exekutive) durchzuführen ist (§§ 4 und 5 KBüV). Dieses Vorverfahren hat willkürfrei zu sein (vgl. TVR 2000, Nr. 2). Es endet mit einem Antrag der Exekutive an das für den Einbürgerungsbeschluss zuständige Gemeindeorgan (§ 6 KBüV), nämlich Gemeindeversammlung / Gemeindeparlament / Einbürgerungskommision (in M ist dies das Stadtparlament). Schon daraus folgt, dass das zuständige Beschlussorgan (hier das Stadtparlament) grundsätzlich jederzeit auch einen Rückweisungsbeschluss zur weiteren Abklärung eines Gesuches durch die Exekutive fassen kann, wenn neue Momente auftauchen oder wenn es anders gewichten will. Es folgt aber auch, dass das Beschlussorgan dem Antrag zustimmen oder ihn verwerfen kann. Bei Verwerfung des Antrages beziehungsweise Ablehnung des Gesuches ist heute allerdings eine Begründung erforderlich (weshalb zumindest § 7 KBüV anzupassen wäre).

aa) Die in Art. 10 des Einbürgerungsreglements festgelegte Vorgehensweise zielt grundsätzlich auf eine Widerspruchslösung ab. Der Antrag des Stadtrates gilt als angenommen, wenn aus dem Kreis der Parlamentsmitglieder kein schriftlich begründeter Antrag auf Ablehnung eines oder mehrerer Einbürgerungsgesuche gestellt wird. Ein allfälliger Antrag ist schriftlich begründet fünf Arbeitstage vor der Beschlussfassung an das Ratsbüro zu richten. Ein solcher Antrag kann (muss aber nicht) gleichzeitig die Begründung liefern für eine allfällige Ablehnung des Gesuches. Damit soll sichergestellt werden, dass kein Gesuch ohne Begründung abgelehnt wird. Diese Lösung entspricht dem Schwyzer-Modell für Gemeindeversammlungen, das auch vom Grundsatz her auf Gemeindeparlamente übertragen werden kann. Dieses Modell ist – wie gesagt – vom Bundesgericht als nicht verfassungswidrig bezeichnet worden, auch wenn es eine Verletzung des übergeordneten Rechts des Kantons Schwyz feststellte. Das Verwaltungsgericht sieht das im Sinne einer vorläufigen Regelung (vgl. E. 2d am Ende) nicht anders, auch wenn § 3 Abs. 2 KBüG an sich eine (geheime) Abstimmung über jedes Einbürgerungsgesuch fordert und die Fiktion, wie sie Art. 10 Abs. 4 Einbürgerungsreglement aufstellt (es unterbleibt eine Abstimmung, wenn kein Antrag auf Ablehnung oder Nichteintreten gestellt wird), nicht kennt. Art. 10 Abs. 4 Einbürgerungsreglement ist deshalb nicht aufzuheben. Zwar ist den Beschwerdeführern durchaus zuzustimmen, dass auch der Weg über geheime Abstimmungen in jedem Fall gangbar wäre (wie an den Sitzungen vom 24. Februar und 13. April 2004 verfahren), doch stellt allein die Widerspruchslösung sicher, dass ein Beschluss begründet werden kann. Sie verhindert somit, dass es zu Parlamentsabstimmungsergebnissen kommt, die sich nachträglich nicht begründen lassen. Sie ist damit verfassungskonform.

bb) Der Ablauf des Verfahrens und insbesondere die Begründung eines ablehnenden Einbürgerungsentscheides erfordert ein starkes Lenken des Parlamentsvorsitzenden bezüglich des Abstimmungsprozederes. Die vorsitzende Person muss mit Geschick die Diskussion leiten, die Gründe ermitteln und Anträge zur Abstimmung bringen oder über die Zulässigkeit von Gegenanträgen bestimmen. Das alles will das Einbürgerungsreglement mit dem Diskussionsausschluss gemäss Art. 10 Abs. 3 unterbinden; es sieht mit anderen Worten eine Selbstbeschneidung des Parlaments vor. Einzig das zuständige Stadtratsmitglied soll (kurz) zu (fünf Arbeitstage vor der Sitzung) gestellten Anträgen Stellung beziehen können (ob dem Gesuchsteller in dieser kurzen Zeit das allfälligerweise erforderliche rechtliche Gehör gewährt werden kann, ist fraglich). Eine weitere Diskussion im Parlament soll ausgeschlossen sein. Das verträgt sich in der Tat schlecht mit einem Parlament, missachtet jedoch klarerweise die Zuständigkeitsordnung/Entscheidkompetenz, die allein beim Parlament liegt. Der Stadtrat stellt ja nur Antrag, den Entscheid fällt das Parlament in Beachtung der Offizialmaxime, die für Einbürgerungen ebenso gilt. Der Fünf-Arbeitstage-Regel gemäss Art. 10 Abs. 3 Einbürgerungsreglement kommt deshalb nur Ordnungscharakter zu, so dass Anträge durchaus erst an der Sitzung gestellt werden können. Auch lässt sich über die massgebende Begründung bei Ablehnung alle weil streiten. Es muss ja keineswegs die Antragsbegründung eines Parlamentariers der Meinung der Mehrheit des Parlaments entsprechen. Auch kann es durchaus sein, dass neue Momente erst an der Parlamentssitzung selbst vorgebracht werden. Diesfalls allerdings muss zwingend Rückweisung an den Stadtrat zur Gewährung des rechtlichen Gehörs des Gesuchstellers erfolgen. Der Ausschluss einer weiteren Diskussion verträgt sich auch schlecht im Vergleich mit dem Vorgehen an der Gemeindeversammlung. Dort hat jede stimmberechtigte Person, die an der Versammlung teilnimmt, das Recht Anträge zu stellen (vgl. § 9 Abs. 2 GemG).

cc) Dass die Diskussion über einzelne Anträge (nur) in den Fraktionen zu führen sein soll, verträgt sich nicht mit dem Parlamentsbetrieb. Erstens kann es auch parteilose Parlamentarier geben und zweitens geht es um die Willensbildung des Parlaments und nicht der Fraktionen.

dd) Der Bestimmung, dass Bericht und Antrag des Stadtrates den Medien wegen Vertraulichkeit dieser Unterlagen nicht zugestellt werden sollen und dass keine weitere Diskussion stattfinden soll, liegt wohl die Auffassung des Parlaments zugrunde, dass dies der Schutz der Privatsphäre des Gesuchstellers erfordert. Das Bundesgericht hat aber klar festgehalten, dass die Verfassungsmässigkeit von Gemeindeversammlungsbeschlüssen auch unter dem Blickwinkel des Schutzes der Privatsphäre (Art. 13 BV) nicht von vornherein in Frage gestellt werden könne. Es sei vielmehr in jedem Einzelfall, unter Berücksichtigung der Natur und des Umfangs der persönlichen Daten sowie der Art und Weise ihrer Bekanntgabe an der Gemeindeversammlung, zu prüfen, ob das Persönlichkeitsrecht des Gesuchstellers gewahrt worden sei (BGE 1P.523 und 572/2003 = ZBl 2004, S. 437 ff. insbesondere S. 451). Das gilt klarerweise auch für einen Parlamentsbeschluss über ein Einbürgerungsgesuch. Schliesslich gibt es die Möglichkeit, die Öffentlichkeit von den Verhandlungen aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes auszuschliessen, was das Parlament übersehen zu haben scheint (vgl. für die Bundesversammlung: Thürer/Aubert/Müller, Verfassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001, § 66 Rz 16). Der Datenschutz reicht zwar über den Schutz der Privatsphäre hinaus, doch kommt ihm in diesem Zusammenhang eher keine weitergehende Bedeutung zu. Die Frage der genügenden Integration gemäss § 6 KBüG ist aber beispielsweise kein Grund, die Öffentlichkeit auszuschliessen.

Entscheid vom 18. August 2004

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