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TVR 2004 Nr. 4

Abklärungspflicht der Gemeinde. Anhörungsrecht des Einbürgerungswilligen


Art. 29 Abs. 2 BV, § 6 Abs. 2 KBüG


1. Wird an der Gemeindeversammlung der Vorwurf erhoben, ein Einbürgerungskandidat sei im Frauenhandel tätig, so ist es Sache der Gemeindebehörde, dem Vorwurf vertieft nachzugehen (E. 2a und b).

2. Das kommunale Einbürgerungsverfahren ist so auszugestalten, dass ein Einbürgerungskandidat vor dem Entscheid Gelegenheit haben muss, zu erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen (E. 2c).


S leitete im Jahre 2001 seine ordentliche Einbürgerung in die Wege. Der Gemeinderat M beschloss, das Gesuch den Stimmbürgern mit positivem Antrag zu unterbreiten. Gemäss polizeilichem Erhebungsbericht ist S weder beim Sozialdienst, beim Betreibungsamt, bei der Kantonspolizei, noch beim Ausländeramt negativ in Erscheinung getreten.
Im Hinblick auf die Abstimmung über das Einbürgerungsgesuch an der Gemeindeversammlung publizierte die Gemeinde M die Personaldaten in der Botschaft. Im Vorfeld zur Versammlung meldete sich C bei der Gemeinde. Sie bezweifelte, dass S die Anforderungen an die Einbürgerung erfülle. Er sei seit einem Jahr arbeitslos und beziehe Arbeitslosentaggeld. Er führe einen fragwürdigen Lebenswandel und vermittle ausländische Frauen für Nachtclubs. Trotz dieses Anrufs traf die Gemeindebehörde M keine weiteren Abklärungen und unterbreitete das Gesuch der Versammlung. Dort stand C auf und wiederholte die Vorwürfe. In der Folge lehnte die Gemeindeversammlung das Einbürgerungsgesuch ab. Den hiergegen erhobenen Rekurs wies das DJS ab, nachdem es zwei Zeugen befragt hatte. Diese Zeugen bestätigten, ihnen sei von Dritten bestätigt worden, S sei am Frauenhandel beteiligt.
Gegen diesen Entscheid erhob S beim Verwaltungsgericht Beschwerde, das sie teilweise gutheisst und die Sache zu weiteren Abklärungen an die Gemeinde zurückweist.

Aus den Erwägungen:

2. a) Laut Art. 12 Abs. 1 BüG wird mit der Einbürgerung in einem Kanton und einer Gemeinde im ordentlichen Verfahren das Schweizer Bürgerrecht erworben. Vor der Erteilung der Bewilligung ist zu prüfen, ob der Bewerber zur Einbürgerung geeignet ist, insbesondere ob er in die schweizerischen Verhältnisse eingegliedert ist, mit den schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut ist, die schweizerische Rechtsordnung beachtet und die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet (Art. 14 BüG).
Nach § 57 Abs. 2 KV verleihen die Politischen Gemeinden das Gemeindebürgerrecht. Laut § 2 KBüG bildet das Gemeindebürgerrecht die Voraussetzung für den Erwerb des Kantonsbürgerrechts, das durch den Grossen Rat verliehen wird. Das Verfahren ist innerhalb des Kantons zweistufig. Trägerin des Gemeindebürgerrechts ist die Politische Gemeinde (§ 3 KBüG). Dabei beschliesst die Gemeinde in geheimer Abstimmung über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts (§ 3 Abs. 2 KBüG). Einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung gibt es nicht, wie das Verwaltungsgericht in TVR 2000, Nr. 2 und auch das Bundesgericht in einem Urteil vom 12. Dezember 2003 (Nr. 1P.214/2003) festgestellt haben. Nebst den Wohnsitzvoraussetzungen von § 5 Abs. 2 KBüG hält § 6 Abs. 1 dieses Gesetzes fest, dass der Bewerber geeignet sein muss. § 6 Abs. 2 KBüG zählt dann in einer nicht abschliessenden Aufzählung auf, dass es Sache der Gemeindebehörden ist, zu prüfen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich ob der Beschwerdeführer in die örtlichen, kantonalen und schweizerischen Verhältnisse eingegliedert ist, mit den Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen des Landes vertraut ist, die Rechtsordnung beachtet und die innere und äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet sowie über eine ausreichende Existenzgrundlage verfügt. Aus der Tatsache, dass laut § 57 Abs. 2 KV die Politischen Gemeinden über das Gemeindebürgerrecht in geheimer Abstimmung entscheiden können und dass die Aufzählung von § 6 Abs. 2 KBüG nicht abschliessend ist, lässt sich schliessen, dass der Gemeinde beim Einbürgerungsentscheid eine relativ erhebliche Ermessensfreiheit zusteht.

b) Das Verwaltungsgericht hat in TVR 2000, Nr. 2, nicht nur entschieden, dass es grundsätzlich keinen Anspruch auf Einbürgerung gibt, sondern auch festgehalten, dass das Vorverfahren bis zum Entscheid durch die entsprechende Gemeindebehörde, welche das Gemeindebürgerrecht verleiht, willkürfrei zu sein hat. In TVR 2003 hielt das Verwaltungsgericht fest, dass negative Einbürgerungsentscheide aufgrund der seit dem Sommer 2003 gültigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich zu begründen sind, damit überprüft werden kann, ob der angefochtene Entscheid nicht allenfalls gegen verfassungsrechtliche Garantien verstösst. Insbesondere hielt das Verwaltungsgericht dort in E. 3d bb) auch fest, das kommunale Verfahren sei so auszugestalten, dass ein Gesuchsteller, dem anlässlich der Gemeindeversammlung neue, bisher unbekannte Ablehnungsgründe vorgeworfen würden, dazu Stellung nehmen könne. Offen liess das Verwaltungsgericht, wie diese Möglichkeit zur Stellungnahme auszugestalten ist.

c) In Anbetracht der Tatsache, dass C bereits am 29. April 2003 dem Gemeindeammann ihre Bedenken über die Einbürgerungsfähigkeit von S vortrug, wäre die Gemeinde gut beraten gewesen, die Abstimmung über das Einbürgerungsgesuch zurückzustellen, bis die erhobenen Vorwürfe geklärt sind. Es ist laut § 6 Abs. 2 KBüG eindeutig Sache der Gemeinde, die Eignung eines Bürgerrechtsbewerbers zu prüfen. Dies entgegen der offensichtlich an der Gemeindeversammlung vom Gemeindeammann geäusserten Auffassung, die (kantonale oder eidgenössische?) Einbürgerungsbehörde sei zuständig. Allenfalls hat die Gemeinde das Bezirksamt zur Hilfe zu nehmen. Der Vorwurf, ein Bewerber sei im Frauenhandel tätig, ist so erheblich, dass er einer weiteren Überprüfung bedarf.
Zweifelsfrei hätte aber S ein Anrecht darauf gehabt, auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe vor der Abstimmung über sein Gesuch zu antworten. Ein Einbürgerungsbewerber hat einen Anspruch darauf, dass das Vorverfahren willkürfrei abläuft. Werden gegen einen Einbürgerungsbewerber Vorwürfe bekannt, so sind diese auch deshalb abzuklären, weil die Gemeindeversammlung Anspruch darauf hat, über gesicherte Informationen bezüglich des Einbürgerungsbewerbers zu verfügen. Allerdings bedarf es – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers – auch keiner gesicherten Beweise oder gar einer Verurteilung im strafrechtlichen Sinne. Es genügt, wenn sich die vorhandenen Indizien so sehr verdichten, dass an der Geeignetheit des Bewerbers erhebliche Zweifel aufkommen.
Dazu kommt die bereits beschriebene, unter dem Eindruck der Änderung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung stehende Praxis des Verwaltungsgerichts, wonach auch zu Vorwürfen, welche im Rahmen einer Gemeindeversammlung erhoben werden, der Bewerber noch Stellung nehmen können muss. In Anbetracht der Schwere der Vorwürfe, die gegenüber dem Beschwerdeführer erhoben wurden, konnte die Verletzung des rechtlichen Gehörs, das dem Beschwerdeführer nach Erhebung der Vorwürfe nicht gewährt wurde, auch durch die Vorinstanz nicht mehr geheilt werden. Das DJS hat zwar versucht, durch Befragung von zwei Zeugen die Vorwürfe zu überprüfen. Der Beschwerdeführer bestreitet aber sämtliche Aussagen, so dass es zweifelsfrei angezeigt ist, den erhobenen Vorwürfen vertieft nachzugehen und sie zu untersuchen. Insbesondere der Zeuge R hat Hinweise auf mehrere Personen gegeben, die noch bessere und unmittelbarere Angaben über den Beschwerdeführer hätten machen können. Die im Recht liegenden Befragungsprotokolle sind zwar Indizien für die Richtigkeit der Vorwürfe, aber noch zu wenig erhärtet. Der Beschwerdeführer hat Anspruch darauf, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe geklärt werden. Solange sie nicht endgültig geklärt sind, ist auch die Eignung des Beschwerdeführers nicht nachgewiesen. Es ist aber Sache der Gemeinde, unter Zuhilfenahme des Bezirksamtes, diesen Vorwürfen gründlich nachzugehen (§ 6 Abs. 2 KBüG). Erst nach vorgenommener, gründlicher Abklärung kann das Einbürgerungsgesuch ein zweites Mal der Gemeindeversammlung vorgelegt werden.

Entscheid vom 17. März 2004

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