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TVR 2004 Nr. 40

Voraussetzungen der Kostenübernahme für ausserkantonale Hospitalisation


Art. 41 Abs. 3 KVG


1. Der Verfahrensweg für derartige Ansprüche geht auch nach Inkrafttreten des ATSG über den Kantonsarzt mit Rekursmöglichkeit an das DFS (E. 1a).

2. Die Behandlung eines Morbus Behçet kann nach Auffassung der Chefärzte der beiden Thurgauer Spitäler an diesen Kliniken durchgeführt werden. Dabei handelt es sich um objektivierte Beurteilungen und es kann diesen Ärzten ähnlich den Beurteilungen der SUVA-Ärzte nicht entgegengehalten werden, sie seien keine neutralen Personen (E. 2b). Die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme für ausserkantonale Hospitalisation sind deshalb nicht gegeben.


Z, wohnhaft gewesen in Frauenfeld, war bei der S obligatorisch krankenversichert. Am 27. August 2003 verstarb er. Er litt an einem Morbus Behçet. Im Jahr 2002 war er viermal im Kantonsspital St. Gallen wegen dieser Krankheit behandelt worden, und zwar vom 11. Januar bis 8. April 2002, 12. April bis 25. April 2002, 24. Juni bis 25. Juli 2002 und 19. bis 27. November 2002. Die entsprechenden Kostengutsprachegesuche des Kantonsspitals St. Gallen lehnte der Kantonsarzt des Kantons Thurgau ab. Auch das Gesuch der S Krankenkasse an den Kanton Thurgau, die auf den Kanton Thurgau entfallenen Mehrkosten der allgemeinen Abteilung für die Behandlungen im Kantonsspital St. Gallen zu übernehmen, lehnte der Kantonsarzt ab mit der Begründung, dass die Behandlungen ebenso im Wohnkanton des Versicherten (dem Kanton Thurgau) durchführbar gewesen wären. Den dagegen von der S erhobenen Rekurs wies das DFS ab. Auch das Verwaltungsgericht weist ab.

Aus den Erwägungen:

1. a) (...) Da es im vorliegenden Fall um einen Anspruch nach Art. 41 Abs. 3 KVG geht, richtet sich das Verfahren auch nach dem Inkrafttreten des ATSG per 1. Januar 2003 nach kantonalem Recht (BGE 130 V 215; vgl. vorher TVR 2000 Nr. 38). Damit geht der Weg über ein entsprechendes Gesuch an das Gesundheitsamt, mit Rekursmöglichkeit an das DFS und Beschwerde an das Verwaltungsgericht und nicht an das Versicherungsgericht, auch wenn es um eine Materie geht, die im KVG wurzelt. Der eingeschlagene Verfahrensweg ist damit korrekt.

2. a) Nach Art. 41 Abs. 1 KVG können die Versicherten unter den zugelassenen Leistungserbringern, die für die Behandlung ihrer Krankheit geeignet sind, grundsätzlich frei wählen. Bei stationärer oder teilstationärer Behandlung muss der Versicherer die Kosten höchstens nach dem Tarif übernehmen, der im Wohnkanton der versicherten Person gilt. Beanspruchen Versicherte aus medizinischen Gründen einen anderen Leistungserbringer, so richtet sich die Kostenübernahme nach dem Tarif, der für diesen Leistungserbringer gilt. Medizinische Gründe liegen bei einem Notfall vor oder wenn die erforderlichen Leistungen nicht angeboten werden (Art. 41 Abs. 2 KVG). Beansprucht die versicherte Person aus medizinischen Gründen die Dienste eines ausserhalb ihres Wohnkantons befindlichen öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spitals, so übernimmt der Wohnkanton die Differenz zwischen den in Rechnung gestellten Kosten und den Tarifen des betreffenden Spitals für Einwohner des Kantons (Art. 41 Abs. 3 KVG).
Im vorliegenden Fall geht es nur um die Frage, ob solche medizinische Gründe vorliegen, denn der Grund des «Notfalls» lag nie vor. Zu prüfen ist demnach, ob die Thurgauer Kantonsspitäler beziehungsweise die Spitäler der Spital Thurgau AG, in medizinischer Hinsicht in der Lage gewesen wären, diese seltene Krankheit Morbus Behçet (chronisch rezidivierende, entzündliche Erkrankung unklarer Ursache mit Regenbogenhaut, Schleimhautaphthen und rheumatologische Beschwerden) des versicherten und später verstorbenen Z zu behandeln. Dabei spielt es in diesem Verfahren keine Rolle, dass der Versicherte offenbar über eine Zusatzversicherung verfügte, die die entsprechenden Kosten übernahm. Wenn festgestellt werden muss, dass die medizinische Behandlung zu Recht im Kantonsspital St. Gallen durchgeführt wurde, hat der Kanton Thurgau die entsprechende Differenz dem Versicherer zu erstatten. Andernfalls müssen die entsprechenden Kosten über die Zusatzversicherung bezahlt werde (was bereits geschah).

b) Der Kantonsarzt fragte die beiden Chefärzte der Spitäler Frauenfeld und Münsterlingen an, ob sie in der Lage gewesen wären, die entsprechende Behandlung durchzuführen. Der Chefarzt des KSF äusserte sich in seinem Schreiben vom 5. Februar 2003 dahingehend, dass es sich im vorliegenden Fall um ein komplexes rheumatologisches Krankheitsbild handle. Früher oder später würden solche Fälle immer durch eine universitäre Institution laufen. Allerdings handle es sich dabei meist um einmalige Hospitalisationen mit Standortbestimmungen oder ambulanten Abklärungen mit spezifischen Fragestellungen. Wenn die Diagnose einmal stehe und das Behandlungsprozedere festgelegt sei, wäre das KSF grundsätzlich sehr wohl in der Lage, das Gros der Probleme bei solchen Patienten zu beurteilen und adäquat zu behandeln. Wenn die Probleme aus dem Ruder zu laufen drohen würden, hätten sie ja noch immer die Möglichkeit der Verlegung, was in seltenen Fällen auch vorgenommen werde. Deshalb seien sie in der Summe auch durchaus in der Lage, einen Morbus Behçet zu betreuen, wohl wissend, wo die Grenzen seien und wo fachlicher Support gebraucht werde oder eine Verlegung nötig sei. In gleicher Weise antwortete der Chefarzt des KSM in seinem Mail vom 24. Januar 2003, indem er bestätigt, dass es sich um ein seltenes Krankheitsbild handle. Es sei schwierig, aufgrund der wenigen Angaben zu beurteilen, ob der Kanton Thurgau damit nicht überfordert gewesen wäre. Immerhin seien aber keine apparativen Spezialbehandlungen durchgeführt worden. Er könne aber behaupten, dass dieser Patient auch im Kanton Thurgau hätte behandelt werden können. Eine Hospitalisation sei wahrscheinlich dort effizienter, wo die Akten zum Zeitpunkt der Hospitalisation bereits vorlägen und eine Kontinuität des Managements des Patienten gewährleistet sei.
Gegen diese beiden Bestätigungen wendet die S Krankenkasse ein, dass es sich bei den beiden Chefärzten nicht um neutrale Personen handle. Bis zur Neuregelung der Dienstverhältnisse durch die Spital Thurgau AG waren diese öffentlichrechtlicher Natur, womit die Treuepflicht gegenüber dem Kanton bestand. Ob diese Neuregelung bereits im Jahre 2003 erfolgte, ist nicht bekannt, doch kann die Frage offen gelassen werden. Die Stellung der Chefärzte kann jedenfalls ähnlich beurteilt werden wie jene der SUVA-Ärzte in Bezug auf deren medizinischen Begutachtungen. Diesen Personen kann durchaus eine objektivierte Beurteilung zugetraut werden. Vor allem die Chefärzte sind aufgrund ihrer gesamten Ausstattung wie auch der personellen Besetzung in der Lage, zu beurteilen, ob eine entsprechende Erkrankung im eigenen Spital behandelt werden kann oder nicht. Die Antwort des Chefarztes von Frauenfeld ist diesbezüglich doch recht klar. Sie ist auch differenziert in dem Sinne, als ausdrücklich ausgeführt wird, dass allenfalls ein Support einer Zentrumsklinik notwendig sein kann. Offenbar ist es nicht unüblich, dass in solchen Fällen eine erste Hospitalisation im Wohnsitzkanton erfolgt, danach je nach Beurteilung der Ärzte eine Behandlung zur Standortbestimmung in einer spezialisierten Klinik durchgeführt wird, um danach die verordnete oder vereinbarte Therapie wieder in der Wohnsitzklinik durchzuführen. Das Argument des Krankenversicherers, dass gewisse Medikamente nur mit Sonderbewilligung erhältlich seien, verfängt nicht, da beide genannten Chefärzte ohne Weiteres solche Bewilligungen erhalten, was auch im Schreiben des Kantonsapothekers bestätigt wird. Die Auffassung der beiden Chefärzte, wonach die Therapien und stationären Behandlungen durchaus im Wohnsitzkanton durchgeführt werden können, dass für Spezialfragen aber die spezialisierten Kliniken konsiliarisch beigezogen werden, überzeugt, ohne dass in Bezug auf die Grundsatzfrage eine medizinische Expertise durchgeführt werden müsste. Demnach hat der Kantonsarzt diese Kostengutsprachegesuche grundsätzlich zu Recht abgewiesen. Daran ändert nichts, dass es sich um einen ausserordentlichen komplexen Fallgehandelt haben soll. Erstens ist das eine Beurteilung der St. Galler Ärzte, die ebenso als nicht neutral betrachtet werden könnte (diese haben ein Interesse an der Behandlung an ihrer Klinik). Zweitens waren die fraglichen Therapie-Aufenthalte nicht derart, dass sie beispielsweise aufgrund der Apparaturen nur in St. Gallen hätten stattfinden können. Drittens macht der Aufenthalt in der Reha-Klinik St. Katharinental deutlich, dass auch thurgauische Kliniken in der Lage sind, komplexe Fälle zu behandeln.

c) Das Kantonsspital St. Gallen hatte bei Ersteintritt im Jahre 2002 seinerseits ein Kostengutsprachegesuch bei der S Krankenkasse anbegehrt. Die Kostengutsprache wurde mit Schreiben vom 17. Januar 2002 erteilt, wobei ausdrücklich gefragt wurde, ob eine Kostengutsprache des Wohnkantons erteilt worden sei, was vom Kantonsspital St. Gallen am 29. Januar 2002 mit der Antwort «nein, bisher nicht» beantwortet wurde. Die S Krankenkasse hätte die Kostengutsprache wegen ausserkantonaler Hospitalisation aber nicht verweigern können, da der Patient ja zusatzversichert war. Es ist das Risiko des Versicherers, ob der Wohnsitzkanton die Differenzzahlung leistet, wenn eine ausserkantonale Hospitalisation notwendig ist. In einem vergleichbaren Fall ohne Zusatzversicherung müsste der Patient – wenn es nicht um eine Notfalleinweisung geht (was nicht der Fall war) – vorerst im Wohnkanton hospitalisiert werden. Die entsprechende Klinik hätte dann zu entscheiden, ob eine Verlegung oder eine konsiliarische Beurteilung durch eine andere Klinik notwendig ist. Es dürfte wohl auch durch Expertise im vorliegenden Fall nicht mehr feststellbar sein, welche Leistungen ausserkantonal hätten durchgeführt werden müssen. Auf die Frage im Kostengutspracheentscheid vom 17. Januar 2002, ob die Behandlung auch in einem Spital des Wohnkantons hätte durchgeführt werden können, wurde vom Kantonsspital St. Gallen ausgeführt, dass der Patient eine längerfristige Betreuung im Rheumazentrum benötige mit spezieller Therapie mit Thalidomid u.a. Wie bereits ausgeführt, hätte grundsätzlich eine Betreuung und medikamentöse Behandlung mit Thalidomid auch in den Kantonsspitälern des Kantons Thurgau durchgeführt werden können. Nachdem der Kantonsarzt ein Kostengutsprachegesuch, bei dem es insbesondere um fachklinische Abklärungen ging, gutgeheissen hat, besteht keine Veranlassung, die anderen Kostengutsprachegesuche, die ganz klar nicht auf eine spezielle Abklärung hindeuteten, sondern auf allgemeine stationäre Behandlung, ebenfalls zu akzeptieren. Immerhin war der Patient zwischenzeitlich auch in der Reha-Klinik St. Katharinental. Dies zeigt klar, dass die stationäre Behandlung nicht dauernd im Kantonsspital St. Gallen hätte stattfinden müssen, auch wenn es sich um einen ausserordentlich komplexen Fall gehandelt haben mag.

Entscheid vom 3. November 2004

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