TVR 2004 Nr. 6
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung bei offensichtlich gescheiterter Ehe
1. Da der Ausländer, der mit einer Schweizer Bürgerin verheiratet ist, nach 5 Jahren ordnungsgemässem und ununterbrochenem Aufenthalt einen Anspruch auf Niederlassungsbewilligung erwirkt und dieser, einmal erworben, selbst durch Scheidung nicht mehr untergeht, kann der Bewilligungsanspruch nur dann wegen Rechtsmissbrauchs erlöschen, wenn sich die Voraussetzungen hiefür vor Ablauf von 5 Jahren seit der Heirat verwirklicht haben (E. 2.2).
2. Rechtsmissbrauch bejaht bei offensichtlich gescheiterter Ehe, die formell noch nicht geschieden ist (E. 2.3).
K, geb. 1965, ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er reiste am 18. April 1997 illegal in die Schweiz ein und stellte ein Asylgesuch. Am 27. August 1997 heiratete er eine 1952 geborene Schweizer Bürgerin und erhielt gestützt auf Art. 7 ANAG im Kanton Thurgau die Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei seiner Ehefrau. Diese reichte am 21. Mai 2002 die Scheidungsklage ein. Mit Urteil der Bezirksgerichtskommission vom 11. Juli 2002 wurde die Ehe gestützt auf Art. 115 ZGB geschieden. Die gegen dieses Urteil an das Obergericht des Kantons Thurgau erhobene Berufung ist noch hängig. Ebenfalls hängig ist ein Strafverfahren, welches den von der Ehefrau gegen K erhobenen Vorwurf der Vergewaltigung zum Gegenstand hat.
Mit Verfügung vom 7. März 2003 lehnte das Ausländeramt das Gesuch um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab und ordnete die Wegweisung an. Ein Rekurs an das DJS blieb erfolglos. Auch das Verwaltungsgericht wies ab (Entscheid vom 24. November 2004).
Aus dem mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angerufenen Urteil des Bundesgerichts:
2.1 Gemäss Art. 7 Abs. 1 ANAG hat der ausländische Ehegatte eines Schweizer Bürgers Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung (Satz 1); nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren hat er Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung (Satz 2). Kein Anspruch besteht gemäss Art. 7 Abs. 2 ANAG, wenn die Ehe eingegangen worden ist, um die Vorschriften über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern und namentlich jene über die Begrenzung der Zahl der Ausländer zu umgehen (Ausländerrechtsehe beziehungsweise Scheinehe). (...)
2.2 Selbst wenn ursprünglich keine Ausländerrechtsehe eingegangen worden ist, kann sich die Berufung auf die Ehe im ausländerrechtlichen Verfahren als rechtsmissbräuchlich und im Sinne von Art. 7 Abs. 2 ANAG als unzulässig erweisen. Nach feststehender bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt Rechtsmissbrauch vor, wenn der Ausländer sich auf eine Ehe beruft, die nur noch formell besteht, und wenn ihm jeglicher Wille zum Führen einer ehelichen Gemeinschaft fehlt, aber auch wenn für ihn klar erkennbar ist, dass keine Aussicht auf ein (weiteres) eheliches Zusammenleben beziehungsweise auf die Führung einer Lebensgemeinschaft mit dem schweizerischen Ehegatten besteht, wobei es auf die Ursache der Trennung nicht ankommt. Die Berufung auf die Ehe läuft in einem solchen Fall darauf hinaus, dem Ausländer völlig unabhängig vom Bestand einer ehelichen Beziehung die Anwesenheit in der Schweiz zu ermöglichen; auf eine derartige Beanspruchung des gesetzlichen Aufenthaltsrechts des ausländischen Ehegatten eines Schweizer Bürgers in der Schweiz ist Art. 7 ANAG nicht ausgerichtet (BGE 130 II 113 E. 4.2 S. 117; 128 II 145 E. 2.2. S. 151; 127 II 49 E. 5 S. 56 ff. mit Hinweisen). Rechtsmissbrauch kann auch vorliegen, wenn der Ausländer sich auf eine Ehe beruft, die allein wegen der gesetzlich vorgesehenen Trennungsfrist gemäss Art. 114 ZGB noch nicht geschieden werden konnte, so wenn eine Scheidung gemäss Art. 115 ZGB (Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Ehe für den Ehegatten) nicht erwirkt werden kann (vgl. BGE 128 II 145 E. 2.2 S. 152). Da der Ausländer, der mit einem Schweizer Bürger verheiratet ist, nach fünf Jahren ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalts einen Anspruch auf Niederlassungsbewilligung erwirbt und dieser, einmal erworben, selbst durch eine Scheidung nicht mehr untergeht, kann der Bewilligungsanspruch schliesslich nur dann wegen Rechtsmissbrauchs erlöschen, wenn die Voraussetzungen hiefür sich vor Ablauf von fünf Jahren seit der Heirat verwirklicht haben.
Die Annahme von Rechtsmissbrauch setzt klare Hinweise dafür voraus, dass die Führung einer Lebensgemeinschaft nicht mehr beabsichtigt beziehungsweise auch aus der Sicht des Ausländers nicht mehr ernsthaft zu erwarten ist (BGE 128 II 145 E. 2.2 S. 151; 127 II 49 E. 5a S. 56 f., mit Hinweisen).
Das Verwaltungsgericht hat die Frage offen gelassen, ob der Beschwerdeführer eine Scheinehe eingegangen sei. Es nimmt indessen an, dass er sich im beschriebenen Sinn allein aus ausländerrechtlichen Gründen rechtsmissbräuchlich auf den Bestand der Ehe berufe.
2.3 Der Beschwerdeführer ist selber der Ansicht, dass heute an eine Weiterführung der Ehe nicht mehr ernsthaft gedacht werden kann. Es ist einzig zu prüfen, ob dies – für ihn erkennbar – bereits der Fall war, bevor er einen Anspruch auf Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 7 Abs. 1 Satz 2 ANAG erworben hatte. Entgegen seiner Auffassung sind, auch ohne dass der Ausgang des Strafverfahrens beziehungsweise das Vorliegen des Berufungsurteils im Scheidungsverfahren abgewartet werden muss, genügend klare Indizien dafür gegeben, und es bestand keine Notwendigkeit für eine Verfahrenssistierung, sodass insbesondere der Gehörsverweigerungsvorwurf unbegründet ist. Voraussetzung für den Erwerb eines Anspruchs auf Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 7 Abs. 1 ANAG ist ein ununterbrochener Aufenthalt von fünf Jahren. Nach Darstellung im Rekursentscheid des Departementes für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau vom 28. Juli 2003 weilte der Beschwerdeführer ab Mitte Oktober 1997 bis Ende Juni 1998 während rund sechseinhalb Monaten und im Jahr 1999 während über zehn Monaten in Nigeria (Rekursentscheid S. 3). Der Beschwerdeführer hat diese Sachverhaltsdarstellung in seiner Beschwerde an das Verwaltungsgerichts als zutreffend anerkannt. Da das Gesetz einen ununterbrochenen Aufenthalt verlangt, kann die Fünfjahresfrist gemäss Art. 7 Abs. 1 Satz 2 ANAG an sich erst ab Ende 1999 zu laufen beginnen. Aber selbst wenn sich diese Frist ab Eheschliessung (27. August 1997) bloss um die Dauer dieser beiden längsten, je über sechs Monate dauernden Abwesenheiten verlängern würde, hätte ein Anspruch auf Niederlassungsbewilligung frühestens im Laufe des Monats Januar 2004 erworben werden können, wobei spätere mehrmonatige Abwesenheiten sogar noch unberücksichtigt bleiben. Das Scheidungsurteil wurde bereits am 11. Juli 2002 gefällt. Es ist zwar nicht rechtskräftig. Aber für die gut eineinhalb Jahre bis Mitte Januar 2004 werden keine Kontakte zwischen den Ehegatten namhaft gemacht. Wenn auch dem Berufungsurteil im Scheidungsverfahren nicht vorgegriffen werden soll und nicht weiter zu beurteilen ist, ob der Ehefrau tatsächlich ein qualifizierter Scheidungsanspruch gestützt auf Art. 115 ZGB zustand, lassen doch die differenzierten Erwägungen des erstinstanzlichen Scheidungsurteils keine ernsthaften Zweifel daran aufkommen, dass die Ehefrau bereits zu jenem Zeitpunkt jegliches weitere eheliche Zusammenleben unmissverständlich ausschloss. Gerade angesichts ihrer Religiosität, die für ihren Entschluss, die Ehe einzugehen, zumindest eine gewisse Rolle gespielt hatte, kann auch ausgeschlossen werden, dass sie sich leichthin zur Scheidungsklage entschlossen haben könnte. Unabhängig davon, wie es sich mit den gegenüber dem Beschwerdeführer erhobenen Vorwürfen im Einzelnen verhält, musste diesem klar sein, dass die Ehe bereits Mitte 2002, d.h. so oder anders vor der gemäss Art. 7 Abs. 1 Satz 2 ANAG massgeblichen Fünfjahresfrist, definitiv gescheitert war.
2.4 Nach dem Gesagten steht dem Beschwerdeführer kein auf Art. 7 ANAG gestützter Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu. Wenn das Verwaltungsgericht die Verweigerung der Bewilligungsverlängerung bestätigt hat, hat es in keinerlei Hinsicht Bundesrecht verletzt. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist abzuweisen.
Urteil des Bundesgerichts vom 2. März 2005 (2A.47/2005)