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TVR 2004 Nr. 7

Familiennachzug, Scheinehe


Art. 7 Abs. 2 ANAG


Die Frage, ob eine Ehe dazu dienen soll, die Vorschriften des ANAG zu umgehen, ist unter Berücksichtigung sämtlicher sich aus den Akten ergebenden Indizien zu beurteilen.


K, geboren 1969, türkischer Staatsangehöriger, war in der Türkei mit Z verheiratet. Diese Ehe wurde am 9. August 2002 geschieden.
Am 24. August 2002 reiste K in die Schweiz ein. Er besass ein Visum für einen Aufenthalt in der Schweiz für 30 Tage, ist aber nach Ablauf der Visumsfrist nicht ausgereist, da nach eigenen Angaben sein hier lebender Bruder krank geworden sein soll. Am 1. September 2002 (laut Angaben der heutigen Ehefrau Ende August 2002) lernte er auf dem Zürcher Hauptbahnhof in einem Restaurant die Schweizer Bürgerin Y, geboren 1953, kennen. Am 10. Dezember 2002 vermählten sich die beiden und Y stellte am 3. Januar 2003 das Gesuch um Familiennachzug für ihren Ehemann K. In der Folge tätigte das Ausländeramt des Kantons Thurgau verschiedene Abklärungen, unter anderem liess es am 17. März 2003 eine getrennte Befragung der Eheleute K-Y durchführen. Aufgrund der Ergebnisse der Abklärungen teilte das Ausländeramt des Kantons Thurgau den Eheleuten K-Y mit, es beabsichtige, das Familiennachzugsgesuch und die damit verbundene Erteilung der Aufenthaltsbewilligung abzulehnen. Dies wurde in einer Verfügung bestätigt.
Gegen diesen Entscheid liess K erfolglos Rekurs beim DJS erheben, weshalb er ans Verwaltungsgericht gelangte, das die Beschwerde abweist.

Aus den Erwägungen:

2. Zur Begründung seiner Anträge bringt der Beschwerdeführer vor, ein grosser Altersunterschied zwischen Mann und Frau sei heute nichts Besonderes mehr. Jedenfalls messe die Behörde diesem Altersunterschied zuviel Gewicht bei. Auch sei eine Zeit von 3 1/2 Monaten genügend lang, um einen Heiratsentschluss überlegt fassen zu können. Die Behauptung, der Beschwerdeführer habe gegen die Visumsbestimmungen verstossen, sei in keiner Weise dokumentiert. Auch sei es nichts Besonderes, wenn sich der Beschwerdeführer und seine Ehefrau erstmals in einem Restaurant des Hauptbahnhofs in Zürich getroffen hätten. Aus den Antworten auf dem Fragebogen könne nichts Negatives abgeleitet werden. Vielmehr seien die meisten Fragen übereinstimmend beantwortet worden. Auch eine grosse Hochzeitsfeier finde heute nicht mehr statt. In der modernen Türkei, vor allem in den Städten, könne und wolle man sich selten eine grosse Feier leisten.

3. a) Laut Art. 7 Abs. 1 ANAG hat der ausländische Ehegatte eines Schweizer Bürgers Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Dieser Anspruch besteht jedoch nicht, wenn die Ehe eingegangen worden ist, um die Vorschriften über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern und namentlich jene über die Begrenzung der Zahl der Ausländer zu umgehen (Art. 7 Abs. 2 ANAG).
Dass Ehegatten mit der Heirat nicht eine eheliche Lebensgemeinschaft begründen, sondern die Vorschriften über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern umgehen wollen, entzieht sich in der Regel dem direkten Beweis und kann diesfalls, wie das bereits früher bei der Bürgerrechtsehe zutraf, nur durch Indizien nachgewiesen werden. Ein solches Indiz lässt sich darin erblicken, dass dem Ausländer die Wegweisung drohte, etwa weil er ohne Heirat keine Aufenthaltsbewilligung erhalten hätte oder sie ihm nicht verlängert worden wäre. Für das Vorliegen einer Ausländerrechtsehe können sodann die Umstände und die kurze Dauer der Bekanntschaft sprechen, sowie insbesondere die Tatsache, dass die Ehegatten eine Wohngemeinschaft gar nie aufgenommen haben. Dasselbe gilt, wenn für die Heirat eine Bezahlung vereinbart wurde. Dass die Begründung einer wirklichen Lebensgemeinschaft gewollt war, kann umgekehrt nicht schon daraus abgeleitet werden, dass die Ehegatten während einer gewissen Zeit zusammenlebten und intime Beziehungen unterhielten; ein derartiges Verhalten kann auch nur vorgespielt sein, um die Behörden zu täuschen. Auch wenn zwischen den Ehegatten ein erheblicher Altersunterschied besteht, so ist dies durchaus als Indiz für eine Scheinehe zu werten (BGE 122 II 295, 119 Ib 417, Pra 86, Nr. 85). Das Bundesgericht hat zudem stets festgehalten, dass mit Bezug auf die Frage der Scheinehe immer auf die gesamten Umstände eines Falles abzustellen ist. Konkret hat es in seinen verschiedenen Entscheiden bisher lediglich gewisse Indizien aufgezählt, welche auf eine Scheinehe hindeuten können. Eine abschliessende Aufzählung hat es jedoch nicht vorgenommen (TVR 2002, Nr. 3).

b) Das Verwaltungsgericht hatte sich in den letzten Jahren vermehrt mit der Problematik von Scheinehen, welche zur Umgehung des ANAG eingegangen wurden, zu beschäftigen. Dabei fällt auf, dass in den meisten Fällen gleich oder ähnlich vorgegangen wird. Ein in der Türkei nach traditioneller Sitte verheirateter Mann lässt sich zivilrechtlich scheiden, um kurz darauf in die Schweiz einzureisen. Innert kürzester Zeit wird Bekanntschaft mit einer meist wesentlich älteren Frau geschlossen und nach kurzer Zeit geheiratet. In aller Regel erfolgt dann nach fünf Jahren – wenn der Ehemann ein gefestigtes Aufenthaltsrecht in der Schweiz besitzt – die Scheidung und dann die zivilrechtliche Wiederverheiratung mit der ersten Ehefrau und deren Familiennachzug.
Der zeitliche Ablauf sowie die übrigen Umstände dieses Falles deuten klar darauf hin, dass auch hier versucht wird, nach diesem bekannten Muster vorzugehen. Der Beschwerdeführer war bis am 9. August 2002 mit seiner türkischen Ehefrau, die er «gemäss den Sitten» geheiratet hatte, verheiratet. Nach der Scheidung dauerte es gerade einmal vier Monate, bis der Beschwerdeführer wieder verheiratet war. In der Zwischenzeit erfolgte am 24. August 2002, also nicht einmal drei Wochen nach der Scheidung, die Einreise in die Schweiz, wobei der Beschwerdeführer wissen musste, dass er diese innerhalb von 30 Tagen wieder hätte verlassen müssen. Zwar stellt der Besuch des Beschwerdeführers bei seinem Bruder an und für sich nichts Aussergewöhnliches dar. Wenig glaubhaft ist dann allerdings die Behauptung, er sei bereits im Besitze des Rückflugtickets gewesen, als der Bruder krank geworden sei, weshalb er habe in der Schweiz verbleiben müssen. Für diese Behauptung liegen keinerlei Beweise im Recht. So fehlt es etwa an einer ärztlichen Bescheinigung, dass der Bruder so schwer erkrankt ist, dass ihn der Beschwerdeführer in der Schweiz hätte pflegen müssen. Auch das Flugticket, von dem der Beschwerdeführer behauptet, er habe es bereits in Händen gehalten, hat er nicht eingereicht, ebenso wenig eine Kopie. Gemäss den Ausführungen des Beschwerdeführers hat er dann Ende August beziehungsweise allenfalls am 1. September 2002 seine Ehefrau im Hauptbahnhof in Zürich kennen gelernt. Nur gerade 2 1/2 Monate später stellen der Beschwerdeführer und seine heutige Ehefrau bereits das Gesuch um Verkündung. Eine solche knappe zeitliche Abfolge lässt zweifelsohne aufhorchen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer nach Ablauf der Visumsfrist jederzeit mit der Wegweisung rechnen musste. Ohne Heirat konnte er nicht länger in der Schweiz verbleiben und er hätte zweifelsfrei keine Aufenthaltsbewilligung erhalten. Die zeitliche Abfolge der Geschehnisse sowie die drohende Wegweisung des Beschwerdeführers sind somit starke Indizien für eine Scheinehe.
Der Beschwerdeführer macht geltend, 3 1/2 Monate Bekanntschaftszeit genügten, um einen Heiratsentschluss überlegt fassen zu können. Dem wird von Seiten des Ausländeramtes entgegengehalten, es sei nicht nachvollziehbar, dass eine fast 50jährige, ledige Frau sich innert weniger Wochen dazu entschliessen könne, die Ehe mit einem völlig unbekannten Mann einzugehen, der aus einem anderen Kulturkreis stamme und unsere Sprache nicht spreche. Dieser Argumentation schliesst sich das Verwaltungsgericht an. Tatsächlich ist es wenig glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer und seine Frau bereits nach 2 1/2 Monaten einen vernünftigen Entschluss für eine ernstgemeinte, partnerschaftliche Heirat gefasst haben wollen. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer und seine Frau kaum in der Lage gewesen sein dürften, sich irgendwie vernünftig zu unterhalten, sei es über alltägliche Dinge, sei es über eine gemeinsame Zukunft. Unter diesen Umständen und entgegen den Behauptungen beziehungsweise Ausführungen des Beschwerdeführers ist auch der erhebliche Altersunterschied von 16 Jahren – zumal noch, wenn die Ehefrau um soviel älter ist als der Ehemann – durchaus als aussergewöhnlich zu bezeichnen. Auch die Umstände der Bekanntschaft, insbesondere das Treffen am Hauptbahnhof in Zürich und das Austauschen der Telefonnummern, obwohl der Beschwerdeführer mit seiner zukünftigen Ehefrau kaum ein Wort selbständig sprechen konnte, sind wenig glaubwürdig. Was den Hinweis der Vorinstanz, bei einer muslimischen Heirat werde in der Regel ein grosses Heiratsfest gefeiert, betrifft, so ist dies zweifelsfrei richtig, wenn auch für den vorliegenden Fall nicht entscheidend. Es ist immerhin darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer aus einem relativ kleinen Dorf (Kumafsari) im Distrikt Acipayam an der Strecke zwischen Denizli und Antalya stammt, also in ziemlicher Distanz zur nächsten Grossstadt. Den Akten ist zudem zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer «gemäss den Sitten», also unter Berücksichtigung der islamischen Traditionen, geheiratet hat. Es dürfte sich bei ihm also kaum um einen «modernen» Türken aus Istanbul oder einer anderen, westlich orientierten Grossstadt handeln, wie dies von seiner Seite darzulegen versucht wird. Seine Behauptung, eine Hochzeitsfeier ohne die dazugehörige Familie sei nichts Aussergewöhnliches, ist daher vor diesem Hintergrund wenig glaubwürdig.
Was der Beschwerdeführer gegen diese Indizien vorbringt, vermag nicht zu überzeugen. So mag es zwar zutreffen, dass einige oder gar die Mehrheit der zu beantwortenden Fragen übereinstimmen, doch lässt sich daraus wenig ableiten. Es ist allgemein bekannt, dass das Ausländeramt in kritischen Fällen solche Befragungen vornimmt und der Inhalt der entsprechenden Fragebögen ist unschwer zu erraten. Es kann aber bei diesen Fragebögen auch nicht vordringlich darum gehen, eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob eine Scheinehe vorliegt, zu erhalten. Vielmehr lässt sich aus den Antworten – insbesondere im Quervergleich – ein Bild herauslesen, das dann wiederum durchaus als Indiz für eine Scheinehe gelten kann. Immerhin fällt auf, dass mit Bezug auf die Hochzeitsfeier der Beschwerdeführer nicht mehr genau wusste, in welchem Restaurant diese stattgefunden haben soll. Demgegenüber gibt die Ehefrau zu Protokoll, man habe in dieser Liegenschaft, wo sich das Restaurant befindet, während der Zeit gewohnt. Es darf aber schon erwartet werden, dass der Beschwerdeführer, wenn er sich tatsächlich je dort aufgehalten haben sollte, sich einigermassen daran erinnert. Alles in allem ergeben sich aufgrund des zeitlichen Ablaufs, des Altersunterschiedes, der drohenden Wegweisung sowie der übrigen Umstände bei weitem genügend Indizien, die vorliegend einzig den Schluss zulassen, dass hier eine Scheinehe eingegangen wurde, um dem Beschwerdeführer den Aufenthalt in der Schweiz zu sichern. Art. 7 Abs. 2 ANAG sanktioniert aber solches Vorgehen damit, dass unter diesen Umständen eine Aufenthaltsbewilligung nicht erteilt werden darf.

Entscheid vom 8. September 2004

K hat gegen diesen Entscheid beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben, die am 8. März 2005 abgewiesen wurde. Dabei hat das Bundesgericht den Entscheid des Verwaltungsgerichts nicht nur im Ergebnis, sondern auch hinsichtlich der Argumentation bestätigt (Urteil 2A.727/2004).

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