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TVR 2005 Nr. 28

Rechtsmittelberechtigung bei Geruchsbelästigung


§ 90 Abs. 1 aPBG


1. Bei Geruchsemissionen aus der landwirtschaftlichen Tierhaltung beurteilt sich die Rechtsmittelberechtigung nicht allein gemäss der FAT-Richtlinie über den Mindestabstand. Massgebend sind vielmehr die örtlichen konkreten Verhältnisse.

2. Sind Anwohner von Geruchsimmissionen an zahlreichen Tagen im Jahr deutlich mehr als die Allgemeinheit betroffen, kann ihnen die Legitimation nicht abgesprochen werden.


W ist Eigentümer und Bewirtschafter eines Hofes, der in der Landwirtschaftszone und mitten im Talboden nordwestlich von G liegt. Am nordöstlichen Rande dieses Talbodens befindet sich eine vorwiegend mit Einfamilienhäusern überbaute und nach Süden gerichtete Halde. Mit Baueingabe vom 4. November 2002 ersuchte W zum Zwecke einer inneren Betriebsaufstockung um Bewilligung einer neuen Geflügelmasthalle für 10’900 Plätze samt Auslauf und einer Siloanlage. Das Bauvorhaben lag vorschriftsgemäss öffentlich auf. Dagegen liessen zahlreiche Personen Einsprache erheben und insbesondere Verweigerung der Baubewilligung beantragen. Im Wesentlichen wurde die Zonenkonformität, die Nutzungsintensität und das Immissionsmass (Lärm und Geruch) in Frage gestellt und eine separate Beurteilung nach Art. 684 ZGB verlangt. Der Gemeinderat entschied am 19. Dezember 2003, der geplante Neubau sei in der Landwirtschaftszone als innere Aufstockung zonenkonform. Der Neubau halte die Mindestabstände gemäss Luftreinhalteverordnung ein. Geruchsimmissionen seien nicht zu erwarten. Eine übermässige Einwirkung im Sinne von Art. 684 ZGB sei zu verneinen. Demnach werde die Baubewilligung erteilt und die Einsprache abgewiesen. Dagegen liessen die abgewiesenen Einsprecher Rekurs beim DBU einlegen. Dieses trat mit Entscheid vom 14. Oktober 2004 mangels Legitimation auf den Rekurs nicht ein, befänden sich doch die Liegenschaften der Einsprecher in einer Entfernung von ca. 300 bis 450 m. Das hierauf angerufene Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde in dem Sinne gut, als es die Sache zum materiellen Entscheid an das DBU zurückweist.

Aus den Erwägungen:

2. a) Zur Beurteilung steht allein die Frage, ob die Rekursinstanz zu Recht davon ausgegangen ist, die Rekurrenten seien nicht zum Rekurs gegen das von der Gemeinde bewilligte Bauvorhaben berechtigt. Die Gemeinde jedenfalls trat entgegen der Aussage am Augenschein auf die kollektiv erhobene Einsprache ein und wies sie ab. Gleichzeitig beurteilte sie die geltend gemachten Einwirkungen gemäss Art. 684 ZGB als nicht übermässig.

b) Nach § 90 Abs. 1 PBG kann Einsprache gegen ein Baugesuch erheben, wer ein schutzwürdiges Interesse hat. Diese Bestimmung muss – zumindest im Bereich des Umweltschutzes – so ausgelegt werden, dass sie mit Art. 103 lit. a OG beziehungsweise der dazu herausgebildeten Praxis übereinstimmt (vgl. Art. 54 Abs. 1 USG). Das DBU hat auf diese Praxis Bezug genommen.

aa) Die Beschwerdeführer gehen von der Rechtsprechung des Bundesgerichts betreffend eine Mobilfunkanlage aus (1A.316/2000). Das Bundesgericht hat seine diesbezügliche Praxis zur Beschwerdelegitimation jedoch sehr verfeinert. Mit BGE 128 I 59 führte es eine standardisierte Berechnung ein, um den Radius der Legitimierten zu bestimmen. Eine solch’ standardisierte Berechnung des Kreises der Legitimierten bei Geruchsund Lärmimmissionen besteht aufgrund der Andersartigkeit dieser Immissionen nicht. Darum ist der Bezug auf die Rechtsprechung zur Legitimation bei Mobilfunkanlagen nicht unbedingt schlüssig.

bb) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind im Rahmen von Art. 103 lit. a OG Nachbarn bis zu einem Abstand von etwa 100 m zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Bauvorhaben legitimiert (vgl. BGE 121 II 171). Allerdings ergibt sich die Legitimation nicht schon aus der blossen räumlichen Nähe, sondern erst aus einer daraus herrührenden besonderen Betroffenheit, z.B. durch Immissionen (BGE 125 II 10). Voraussetzung für die Legitimation ist eine minimale Intensität der besonderen Betroffenheit (vgl. BGE 128 II 168).

cc) Das DBU geht davon aus, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts die FAT-Richtlinien als Hilfsmass zur Beantwortung der Frage beigezogen werden könnten, ob eine Tierhaltungsanlage voraussichtlich übermässige Immissionen bewirke. Dies sei dann zu erwarten, wenn der halbe Mindestabstand (ca. 127 m : 2) unterschritten werde. Diese Faustregel sei anzuwenden, solange nicht aufgrund genauerer Abklärungen etwas anderes zu erwarten sei. Da die Minimaldistanz vorliegend um ein Vielfaches eingehalten werde, sei davon auszugehen, dass die Auswirkungen des geplanten Geflügelstalles nicht deutlich als solche wahrnehmbar seien und nicht ohne technisch aufwendige und kostspielige Abklärungen festgestellt werden könnten.
Bei der Errichtung von Anlagen der bäuerlichen Tier- und Intensivtierhaltungen müssen gemäss Ziff. 512 Anhang 2 zur LRV die nach den anerkannten Regeln der Tierhaltung erforderlichen Mindestabstände zu bewohnten Zonen eingehalten werden. Als solche gelten insbesondere die Empfehlungen der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Betriebswirtschaft und Landtechnik (sog. FAT-Richtlinien). Die vom Amt für Umwelt berechnete Mindestdistanz von 127 m wird von den ca. 300 – 400 m entfernt wohnenden Beschwerdeführern nicht in Zweifel gezogen, doch betrachten sie sich gleichwohl mehr als die Allgemeinheit als von der Geruchsbelästigung betroffen.
Auch wenn dem DBU zuzustimmen ist, dass die Minimaldistanz um ein Vielfaches eingehalten wird, so kann allein daraus nicht geschlossen werden, die Immissionen des Geflügelmaststalles seien nicht deutlich wahrnehmbar. Für die Frage der Legitimation ist nicht ein Vielfaches des Mindestabstandes allein entscheidend, sondern (neben der Sauberkeit des Stalles, der Fütterung und der Lüftung) ebenso die spezifischen örtlichen Verhältnisse. Diese sind entgegen der Behauptung des DBU zumindest nicht in nachvollziehbarer Weise gewürdigt worden, denn ein Bezug auf das meteorologische Gutachten ist nicht ersichtlich. Dieses Gutachten hält jedoch fest, dass der Geruch bei stärkeren Westwinden rund 10% der Zeit an der Halde bemerkbar sei, auch wenn er aufgrund der Distanz bereits stark abgeschwächt sein werde. Bei Inversionen könne die Geruchswolke an der Halde an rund 30 Tagen im Jahr am Abend nach Sonnenuntergang während rund einer Stunde zu riechen sein. Im Winterhalbjahr könne die Geruchswolke nach Sonnenaufgang an rund 30 Tagen pro Jahr im westlichen Teil der Halde bemerkbar sein.
Damit aber ergibt sich, dass zumindest einzelne Bewohner der Halde von den Geruchsimmissionen an zahlreichen Tagen deutlich mehr betroffen sind als die Allgemeinheit und ihnen damit die Legitimation nicht abgesprochen werden kann.

3. Zur Aufhebung des Entscheides muss man jedoch auch deshalb gelangen, weil die Legitimation der Beschwerdeführer betreffend der privatrechtlichen Einsprachegründe gegeben ist. Dafür genügt es nämlich, wenn eine übermässige Einwirkung des Bauvorhabens auf die Liegenschaften der Beschwerdeführer geltend gemacht wird. Die materielle Beurteilung hat zu zeigen, ob die Klage berechtigt ist (vgl. TVR 2004 Nr. 33, bestätigt durch BGE 1P.164/2004, E. 2.3).Über die privatrechtliche Einsprache hat der Gemeinderat in richtiger Anwendung von § 91 PBG separat entschieden. Auf den dagegen erhobenen Rekurs durfte das DBU demnach nicht einfach nicht eintreten.

Entscheid vom 20. April 2005

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