TVR 2005 Nr. 35
Kürzung beziehungsweise Einstellung von Unterstützungsleistungen
1. Verweigert ein Unterstützungsbedürftiger die Teilnahme an einem Beschäftigungsprogramm mit Hinweis auf ein Arztzeugnis, das von «Unfähigkeit unter den Bedingungen des freien Arbeitsmarktes zu funktionieren» spricht, so belegt gerade ein solches Attest die Richtigkeit der behördlichen Verpflichtung zur Teilnahme an einem Beschäftigungsprogramm im geschützten Rahmen.
2. Eine Verweigerung der Teilnahme hat vorübergehende Kürzung oder letztlich vorübergehende Einstellung der Unterstützungsleistungen zur Folge.
P (geboren 20. Mai 1985) sprach am 10. Dezember 2003 bei der Fürsorgerin der Gemeinde K vor. Sie wohnt seit dem 1. Juni 2003 in Wohngemeinschaft mit Q in einer 4-ZimmerWohnung in K (Pauschalmietzins inklusive Nebenkosten Fr. 950.– pro Monat). Wie sich ergab, hatte sie aufgrund ungenügender Beitragszeit keinen Anspruch auf Arbeitslosenversicherungsleistungen. Sie wurde deshalb im Sinne einer Notfallunterstützung mit finanzieller Hilfe unterstützt. Ab Januar 2004 bemühte sich die Fürsorgekommission, P in eine Beschäftigungsstruktur zu bringen. Ein Einsatz im Opdi-Werk scheiterte nach 11/2 Tagen. Aufgrund nicht tolerierbaren Verhaltens Ps stellte die Fürsorgebehörde die Unterstützung per 31. Mai 2004 ein, nachdem sie vorher die Leistungen gekürzt hatte. Das DJS wies den Rekurs ab. Auch das Verwaltungsgericht weist ab.
Aus den Erwägungen:
2. a) Verfügt jemand nicht über hinreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes für sich und seine Angehörigen mit gleichem Wohnsitz, sorgt die Gemeinde für die notwendige Unterstützung, sofern vom Hilfsbedürftigen nicht verlangt werden kann, sich die Mittel durch eigene Arbeit zu beschaffen und keine andere Hilfe möglich ist (§ 8 SHG). Für Arbeitslose, die keine Taggeldansprüche besitzen, können die Gemeinden alleine oder zusammen mit anderen Gemeinden oder privaten Trägerschaften Beschäftigungsprogramme durchführen. Die Kostenübernahme für die Teilnahme an einem Beschäftigungsprogramm gilt als materielle Hilfe (§ 8a SHG). Hilfsbedürftige können zur Aufnahme einer zumutbaren Arbeit auf dem freien Markt oder im Rahmen eines Beschäftigungsprogrammes verpflichtet werden. Bei Weigerung wird die Unterstützung gekürzt oder eingestellt (§ 8b SHG).
b) Auf diese Bestimmungen beruft sich die Fürsorgekommission. Das stellt der Rechtsvertreter nicht grundsätzlich in Frage, sondern wirft nur ein, seine Mandantin sei nicht arbeitsscheu, sondern vielmehr arbeitsunfähig, wofür er sich auf die «ärztliche Bescheinigung» von Dr. med. R vom 14. September 2004 beruft, die wie folgt lautet: «P befindet sich seit dem 3. Juni 2004 bis auf weiteres bei uns in ambulanter Behandlung und ist/war vom 3. Juni 2004 bis 1. Oktober 2004 zu 100% arbeitsunfähig. Bemerkungen: Die Arbeitsunfähigkeit besteht aufgrund einer dekompensierten Persönlichkeitsstörung, deren Wurzeln in der Kindheit liegen und die zunehmend symptomatisch wurde. Sie hat zu erheblichen Schwierigkeiten bei der schulischen Ausbildung geführt und danach zu einer Unfähigkeit unter den Bedingungen des freien Arbeitsmarktes zu funktionieren. Deshalb ist davon auszugehen, dass die oben attestierte Arbeitsunfähigkeit bereits vor Beginn der Behandlung bestand, d.h. seit dem Eintritt in das Berufsalter.»
Der Rechtsvertreter bringt vor, dass die Vorinstanzen mit der Begründung, sie sei arbeitsscheu, beziehungsweise mit der verfügten Disziplinierung leichthin darüber hinweg sähen, dass sie arbeitsunfähig gewesen sei. Bereits anfangs 2004 habe sie der Fürsorge K mehrere Zeugnisse vorgelegt, die die Arbeitsunfähigkeit bestätigt hätten. Seit dem 3. Juni 2004 werde sie von Dr. med. R betreut.
c) Gemäss § 56 Abs. 1 VRG können mit der Beschwerde Rechtsverletzungen, welche für die Beurteilung einer Streitsache von Bedeutung sind, sowie unrichtige und unvollständige Feststellung des Sachverhalts geltend gemacht werden. Im Verwaltungsgerichtsverfahren können neue Tatsachen geltend gemacht werden, soweit dies durch den angefochtenen Entscheid nötig wird (§ 58 Abs. 2 VRG).
aa) Unvollständige Feststellung des Sachverhalts wird indirekt dadurch geltend gemacht, als auf die ärztlichen Zeugnisse von Dr. med. S betreffend Arbeitsunfähigkeiten vom 2./3. Februar 2004 und vom 20. bis 27. Februar 2004 hingewiesen wird, ebenso durch den Hinweis im Rekurs, wonach sie sich in einer schwierigen Situation befinde und deshalb auch in ärztlicher Behandlung sei. Letzteres wird durch das Schreiben Dr. med. R vom 6. Juli 2004 an den Sozialdienst K insofern bestätigt, als eine Behandlung ab 3. Juni 2004 ausgewiesen und darauf hingewiesen wird, dass Ps psychische Belastbarkeit derzeit stark eingeschränkt sei, weshalb konfrontative Auseinandersetzungen mit ihr zu vermeiden seien und notwendige persönliche Besprechungen so kurz und sachlich wie möglich durchgeführt werden sollten. Für den Zeitpunkt der Einstellung der Sozialhilfe – nämlich für den 31. Mai 2004 – sind diese Hinweise nun aber keineswegs dergestalt, dass den Vorinstanzen gewissermassen der Vorwurf zu machen wäre, sie hätten den Sachverhalt bezüglich Gesundheit unvollstndig abgeklärt oder festgestellt. Vielmehr hat das Sozialamt die Situation Ps klar erkannt (vgl. nachfolgend E. 2c, bb).
bb) Das DFS weist andererseits mit Recht darauf hin, dass das Verwaltungsgericht grundsätzlich über die Rechtmässigkeit des angefochtenen Entscheides zu urteilen habe und neue Tatsachen nur im Rahmen von § 58 Abs. 2 VRG geltend gemacht werden könnten. Ein Fall von § 58 Abs. 2 VRG liegt jedoch offensichtlich nicht vor.
Gleichwohl kann es vorab die Prozessökonomie in einzelnen Sachbereichen (so z.B. im Ausländerrecht) gebieten, neue Tatsachen zu würdigen (vgl. Cavelti, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton St. Gallen – dargestellt an den Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, 2. Aufl., St. Gallen 2003, § 28, Rz 636 ff.). Ob das auch für den Sozialhilfebereich zutrifft, kann offen gelassen werden, da eine materielle Beurteilung des Zeugnisses vom 14. September 2004 sowieso offenbart, dass dieses nicht geeignet ist, an der Rechtmässigkeit der Kürzung/Einstellung etwas zu ändern. Abgesehen davon, dass dieses Zeugnis eine zurückliegende Feststellung wiedergibt, spricht es nur vage von einer «Arbeitsunfähigkeit mit dem Eintritt in das Berufsalter». Auch das ist mit mehreren Fragezeichen zu versehen, hat doch P beispielsweise nach eigenen Angaben im Herbst 2003 in einem PC-Büro gearbeitet. Zentral aber ist, dass von einer «Unfähigkeit, unter den Bedingungen des freien Marktes zu funktionieren» die Rede ist. Genau das hat das Sozialamt schnell und kompetent erkannt und angegangen, indem es P zur Teilnahme an einem Beschäftigungsprogramm (Opdi-Werk / HEKS) anhielt, im Wissen darum, dass sie sich auf dem freien Markt nicht zurecht finden würde. Das hat sich ja in mehreren Gesprächen verdeutlicht und auch bestätigt. (...) Für eine Arbeit in einem Hilfswerk und damit im geschützten Rahmen (was P ja durch die IV-Anmeldung ebenso erreichen wollte) muss aber klarerweise unabhängig einer allfälligen Arbeitsunfähigkeit der beschriebenen Art für eine Arbeit auf dem freien Arbeitsmarkt von ihrer vollen Einsatzfähigkeit ausgegangen werden. Wer das verweigert, dem ist die Unterstützung zu kürzen oder diese einzustellen (vgl. § 8b SHG).
cc) Das entsprechende Vorgehen des Sozialamtes ist somit keineswegs zu beanstanden. So war die Kürzung allein Folge der mangelnden Zusammenarbeit für einen Einsatz beim HEKS. Auch die weitere Entwicklung bis zur Einstellung der Unterstützung spricht Bände. Diese Entwicklung wird auch keineswegs bestritten.
d) Wenn die Beschwerdeführerin vortragen lässt, die Vorinstanzen hätten ihre Bemühungen um eine berufliche Integration nicht gewürdigt und insbesondere die Stellenbewerbungen mit keinem Wort erwähnt, so wird übersehen, dass es für das Sozialamt offensichtlich war, dass dies zum Scheitern verurteilt sein musste. Schliesslich setzt sich die Beschwerdeführerin ja selbst in Widerspruch zu ihrem neu eingereichten Arztzeugnis, das ihr völlige Arbeitsunfähigkeit auf dem freien Markt attestiert. Eine weitere Stellungnahme erübrigt sich.
e) Nachdem die heutige Situation der Beschwerdeführerin dem Verwaltungsgericht nicht bekannt ist, besteht auch kein Anlass, sich zur Kürzung und zur Frage der Befristung der Einstellung auszusprechen. Bei einer entsprechenden Integration in ein Beschäftigungsprogramm dürften wohl Unterstützungsleistungen im Rahmen des Gesetzes und der Praxis wieder gewährt werden.
Entscheid vom 16. Februar 2005