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TVR 2006 Nr. 12

Keine Gerichtsferien in Verfahren betreffend Erteilung oder Verweigerung einer Baubewilligung


Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 24 RPG, § 63 Abs. 4 VRG


1. Die Ausnahme von der Gerichtsferienregelung gilt auch dann, wenn mit der Verweigerung einer Bewilligung einer eigenmächtig ausserhalb der Bauzonen erstellten Baute gleichzeitig deren Abbruch verfügt wird (was zulässig ist, E. 4.3 und 5.1 des Urteils des Bundesgerichtes).

2. Aufgrund der Verknüpfung von verweigerter Baubewilligung und Abbruchbefehl kann nicht davon ausgegangen werden, der Beschwerdeführer habe erwarten müssen, dass die Regelung von § 63 Abs. 4 VRG Anwendung findet, ohne dass er vor dem Nichteintretensentscheid wegen verspäteter Beschwerdeeinlegung angehört worden wäre (E. 4.1 und 4.3 des Urteils des Bundesgerichtes). Heilung des Mangels im bundesgerichtlichen Verfahren (E. 4.4 des Urteils des Bundesgerichts).


C ist Eigentümer eines Grundstücks in der Landschaftsschutzzone. Anlässlich einer Baukontrolle stellte die Gemeinde F fest, dass C auf seinem Grundstück ein einstöckiges Holzhaus mit Pultdach erstellt hatte, ohne im Besitze einer Baubewilligung zu sein. Die Gemeinde verfügte einen Baustopp, worauf C ein Baugesuch einreichte. Dieses lag öffentlich auf, worauf zwei Verbände gemeinsam Einsprache erhoben. Mit Entscheid vom 18. März 2004 verweigerte das Amt für Raumplanung die nachträgliche Bewilligung. Die Gemeinde F verweigerte die Baubewilligung ebenso und verpflichtete C, die Baute innert der Frist von 30 Tagen ab Rechtskraft abzubrechen und den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen. Dagegen erhob C Rekurs beim DBU. Dieses hiess teilweise gut und wies die Sache im Sinne der Erwägungen an die Gemeinde F zurück. Gegen den am 8. Dezember 2004 vom Rechtsvertreter Cs entgegengenommenen Entscheid des DBU wurde mit Eingabe vom 10. Januar 2005 Beschwerde beim Verwaltungsgericht erhoben. Dieses tritt darauf nicht ein.

Aus den Erwägungen:

1. b) Gemäss § 57 Abs. 1 VRG ist die Beschwerdeschrift innert 20 Tagen seit der Eröffnung des angefochtenen Entscheides bei der Beschwerdeinstanz einzureichen. Die Eröffnung des Entscheides erfolgte am 8. Dezember 2004. Der Tag, an dem ein Entscheid eröffnet wird, zählt bei der Fristenberechnung nicht; also begann die Frist von 20 Tagen am 9. Dezember 2004 zu laufen und endete am 28. Dezember 2004. Der Beschwerdeführer beruft sich jedoch auf § 63 Abs. 1 und 2 VRG, wonach die Frist als bis zum siebten Tag nach dem Ende der Gerichtsferien als verlängert gilt, da der Ablauf der Frist in die Weihnachtsferien vom 21. Dezember bis 2. Januar fällt. Diese Gerichtsferienregelung gilt jedoch nach § 63 Abs. 4 VRG nicht im Verfahren betreffend Erteilung oder Verweigerung einer Bewilligung für Bauten und Anlagen. Dem vorliegenden Verfahren liegt jedoch ganz offensichtlich eine Verweigerung einer Bewilligung für eine Baute zugrunde. Demnach endete die Beschwerdefrist am 28. Dezember 2004 und die am 10. Januar 2005 der Post übergebene Beschwerde ist deshalb verspätet. Demnach ist darauf nicht einzutreten. Eine materielle Auseinandersetzung mit den Argumenten entfällt damit.

Entscheid vom 16. März 2005

C gelangte ans Bundesgericht, das die als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegengenommene Eingabe abweist.

Aus dessen Erwägungen:

4. Bevor der rechtlichen Würdigung des Verwaltungsgerichts zur Einhaltung der Beschwerdefrist nachgegangen werden kann, ist die verfahrensrechtliche Rüge des Beschwerdeführers zu prüfen. Er beklagt, sein rechtliches Gehör sei verletzt worden, weil er sich zur Einhaltung der Beschwerdefrist nicht im Rahmen eines zweiten Schriftenwechsels habe äussern können. 4.1 Der Beschwerdeführer rügt bezüglich des von ihm geforderten Replikrechts keine Verletzung des kantonalen Verfahrensrechts; deswegen ist mit freier Kognition zu prüfen, ob die aus Art. 29 Abs. 2 BV folgenden Minimalgarantien missachtet wurden (BGE 127 III 193 E. 3 S. 194; 126 I 19 E. 2a S. 22). Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst nach der bundesgerichtlichen Praxis dann ein Recht auf Replik, wenn in einer Beschwerdeantwort neue und erhebliche Gesichtspunkte enthalten sind, zu denen der Beschwerdeführer noch nicht Stellung nehmen konnte (BGE 114 Ia 307 E. 4b S. 314). Dies ist der Fall, wenn die Eingabe einer Gegenpartei nach pflichtgemässer Beurteilung der verfahrensleitenden Instanz neue und möglicherweise umstrittene rechtserhebliche Vorbringen enthält (Urteil 1A.43/2004 vom 19. August 2004 E. 2.4).
Unter den erwähnten Voraussetzungen ist das rechtliche Gehör nicht nur zu Ausführungen zu gewähren, die sich auf Tatsachen beziehen; es kann auch um eine rechtliche Begründung gehen, die im bisherigen Verfahren nicht herangezogen wurde und mit deren Erheblichkeit der Beschwerdeführer im konkreten Fall nicht rechnen musste (BGE 130 III 35 E. 5 S. 39; 128 V 272 E. 5b/bb S. 278; 126 I 19 E. 2c/aa S. 22; 124 I 49 E. 3c S. 52).

4.2 Der Präsident des Verwaltungsgerichts stellte die Beschwerdeschrift am 11. Januar 2005 den Verfahrensbeteiligten zu und lud sie zur Stellungnahme ein; dabei stützte er sich unter anderem auf § 49 i.V. mit § 62 VRG. Nach § 49 Abs. 1 VRG/TG erfolgt die Einladung zur Stellungnahme, wenn sich die Beschwerde nicht zum vornherein als unzulässig oder unbegründet erweist. Der Präsident brachte in jenem Verfahrensstadium somit sinngemäss zum Ausdruck, dass er die Beschwerde nicht offensichtlich als verspätet erachtete. In der Beschwerde an das Verwaltungsgericht wurde geltend gemacht, das Rechtsmittel werde zufolge der Gerichtsferien rechtzeitig eingereicht. Die beiden Einsprecher wie das DBU machten hingegen darauf aufmerksam, dass die Gerichtsferien vorliegend gemäss § 63 Abs. 4 VRG nicht gelten würden; sie beantragten dem Gericht deshalb, auf die Beschwerde nicht einzutreten.

4.3 Die Sachumstände der Beschwerdeerhebung waren hier klar und unbestritten. Insoweit bestand keine Notwendigkeit, den Beschwerdeführer zum Versäumnis der Beschwerdefrist anzuhören (Urteil 1P.259/1996 vom 8. Juli 1996 E. 2c, in: Pra 85/1996 Nr. 217 S. 839). Wie sich im Nachhinein gezeigt hat, war indessen die Tragweite von § 63 Abs. 4 VRG umstritten. Dass es sich dabei um eine Rechtsfrage handelt, genügt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht, um von der Gewährung des rechtlichen Gehörs abzusehen.
Der prozessrechtliche Einwand, zu dem der Beschwerdeführer eine Anhörung beansprucht, ist neu und erheblich. Es bleibt zu prüfen, ob der Beschwerdeführer konkret mit der Prüfung der entsprechenden Verfahrensnorm rechnen musste. Er hatte sich in der Beschwerde an das Verwaltungsgericht zwar in allgemeiner Weise auf die Gerichtsferien berufen, aber den dagegen sprechenden § 63 Abs. 4 VRG nicht erörtert. Dieser Mangel gereicht ihm im vorliegenden Zusammenhang nicht zum Nachteil. Die hier betroffene Verknüpfung von verweigerter Baubewilligung und Abbruchbefehl ist in § 63 Abs. 4 VRG nicht ausdrücklich aufgeführt. Es kann daher nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer die Anwendbarkeit dieser Bestimmung bereits aufgrund der Gesetzeslektüre erwarten musste. Ausserdem wird weder geltend gemacht noch ist ersichtlich, dass eine veröffentlichte Gerichtspraxis zum Geltungsbereich von § 63 Abs. 4 VRG besteht. Folglich war der Beschwerdeführer nicht gehalten, Argumente gegen die Einordnung seines Falls unter diese Norm bereits in der Beschwerde vorzutragen. Bei pflichtgemässer Einschätzung hätte das Verwaltungsgericht ihm das Recht auf Replik einräumen müssen.

4.4 (...) Die Kognition des Bundesgerichts erweist sich im entscheidenden Punkt nicht enger als diejenige der Vorinstanz; demzufolge kann die Verletzung des rechtlichen Gehörs geheilt werden. 5. Der Beschwerdeführer meint, die Abbruchverfügung, die zusammen mit der Verweigerung der nachträglichen Baubewilligung erging, habe eine derartige Bedeutung, dass gesamthaft nicht mehr von einem reinen Baubewilligungsverfahren gesprochen werden könne; deshalb komme § 63 Abs. 4 VRG nicht zum Tragen. Die als Willkürrüge formulierte Argumentation ist frei zu überprüfen (E. 4.4).

5.1 Richtigerweise bestreitet der Beschwerdeführer nicht, dass seine Fahrnisbaute der Bewilligungspflicht im Sinne von Art. 22 i.V. mit Art. 24 RPG untersteht (vgl. dazu BGE 123 II 256 E. 3 S. 259; 113 Ib 314 E. 2c S. 316). Das Verfahren der nachträglichen Baubewilligung dient der Durchsetzung dieser Bewilligungspflicht (Alexander Ruch, Kommentar RPG, Zürich 1999, Art. 22 Rz. 8). In einem derartigen Verfahren lassen Art. 24 ff. RPG einerseits keinen Raum für eine kantonalrechtliche Bewilligung, mit welcher der Weiterbestand einer eigenmächtig erstellten Baute ausserhalb der Bauzone ermöglicht werden soll (Urteil 1A.180/2002 vom 19. November 2002 E. 2.1, in: SJ 2003 I S. 271). Anderseits darf nach der bundesgerichtlichen Praxis auch über die Rechtmässigkeit des Beseitigungsbefehls für eine solche Baute nicht ohne Prüfung ihrer Bewilligungsfähigkeit entschieden werden (BGE 123 II 248 E. 3a/bb S. 252 und E. 4b S. 255 f.). Art. 24 RPG bildet die Rechtsgrundlage, um die Wiederherstellung des früheren Zustands zu verlangen (BGE 111 Ib 213 E. 6 S. 226). Mit Blick darauf hat das entsprechende kantonale Recht (§ 101 Abs. 2 PBG) lediglich ausführenden Charakter.

5.2 Der Entscheid, ob die eigenmächtig erstellte Baute des Beschwerdeführers stehen bleiben darf oder abzubrechen ist, kann nicht von ihrer Bewilligungsfähigkeit gemäss Art. 24 RPG losgelöst werden. Aufgrund dieser bundesrechtlichen Vorgaben ist es sachlich richtig, dass das Verwaltungsgericht insgesamt von der Verweigerung einer Baubewilligung ausgegangen ist. Dies führt zur Anwendbarkeit von § 63 Abs. 4 VRG im vorliegenden Fall. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann es in diesem Kontext keine Rolle spielen, dass mehr als ein reines Baubewilligungsverfahren zur Diskussion stand.

Urteil vom 5. September 2005 (1P.272/2005)

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