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TVR 2006 Nr. 33

Unterstützungswohnsitz des Kindes


§ 4 Abs. 2 SHG, Art. 7 ZUG


Kommt es während der Trennungszeit der Eltern eines Kindes und vor der endgültigen Obhutszuteilung zu Kindesschutzmassnahmen und zur Fremdplatzierung des Kindes, so wird das Gemeinwesen unterstützungspflichtig, an dem das Kind zuletzt mit wenigstens einem Elternteil gemeinsamen Wohnsitz hatte.


Lea ist die Tochter der Eheleute V und R W. Sie wohnte zusammen mit ihren Eltern in H. Als die Mutter sich vom 10. Mai bis 14. August 2004 stationär in die Psychiatrische Klinik T begeben musste, verblieb Lea bei ihrem Vater und wurde – zumindest zeitweise – von einer im selben Haus wohnenden Tagesmutter betreut. Während des Aufenthaltes der Mutter in der Psychiatrischen Klinik hatten die Eltern beschlossen, sich zu trennen. Sie leiteten im Juli 2004 ein Eheschutzverfahren ein, gefolgt von separaten Ehescheidungsbegehren vom 13. und 24. September 2004. Nach dem Austritt aus der Klinik mietete die Mutter per 1. September 2004 eine 2-Zimmer-Wohnung in T.
In der Folge kam es zwischen den Eltern zu Meinungsdifferenzen darüber, bei wem die Tochter künftig wohnen solle. Mit Schreiben vom 1. September 2004 an die beiden Anwältinnen der Eltern im Eheschutzverfahren hielt die Vizepräsidentin des Bezirksgerichts Frauenfeld fest, die Eltern seien sich einig, dass Lea einstweilen bei der Mutter leben solle. Im Hinblick auf den erklärten Scheidungswillen der Eheleute stelle sich die Frage, ob eine Begutachtung von Lea und der Erziehungsfähigkeit beider Eltern notwendig sei. Es könne mit der Auftragserteilung an die Gutachter auch zugewartet werden, je nachdem, wie sich die Situation bei der Betreuung von Lea durch die Mutter entwickle. Die Anwältin des Vaters habe mitgeteilt, Lea solle am nächsten Wochenende (4./5. September 2004) der Mutter übergeben werden. Unbestrittenermassen hielt sich Lea ab 4./5. September 2004 bei der Mutter in T auf. Am 28. September 2004 erliess die Vizepräsidentin (auf übereinstimmenden Antrag beider Eheleute hin) im Rahmen des Ehescheidungsverfahrens eine superprovisorische Massnahmeverfügung folgenden Inhalts: Beiden Eltern wurde die elterliche Obhut entzogen und für Lea eine Erziehungsbeistandschaft errichtet. Der Erziehungsbeistand wurde angewiesen, bis zum 17. Oktober 2004 eine geeignete Fremdplatzierung für Lea zu finden. Aufgrund dieser Anordnung bestellte die Vormundschaftsbehörde T den Amtsvormund zum Erziehungsbeistand. Lea wurde ab 16. Oktober 2004 in der Pflegefamilie I untergebracht, wo sie sich offenbar bis heute befindet.
Die Fürsorgekommission T kam ab Anfang Oktober 2004 für die Betreuungs- und Lebenshaltungskosten von Lea auf, da die Vormundschaftsbehörde die Umsetzung des gerichtlich angeordneten Obhutsentzuges zu vollziehen begonnen und die Mutter ab 1. September 2004 in T Wohnsitz genommen hatte. Nach getätigten Abklärungen gelangte die Fürsorgekommission dann aber zur Ansicht, sie habe sich betreffend ihrer Zuständigkeit für die Unterstützung von Lea geirrt. Mit Schreiben vom 26. November 2004 stellte sie darum bei der Fürsorgekommission H ein Richtigstellungsbegehren im Sinne von § 25 SHG mit dem Antrag, ihr die bisher zu Unrecht erbrachten Unterstützungsleistungen zu ersetzen. Die Fürsorgekommission H habe zudem umgehend der Pflegefamilie I für den Aufenthalt von Lea Kostengutsprache zu erteilen und künftig die ungedeckten Kosten für sie zu übernehmen.
Dagegen erhob die Fürsorgekommission H erfolglos Einsprache und danach Rekurs beim DFS, das abwies. Auch das hierauf angerufene Verwaltungsgericht weist ab.

Aus den Erwägungen:

2. a) Laut Art. 12 Abs. 1 und 3 ZUG obliegt die Unterstützung der Schweizer Bürger dem Wohnkanton, wobei der Kanton das unterstützungspflichtige Gemeinwesen und die zuständige Fürsorgebehörde bezeichnet. Im Kanton Thurgau regelt das SHG das Unterstützungs- und Fürsorgewesen. Gemäss § 4 Satz 1 SHG ist die Wohnsitzgemeinde zuständig für die Unterstützung Bedürftiger. Die Gemeinde des Aufenthaltsortes ist zuständig, solange die Wohnsitzgemeinde nicht feststeht oder wenn jemand unaufschiebbar der Hilfe bedarf (§ 4 Satz 2 SHG). Wohnsitz und Aufenthalt bestimmen sich nach den Vorschriften des ZUG (§ 4 Abs. 2 SHG).
Gemäss Art. 7 Abs. 1 ZUG teilt das unmündige Kind, unabhängig von seinem Aufenthaltsort, den Unterstützungswohnsitz der Eltern oder jenes Elternteils, unter dessen Gewalt es steht. Wenn die Eltern keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, teilt es den Unterstützungswohnsitz jenes Elternteils, bei dem es wohnt (Art. 7 Abs. 2 ZUG). Das Kind hat gemäss Art. 7 Abs. 3 ZUG in folgenden Fällen einen eigenen Unterstützungswohnsitz (lit. b ist vorliegend nicht relevant):
- am Sitz der Vormundschaftsbehörde, unter deren Vormundschaft es steht (lit.a)
- am letzten Unterstützungswohnsitz nach den Abs. 1 und 2, wenn es dauernd nicht bei den Eltern oder bei einem Elternteil wohnt (lit. c)
- an seinem Aufenthaltsort in den übrigen Fällen (lit. d).

b) Unbestritten ist, dass die Familie W vorerst ihren zivilrechtlichen (und damit auch sozialhilferechtlichen) Wohnsitz in H hatte. Am 1. September 2004 begründete die Mutter mit dem Bezug ihrer 2-Zimmer-Wohnung einen eigenen Wohnsitz in T. Unbestritten ist weiter, dass Lea bis 4. oder 5. September 2004 bei ihrem Vater in H verblieb und dessen Wohnsitz teilte. Mit Verfügung vom 28. September 2004 wurde beiden Elternteilen die elterliche Obhut entzogen und Lea begründete damit (da kein Elternteil mehr über die elterliche «Gewalt» verfügte), und nicht erst mit der Unterbringung in der Pflegefamilie I Mitte Oktober 2004, einen eigenen Unterstützungswohnsitz im Sinne von Art. 7 Abs. 3 ZUG.
Das ZUG unterscheidet unter anderem auch in Art. 7 Abs. 3 zwischen dem Wohnsitz und dem blossen Aufenthaltsort. Dem Aufenthaltsort kommt aber nur subsidiäre Bedeutung zu, indem dieser den eigenen Unterstützungswohnsitz des unmündigen Kindes nur dann bestimmt, wenn sich in Anwendung der lit. a-c von Art. 7 Abs. 3 ZUG kein anderer Unterstützungswohnsitz ermitteln lässt. Der Auffangtatbestand von Art. 7 Abs. 3 lit. d ZUG ist aber vorliegend keinesfalls notwendig. Zweifelsfrei besteht ein «letzter Unterstützungswohnsitz» gemäss Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG, nämlich bis mindestens 4./5. September 2004 am Wohnsitz des Vaters in H, ab diesem Datum eventuell bei der Mutter. Anwendbar für die Bestimmung der unterstützungspflichtigen Gemeinde ist somit primär Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG. Deshalb stellt sich die Frage, wo sich am 28. September 2004 der letzte Unterstützungswohnsitz gemäss Art. 7 Abs. 1 und 2 ZUG befand. Es ist also zu prüfen, ob Lea in der Zeit vom 4./5. September 2004 bis zum 28. September 2004, als sie sich bei ihrer Mutter aufhielt, dort im Sinne der Sozialhilfegesetzgebung auch gewohnt hat.

c) Das Schreiben der Vizegerichtspräsidentin an die Anwältinnen vom 1. September 2004 zeigt auf, dass sich alle Beteiligten (beide Eltern und die für das Massnahmeverfahren zuständige Vizegerichtspräsidentin) unsicher waren, ob die Mutter nach ihrem mehrmonatigen Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik mit der dauerhaften Betreuung ihrer Tochter nicht überfordert sein werde. Das bloss informelle Schreiben hat weder den von den Parteien beantragten Umzug von Lea zur Mutter sanktioniert, noch einen «Übergabetermin» festgelegt, wie dies die Beschwerdeführerin behauptet. Es wäre kaum die Einholung eines kinderpsychiatrischen Gutachtens sowie eine Abklärung der Erziehungsfähigkeit der Eltern in Aussicht gestellt worden, wenn bereits damals klar gewesen wäre, dass Lea ab anfangs September 2004 dauerhaft zur Mutter ziehen dürfe. Die Vizegerichtspräsidentin hat denn auch keine Zweifel darüber aufkommen lassen, dass sie es sein werde, die im Sinne des Kindswohls darüber entscheide, wo sich Lea bis zur Scheidung der Eltern und danach aufhalte. Diesen Entscheid hat sie mit superprovisorischer Anordnung vom 28. September 2004 mitgeteilt, indem sie beiden Eltern (offenbar auf deren übereinstimmenden Antrag hin) die elterliche Obhut entzog, eine Erziehungsbeistandschaft errichtete und eine geeignete Fremdplatzierung von Lea verfügte.
Der Aufenthalt von Lea bei ihrer Mutter war somit lediglich vorübergehender Natur und damit nicht geeignet, einen abgeleiteten Unterstützungswohnsitz nach Art. 7 Abs. 3 lit. c i.V. mit Art. 7 Abs. 2 ZUG in T zu begründen. Damit befand sich am 28. September 2004 der letzte Unterstützungswohnsitz von L im Sinne von Art. 7 Abs. 2 ZUG bei ihrem Vater in H, was zur Folge hat, dass diese Gemeinde für die aufgelaufenen und auch für die künftigen Unterstützungskosten aufzukommen hat.

Entscheid vom 22. Februar 2006

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