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TVR 2006 Nr. 4

Kündigung eines Gemeindeangestellten, anwendbares Recht, Entschädigungspflicht und -höhe, Beweiserhebung durch die Rekursinstanz


§ 33 GemG, § 21 Abs. 1 RSV, § 26 Abs. 1 RSV, § 12 Abs. 1 VRG


1. Nimmt ein Angestellter einer Gemeinde öffentlich-rechtliche Aufgaben wahr, so ist die Kündigung des Anstellungsverhältnisses immer zu begründen. Dies gilt selbst dann, wenn das Personalreglement der Gemeinde ausdrücklich auf das Obligationenrecht verweist, wo die Kündigung ohne Angabe von Gründen möglich ist (E. 3 a–c).

2. Der Verweis des kommunalen Personalreglements auf das Obligationenrecht führt für die Frage der Entschädigungspflicht zur Anwendung von Art. 336 OR. Da die Aufzählung dort nicht abschliessend ist, ist in analoger Anwendung von § 26 Abs. 1 RSV bei Kündigung ohne sachlichen Grund Missbräuchlichkeit und damit die Entschädigungspflicht anzunehmen (E. 3c).

3. Hält die Personalrekurskommission einen Sachverhalt für nicht erwiesen, so hat sie nötigenfalls von sich aus ein Beweisverfahren durchzuführen (E. 3d).

4. Nach einer Anstellungsdauer von 6 Monaten und einer Freistellung nach bereits 4 Monaten sprengt eine Entschädigung von 6 Monatslöhnen bei einer Kündigung ohne sachlichen Grund auf jeden Fall den Grundsatz der Verhältnismässigkeit (E. 3e bb).


S wurde per 1. März 2005 bei der Politischen Gemeinde W als Amtsvormund und Leiter des Sozialamtes angestellt. Der Anstellungsvertrag verweist auf das Personalreglement der Gemeinde sowie das Obligationenrecht als ergänzendes Recht. Zwischen den Parteien ergaben sich schon bald Schwierigkeiten, so dass S am 28. Juni 2005 freigestellt wurde. Am 21. Juli 2005 kündigte die Gemeinde das Anstellungsverhältnis auf den 31. August 2005. Den hiergegen erhobenen Rekurs hiess die Personalrekurskommission insofern gut, als sie feststellte, dass das Arbeitsverhältnis zwar am 31. August 2005 geendet habe. Wegen missbräuchlicher Kündigung habe die Gemeinde jedoch eine Entschädigung von 6 Monatslöhnen zu bezahlen. Die hiergegen von der Gemeinde erhobene Beschwerde heisst das Verwaltungsgericht teilweise gut.

Aus den Erwägungen:

3. a) Zu beurteilen sind die Folgen eines aufgelösten Arbeitsverhältnisses, das mit Anstellungsvertrag vom 20./24. Dezember 2004 zwischen der Beschwerdeführerin und dem verfahrensbeteiligten S begründet wurde. Dabei stellt sich zunächst die Frage, welche Rechtsgrundlage zur Beurteilung heranzuziehen ist. § 33 GemG bestimmt Folgendes: «Soweit keine kantonalen Regelungen zur Anwendung kommen und die Gemeinden keine eigenen vorsehen, gelten für das Gemeindepersonal die Bestimmungen für das Staatspersonal sinngemäss.» Die Botschaft des Regierungsrates zum GemG hält zu § 33 (damals noch § 32) fest, dass den Gemeinden hinsichtlich der Gestaltung der Dienstverhältnisse grundsätzlich freie Wahl gelassen werde. Es stehe ihnen frei, ob sie jemanden als Beamten auf Amtsdauer wählen oder aber durch behördlichen Entscheid, durch öffentlich-rechtlichen oder durch privatrechtlichen Vertrag beschäftigen wollen. Soweit keine kantonalen Regelungen zur Anwendung kämen – wie beispielsweise für Lehrerinnen und Lehrer – könnten die Gemeinden das anwendbare Dienstrecht demnach frei festlegen. Subsidiär, also wenn die Gemeinden keine Regelungen träfen, gälten die Bestimmungen für das Staatspersonal sinngemäss (Botschaft des Regierungsrates zum GemG vom 26. Mai 1998).

b) Die PG W hat ein relativ ausführliches Reglement über die Anstellungsbedingungen (nachfolgend: Reglement) erlassen. Der Anstellungsvertrag zwischen der Beschwerdeführerin und dem Verfahrensbeteiligten verweist in Ziff. 6 ausdrücklich auf diese Anstellungsbedingungen und hält darüber hinaus fest, im Übrigen gälten die Bestimmungen zum Anstellungsvertrag im Schweizerischen Obligationenrecht (Art. 319 ff. OR).
Gemäss den Bestimmungen des OR über den Arbeitsvertrag kann eine Kündigung ohne nähere Begründung ausgesprochen werden. Erst auf Verlangen hin muss die Kündigung schriftlich begründet werden (Art. 335 Abs. 2 OR). Demgegenüber verlangt das öffentlich-rechtliche Dienstrecht regelmässig einen sachlich zureichenden Grund, damit eine ordentliche Kündigung ausgesprochen werden kann (vgl. für das kantonale Dienstrecht § 21 RSV). Im liberalen Kündigungsrecht des OR muss bei einer Kündigung nur dann eine finanzielle Entschädigung ausgerichtet werden, wenn sich diese als missbräuchlich erweist. Nach öffentlich-rechtlichen Regeln zieht die Kündigung eines Dienstverhältnisses eine Entschädigung nach sich, wenn kein sachlich zureichender Grund vorhanden ist (§ 26 Abs. 1 RSV, für die Gemeinden i.V. mit § 33 GemG). Lehre und Rechtsprechung sind sich allerdings darin einig, dass selbst dann, wenn eine Gemeinde auf ihr Arbeitsverhältnis grundsätzlich das Obligationenrecht angewendet haben will, eine grundlose Kündigung analog dem OR jedenfalls so lange nicht folgenlos möglich ist, als aufgrund des Anstellungsverhältnisses öffentlich-rechtliche Aufgaben zu übernehmen sind. Die «Flucht ins Privatrecht» verschafft den Gemeinden nicht eine grenzenlose Flexibilität und einen unbegrenzten Handlungsspielraum in Personalfragen, sind sie doch bei ihrem gesamten Handeln von Verfassungs wegen an die Beachtung verschiedener Mindestgrundsätze gebunden. Unter diesem Aspekt wäre beispielsweise eine ohne sachliche Begründung ausgesprochene Kündigung aufgrund des aus Art. 4 der Bundesverfassung abgeleiteten Willkürverbots nicht haltbar (Arn in: Kommentar zum GemG des Kantons Bern, Bern 1999, Art. 32 N. 10; Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 26. August 2003 i.S. E.Z. gegen Politische Gemeinde R.). Nur wenn ein Arbeitnehmer keinerlei öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnimmt, wie dies etwa bei einem Abwart der Fall sein kann, ist es denkbar, dass ein solches Vertragsverhältnis einzig unter dem Gesichtspunkt des Zivilrechts beurteilt wird (vgl. hierzu RBOG 2005, Nr. 36). Ein solches, rein privatrechtliches Anstellungsverhältnis wird jedoch vorliegend von keiner Seite behauptet.

c) Während S der Auffassung ist, das Kündigungsschreiben habe überhaupt keine Gründe genannt, gelangte die Vorinstanz zur Ansicht, solche würden zwar erwähnt, doch seien dem Verfahrensbeteiligten keine konkreten Mängel genannt und dafür auch keine Beweise erbracht worden.
Auch wenn als Zwischenergebnis festgehalten werden kann, dass gegenüber einem Angestellten einer Gemeinde grundsätzlich eine Begründungspflicht besteht – jedenfalls so lange er öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnimmt –, so stellt sich doch die Frage, was die Konsequenzen sind, wenn die Begründungspflicht verletzt wurde. Art. 4 des Reglements verweist auf die Grundsätze des Obligationenrechts und dieses kennt nur eine Entschädigungspflicht bei missbräuchlicher Kündigung. Die Missbrauchsgründe sind in Art. 336 OR aufgezählt. Die Aufzählung der Missbrauchsgründe in Art. 336 ist allerdings nicht abschliessend. Der Gekündigte kann sich stets darauf berufen, die Kündigung sei (grundsätzlich) missbräuchlich (Rehbinder/Portmann in Basler Kommentar, 3. Aufl., Basel/Genf/München 2003, Art. 336, N. 21). Vorliegend rechtfertigt es sich, § 26 Abs. 1 RSV analog anzuwenden, der Anspruch auf eine Entschädigung also nicht nur bei missbräuchlicher Kündigung, sondern auch bei einer Kündigung ohne sachlich zureichenden Grund vorsieht. Ob ein sachlich zureichender Grund vorlag, wie dies § 21 RSV vorschreibt, ist offen, denn die Vorinstanz hat nicht geprüft, ob überhaupt Kündigungsgründe vorhanden sind.

d) Die Vorinstanz ist der Auffassung, da die Beschwerdeführerin keine konkreten Mängel genannt und für diese auch keine Beweise erbracht habe, misslinge ihr der Beweis eines hinreichenden Grundes für die Kündigung, weshalb von der Missbräuchlichkeit der Kündigung auszugehen sei. Diese Auffassung lässt sich jedoch nicht halten. Die Vorinstanz ist eine Rekurskommission, die den Sachverhalt grundsätzlich von Amtes wegen abzuklären hat (§ 12 Abs. 1 i.V. mit § 53 VRG). Ihr kommt auch das Recht zu, Zeugenbefragungen durchzuführen (§ 12 Abs. 2 VRG). Vor einer Rekurskommission können alle Mängel des Verfahrens und des angefochtenen Entscheids geltend gemacht werden und neue Begehren verfahrensrechtlicher Art sowie neue tatsächliche Behauptungen und die Bezeichnung neuer Beweismittel sind ohne weiteres zulässig (§ 47 Abs. 1 und 3 VRG). Wenn daher die Vorinstanz einen Sachverhalt für nicht erwiesen hielt, so wäre es ihre Sache gewesen, ein Beweisverfahren durchzuführen. Vorliegend hätte sich insbesondere die Befragung von Zeugen aufgedrängt. Deren Nennung ist zwar Sache der Parteien, doch wäre die Vorinstanz verpflichtet gewesen, die entsprechenden Beweissätze in einem Beweisbeschluss zu formulieren. Sowohl von der Beschwerdeführerin als auch von S wurden entsprechende Zeugenbeweise angeboten. Gerade der hier zu beurteilende Sachverhalt dürfte ohne die Durchführung entsprechender Zeugeneinvernahmen kaum zu beurteilen sein.
(...)

bb) Die Vorinstanz hat die Beschwerdeführerin verpflichtet, dem Verfahrensbeteiligten eine Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung in der Höhe von sechs Monatslöhnen, also einem halben Jahressalär, zu bezahlen. Dies nach einer Anstellungsdauer von lediglich sechs Monaten und nachdem der Verfahrensbeteiligte bereits nach vier Monaten freigestellt worden war. Ohne weitere Prüfung der konkreten Umstände lässt sich sagen, dass eine so hohe Entschädigung nach so kurzer Anstellungsdauer den Grundsatz der Verhältnismässigkeit sprengt.

Entscheid vom 30. August 2006

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