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TVR 2007 Nr. 36

Zumutbarkeit der Rückzahlung von Sozialhilfeleistungen


§ 19 Abs. 2 SHG


1. Die Prüfung der Zumutbarkeit besteht in der Gegenüberstellung von Ein­kommen und Ausgaben. Beim Einkommen ist grundsätzlich vom tatsächlich erzielten Einkommen auszugehen (E. 3b).

2. Zwar soll bei den anzuerkennenden Kosten eher ein grosszügiger Massstab angelegt werden. Ein selbst gewählter hoher Lebensstandard kann aber nicht berücksichtigt werden (E. 3c).


I bezog von Februar bis Juli 2000 insgesamt Fr. 14'619.70 an Fürsorge­leistungen. In der Folge verpflichtete sie die Gemeinde, den Betrag zurückzu­bezahlen. Gegen diesen Entscheid erhob I Rekurs beim DJS, das die grund­sätzliche Rückzahlungsverpflichtung bestätigte, jedoch monatliche Raten von Fr. 300.-- anordnete. Dagegen beschwerte sich I beim Verwaltungsgericht, das teilweise gutheisst und die monatlichen Raten auf Fr. 100.----festsetzt.

Aus den Erwägungen:

2. Die Beschwerdeführerin lässt zur Begründung ihrer Anträge vortragen, die Vorinstanz sei von einem anrechenbaren monatlichen Einkommen von Fr. 4'384.-- und monatlichen Ausgaben von Fr. 3’260.-- ausgegangen, was zu einem Überschuss von Fr. 1'124.-- führe. Tatsächlich betrügen jedoch die monatlichen Ausgaben Fr. 5'225.--. Zum einen sei auf § 8 SHV zu verweisen, welcher für das Sozialhilferecht die Anwendbarkeit der SKOS--Richtlinien statuiere. Aus diesen Richtlinien ergebe sich, dass bei der Prüfung der Frage, ob sich die finanzielle Situation eines ehemaligen Sozialhilfebezügers grund­sätzlich verbessert habe, auf der Ausgabenseite vom doppelten Grundbedarf auszugehen sei. Zum anderen habe sich die Beschwerdeführerin von ihrem Lebenspartner getrennt, so dass sie per 1. Oktober 2006 in Niederhasli eine eigene 21/2 Zimmerwohnung zu einem Mietzins von monatlich Fr. 1'600.-- plus Fr. 120.-- für einen Autoabstellplatz gemietet habe. Selbst wenn man nur den einfachen Grundbetrag und einen Mietzins von Fr. 1'400.-- einsetze, ergäben sich monatliche Ausgaben von Fr. 4'065.--. Bei einem monatlichen Überschuss von lediglich Fr. 319.-- könne in keinem Fall von einer erheblichen Ver­besserung der wirtschaftlichen Situation ausgegangen werden, was aber für die Rückerstattung bezogener Sozialhilfe vorausgesetzt werde.
Dem wird vom DFS entgegengehalten, der Kanton Thurgau habe die SKOS--Richtlinien, bei welchen es sich um blosse Empfehlungen handle, nicht für allgemein verbindlich erklärt. Der kantonale Gesetzgeber habe bezüglich der in Frage stehenden Rückzahlung bezogener Sozialhilfe keinen ausdrücklichen Verweis auf die SKOS--Richtlinien angebracht. Aufgrund der auseinanderge­gangenen Beziehung sei neu ein Grundbedarf für einen 1--Personenhaushalt von Fr. 960.-- massgebend. Die erheblich höheren Kosten für die neu gemiete­te Wohnung seien nicht zu berücksichtigen, da die Beschwerdeführerin bei der Wohnungssuche Rücksicht auf ihre finanziellen Verhältnisse und ihre latente Verpflichtung zur Rückzahlung der Sozialhilfe hätte nehmen müssen. Es sei daher weiterhin von einem Mietzins von Fr. 1'000.-- auszugehen. Somit ergebe sich neu ein Überschuss von Fr. 939.--, was immer noch genug sei, um die Zumutbarkeit zu bejahen.
Die Fürsorgekommission führt hierzu aus, der Mietzins für die neue Wohnung sei als zu hoch zu bewerten. Es gebe Zweifel an der Aussage, im weiteren Umkreis sei keine günstigere Wohnung zu finden. Aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse wäre zudem eine Wohnung in der Nähe des Arbeitsplatzes sinnvoll gewesen, so dass auf ein Auto hätte verzichtet werden können. Da die ausgewiesene Weiterbildung in «Selbst-- und Konflikt­management» nun beendet sei, dürfte es der Beschwerdeführerin zudem möglich sein, ihre finanzielle Situation mit einer Vollzeitstelle zu verbessern.

3. a) Nach § 19 Abs. 2 SHG ist derjenige, der nach dem vollendeten 18. Altersjahr Unterstützungsbeiträge bezogen hat, zur Rückerstattung ver­pflichtet, soweit ihm dies zumutbar ist. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Zumutbarkeit in § 19 Abs. 2 SHG ist auslegungsbedürftig. Dabei ist einerseits von der systematischen Einordnung dieser Bestimmung im Gesetz auszuge­hen, andererseits nach dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung zu fragen (TVR 1996, Nr. 28). Bezüglich Rückerstattungspflicht bestehen je nach Kan­ton unterschiedliche Regelungen, was aufgrund der Kompetenzzuweisung in Art. 26 ZUG nicht gegen übergeordnetes Recht verstösst. Einige Kantone verlangen die Rückerstattung nur, wenn sich die ehemals unterstützte Person in günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen befindet. Andere Kantone dage­gen – so auch der Kanton Thurgau – gehen vom Grundsatz der Rücker­stattung aller Leistungen aus, stellen im konkreten Fall jedoch auf das Kriterium der Zumutbarkeit ab. Unter thurgauischem Sozialhilferecht sind Fürsorgeleistungen mit anderen Worten eher zurückzuerstatten, als dies bei einer Regelung der Fall wäre, die «günstige wirtschaftliche Verhältnisse» vor­aussetzt. In den SKOS--Richtlinien wird mit Bezug auf die Zumutbarkeit ge­fordert, dass aus späterem Einkommen in der Regel keine Rückerstattung verlangt werden soll. In der Lehre wird ausgeführt, dass die Zumutbarkeit nicht gegeben sei, wenn die Rückerstattung mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einer erneuten Bedürftigkeit des Pflichtigen und seiner Familie führen würde. Einkünfte, die nur wenig über dem Existenzminimum lägen, vermöchten die Rückerstattungspflicht noch nicht auszulösen, weil dadurch die Motivation zur Selbsthilfe untergraben würde (Wolffers, Grundriss des Sozialhilferechts, Bern 1993, S. 178 f.). Mit anderen Worten kann die Rückerstattungspflicht erst beginnen, wenn sich die wirtschaftliche Lage der unterstützten Person grundlegend verbessert hat. In diesem Rahmen hat sich das Ermessen der Fürsorgebehörde zu bewegen. Dabei steht es ihr frei, ob sie mit Bezug auf die Zumutbarkeit der Rückerstattung die SKOS--Richtlinien, die darüber eben­falls Regelungen enthalten, anwenden will. Eine Verpflichtung der Gemeinde aus übergeordneter Gesetzgebung, die SKOS--Richtlinien auch bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Rückzahlung heranzuziehen, besteht aller­dings entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht. Die Regelung von § 8 SHV findet nur für die Berechnung der Bedürftigkeit zwingend Anwendung.

b) Die Prüfung der Zumutbarkeit besteht grundsätzlich in einer Gegen­überstellung von Einkommen und Ausgaben, was letztlich eine Antwort auf die Frage ermöglichen soll, ob ein ehemaliger Sozialhilfebezüger genügend freie Mittel hat, um Rückzahlungen zu leisten. Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass auf Seiten der Einnahmen nur vom aktuellen Einkommen ausgegangen werden kann. Für die Anrechnung eines fiktiven Einkommens besteht grundsätzlich kein Raum, jedenfalls so lange nicht, als nicht davon ausgegangen werden muss, dass dieses Einkommen zufolge eines Verhaltens wider Treu und Glauben künstlich niedrig gehalten wird, um so Rück­zahlungen zu vermeiden.
Die Beschwerdeführerin arbeitet in einem 70%--Pensum. Zudem hat sie bis im März Weiterbildungskurse besucht. Diese sind allerdings gemäss den Ak­ten in der Zwischenzeit abgeschlossen. Grundsätzlich ist mit der Vorinstanz von einem monatlich anrechenbaren Einkommen von Fr. 4'384.-- auszugehen.

c) Bei den anrechenbaren Kosten können selbstverständlich nicht die selbstge­wählten Kosten eines hohen Lebensstandards berücksichtigt werden. Viel­mehr ist für die Frage der Rückzahlung danach zu fragen, ob in Anbetracht des generierten Einkommens und der anzuerkennenden Ausgaben erneut eine Sozialhilfebedürftigkeit droht. Dabei soll in der Tat ein eher grosszügiger Massstab angelegt werden, weil dem ehemaligen Sozialhilfebezüger durch eine latente Rückzahlungspflicht nicht die Motivation genommen werden soll, sich in wirtschaftlich bessere Verhältnisse zu begeben. Die Anrechenbarkeit eines doppelten Grundbedarfs oder eines gemessen am Einkommen überrissenen Mietzinses sprengt jedoch den grosszügigen Massstab klarerweise.
Die Vorinstanz anerkannte die von der Beschwerdeführerin geltend gemach­ten Kosten für Krankenkasse (Fr. 237.--), für Berufsunkosten (Fr. 762.--), für Steuern (Fr. 386.--) sowie für Schuldentilgung (Fr. 100.--). Umstritten sind hin­gegen die Höhe des Grundbedarfs, der Wohnungsmiete (inkl. Parkplatz) sowie – neu von der Beschwerdeführerin geltend gemacht – Fr. 100.-- pro Monat für den Hund.
Nachdem sich die Beschwerdeführerin per Ende September/anfangs Oktober 2006 von ihrem ehemaligen Lebenspartner getrennt hat, ist ihr der normale Grundbedarf gemäss SKOS-Richtlinien in der Höhe von Fr. 960.-- anzuerken­nen. Gemäss der vorliegenden Vertragskopie beträgt der Wohnungsmietzins Fr. 1'600.-- pro Monat. Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe nachdem Auseinandergehen der Beziehung lediglich diese Wohnung in Niederhasli gefunden. Der Mietzins für eine Wohnung dieser Grösse sei ange­messen und nicht überhöht. Eine Dreizimmerwohnung rechtfertige sich auf­grund der Besuche der 16-jährigen Tochter. Die Vorinstanz hat bei den Sozialhilfebehörden Schöflisdorf und Dielsdorf Auskünfte bezüglich anre­chenbarer Mietzinse eingeholt. Für einen Einpersonenhaushalt wird überein­stimmend ein monatlicher Mietzins von Fr. 1'000.-- als Obergrenze angege­ben. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass offenbar die 16-jährige Tochter regel­mässig bei der Beschwerdeführerin übernachtet, weshalb hier durchaus ein etwas höherer Mietzins angerechnet werden kann. Die Vorinstanz hat diesbe­züglich ebenfalls Auskünfte bei den Sozialhilfebehörden in Schöflisdorf und Dielsdorf eingeholt. Dabei ergab sich für Schöflisdorf für einen 2-Personen­haushalt eine Obergrenze von Fr. 1'300.-- für Dielsdorf von Fr. 1'200.-- Eine Überprüfung im Internet hat ergeben, dass für den Preis von Fr. 1'300.-- tatsächlich 3-Zimmerwohnungen in Niederhasli erhältlich sind. Deshalb ist für die Beschwerdeführerin als monatlicher Mietzins dieser Betrag einzuset­zen. Der von der Beschwerdeführerin eingesetzte Betrag von Fr. 1’600.-- ist demgegenüber zweifelsfrei zu hoch.
Nachdem der Betrag für die Schuldentilgung in der Höhe von Fr. 100.-- pro Monat anerkannt ist, werden neu noch Fr. 100.-- pro Monat für den Hund, den die Beschwerdeführerin aus der auseinandergegangenen Partnerschaft über­nahm, geltend gemacht. Auch dieser Betrag ist der Beschwerdeführerin zuzu­gestehen. Dasselbe gilt mit Bezug auf die Frage des Parkplatzes, was Fr. 120.-- pro Monat ausmacht. Damit ergibt sich folgende Bedarfsrechnung:

Grundbedarf

Fr.

960.--

Wohnungsmiete

Fr.

1300.--

Krankenkasse

Fr.

237.--

Berufsunkosten

Fr

762.--

Steuern

Fr.

386.--

Schuldentilgung

Fr.

100.--

Hund

Fr.

100.--

Parkplatz

Fr.

120.--

Total

Fr.

3'965.--


Stellt man diesen Betrag dem monatlichen Einkommen von Fr. 4'384.-- gegenüber, so ergibt dies einen monatlichen Überschuss von Fr. 419.--. Ein sol­cher Überschuss muss als eher gering bezeichnet werden und würde tendenzi­ell auf Unzumutbarkeit jeglicher Rückzahlungsverpflichtung schliessen las­sen. Zur Beurteilung der Zumutbarkeit sind jedoch die gesamten Umstände des Falls und nicht nur die nackten Zahlen heranzuziehen. Auch wenn der Beschwerdeführerin konkret kein zusätzliches Einkommen angerechnet wer­den kann, so ist doch darauf hinzuweisen, dass sie – zumal ihr Aus- bezie­hungsweise Weiterbildungskurs bereits im März 2006 endete – nun in der Lage wäre, ein höheres Arbeitspensum zu leisten. Darauf verzichtet sie frei­willig, jedenfalls macht sie nicht geltend, sie hätte bereits versucht, sich um eine Vollzeitstelle zu bemühen, was aber nicht gelungen sei. Auch die von der Vorinstanz zwar anerkannten, jedoch grundsätzlich nicht ausgewiesenen Berufsunkosten von Fr. 762.-- erscheinen als relativ hoch. Weiter ist fraglich, ob die Beschwerdeführerin wirklich auf ein Auto und die damit verbundenen Kosten angewiesen ist, zumal die Gemeinde Niederhasli an das S-Bahnnetz der Stadt Zürich angebunden ist und sie selbst zentral wohnt. Die Beschwerdeführerin leistet sich somit offensichtlich einen gegenüber dem Sozialhilfeminimum deutlich erhöhten Lebensstandard, was bei der Beur­teilung ebenfalls zu berücksichtigen ist. Das Gericht hält es unter diesen Umständen trotz des relativ geringen rechnerischen Überschusses von Fr. 419.-- pro Monat für zumutbar, wenn die Beschwerdeführerin davon Fr. 100.-- für die Rückzahlung der von ihr bezogenen Sozialhilfe aufwendet. Dabei steht es der Gemeinde auch frei, die Einkommenssituation der Beschwerdeführerin jährlich zu überprüfen, um bei veränderten Verhält­nissen die Höhe des Abzahlungsbetrags anzupassen.

Entscheid vom 24. Januar 2007

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