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TVR 2007 Nr. 42

Leistungspflicht einer Vorsorgeeinrichtung bei schlei­chend sich entwickelnder Gesundheitsbeeinträchtigung


Art. 23 BVG


Damit eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu einer Leistungspflicht der Vorsorgeeinrichtung führt, muss sie sich auf das Arbeitsverhältnis auswirken oder ausgewirkt haben. Es muss mit anderen Worten arbeitsrechtlich in Erscheinung treten, dass der Versicherte an Leistungsvermögen eingebüsst hat, etwa durch gehäufte wiederkehrende gesundheitsbedingte Arbeitsausfälle.


Die IV-Stelle des Kantons Thurgau sprach dem 1944 geborenen C rückwir­kend ab 1. Dezember 2001 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu, dies bei einem Beginn der einjährigen Wartezeit am 1. Januar 2000. In diesem Zeitpunkt war C als Hilfsmonteur beim Werkhof der Gemeinde S angestellt (Dauer des Arbeitsverhältnisses: 1. November 1999 bis 30. April 2000) und bei deren Pensionskasse berufsvorsorgerechtlich versichert gewesen.
Am 7. Februar 2006 ersuchte C die Pensionskasse der Gemeinde S um Ausrichtung von Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge. Die Pensionskasse verneinte ihre Leistungspflicht mit der Begründung, er sei während sei­ner Anstellung von November 1999 bis April 2000 beim Werkhof nicht einen einzigen Tag krankheitshalber abwesend gewesen.
Am 8. Januar 2008 liess C beim Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht Klage gegen die Pensionskasse der Gemeinde S einreichen mit dem Rechts­begehren, die Beklagte sei zu verpflichten, ihm mit Wirkung ab 1. Dezember 2001 Renten auszurichten, zuzüglich 5% Verzugszins; eventualiter sei der Zeitpunkt des erstmaligen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur heutigen Invalidität geführt habe, gerichtlich festzustellen. Das Versiche­rungsgericht weist die Klage ab, soweit es darauf eintritt.

Aus den Erwägungen:

2.a) (Anwendbarkeit von Art. 23 BVG in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung.)

b) Gemäss Art. 23 BVG haben Personen, die im Sinne der Invalidenversicherung zu mindestens 50% invalid sind und bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, versichert waren, Anspruch auf Invalidenleistungen.
( ... ) Damit eine Vorsorgeeinrichtung, der ein Arbeitnehmer beim Eintritt der Arbeitsunfähigkeit angeschlossen war, für das erst nach Beendigung des Vorsorgeverhältnisses eingetretene Invaliditätsrisiko aufzukommen hat, ist erforderlich, dass zwischen Arbeitsunfähigkeit und Invalidität ein enger sach­licher und zeitlicher Zusammenhang besteht. In sachlicher Hinsicht liegt ein solcher Zusammenhang vor, wenn der der Invalidität zugrunde liegende Gesundheitsschaden im Wesentlichen derselbe ist, der zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat. Sodann setzt die Annahme eines engen zeitlichen Zusammen­hangs voraus, dass die versicherte Person nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht während längerer Zeit wieder arbeitsfähig wurde (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 15. September 2003, Fall-Nr. B 38/03).
Der Zeitpunkt, in welchem für das Entstehen des Anspruchs auf eine Invalidenleistung massgebende Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist, muss hin­länglich nachgewiesen werden, beziehungsweise es muss ein klarer Nachweis verlangt werden. Kann dieser Nachweis nicht erbracht werden, scheitert der Anspruch an der Beweislosigkeit (Stauffer, Berufliche Vorsorge, Zürich/ Basel/Genf 2005, Rz 744). Damit eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu einer Leistungspflicht der Vorsorgeeinrichtung führt, muss sie sich auf das Arbeitsverhältnis auswirken oder ausgewirkt haben. Es muss arbeitsrechtlich in Erscheinung treten, dass der Versicherte an Leistungsvermögen eingebüsst hat, so etwa durch Abfall der Leistungen mit entsprechender Feststellung, die allenfalls zu Ermahnungen führen, oder durch gehäufte, wiederkehrende gesundheitsbedingte Arbeitsausfälle (Stauffer, a.a.O., Rz 746). Auch im Bereich einer auf psychische Gründe zurückzuführenden Invalidität ist auf die arbeitsrechtlich zu Tage tretende Situation, also auf eine Arbeitsun­fähigkeit abzustellen. Darunter ist eine Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zu verstehen (Stauffer, a.a.O., Rz 731).

c) Aufgrund von Art. 23 BVG besteht eine grundsätzliche Bindung der obli­gatorischen beruflichen Vorsorge an den Invaliditätsgrad der IV (Bindungs­wirkung). Gemäss Art. 79 Abs. 1 lit. i IVV muss die Verfügung der IV-Stelle jedoch auch der Vorsorgeeinrichtung eröffnet werden. Diese ist zur Beschwerde legitimiert und kann etwa geltend machen, Invaliditätsgrad und -beginn seien falsch verfügt worden (Stauffer, a.a.O., Rz 730). Eine Vorsorgeeinrichtung ist in der obligatorischen Vorsorge nur dann an die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherung gebunden, wenn sie sich nicht als offensichtlich unhaltbar erweist. Diese Regel umfasst nicht nur die Höhe des Invaliditätsgrades, sondern auch den Zeitpunkt des Entstehens des Rentenanspruches (Stauffer, a.a.O., Rz 731). Im vorliegenden Fall ist die Verfügung der IV-Stelle vom 5. Juli 2005 trotz eingeleiteter Abklärung, wel­cher Vorsorgeeinrichtung der Kläger angehört hatte, nicht eröffnet worden. Eine Bindungswirkung besteht deshalb nicht.

d) Damit die Beklagte leistungspflichtig wird, muss beim Kläger bis zur Auflösung seines (ab 1. November 1999 bestehenden) Arbeitsverhältnisses per 31. Januar 2000 beziehungsweise innerhalb der einmonatigen Nach­deckungsfrist bis 29. Februar 2000 (im Folgenden als relevanter Zeitraum bezeichnet) eine Arbeitsunfähigkeit eingetreten sein, deren Ursache in einem heute noch andauernden Leiden liegt. Was der Kläger dazu vorträgt, ist nicht geeignet, ihm zum Erfolg zu verhelfen.

aa) Der Zeitpunkt, in welchem die Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist, muss – wie gesagt – nachgewiesen sein. Dieser Nachweis wird nicht erbracht durch den Bericht des Psychiatrischen Dienstes Thurgau vom 5. Februar 2005. Dort heisst es klar: «Der genaue Beginn kann rückwirkend nicht mehr eruiert wer­den, liegt aber nach der Kündigung 1998.»

bb) Auch aus dem Bericht des Hausarztes vom 26. September 2003, der den Kläger seit Oktober 1987 bis anhin anhaltend behandelte, lässt sich kein Beginn einer Arbeitsunfähigkeit, sondern nur der Beginn der Klage über Probleme, sich im Alltag nicht mehr zurecht zu finden (also nicht im Arbeitsalltag), herauslesen. Auf die Befragung des Hausarztes als Zeuge kann in antizipierter Beweiswürdigung verzichtet werden. Erstens hätte es der Kläger selbst in der Hand gehabt, die von seinem Hausarzt dokumentier­te Krankengeschichte beizubringen. Zweitens gehen aus seinem Bericht vom 26. September 2003 keinerlei Anhaltspunkte für eine Arbeitsunfähigkeit her­vor; vielmehr attestiert er volle Arbeitsfähigkeit in einer Hilfsarbeiter­funktion unter besonderer Rücksicht. Drittens hatten die Gutachterinnen des Psychiatrischen Dienstes Thurgau gemäss Bericht vom 5. Februar 2005 zuhanden der IV-Stelle telefonische Auskunft beim Hausarzt eingeholt und wären bei der Antwort auf die Frage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit bestimmt verbindlicher gewesen, wenn dieser entsprechende Aussagen gemacht hätte. Sie haben aber – wie gesagt – nur geschrieben: «Der genaue Beginn kann rückwirkend nicht mehr eruiert werden, liegt aber nach der Kündigung 1998.»

cc) Dass der Invaliditätsgrad ab 1. Januar 2000 72% betragen haben soll (IV-Verfügung vom 5. Juli 2005), ist für die Vorsorgeeinrichtung irrelevant. Sie hat unwidersprochen erklärt, der Kläger sei im relevanten Zeitpunkt nicht einen einzigen Tag krankheitshalber abwesend gewesen. Zudem liegt eine Beurteilung des Klägers durch den Werkhofleiter vor. Dort heisst es: «Ich bin mit der Leistung sehr zufrieden. Folgende Eigenschaften beschreiben die Leistung am besten: zuverlässig, sorgfältig, Materialkenntnisse in der Elektrobranche. Folgende Eigenschaften treffen auf das Verhalten zu: kor­rekt, hilfsbereit, kooperativ, teamfähig, freundlich, loyal. Das Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Mitarbeitern und Dritten ist einwandfrei.» Das Arbeitszeugnis der Gemeinde vom 16. Oktober 2000 erwähnt, zu den Hauptaufgaben des Klägers hätten die Instandstellung des Fahrzeugparks, Bereitstellung von Werkzeugen und Material, Reinigung der Werkstatt­räume, Bearbeitung der Paketpost, Umgebungsarbeiten sowie Mithilfe bei Rohrleitungsbauten für die Erdgas- und Wasserversorgung gehört. Die Gemeinde habe ihn als pflichtbewussten Mitarbeiter kennengelernt und er habe die ihm übertragenen Arbeiten selbständig und zu ihrer vollsten Zufriedenheit ausgeführt.
Mit Verweis auf Stauffer, a.a.O., Rz 746 beziehungsweise E. 2b am Ende ergibt sich daraus, dass sich im relevanten Zeitpunkt keine Erkrankung mani­festierte, die sich auf das Arbeitsverhältnis ausgewirkt hätte. Daran ändert nichts, dass die zur Invalidität führende «lang dauernde Krankheit» nämlich «rezidivierende mittelgradige depressive Episode, in CCT kleine lokalisierte Atrophie links frontal DD: alte Kontusion/Ischämie, neuropsychologisches Störungsbild, gemischter Aethyologie, fraglich hirnorganisch bedingt mit psy­chischer Überlagerung» sich schleichend entwickelt hat. Die Depression begann wohl mit der Scheidung 1984, flaute dann ab, bis es zur Kündigung kam. Ob sie sich bei den früheren Arbeitgebern arbeitsrechtlich ausgewirkt hat, ist nicht aktenkundig, doch steht fest, dass sie dies im relevanten Zeitraum nicht tat, was gemäss Stauffer a.a.O., Rz 731 erforderlich wäre und auch jedermann einleuchtet. Dazu braucht es keine Befragung der direkten Werkhof-Vorgesetzten, behauptet doch der Kläger nichts Gegenteiliges. Auch dass es sich beim Arbeitsplatz um eine geschützte Werkstatt gehandelt haben soll, ist durch das Arbeitszeugnis widerlegt und auch völlig abwegig. Für diese Behauptung liegen keinerlei begründete Hinweise vor. Der Kläger hat ja auch in der nachfolgenden Stelle voll gearbeitet. Die vom Kläger beschriebene Abkapselung von der Umwelt, des Überfordertseins und des sich Nichtzurechtfindens im Alltag haben im relevanten Zeitraum arbeits­rechtlich nicht zu einer Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 6 ATSG geführt.

Entscheid vom 28. März 2007

Die dagegen vom Versicherten beim Bundesgericht eingelegte Beschwerde in öffentlich-rechtlicher Angelegenheit wurde mit Urteil vom 5. März 2008 (9C_339/2007) abgewiesen. Es hielt zusammenfassend fest, dass der Verzicht des Versicherungsgerichts auf die Abnahme der angebotenen Beweise (Gutachten, Krankengeschichte des Hausarztes) unter den gegebenen Umständen keine Rechtsverletzung darstelle.

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