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TVR 2007 Nr. 9

Öffentlich-rechtlicher Vertrag betreffend Mehrausnützung zwi­schen einer Gemeinde und einem Privaten


§ 11 Abs. 2 Ziff. 2 aPBV, § 20 Abs. 1 StrWG, § 64 Ziff. 1 VRG


1. Die Zusicherung einer Mehrausnützung in einem Landabtretungsvertrag füreinen Strassenbau (-ausbau) zwischen einer Gemeinde und einem Privaten ist verwaltungsrechtlicher Natur (E.1 b).

2. Die Beurteilung eines solchen Vertrages fällt in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts (E.1 c).

3. Wurde vor dem 1. April 1996 Land für einen Strassenausbau abgetreten und von der Gemeinde zugesichert, dass der damit verbundene Verlust an Ausnützung durch Mehrausnützung auf dem Restland kompensiert werden könne, hat eine solche Zusicherung heute dank § 11 Abs. 2 Ziff. 2 PBV mit des­sen Kautelen Bestand, und zwar ohne dass es hiefür einer Anmerkung im Grundbuch bedürfte (E. 4).


Am 8. Dezember 1982 beschloss der Gemeinderat V im Zusammenhang mit dem Bau der 1. Etappe der Ackerstrasse, dass dem Grundeigentümer der Parzelle Nr. 3 eine Mehrausnützung von 330 m2 Bruttogeschossfläche für die Landabtretung von 550 m2 à Fr. 35.– zum Bau der Ackerstrasse gestattet werde. Sollte die Parzelle Nr. 3 später aufgeteilt werden, so sei die Mehrausnützung im gleichen Verhältnis auf die abgetrennten Teile zu über­tragen («Eintrag im Grundbuch»).
Gemäss Ausführungen der Erben des Grundeigentümers vom 10. März 2006 seien sie aufgrund einer Anfrage eines Kaufinteressenten für Parzelle Nr. 3 gewahr geworden, dass die vom Gemeinderat V gewährte Mehrausnützung im Grundbuch nicht eingetragen sei und ersuchten den Gemeinderat V, dies nachzuholen.
Am 4. Juli 2006 entschied der Gemeinderat, das Gesuch werde abgewiesen, soweit darauf einzutreten sei. Er erwog unter anderem, dass der Entscheid über die Eintragung der Mehrausnützung im Grundbuch beim Grund­buchamt liege, weshalb auf das diesbezügliche Gesuch nicht eingetreten wer­den könne. Aus dem Vermerk »Eintragung im Grundbuch» (im Beschluss vom 8. Dezember 1982) könne im Übrigen nicht die Verpflichtung der Gemeinde abgeleitet werden, einen Ausnützungstransfer zu Lasten eines anderen Grundstückes vorzunehmen, bloss um die Voraussetzungen für einen Ausnützungstatbestand auf Parzelle Nr. 3 zu erfüllen. Dagegen führten die Erben am 3. August 2006 Rekurs beim DBU. Mit Entscheid vom 14. Dezember 2006 hob dieses den Gemeinderatsentscheid vom 4. Juli 2006 auf. Dem Gemeinderat gehe in dieser Sache die Verfügungskompetenz ab, weil es um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag gehe. Es sei der Weg der Klage nach § 64 Ziff. 1 VRG beim Verwaltungsgericht einzuschlagen. Mit Eingabe vom 20. April 2007 erheben die Erben der Parzelle Nr. 3 Klage beim Verwaltungsgericht. Dieses weist ab.

Aus den Erwägungen:

1. a) Die Kläger stützen ihre Klage vorab auf § 64 Ziff. 1 VRG. Danach beur­teilt das Verwaltungsgericht als einzige Instanz Streitigkeiten aus öffentli­chem Recht mit Ausnahme von solchen über Staatsbeiträge zwischen dem Staat Thurgau und Gemeinden, Gemeindezweckverbänden, öffentlich-recht­lichen Korporationen und selbständigen öffentlich-rechtlichen Anstalten, sowie zwischen diesen untereinander. ( ... )

b) Die Kläger weisen auf die (publizierte) Rechtsprechung des Verwaltungs­gerichts zu § 64 Ziff. 1 VRG hin, nämlich TVR 1986 Nr. 13 und TVR 2002 Nr. 6, wonach die Zuständigkeit eher fraglich sei. Aus TVR 1995 Nr. 7 ergebe sich aber, dass das Verwaltungsgericht auch öffentlich-rechtliche Verträge beurteile, die nicht nur zwischen Gemeinwesen, sondern zwischen solchen und Privaten geschlossen worden seien. Wie es sich damit verhält, kann erst geprüft werden, wenn sich ergibt, dass es sich um eine Streitigkeit aus öffent­lichem Recht handelt.
Dass ein Landabtretungsvertrag zwischen Privaten und Gemeinwesen rein zivilrechtlicher Natur ist, ist in Lehre und Rechtsprechung unbestritten (vgl. auch § 20 StrWG). Die hier vorliegende Vereinbarung über die Landab­tretung von 1983 unterläge somit der Zivilgerichtsbarkeit. Darin ist die mehr als ein Jahr vorher abgegebene Zusicherung der Mehrausnützung nicht ent­halten, obschon beide Parteien angesichts des auch für damalige Verhältnisse tiefen Preises für Bauland von Fr. 35.–/m2 (dazu E. 4) davon ausgingen, es handle sich um eine Abtretungsbedingung (vgl. Schreiben des Gemeinderates vom 25. Oktober 1983). Gleichwohl wurde diese Bedingung damit nicht zum Bestandteil der Landabtretungsvereinbarung, auch wenn der Konnex mehr als auf der Hand lag. Dabei handelt es sich vielmehr um eine öffentlich-recht­liche Vereinbarung, auf deren Grundlage die Landabtretung dann zum besag­ten bescheidenen Preis zustande kam. Dass die Frage einer Mehrausnützung öffentlich-rechtlicher Natur war beziehungsweise ist, bedarf keiner langen Ausführungen (vgl. §§ 89 und 109 des damals gültigen Baugesetzes vom 28. April 1977). Damit stehen sich betreffend die Auslegung der Mehr­ausnützung die Privatperson und die Gemeinde gleich geordnet gegenüber. Es liegt mit andern Worten ein verwaltungsrechtlicher Vertrag vor.

c) Es trifft in der Tat zu, dass der Wortlaut von § 64 Ziff. 1 VRG nicht gerade durch Klarheit glänzt (so schon TVR 1986, Nr. 13, S. 87 und Kommentar zum VRG, Frauenfeld 1984, § 64, Nr. 3). Das widerspiegelt sich denn auch in der von den Klägern erwähnten Praxis des Verwaltungsgerichts. In TVR 1995 Nr.7 trat das Verwaltungsgericht auf eine Klage eines Privaten (einer Genossenschaft) betreffend Stromtarif gegen das Elektrizitätswerk des Kantons Thurgau aufgrund von § 64 Ziff. 1 VRG ein. Dazu machte es keine eingehenden Erwägungen, sondern hielt nur fest, dass dem Streit ein verwal­tungsrechtlicher Vertrag zugrunde liege, woraus sich bei Streitigkeiten die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ergebe. In TVR 2002 Nr. 6 sprach es einer Genossenschaft im Streit gegen die Gemeinde aus öffentlichem Recht die Aktivlegitimation nach § 64 Ziff. 1 VRG ab, ebenso ohne eingehende Erwägungen. In diesem Streit ging es aber hauptsächlich um die Frage, wer für die Frage der Erschliessung zuständig ist (jene Elektrogenossenschaft oder jene Gemeinde). Diese Antwort aber ergab sich unmittelbar aus dem Gesetz. Die Regeste zu TVR 2002 Nr. 6 ist allerdings recht apodiktisch ausge­fallen.
Die Erscheinung der ursprünglichen Verwaltungsgerichtsbarkeit gemäss § 64 VRG ist historisch zu erklären und fusst vor allem auf der Fiskustheorie, nach welcher öffentlich-rechtliche vermögensrechtliche Streitigkeiten als zivil­rechtlich qualifiziert wurden, über welche die Zivilgerichte zu entscheiden hatten. Die Fiskustheorie war eine Zweckschöpfung, weil damals nur die ordentlichen (Zivil-)Gerichte bestanden, das Rechtsschutzbedürfnis jedoch die Entscheidung durch einen unabhängigen Richter gebot. Mit der Einführung des Verwaltungsgerichts (im Thurgau 1984) wurde dann ein Teil dieser Streitigkeiten von den Zivilgerichten in das Beschwerdeverfahren, ein anderer Teil in das Klageverfahren übergeführt. Man glaubte, wegen der besonderen Natur gewisser Streitigkeiten einen vom Anfechtungsverfahren abweichenden Rechtspflegetypus schaffen zu müssen. Das Klageverfahren greift aber nur dort, wo der Staat wegen der besonderen Natur der Sache nicht selber ein Rechtsverhältnis durch verbindliche, formelle Verfügung regeln darf. Dies ist dann der Fall, wenn sich zwei Gemeinwesen oder ein Gemeinwesen und ein Individuum als gleich geordnete Rechtssubjekte gegenüberstehen (vgl. Kölz/Bosshart/Röhl, Kommentar zum Verwaltungs­rechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Aufl., Zürich 1999, Vorbem. zu §§ 81–86, N. 2 und 3).
Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts als einziger Instanz ist punktuell durch Enumeration aufgezählt, da eine Generalklausel angesichts der histori­schen Entwicklung nicht denkbar war. Allerdings enthält § 64 VRG Teilgeneralklauseln (vor allem Ziff. 1). Da sich die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts als Beschwerde- und jene als Klageinstanz gegenseitig ausschliessen, bestimmt sich der Vorrang vor den anderen Verfahren letztlich danach, ob in der Sache verfügt werden kann oder nicht (Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O., Vorbem. zu §§ 81–86 N. 7).
Aus der genannten Fiskustheorie ergibt sich aber im Sinne einer Lückenfüllung, dass das Verwaltungsgericht nicht nur öffentlich-rechtliche (Vertrags-)Streitigkeiten zwischen Gemeinwesen zu beurteilen hat, sondern auch in jenen Fällen zu entscheiden hat, wo sich das Gemeinwesen und ein Privater als Vertragspartner gegenüberstehen (vgl. auch Cavelti/Vögeli, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton St. Gallen – dargestellt an den Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, 2. Aufl. 2003, St.Gallen, Rz 1147) und die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts gegeben wäre, könnte der Beschwerdeweg eingeschlagen werden (vgl. Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O., § 82 lit. k, N. 2). Letzteres wäre im vorliegenden Fall zu bejahen. Diese Auslegung von § 64 Ziff. 1 VRG drängt sich auch deshalb auf, weil sich schon in den Fällen nach § 64 Ziff. 2 VRG (Konzessionen als besondere verwaltungsrecht­liche Verträge) Private und Gemeinwesen gegenüberstehen.

d) Die Kläger berufen sich bezüglich der Zuständigkeit des Verwaltungs­gerichts zur Beurteilung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen einer Privatperson und einem Gemeinwesen aber ebenso zu Recht auf § 13 KV und insbesondere auf Art. 29a BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Auch wenn in Bezug auf Art. 29a BV noch eine Übergangsfrist für die Anpassung des kan­tonalen Rechts offen ist, ist diese Bestimmung doch gleichwohl bereits in Kraft. Damit ergibt sich die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts zur Beurteilung dieser Streitigkeit aus öffentlich-rechtlichem Vertrag aus dem Jahre 1982 zwischen der Gemeinde und den Klägern.

e) Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen gegeben sind, ist auf die Klage einzutreten. Die allfällige Frage der Verjährung ist materiellrechtlicher Natur.

2. Die Frage der Verjährung stellt sich jedoch entgegen der Auffassung der beklagten Gemeinde nicht bezüglich der Frage der Mehrausnützung. Das Gesetz sieht solches nicht vor, denn § 8 VerantwG betrifft Forderungen. Um solche ginge es nur dann, wenn auch über die Eventualbegehren zu entschei­den wäre. Im Übrigen datieren die neuesten Zusicherungen der Gemeinde zur Mehrausnützung vom 23. September 2005 und 27. Februar 2006.

3.( ... )

4. Die Parteien gehen – wie bereits gesagt (E. 1b) – übereinstimmend davon aus, dass die Landabtretung zu einem Preis von Fr. 35.–/ m2 nur deshalb zustande gekommen ist, weil die Gemeinde (mit Beschluss vom 8. Dezember 1982) eine «Mehrausnützung» zugebilligt hatte. In Frage steht somit vorab, auf welche Grundlage sich der Gemeinderat damals (1982) bezogen haben konnte. § 89 aBauG regelte die Ausnützung im Allgemeinen und § 109 Abs. 2 aBauG sprach von der Möglichkeit, «die Nutzungsintensität um 20%» zu erhöhen, und zwar im Rahmen eines Gestaltungsplanes. Die §§ 14 und 15 aBauV legten bezüglich der Ausnützung die Ausführungsvorschriften fest. Das damalige Baureglement der Gemeinde V wiederholte im Wesentlichen nur das kantonale Recht. Diese Bestimmungen gaben jedoch keine Grund­lage für die gemeinderätliche Zusicherung der Mehrausnützung auf dem nach Abtretung für den Strassenbau verbleibenden Grundstück.
Solche Zusicherung bei Landabtretungen für einen Strassenbau war jedoch stete Praxis. Die durch eine Landabtretung für einen Strassenbau «verlorene» Ausnützung wurde in der Regel wieder zugesichert, um die Entschädigung tief halten zu können, nämlich entsprechend den «Richtlinien des Tiefbau­amtes» (so festgehalten in der Vereinbarung vom 28. Dezember 1983). Der Preis von Fr. 35.–/m2 entsprach damals klar nicht einer vollen Entschädigung beziehungsweise dem Verkehrswert von Bauland in der W3 Reservebauzone. Dass es sich damals bei der Reservebauzone um Bauland handelte, war gän­gige Auffassung, erging doch der dieser Auffassung entgegenstehende BGE 112 Ia 158 (Fall Ermatingen) erst am 30. April 1986.
Diese (weitverbreitete) Praxis ist nun aber Gesetz geworden, legt doch § 11 Abs. 2 Ziff. 2 PBV fest, dass die für die Änderung öffentlicher Verkehrsflächen abzutretenden Flächen zur anrechenbaren Landfläche hinzugenommen wer­den können (sofern sich dadurch die Ausnützung auf dem Baugrundstück um weniger als 10% erhöht). Dabei macht es für den vorliegenden Fall keinen Unterschied, ob nun die Landabtretung für einen Strassenausbau oder den Neubau einer Strasse erfolgte, auch wenn § 11 Abs. 2 Ziff. 2 PBV von ersterem ausgeht, dies deshalb, weil der damalige Eigentümer praktisch allein Hand zur Landabtretung bot. Damit erhielt die gemeinderätliche Zusicherung aus dem Jahre 1982 mit Inkrafttreten der PBV am 1. April 1996 (nachträglich) ihre gesetzliche Grundlage (wobei die 10% eingehalten sind).
Diese Mehrausnützung auf einer nach Abtretung für einen Strassenbau ver­bleibenden Landfläche gemäss § 11 Abs. 2 Ziff. 2 PBV ist vom Ausnützungs­transfer gemäss § 11 Abs. 2 Ziff. 1 PBV zu unterscheiden. Nur Letzterer kann – wenn überhaupt – im Grundbuch angemerkt werden. Beim Ersteren jedoch macht eine Anmerkung schon deshalb keinen Sinn, weil die zu Zwecken des Strassenausbaus abgetretene Landfläche nicht mehr zum eigentlichen Bauland gehört. Damit ergibt sich, dass die Gemeinde zu keiner «Andienung» von Ersatzland für einen Ausnützungstransfer zu verpflichten ist, und das Klagebegehren 2 somit abzuweisen ist. Die Mehrausnützung für Parzelle Nr. 3 von 330 m2 bei der (heutigen) Ausnutzung von 0.7 ist vielmehr durch § 11 Abs. 2 Ziff. 2 PBV gedeckt. Eines Eintrags beziehungsweise einer Anmerkung im Grundbuch bedarf dies nicht (und ist gesetzlich auch nicht vorgesehen beziehungsweise unzulässig).

Entscheid vom 28. November 2007

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