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TVR 2008 Nr. 2

Rechtsmissbräuchlicher Familiennachzug eines Schweizer Bürgers


Art. 7 Abs. 2 ANAG


Ein rechtsmissbräuchlich erworbenes Schweizer Bürgerrecht kann bei einem späteren Gesuch um Familiennachzug berücksichtigt werden.


Der Kosovare X heiratete am 9. September 1988 die Schweizer Bürgerin R. Dadurch erhielt er zunächst die Aufenthaltsbewilligung im Kanton Thurgau. Am 4. Oktober 1994 wurde er als Ehegatte einer Schweizer Bürgerin erleichtert eingebürgert. Die Ehe wurde am 14. Februar 2001 vom Bezirksgericht Arbon rechtskräftig geschieden. R starb am 27. November 2003.
Nebst der Beziehung zu seiner Schweizer Ehefrau führte X in seinem Heimatland eine weitere Beziehung zu Z. Am 10. Oktober 1990 wurde ihr erstes gemeinsames Kind A geboren. Das Paar hat zudem noch drei weitere Kinder, B (geboren am 10. Februar 1992), C (geboren am 15. April 1995) und D (geboren am 9. Juli 2001). X und Z heirateten am 15. August 2001 in ihrem Heimatort im Kosovo. Die Kinder C und D erwarben durch Abstammung das Schweizer Bürgerrecht.
Am 8. Dezember 2005 stellte X für seine Frau und die beiden Kinder A und B ein Familiennachzugsgesuch, das das Migrationsamt ablehnte. Den dagegen erhobenen Rekurs wies das DJS ab. Das Verwaltungsgericht heisst die dagegen eingereichte Beschwerde insofern teilweise gut, als es die Sache zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für die Ehefrau an das Migrationsamt zurückweist. Mit Bezug auf die beiden Kinder wird die Beschwerde abgewiesen.

Aus den Erwägungen:

3. Entgegen den Ausführungen und Beteuerungen des Beschwerdeführers in seinen Rechtsschriften ist das Verwaltungsgericht ebenso wie die Vorinstanz klar der Auffassung, dass er das Institut der Ehe mit R offensichtlich nur dazu missbraucht hat, die Bestimmungen des ANAG zu umgehen, um hier ein Bleiberecht erlangen zu können. Wären dem Migrationsamt die tatsächlichen Verhältnisse früher bekannt geworden, so wäre dem Beschwerdeführer zweifellos das Bleiberecht oder gar das Schweizer Bürgerrecht wieder entzogen worden. Das ändert aber nichts daran, dass er nunmehr seit beinahe 14 Jahren im Besitze des Schweizer Bürgerrechts ist und seit seiner Verheiratung mit Z grundsätzlich nach Art. 7 Abs. 1 ANAG einen Rechtsanspruch darauf hat, seine Ehefrau nachzuziehen. Das Rechtsmissbrauchsverbot von Art. 7 Abs 2 ANAG gelangt nur dann zur Anwendung, wenn sich der Rechtsmissbrauch auf die Ehe bezieht, mit der ein Ehegatte nachgezogen werden soll. Das ist beim heutigen Familiennachzugsgesuch des Beschwerdeführers offensichtlich nicht der Fall, verhält es sich doch zweifellos so, dass Z seine einzige und wirkliche Ehefrau war und ist. Es ist daher festzustellen, dass der Beschwerdeführer in rechtsmissbräuchlicher Art sein Aufenthalts- und das Nr. 2 36 Schweizer Bürgerrecht in äusserst stossender Weise erlangt hat. Daran lässt sich aber nichts mehr verändern. Das Bürgerrechtsgesetz setzt eine Frist von 5 Jahren, innert welcher die Einbürgerung rückgängig gemacht werden kann. Somit ist der Entzug des Schweizer Bürgerrechts nach Ablauf der Fünfjahresfrist nicht mehr möglich. Daher stehen dem Beschwerdeführer sämtliche Rechte und Pflichten, die aus dem Schweizer Bürgerrecht erwachsen, uneingeschränkt zu. Das beinhaltet auch den Anspruch auf Nachzug seiner Ehefrau nach Art. 7 Abs. 1 ANAG, es sei denn, es liege ein Rechtsmissbrauch im Sinne von Art. 7 Abs 2 ANAG vor, was hier gerade nicht der Fall ist. (...)

4. Der Beschwerdeführer stellt auch Antrag auf Familiennachzug für seine beiden älteren Kinder A und B. Die beiden Kinder C und D sind Schweizer Bürger und wohnen bereits beim Beschwerdeführer.

Ziel und Zweck des Familiennachzugs ist es, das familiäre Zusammenleben zu ermöglichen. Gemäss Weisungen des Bundesamts für Ausländerfragen kann dieses gesetzgeberische Ziel nicht erreicht werden, wenn der Ausländer jahrelang getrennt von seinem Kind lebt und dieses erst kurz vor Erreichen seines 18. Altersjahres aus wirtschaftlichen Überlegungen (Berufstätigkeit, Berufslehre) in die Schweiz holt. Rechtsmissbrauch kann nur nach Prüfung der Umstände des Einzelfalles angenommen werden, wenn sich erweist, dass tatsächlich nicht das familiäre Zusammenleben bezweckt wird (…). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass je länger mit dem Nachzug zugewartet wird und je näher das Alter des Kindes an der Grenze von 18 Jahren liegt, desto weniger das familiäre Zusammenleben im Vordergrund stehen dürfte, sondern ausschliesslich oder überwiegend wirtschaftliche Interessen, was rechtsmissbräuchlich ist (BGE 126 II 329, 129 II 11).
Der Beschwerdeführer hat mit keinem Wort erwähnt, weshalb er nach der Verheiratung mit Z vier Jahre zugewartet hat, bis er endgültig ein Gesuch um Familiennachzug stellte. In diesen vier Jahren haben die Kinder A und B prägende Jugendjahre erlebt und die Schule praktisch beziehungsweise gänzlich abgeschlossen. Sie sind heute beinahe 18 beziehungsweise 16 Jahre alt. Der Nachzug von Kindern in diesem Alter ist äusserst problematisch. Es ist zwar nachvollziehbar, wenn der Beschwerdeführer versuchte, seine Kinder noch im Kosovo die Schule beenden zu lassen. Für die Integration in der Schweiz wäre es jedoch zweifelsohne viel besser gewesen, er hätte das Familiennachzugsgesuch für die ganze Familie umgehend nach der Verheiratung mit seiner heutigen Ehefrau gestellt. Der Nachzug der beiden älteren Kinder erweist sich somit insofern als rechtsmissbräuchlich, als es offensichtlich vor allem darum geht, ihnen einen Zugang zum Arbeitsmarkt in der Schweiz zu verschaffen und nicht primär das Familienleben zu ermöglichen. Die Beschwerde ist daher mit Bezug auf diese beiden Kinder abzuweisen. Ob die Ehefrau unter diesen Umständen vom Nachzug Gebrauch machen will, ist ihr überlassen. Angesichts des Alters der beiden Jugendlichen (16 und 18 Jahre) ist eine elterliche Obhut keineswegs mehr zwingend.

Entscheid vom 6. Februar 2008

X hat gegen diesen Entscheid beim Bundesgericht Beschwerde erhoben, das diese abweist.

Aus den Erwägungen des Bundesgerichts:

(...)
2.5 Die aus Art. 7 und 17 ANAG ableitbaren Ansprüche auf eine ausländerrechtlicheBewilligung für Familienmitglieder stehen nicht nur in Bezug auf den Zeitpunkt ihrer Geltendmachung, sondern auch in sonstiger Hinsicht unter dem Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs.
Vorliegend steht ausser Frage, dass der Beschwerdeführer sein Schweizer Bürgerrecht in krass rechtsmissbräuchlicher Weise erworben hat. Eine Nichtigerklärung der Einbürgerung wegen Erschleichens durch falsche Angaben oder Verheimlichung wesentlicher Tatsachen konnte vorliegend einzig deshalb nicht mehr erfolgen, weil die Fünfjahresfrist gemäss Art. 41 Abs. 1 BüG bei Entdeckung des Sachverhalts bereits abgelaufen war (vgl. zur Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung in derartigen Konstellationen: BGE 130 II 482; 128 II 97). Der Beschwerdeführer hat das Schweizer Bürgerrecht damit zwar gültig erworben, und er kann sich für den Nachzug seiner heutigen Familie im Grundsatz auf Art. 7 und 17 ANAG beziehungsweise die Garantien von Art. 8 EMRK beziehungsweise Art. 13 Abs. 1 BV berufen. Es ist den Fremdenpolizeibehörden indessen in einer solchen Konstellation nicht verwehrt, bei der Prüfung eines Familiennachzugsgesuchs die (fragwürdigen) Umstände des Erwerbs des Anwesenheitstitels mit in Betracht zu ziehen, aus welchem weitere fremdenpolizeiliche Anwesenheitsrechte abgeleitet werden sollen. Wenn das Verwaltungsgericht bei der gegebenen Sachlage den beantragten Familiennachzug für die beiden älteren Kinder, die heute kurz vor Erreichung der Volljährigkeit stehen, nicht bewilligt hat, lässt sich dies jedenfalls im Ergebnis nicht beanstanden. Ob die finanziellen Mittel des vollinvaliden Beschwerdeführers für den Unterhalt einer sechsköpfigen Familie ausreichen würden, bedarf insofern keiner weiteren Prüfung. Inwieweit das Rechtsmissbrauchsverbot auch dem Nachzug der Ehefrau hätte entgegengehalten werden können, wie dies das kantonale Departement für Justiz und Sicherheit in seinem Rekursentscheid getan hat, ist nicht weiter zu untersuchen, da die Bewilligungserteilung an die Ehefrau im Verfahren vor Bundesgericht nicht mehr Streitgegenstand bildet.

Urteil vom 30. September 2008 (2C_289/2008)

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