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TVR 2008 Nr. 30

Zumutbarkeit einer Arbeitsaufnahme


Art. 12 BV, § 8 b SHG, § 25 Abs. 3 SHG, § 37 a SHV


1. Die einem Sozialhilfeempfänger auferlegte Verpflichtung zur Aufnahme einer «Arbeit auf Abruf» bei einer Sozialfirma, mit nach Leistungsniveaus abgestuftem Gehaltssystem und Wegbedingung eines Zuschlages auf Überstundenarbeit, ist zumutbar. Der Sozialhilfeempfänger hat keinen Anspruch auf Zuweisung einer seinem Fähigkeits- und Fertigkeitsniveau entsprechenden Arbeit, sondern nur darauf, dass er mit der vorgesehenen Tätigkeit nicht überfordert wird. Für den Begriff der zumutbaren Arbeit ist die arbeitslosenversicherungsrechtliche Umschreibung – hilfsweise – heranzuziehen (E. 3).

2. Die Androhung einer vollständigen Einstellung der Sozialhilfeleistungen für den Fall, dass die zumutbare Arbeitsstelle nicht angetreten werde, ist zulässig (E. 4).


A ist seit Juli 2005 ausgesteuert und wird seither – mit Unterbrüchen – von den Sozialen Diensten der Stadt X unterstützt. Bereits in den Jahren zuvor bezog sie wiederholt Sozialhilfeleistungen. Um A möglichst weiterhin im Arbeitsalltag zu integrieren, wurde sie – nach zwei Gartenbaukursen und einer befristeten Anstellung – von den Sozialen Diensten X bei der S GmbH, einer Sozialfirma, angemeldet. Am 18. September 2007 wurde ihr ein Arbeitsvertrag, mit Beginn per 1. Oktober 2007, zugestellt. Da sie mit einigen Punkten des Vertrages nicht einverstanden war, wandte sich A am 20. September 2007 schriftlich an die Sozialen Dienste X und verlangte eine anfechtbare Verfügung. Eine solche wurde ihr mit Datum vom 5. Oktober 2007 eröffnet. Dabei ordnete die Sozialhilfebehörde der Stadt X an, dass A die Anstellung in der S GmbH spätestens am 1. November 2007 anzutreten habe, andernfalls würden die Leistungen eingestellt.
Gegen diese Verfügung erhob A Rekurs, den das DFS mit Entscheid vom 14. Februar 2008 im Wesentlichen abwies. Die dagegen erhobene Beschwerde weist das Verwaltungsgericht ab.

Aus den Erwägungen:

3. a) Verfügt jemand nicht über hinreichend Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes für sich und seine Angehörigen mit gleichem Wohnsitz, sorgt die Gemeinde für die notwendige Unterstützung, sofern vom Hilfsbedürftigen nicht verlangt werden kann, sich die Mittel durch eigene Arbeit zu beschaffen, und keine andere Hilfe möglich ist (§ 8 SHG). Für Arbeitslose, die ihre Ansprüche auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung ausgeschöpft haben oder keine Taggeldansprüche besitzen, können die Gemeinden allein oder zusammen mit anderen Gemeinden oder privaten Trägerschaften Beschäftigungsprogramme durchführen. Die Kostenübernahme für die Teilnahme an einem Beschäftigungsprogramm gilt als materielle Hilfe (§ 8a SHG). Hilfsbedürftige können zur Aufnahme einer zumutbaren Arbeit auf dem freien Markt oder im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms verpflichtet werden. Bei Weigerung wird die Unterstützung gekürzt oder eingestellt (§ 8b SHG). Die Pflicht der hilfesuchenden Person, alles Zumutbare zur Behebung der eigenen Notlage zu unternehmen, insbesondere eine zumutbare Erwerbstätigkeit anzunehmen, folgt aus dem allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Grundsatz der Subsidiarität (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_156/2007 vom 11. April 2008, E. 2). Für den Begriff der zumutbaren Arbeit kann die arbeitslosenversicherungsrechtliche Umschreibung (Art. 16 Abs. 2 AVIG) – allerdings nur hilfsweise – herangezogen werden. Danach muss eine Arbeit den berufs- und ortsüblichen Bedingungen entsprechen, angemessen Rücksicht auf die Fähigkeiten und bisherigen Tätigkeiten der zu unterstützenden Person nehmen und ihren persönlichen Verhältnissen und dem Gesundheitszustand angemessen sein. Ein Arbeitsangebot kann dabei das Fähigkeits- und Fertigkeitsniveau der betroffenen Person auch unterschreiten. Diese darf bloss nicht überfordert werden. Lehnt eine Person zumutbare Arbeit ab, so weigert sie sich, für sich zu sorgen und ihre Notlage abzuwenden. Sie hat damit weder Anspruch auf Sozialhilfe noch auf finanzielle Nothilfe gemäss Art. 12 BV (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_156/2007 vom 11. April 2008, E. 6.4, mit Verweis auf BGE 130 I 71 E. 5.3; sowie Riemer-Kafka, Das Verhältnis zwischen Grundrecht auf Hilfe in Notlagen und Eigenverantwortung, in: Tschudi [Hrsg.], Das Grundrecht auf Hilfe in Notlagen, Bern 2005, S. 149 f.; ob im Bereich der Sozialhilfe nicht sogar noch strengere Massstäbe zu gelten haben, liess das Bundesgericht im angeführten Entscheid offen).

b) (...) Die Beschwerdeführerin bestreitet in materieller Hinsicht die Zumutbarkeit des ihr von den Sozialen Diensten X angebotenen Arbeitsvertrages bei der S GmbH, was vorweg zu prüfen ist.

aa) Als erstes ist festzuhalten, dass eine «Arbeit auf Abruf» ohne weiteres zulässig und zumutbar ist. Gemäss Vertragsentwurf richtet sich der Arbeitsanfall beziehungsweise das konkrete Pensum des jeweiligen Arbeitnehmers nach den Bedürfnissen der Arbeitgeberin. Wie im angefochtenen Entscheid festgehalten, soll der Arbeitseinsatz an zwei aufeinanderfolgenden Tagen erbracht werden, wobei der konkrete Einsatz jeweils aufgrund der anstehenden Aufträge in einem Arbeitsplan festgelegt wird. In diesem Zusammenhang ist auch die Formulierung in Ziffer 4 des Arbeitsvertrages, wonach der Arbeitnehmer «keinen Anspruch auf Beschäftigung» hat, zu betrachten; massgebend sind, wie erwähnt, die jeweils anstehenden Aufträge. Inwiefern bei dieser Vertragsausgestaltung tatsächlich von einer eigentlichen «Arbeit auf Abruf» auszugehen ist, kann dahingestellt bleiben. Das vorgesehene Konzept – der Arbeitseinsatz in Abhängigkeit der anstehenden Aufträge – erweist sich auf jeden Fall als zweck- und rechtmässig und ist der Beschwerdeführerin durchaus zumutbar.

bb) Unbegründet sind auch die Bedenken der Beschwerdeführerin bezüglich des im Vertragsentwurf vorgesehenen Gehaltssystems. Demgemäss sind am Anfang des Arbeitsverhältnisses alle Arbeitnehmer in der 1. Stufe (Förderstufe) bei einem Mindest-Bruttolohn von Fr. 12.– pro Stunde tätig. Bei guter Leistung und Zuverlässigkeit erfolgt ein Wechsel in die 2. Stufe (Integrationsstufe) bei einem Mindest-Bruttolohn von Fr. 14.– pro Stunde. Mitarbeiter, die ein hohes Leistungsniveau erreichen und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, können gemäss Vertragsentwurf in die 3. Stufe (Leistungsstufe) bei einem Mindest-Bruttolohn von Fr. 3’200.– pro Monat befördert werden. Über die Zuteilung in die verschiedenen Stufen entscheidet die Geschäftsleitung. Die Vorinstanz weist zu Recht darauf hin, dass es sich bei der S GmbH um eine Sozialfirma handelt, welche Ersatzarbeitsplätze im 2. Arbeitsmarkt anbietet. Mit einer im Vergleich zum 1. Arbeitsmarkt relativ tiefen Entschädigung soll insbesondere die Motivation zum Wiedereinstieg in den 1. Arbeitsmarkt beibehalten beziehungsweise gefördert werden. Diesem Konzept entsprechen das Arbeitsintegrationsmodell und die Gehaltsstufen der S GmbH. Diese untersteht weder einem Normal- noch einem Gesamtarbeitsvertrag mit vorgegebenen Mindestlöhnen. Das vorgesehene Arbeitsverhältnis erweist sich auch unter diesem Gesichtspunkt als zumutbar.

cc) Ebenfalls unbegründet sind die Rügen der Beschwerdeführerin betreffend den Aufstieg in die 3. Gehaltsstufe. Zwar trifft es zu, dass gemäss Vertragskonzept der S GmbH im Vorfeld keine Garantie für das Erreichen der 3. Lohnstufe beziehungsweise für eine Anstellung zu einem 100%-Pensum abgegeben werden kann. Massgebend hierfür ist die Leistungsbereitschaft, das Erreichen eines hohen Leistungsniveaus und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Dass die Geschäftsführung der S GmbH nicht willkürlich entscheiden darf, ist unbestritten. Anhaltspunkte hierfür sind auch nicht ersichtlich.

dd) Unbehelflich ist weiter der Einwand, dass für ausbezahlte Überstunden kein Zuschlag entrichtet werde. Diese arbeitsvertragliche Bestimmung ist mit Art. 321c Abs. 3 OR, gemäss welchem für Überstundenarbeit nur dann ein Zuschlag auf den Normallohn zu entrichten ist, wenn nichts anderes schriftlich verabredet oder durch Normalarbeits- oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist, vereinbar und somit rechtmässig. Die Vorgabe, dass für einen «Bereitschaftsdienst» keine Entschädigung geleistet wird, ist in arbeitsvertragsrechtlicher Hinsicht zwar allenfalls diskutabel. Massgebend ist jedoch die konkrete Ausgestaltung dieser «Arbeit auf Abruf», sofern und soweit es sich überhaupt um eine solche handelt. (...) Aufgrund der Bestimmung betreffend den unentgeltlich zu leistenden «Bereitschaftsdienst» vermag die Beschwerdeführerin jedenfalls keine Unzumutbarkeit des vorgesehenen Anstellungsverhältnisses abzuleiten. Dasselbe gilt für die ohne Zuschlag zu leistenden Überstunden.

ee) Unbegründet sind weiter die Bedenken der Beschwerdeführerin bezüglich der im Arbeitsvertrags-Entwurf vorgesehenen Möglichkeit von Temporäreinsätzen (Personalverleih) bei Drittfirmen. Inwiefern die Beschwerdeführerin dadurch übervorteilt würde, ist in keiner Art und Weise ersichtlich. Durch den Personalverleih an andere Unternehmungen erhalten die ausgeliehenen Arbeitnehmenden vielmehr die Möglichkeit, in andere Tätigkeiten und Arbeitsabläufe Einsicht zu nehmen. Auch dies entspricht dem Sinn und Zweck des Arbeitsverhältnisses bei der S GmbH, die Beschwerdeführerin etappenweise wieder in den 1. Arbeitsmarkt zu führen.

ff) Als haltlos erweist sich die Befürchtung der Beschwerdeführerin, die Tätigkeit bei der S GmbH beziehungsweise die dortigen Arbeitsabläufe würden sich auf eine «einzige monotone Handlung» beschränken und «zu Stumpfsinn», mit der «Gefahr einer Auslösung einer Depression», führen. Hierfür bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Es trifft zwar zu, dass die Grenze der Unzumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit in der Beeinträchtigung der Persönlichkeit der Arbeitnehmerin liegt (vgl. TVR 1998 Nr. 33 und TVR 1995 Nr. 29). Wie bereits die Vorinstanz ausgeführt hat, ist die S GmbH als Sozialfirma in erster Linie darauf ausgerichtet, Personen «mit diversem sozialem, gesundheitlichem und beruflichem Hintergrund zu beschäftigen und dabei primär, Langzeitarbeitslose und Ausgesteuerte langfristig wieder in den 1. Arbeitsmarkt zu führen». Die Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch darauf, dass das Arbeitsangebot ihrem Fähigkeits- und Fertigkeitsniveau entspricht, sondern nur, dass sie mit der vorgesehenen Tätigkeit nicht überfordert wird (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_156/2007 vom 11. April 2008, E. 6.4). Dass sie mit der angebotenen Arbeit bei der S GmbH überfordert wäre, macht sie nicht geltend. Nicht ersichtlich ist, inwiefern die vorgesehene Tätigkeit in irgendeiner Art und Weise die Gefahr einer Depression begründen sollte oder persönlichkeitsverletzend wäre (TVR 1995 Nr. 29). Die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass die betreffenden Arbeiten zu «Stumpfsinn» führten, erscheint vielmehr als Affront gegenüber denjenigen Personen, die derartige Arbeiten anstandslos ausführen. Auf jeden Fall ist der angebotene Arbeitsvertrag auch unter diesem Gesichtspunkt durchaus zumutbar.

gg) Fehl geht weiter der Einwand der Beschwerdeführerin, dass das vorgesehene Anstellungsverhältnis bei der S GmbH nicht durch § 8b SHG abgedeckt sei. Gemäss dieser Bestimmung können Hilfsbedürftige zur Aufnahme einer zumutbaren Arbeit auf dem freien Markt und im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms verpflichtet werden. Sinn und Zweck der Tätigkeit bei der S GmbH ist, wie bereits erwähnt, die etappenweise «Rückführung» von hilfsbedürftigen Ausgesteuerten und Langzeitarbeitslosen in den 1. Arbeitsmarkt. Das Konzept mit den verschiedenen Arbeitsstufen (Förderstufe – Integrationsstufe – Leistungsstufe) und den entsprechenden Gehaltsstufen ist durchaus geeignet, die Motivation der Unterstützungsbedürftigen zur Aufnahme einer geregelten Tätigkeit und zur Wiedereingliederung in den 1. Arbeitsmarkt zu fördern. Die S GmbH ist – wie von der Vorinstanz und der verfahrensbeteiligten Gemeinde bestätigt wird – auf dem «freien Markt» tätig. Der vorgesehene Arbeitsvertrag entspricht somit ohne weiteres dem Sinn und Zweck von § 8b SHG.

c) Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass der Beschwerdeführerin das ihr angebotene Anstellungsverhältnis bei der S GmbH unter den gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung relevanten Gesichtspunkten ohne weiteres zumutbar ist.

4. a) Die Beschwerdeführerin beanstandet in formeller Hinsicht die Androhung der verfahrensbeteiligten Gemeinde beziehungsweise der Sozialen Dienste X, dass die Sozialhilfeleistungen eingestellt würden, falls sie die Arbeitsstelle bei der S GmbH nicht am 1. November 2007 antrete. (...)

b) (...) Gemäss § 25 Abs. 3 SHG i.V. mit § 37a SHV ist die unterstützungsbedürftige Person vor der Kürzung oder Einstellung der Unterstützung vorgängig – in der Regel schriftlich – zu verwarnen. Sinn und Zweck einer derartigen Verwarnung ist, der fehlbaren Person die Möglichkeit einzuräumen, sich entsprechend den Auflagen und Weisungen der Fürsorgebehörde zu verhalten. Die Rechtmässigkeit und Zumutbarkeit des vorgesehenen Anstellungsverhältnisses bei der S GmbH ist, wie dargestellt, gegeben. Die Beschwerdeführerin wurde bereits mehr als einmal im Sinne von § 25 Abs. 3 SHG i.V. mit § 37a SHV verwarnt. Diese Voraussetzung der Leistungseinstellung ist somit zweifellos erfüllt.
Die Vorinstanz hat in ihrer Vernehmlassung ausgeführt, dass die angedrohte Leistungseinstellung auch die Kürzung als mildere Sanktion mit umfasse. Es trifft zwar zu, dass bei einem allfälligen Fehlverhalten der Beschwerdeführerin die Rechtsfolge mittels erneuter Verfügung durch die Sozialen Dienste X festzulegen wären. Dessen ungeachtet ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ein vollständiger Leistungsentzug – selbst ohne gesetzliche Grundlage – zulässig, wenn sich die unterstützte Person rechtsmissbräuchlich verhält (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_156/2007 vom 11. April 2008, E. 7.2, mit Verweis auf Urteil 2P.156/2007 vom 17. Oktober 2005 sowie BGE 122 II 193, E. 2/ee). Im Kanton Thurgau ist eine ausdrückliche rechtliche Grundlage mit Nr. 30 122 § 8b SHG gegeben, welcher nebst einer Kürzung auch eine vollständige Einstellung der Unterstützung vorsieht. Lehnt eine Person zumutbare Arbeit ab, so weigert sie sich, für sich zu sorgen und ihre Notlage abzuwenden. Sie hat damit weder Anspruch auf Sozialhilfe noch auf finanzielle Nothilfe gemäss Art. 12 BV (BGE 130 I 71 E. 5.3, mit Verweis auf Urteil 2P.275/2003 vom 6. November 2003, E. 5.1 und 5.2). Die in der Verfügung der verfahrensbeteiligten Gemeinde X vom 5. Oktober 2007 angedrohte vollständige Leistungseinstellung ist somit ebenfalls rechtmässig und nicht zu beanstanden.

Entscheid vom 9. Juli 2008

Auf die von A gegen diesen Entscheid eingereichte Beschwerde ist das Bundesgericht mit Urteil vom 8. September 2008 nicht eingetreten (8C_651/2008).

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