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TVR 2008 Nr. 38

Vermittlungsfähigkeit und Arbeitsweg


Art. 15 Abs. 1 AVIG, Art. 16 Abs. 2 lit. f AVIG


Vermittlungsfähigkeit bei nur eingeschränkten möglichen Arbeitszeiten. Die Vermittlungsfähigkeit ist im vorliegenden Fall nicht gegeben, da die Berücksichtigung eines möglichen Arbeitswegs von je einer Stunde ergibt, dass eine Arbeitnehmerin nur noch von 08.30 bis 11.00 Uhr und von 15.00 bis 17.00 Uhr am Arbeitsplatz anwesend sein könnte.


H arbeitete bis zum 30. Juni 2007 als Kinderbetreuerin mit einem Pensum von rund 30%. In der Folge stellte sie Antrag auf Arbeitslosenentschädigung. Gemäss Erhebungsbogen zum Erstgespräch stellte sie sich zu 50% dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Sie gab an, vormittags, nachmittags, abends, nachts und auch über Mittag und an Wochenenden arbeiten zu können. In der Folge konnte H einen Schnupperkurs antreten, der jedoch bereits nach zwei Tagen abgebrochen wurde. Laut Auskunft des zuständigen Leiters habe H wenig Motivation gezeigt. Sie habe Extrawünsche bezüglich Arbeitszeit geäussert und habe scheinbar wegen ihres Kindes mit Jahrgang 1997 um 11 Uhr nach Hause gehen müssen. In der Folge stellte das AWA die Vermittlungsfähigkeit Hs in Abrede. Die dagegen von H erhobene Einsprache wurde abgewiesen. Gegen diesen Entscheid reicht das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) Beschwerde ein, die das Versicherungsgericht abweist.

Aus den Erwägungen:

4. a) Eine der gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ist die Vermittlungsfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG). Gemäss Art. 15 Abs. 1 AVIG ist die arbeitslose Person vermittlungsfähig, wenn sie bereit, in der Lage und berechtigt ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen und an Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen. Zur Vermittlungsfähigkeit gehört demnach nicht nur die Arbeitsfähigkeit im objektiven Sinn, sondern subjektiv auch die Bereitschaft, die Arbeitskraft entsprechend den persönlichen Verhältnissen während der üblichen Arbeitszeit einzusetzen (BGE 125 V 58 E. 6a, 123 V 213 E. 3, je mit Hinweisen).
Vermittlungsunfähigkeit liegt unter anderem vor, wenn eine versicherte Person aus persönlichen oder familiären Gründen ihre Arbeitskraft nicht so einsetzen kann oder will, wie es eine Arbeitgeberin oder ein Arbeitgeber normalerweise verlangt. Versicherte, die sich im Hinblick auf anderweitige Verpflichtungen oder besondere persönliche Umstände lediglich während gewisser Tages- oder Wochenstunden erwerblich betätigen wollen, können nur sehr bedingt als vermittlungsfähig anerkannt werden. Sind einer versicherten Person bei der Auswahl des Arbeitsplatzes so enge Grenzen gesetzt, dass das Finden einer Stelle sehr ungewiss ist, muss Vermittlungsunfähigkeit angenommen werden. Der Grund für die Einschränkung in den Arbeitsmöglichkeiten spielt dabei keine Rolle (BGE 123 V 216 E. 3, 120 V 388 E. 3a mit Hinweisen). Allerdings darf die Vermittlungsfähigkeit nicht leichthin unter Verweis auf familiäre Betreuungsaufgaben verneint werden. Dies gilt namentlich dann, wenn eine Person vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bereits den Tatbeweis erbracht hat, dass sie trotz Betreuungsaufgaben eine Vollzeitbeschäftigung auszuüben bereit und in der Lage war, und die bisherige Stelle aus nicht selbst zu verantwortenden Gründen aufgegeben werden musste. Fehlt es mit Blick auf eine erneut angestrebte Vollzeitstelle am Nachweis einer durchwegs gewährleisteten Kinderbetreuung, ist zu prüfen, ob die leistungsansprechende Person allenfalls bereit und in der Lage wäre, wenn nicht vollzeitlich, so doch in einem – nach der Rechtsprechung für die Bejahung der Vermittlungsfähigkeit genügenden – Umfang von mindestens 20% eines Normalarbeitspensums erwerbstätig zu sein, was bejahendenfalls den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung in reduziertem Umfang begründet (SVR 2004 Nr. 12). Zu betonen ist an dieser Stelle allerdings noch einmal, dass laut Art. 15 Abs. 1 AVIG der Arbeitslose in der Lage sein muss, eine zumutbare Arbeit anzunehmen. Zur Zumutbarkeit gehört gemäss Art. 16 Abs. 2 lit. f AVIG auch die Möglichkeit, einen Arbeitsweg von bis zu zwei Stunden je für den Hin- und Rückweg zu bewältigen.

b) Im Abklärungsbogen des AWA hat die Verfahrensbeteiligte angegeben, sie könne vormittags, nachmittags, abends, nachts, über Mittag sowie samstags und sonntags arbeiten. Zwar besitzt sie einen Führerschein, doch hat sie auf diesem Bogen ebenfalls angegeben, nicht immer über ein Auto zu verfügen und somit auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen zu sein. Wie sich in der Folge anlässlich des Arbeitsversuchs herausgestellt hat, konnte die Verfahrensbeteiligte diese Zeiten jedoch nicht einhalten. Es wurden daher weitere Abklärungen getroffen und im Abklärungsbogen hat die Verfahrensbeteiligte dann angegeben, sie könne das Haus von Montag bis Freitag jeweils um 7.30 Uhr bis um 12.00 Uhr und nachmittags von 14.00 bis 18.00 Uhr verlassen. Unmöglich sei ein Verbleib am Arbeitsort über Mittag. Zusätzlich könne sie am Samstagmorgen von 07.30 bis 12.00 Uhr arbeiten. Die Arbeitsbemühungen der Verfahrensbeteiligten haben sich gemäss ihrem Schreiben auf die Bereiche Pflege (Alters- oder Pflegeheim, Hauspflege), Betreuung (Kinder, geistig oder körperlich Behinderte), Praxisassistentin sowie Laborantin konzentriert. In diesem Schreiben hat sie auch angegeben, dass sie auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sei.

c) Nach Art. 16 Abs 2 lit. f AVIG ist eine Arbeitsstelle nur dann unzumutbar, wenn der Arbeitsweg für je den Hin- und den Rückweg zwei Stunden übersteigt und eine angemessene Unterkunft nicht vorhanden ist oder bei Vorhandensein der Unterkunft die Betreuungspflicht gegenüber Angehörigen nicht mehr erfüllt werden kann. Die Verfahrensbeteiligte hat im Abklärungsbogen angegeben, sie könne über Mittag am Arbeitsort nicht verbleiben. Bei jeweils Hin- und Rückfahrt am Morgen und am Nachmittag ergibt dies bei zumutbarem Arbeitsweg von jeweils zwei Stunden total maximal acht Wegstunden pro Tag, so dass die Vermittlungsfähigkeit offensichtlich nicht mehr gegeben sein kann.
Legt man die Bestimmung von Art. 16 Abs. 2 lit. f AVIG, wonach ein Arbeitsweg von bis zu zwei Stunden je für den Hin- und Rückweg als zumutbar erscheint, zugunsten der Verfahrensbeteiligten aus, indem ihr am Morgen und am Nachmittag nur eine Stunde für je einen Weg angerechnet wird, so ist dennoch Folgendes festzustellen: wenn sie nicht gerade im Raum Kreuzlingen eine Arbeitsstelle findet, so weist sie bei Benützung des öffentlichen Verkehrs im Kanton Thurgau sehr schnell einen Arbeitsweg von Tür zu Tür von mehr als einer Stunde auf. Als faktisch mögliche Arbeitszeit für die Verfahrensbeteiligte kann daher höchstens eine Arbeitszeit von 8.30 Uhr bis 11.00 Uhr und von 15.00 Uhr bis 17.00 Uhr ins Auge gefasst werden. Dies ergäbe auf fünf Tage verteilt gerade noch 50%, doch ist zu berücksichtigen, dass bei solchen möglichen Arbeitszeiten kein Arbeitgeber bereit ist, die Verfahrensbeteiligte anzustellen. Wie die Vorinstanz zu Recht darauf hinweist, sind gerade die Bereiche, in denen die Verfahrensbeteiligte etwas sucht, unflexible Bereiche, in denen meist auch über Mittag oder am Abend gearbeitet wird. Objektiv betrachtet ist es daher sehr unwahrscheinlich, dass die Verfahrensbeteiligte zu den von ihr angegebenen Zeiten, selbst in einem Umfang von lediglich 20%, eine geeignete Arbeitsstelle finden kann, zumal heutzutage bei Arbeitsstellen mit tiefen Prozentzahlen häufig eine erhöhte Flexibilität verlangt wird, die die Verfahrensbeteiligte gerade nicht aufweisen kann. Wenn daher die Vorinstanz der Verfahrensbeteiligten die Vermittlungsfähigkeit abgesprochen hat, so ist dies selbst unter dem Gesichtspunkt, dass die Beschwerdeführerin vorher ein Arbeitspensum von 30% ausführen konnte, nicht relevant, da es sich dabei um eine Stelle gehandelt hat, die offensichtlich nur äusserst selten am Arbeitsmarkt angeboten wird.

Entscheid vom 10. September 2008

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