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TVR 2008 Nr. 43

Führerausweisentzug bei mittelschwerer Widerhandlung, Auffahrkollision


Art. 16 b SVG


Auffahrkollision: Leichte oder mittelschwere Widerhandlung? Zwingender Führerausweisentzug bei mittelschwerer Widerhandlung. Konkrete oder erhöhte abstrakte Gefährdung führt zu Administrativmassnahme. Die Mindestentzugsdauer kann nicht unterschritten werden. Eine Begrenzung des Entzuges auf die «Freizeit» ist nicht möglich.


Mit Verfügung vom 15. August 2008 entzog das Strassenverkehrsamt A den Führerausweis aller Kategorien und Unterkategorien sowie der Spezialkategorie F für 4 Monate. Zur Begründung führte es aus, A habe mit seinem Lieferwagen wegen nicht angepasster Geschwindigkeit und entsprechend ungenügendem Abstand eine Auffahrkollision verursacht. A habe Verkehrsregeln verletzt und den Verkehr gefährdet. Es handle sich um eine mittelschwere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften. Erschwerend falle der getrübte automobilistische Leumund ins Gewicht. Insbesondere habe A im Jahre 2006 der Führerausweis wegen einer schweren Widerhandlung entzogen werden müssen. Gegen diese Verfügung führt A Rekurs und stellt den sinngemässen Antrag, dass der Führerausweisentzug auf die Freizeit zu begrenzen sei. Die Rekurskommission für Strassenverkehrssachen weist ab.

Aus den Erwägungen:

3. Nach Art. 16 Abs. 2 SVG wird nach Widerhandlungen gegen die Strassenverkehrsvorschriften, bei denen das Verfahren nach dem OBG ausgeschlossen ist, der Lernfahr- oder der Führerausweis entzogen oder eine Verwarnung ausgesprochen. Nach Absatz 3 der gleichen Bestimmung sind bei der Festsetzung der Dauer des Lernfahr- oder Führerausweisentzuges die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, namentlich die Gefährdung der Verkehrssicherheit, das Verschulden, der Leumund als Motorfahrzeugführer sowie die berufliche Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen. Die Mindestentzugsdauer darf jedoch nicht unterschritten werden (Art. 16 Abs. 3 Satz 2 SVG). Das Gesetz unterscheidet in der Folge zwischen leichten Widerhandlungen (Art. 16a SVG), mittelschweren Widerhandlungen (Art. 16b SVG) und schweren Widerhandlungen (Art. 16c SVG). Für den vorliegend zu beurteilenden Fall ist sodann der Umstand von besonderem Interesse, dass mit den revidierten Bestimmungen gerade bei den mittelschweren Widerhandlungen der früher unter Umständen mögliche Verzicht auf einen Führerausweisentzug durch den Gesetzgeber ausgeschlossen worden ist: Nach Art. 16b Abs. 2 SVG ist neu bei einer mittelschweren Widerhandlung ein Führerausweisentzug zwingend.
Auszugehen ist vorliegend vom unbestrittenen Umstand, dass der Rekurrent infolge nicht angepasster Geschwindigkeit an die Strassenverhältnisse eine Auffahrkollision mit einem vor ihm fahrenden beziehungsweise bereits stillstehenden Lastwagen verursacht hat. In dem inzwischen rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren ist der Rekurrent dafür vom Untersuchungsamt G gestützt auf Art. 90 Ziff. 1 SVG zu einer Busse von Fr. 460.– verurteilt worden. Die Rekurskommission ist an dieses Erkenntnis des Strafrichters grundsätzlich gebunden (vgl. z.B. Urteil des Bundesgerichts 6A.56/2004 vom 29. November 2004, E. 2.2). Damit fällt das Absehen von einer Administrativmassnahme von vorneherein ausser Betracht, da der Rekurrent eine Verkehrsregelverletzung begangen und damit andere Verkehrsteilnehmer gefährdet hat. Diese Gefährdung hat sich denn auch aufgrund der eingetretenen Kollision konkret und drastisch realisiert.

4. Die Vorinstanz hat den Führerausweisentzug auf Art. 16b SVG abgestützt, das heisst als mittelschwere Widerhandlung qualifiziert. Eine sogenannt mittelschwere Widerhandlung begeht unter anderem, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG). Mittelschwer ist die Widerhandlung, wenn entweder das Verschulden des Lenkers nicht mehr leicht wiegt oder die Gefahr für die Sicherheit anderer nicht mehr gering ist (vgl. Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG). Die Anordnung eines Warnungsentzuges setzt eine vom Lenker verschuldete, konkrete oder jedenfalls erhöhte abstrakte Gefährdung anderer Personen voraus. Die blosse abstrakte Gefährdung als solche reicht nicht aus. Eine erhöhte abstrakte Gefährdung besteht, wenn die Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung nahe liegt (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_3/2008 vom 18. Juli 2008, E. 5.2, unter Verweis auf BGE 131 IV 133 E. 3.2).
Der Rekurrent seinerseits macht sinngemäss geltend, dass lediglich von einer leichten Widerhandlung im Sinne von Art. 16a SVG ausgegangen werden könne. Nach Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG begeht eine leichte Widerhandlung, wer durch die Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft. Für die Annahme eines leichten Falles setzt das Gesetz ausdrücklich ein geringes Ausmass der Gefährdung voraus. Im Gegensatz zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu dem bis am 31. Dezember 2004 geltenden Recht (vgl. BGE 125 II 561) räumt Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG der Schwere der Verkehrsgefährdung wieder eine eigenständige Stellung ein. Im Rahmen der Administrativmassnahmen liegen der gesetzlichen Kategorisierung der Widerhandlungen gegen die Strassenverkehrsvorschriften verschiedene Gefährdungsstufen zugrunde. Während die einfache abstrakte Gefährdung kein Administrativmassnahmeverfahren nach sich zieht (vgl. Art. 16 Abs. 2 SVG), führt eine konkrete Gefährdung der körperlichen Integrität oder eine erhöhte abstrakte Gefährdung dieses Rechtsguts zu einer Administrativmassnahme (vgl. Schaffhauser, Die neuen Administrativmassnahmen des Strassenverkehrsgesetzes, in: Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht 2003, S. 181, Rz 43 ff). Eine einfache abstrakte Gefährdung ist nach der bundesgerichtlichen Rechtssprechung nur dann anzunehmen, wenn keine anderen Verkehrsteilnehmer vom Fehlverhalten des Rekurrenten hätten betroffen werden können. Für die Abstufung innerhalb der erhöhten abstrakten Gefährdung ist auf die Nähe der Verwirklichung der Gefahr abzustellen. Je näher die Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung anderer Verkehrsteilnehmer liegt, umso schwerer wiegt die erhöhte abstrakte Gefährdung. Eine konkrete Gefahr ist insbesondere auch dann zu bejahen, wenn es zu einem Unfall gekommen ist, und sich die hervorgerufene Gefahr realisiert hat (vgl. Boll, Grobe Verkehrsregelverletzung, Davos 1999, S. 12).
Der Fahrzeugführer muss seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden (Art. 3 Abs. 1 VRV) und er muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann (Art. 31 Abs. 1 SVG). Art. 32 Abs. 1 SVG verlangt zudem, dass die Geschwindigkeit stets den Umständen anzupassen ist, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Vorliegend hat der Rekurrent seine Geschwindigkeit ganz offensichtlich nicht an die prekären Strassenverhältnisse angepasst. Er ist deshalb mit seinem Lieferwagen auf den vor ihm stehenden beziehungsweise verlangsamenden Lastwagen aufgeprallt, worauf dieser Lastwagen in einen vor ihm stehenden Personenwagen geschoben wurde, beziehungsweise das Heck des Lastwagens auf die Gegenfahrbahn geraten und dort mit einem weiteren Lieferwagen zusammen geprallt ist. Damit hat der Rekurrent seinen eigenen Lieferwagen offensichtlich nicht mehr so beherrschen können, dass eine Kollision hätte vermieden werden können. Selbst wenn der Rekurrent mit seinem Fahrzeug nicht besonders schnell gefahren ist, war die Geschwindigkeit aber offenbar dennoch so hoch, dass er nicht mehr rechtzeitig abbremsen konnte, was auch ohne Weiteres den Schluss zulässt, dass er zu den vorausgehenden Fahrzeugen einen unzureichenden Abstand eingehalten hat. Damit steht für die Rekurskommission zweifelsohne fest, dass der Rekurrent die ihm nach den Umständen obliegende Aufmerksamkeitspflicht verletzt und diese Pflichtverletzung des Rekurrenten zur Kollision geführt hat. Daran ändert auch der Umstand nichts, wonach sich der Rekurrent gemäss Strafbescheid »lediglich» der Verletzung von Art. 32 Abs. 1 i. V. mit Art. 90 Ziff. 1 SVG schuldig gemacht hat. Die von ihm konkret verursachte Gefahr hat sich denn in der Kollision auch drastisch realisiert. Zwar sind bei der Kollision offenbar keine Personen verletzt worden. Dennoch hätte die vom Rekurrenten geschaffene Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer ohne weiteres auch weit gravierendere Folgen haben können. Es ist wohl letztlich nur glücklichen Umständen zu verdanken, dass bei dieser Kollision nicht weit schlimmere Folgen eingetreten sind. Liegt damit aber auch keine geringe Gefahr im Sinne von Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG vor, kann die vom Rekurrenten begangene Widerhandlung zum Vornherein nicht als leichte Widerhandlung im Sinne von Art. 16a SVG qualifiziert werden. Vielmehr ist aufgrund von Art. 16b SVG zwingend ein Führerausweisentzug auszusprechen.

5. Mit diesem Ergebnis könnte an sich der Grad des Verschuldens des Rekurrenten offen bleiben. Auch wenn die Strassenverhältnisse im konkreten Fall zweifelsohne als prekär zu bezeichnen waren, muss von einem Verkehrsteilnehmer erwartet werden können, dass er seine Geschwindigkeit der besonderen Situation anpasst. Es ist allgemein bekannt, dass eine vereiste und schneebedeckte Fahrbahn besondere Risiken aufweist. Indem er seine Geschwindigkeit diesen Verhältnissen nicht angepasst hat, ist dem Rekurrenten deshalb ein nicht als leicht zu bezeichnendes Verschulden an der Kollision vorzuwerfen. In diesem Zusammenhang ist auch erwähnenswert, dass offenbar andere Verkehrsteilnehmer in der gleichen Situation beziehungsweise den gleichen Strassenverhältnissen ihre Fahrzeuge jeweils noch rechtzeitig anhalten konnten, was sich aus dem Polizeiprotokoll ergibt.

6. Die Vorinstanz hat eine Entzugsdauer von 4 Monaten verfügt. Diese Entzugsdauer entspricht dem gesetzlichen Minimum von Art. 16b Abs. 2 lit. b SVG. Diese Mindestentzugsdauer ergibt sich im konkreten Fall aus dem Umstand, dass dem Rekurrenten der Führerausweis vom 16. Mai 2006 bis und mit 15. Januar 2008 wegen einer schweren Widerhandlung entzogen war (Führen eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand), weshalb die Vorinstanz zu Recht diese Bestimmung angewendet hat. Bei diesen Gegebenheiten besteht schon von Gesetzes wegen keine Möglichkeit, im konkreten Fall eine kürzere Entzugsdauer festzulegen (Art. 16 Abs. 3 Satz 2 SVG). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes ist es ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers, dass die Mindestentzugsdauer nicht mehr unterschritten werden kann, was insbesondere auch bei Berufschauffeuren oder Taxifahrern gilt (vgl. BGE 132 II 234 E. 2.3). Soweit der Rekurrent in diesem Zusammenhang beantragt, dass ihm der Führerausweis für die Arbeitszeit belassen und lediglich in der Freizeit entzogen werde, ist darauf hin zu weisen, dass das Schweizerische Administrativmassnahmerecht einen solchen differenzierten Entzug nicht kennt. Zwar kann nach Art. 33 Abs. 5 VZV in Härtefällen ein Ausweisentzug je nach Kategorie für eine unterschiedliche Dauer verfügt werden, doch muss aufgrund der klaren Regelung die gesetzliche Mindestentzugsdauer auf alle Fälle gewahrt bleiben, die vorliegend eben 4 Monate beträgt.

Entscheid der Rekurskommission für Strassenverkehr vom 20. Oktober 2008

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